Ausgabe 5/02, 8. April
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Russlands zweite Garde noch immer verärgert
Trotz rhetorischer Spannungen machen Putin und Schewardnadse weiter auf Verständigung

Entgegen der gemässigten und verständnisvollen Haltung des russischen Präsidenten Putin zum amerikanischen Militärengagement in Georgien zeigen sich viele Politiker Russlands noch immer verärgert über den georgisch-amerikanischen Militär-Coup und verlangen von Putin entsprechende Massnahmen. Während sich die zweite Garde der Politiker beider Länder in rhetorischen Schlachten aufreibt, versuchen die beiden Führer Putin und Schewardnadse, die Situation zu beruhigen. In der Zwischenzeit versuchen verschiedene Kräfte, die Spannungen in Abchasien anzuheizen, während es auf der diplomatischen Ebene einen ersten vertrauensbildenden Erfolg gibt: Georgien zieht seine Soldaten aus dem Kodorital ab.

Insbesondere in der russischen Duma sitzt die Verärgerung recht tief. Man befürchtet eine Verschärfung der Situation in Abchasien und wirft Georgien vor, mit Hilfe der Amerikaner militärische Aktionen gegen die abtrünnigen Republiken vorzubereiten. In Georgien werden solche Pläne sowohl vom Aussenministerium als auch vom Verteidigungsministerium nachhaltig dementiert. Auch Eduard Scheweardnadse machte deutlich, dass eine Lösung der Abchasienfrage nur mit friedlichen und diplomatischen Mitteln erreicht werden könne.

Ankunft der US-Ausbilder verzögert sich

Die georgischen Dementis sind durchaus nachvollziehbar. Zum einen treffen die amerikanischen Ausbilder erst nach und nach in Georgien ein. Wann dies sein wird, lies sogar der Staatspräsident in seinen beiden jüngsten Montagspressekonferenzen offen. Dies könne in einer oder zwei Wochen geschehen oder erst in ein oder zwei Monaten, auf alle Fälle aber nach dem vorgesehenen Zeitplan, wie das Verteidigunsministerium erklärte. Den Zeitplan aber kennt niemand. Mittlerweile wurde bekannt, dass die ersten Ausbilder erst gegen Ende April in Georgien eintreffen werden. In der Medien-Hysterie der vergangenen Wochen waren sie bereits zu Hunderten in Georgien gemeldet worden, deren Kampfeinsatz unmittelbar bevorstand (siehe auch: "Wissentlich oder unwissentlich falsch begründet"). Jetzt sollen sie, so der georgische Präsident, erst einmal die Grundkenntnisse der georgischen Sprache erlernen, bevor sie zur dringend notwendigen Ausbildung der georgischen Armee in den Kaukasus kommen. Wer es noch nicht wusste, wird es spätestens jetzt erkennen müssen: Der Mann hat Humor.

Der Hintergrund dieser nicht mehr zu verheimlichenden zeitlichen Verzögerung ist klar: Das US-Unternehmen "Training und Equippment für Georgien" wurde vom Pentagon anscheinend haushaltsrechtlich nicht rechtzeitig abgesichert. Daran konnte auch die Propagandaschlacht um Al Qaida im Pankisital nicht mehr viel ändern. So wird also allein aus finanziellen Gründen die Umsetzung des von Präsident Bush gross angekündigten Programms wohl weitaus länger gestreckt werden müssen als die voreiligen Pressemeldungen auch des Pentagon der letzten Wochen vermuten liessen. Jedenfalls ist kaum erklärlich, warum amerikanische Soldaten erst einmal georgisch lernen müssen, wenn sie Al Qaida und Bin Laden im Pankisis zu jagen haben. Es geht in dem Programm ja auch nicht um irgendwelche Terroristenabwehr im Pankisital oder sonst irgendwo, es geht, wie man mittlerweile weiss, vornehmlich darum, den Investoren der grossen Ölpipelines das entsprechende Vertrauen in die Stabilität des Kaukasus und damit in ihre Investitionen zu vermitteln, indem man ein erhöhte Präsenz amerikanischer Militärberater ankündigte. Das Anti-Terrorargument diente lediglich dazu, im amerikanischen Haushalt die entsprechenden Sondermittel locker zu machen, was anscheinend nur ungenügend gelang. Auch die jetzt vereinbarten militärischen Kooperationen Amerikas mit Armenien und Aserbaidschan ist wohl ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt Sicherheit der Energietransporte zu bewerten.

Georgische Armee in einem alarmierenden Zustand

Zum anderen weiss jeder, der den Ausbildungs- und Ausrüstungsstand der georgischen Armee auch nur ein wenig einschätzen kann, dass diese Truppe zu vielem fähig ist, nur nicht zu einem einigermassen geschlossenen militärischen Einsatz. Eine aktuelle Studie der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik kommt zu dem Schluss: "Die georgischen Streitkräfte sind derzeit für keine Schlacht gerüstet. Sie leiden an chronischer Unterfinanzierung und sind zudem vom gesamtgeorgischen Problem wuchernder Korruption nicht ausgenommen. Letzten Mai meuterten Einheiten der Nationalgarde in der Nähe der Hauptstadt aufgrund unhaltbarer Zustände wie Todesfälle aufgrund von Armutskrankheiten, einem sechszehnmonatigen Soldrückstand oder Unterernährung. Die georgische Armee ist zwar eine allgemeine Wehrpflichtarmee, doch aufgrund der Zustände kaufen sich die meisten jungen Leute vom Dienst frei. Beinahe aussschliesslich die ärmsten, Minderheiten und Analphabeten finden sich somit zum Dienst ein. Der Verteidigungshaushalt fiel stetig über die letzten Jahre und wurde aufgrund der desolaten Finanzlage nie vollständig ausbezahlt. Das Budget für das Jahr 2002 beläuft sich theoretisch auf knapp 20 Millionen Dollar, zu denen die US-Militärhilfe von über 64 Mio. Dollar in Beziehung zu setzen ist."

Es wird nach Ansicht westlicher Militärbeobachter auch trotz amerikanischen Trainings noch mehrere Jahre dauern, bis sich den Georgiern eine wie auch immer geartete realistische militärische Option ergeben kann. Ein zweites Militärabenteuer in Abchasien dürfte genauso ausgehen wie das erste, nämlich in einer schmählichen Niederlage der Georgier. Nach zuverlässigen Informationen weiss dies auch die politische Führung, insbesondere der Verteidigungsminister, der alle Gerüchte, Georgien könne sich Abchasien mit militärischen Mittel zurückholen, ins Reich der Fantasie verweist. Und man darf angesichts der traditionellen Informationskanäle, über die Moskauer Dienste in Georgien noch immer verfügen, getrost annehmen, dass man auch in Moskau nur allzu genau weiss, dass alle nervösen Reaktionen und Berfürchtungen über georgische Militärschläge beim real existierenden Zustand der georgischen Armee eigentlich grundlos sind.

Moskauer Hysterie

Trotzdem wird in Moskau verbal aufgerüstet. Die Duma verlangt eine Aufstockung der russischen Friedenstruppen in Abchasien um 400 Mann, derzeit sind 1.700 russische Soldaten stationiert. Und man fordert eine Aufstockung der humanitären Hilfe für Abchasien und Ossetien bei gleichzeitigen wirtschaftlichen Sanktionen gegen Georgien. Ausserdem verlangt man von Putin nach wie vor ein militärisches Eingreifen im Pankisital. Zusätzlich erklärte jetzt der russische Verteidigungsminister Iwanow, der Rückzug der russischen Militärbasen Achalkalaki und Batumi würde sich weiter verzögern. Russland liess eine weitere Verhandlungsrunde mit Georgien zu diesem Thema platzen, was harsche Reaktionen in Tbilissi hervorrief. Jede eskalierende Stellungnahme eines Moskauer Politikers wird auf georgischer Seite von Politikern der zweiten Garde erwidert. Das jeweilige Publikum will mit den richtigen Parolen unterhalten werden.

Russland will auch den Abbau seiner rund 2.000 Mann starken militärischen Kommandozentrale für die transkaukasischen Truppen in Tbilissi zunächst einmal aufschieben. Der Abbau dieses völlig überdimensionierten und kaum noch finanzierbaren Stabes für die russischen Streitkräfte in Georgien und Armenien auf deutlich weniger als 100 Offiziere war bereits befohlen worden. Das georgische Verteidigungsministerium hatte mit seinen russischen Gesprächspartnern schon Verhandlungen über die Übernahme der Gebäude geführt. Auch diese Gespräche sind vorerst einmal auf Eis gelegt, zumindest solange, bis der finanzielle Druck den propagandistischen wieder überlagern kann.

Verstärkte diplomatische Aktivitäten zu Abchasien

In der abtrünnigen Provinz Abchasien spielen unterdessen alle möglichen Kreise wieder einmal mit kleinen Feuerchen, lassen Bomben hochgehen und überfallen sich gegenseitig, wobei sich beide Seiten jeweils die Schuld für die Zwischenfälle in die Schuhe schieben. Die abchasischen Machthaber sprechen sogar von einer Mobilmachung, da für Ende April eine georgische Offensive erwartet würde. Weitaus gemässigter ging es beim Treffen der Sicherheitschefs der "Caucasus Four" im russischen Sotschi zu, bei dem auch der russische Präsident Putin die Sekretäre der Sicherheitsräte der Länder Georgien, Armenien, Aserbaidschan und Russland empfing, unter anderem auch den neuen georgischen Sicherheitschef Tedo Tschaparidse, der nach seinen acht Jahren Dienstzeit als georgischer Botschafter in Washington durchaus als ein Mann der USA angesehen werden kann. Putin sprach dabei seine Besorgnis über die zunehmenden Spannungen in Abchasien aus und erklärte, es sei trotzdem möglich, auf der Basis des UN-Papiers über die Kompetenzaufteilung zwischen Suchumi und Tbilissi den Verhandlungsprozess aus seiner Sackgasse herauszuführen. Putin erläuterte noch einmal die unfehlbaren Prinzipien der Zusammenarbeit in dieser Region, wonach die Souveränität der Länder nicht infrage gestellt werden dürfte, ebenso das Recht eines jedes Staates, den Weg seiner Innen- und Aussenpolitik selbst zu wählen. Das sind ganz andere Worte, als sie in der Moskauer Duma zu hören sind.

Der neue georgische Sicherheitschef Tedo Tschaparidse informierte nach seiner Rückkehr vom "Caucasus Four" Treffen, dass der russische Präsident es ihm gegenüber abgelehnt habe, den Führer der abchasischen Separatistenregierung Wladislaw Ardzinba zu treffen. Sotschi habe auch gezeigt, dass Putin ein normales Verhältnis zur amerikanischen Militärhilfe für Georgien habe, erklärte Tschaparidse.

Schewardnadse: Putin entscheidet

Eduard Schewardnadse erklärte auf seiner Montagspressekonferenz, man solle den radikalen Statements verschiedener russischer Minister nicht soviel Aufmerksamkeit schenken, da die Position Putins allein entscheidend sei. Putin wolle die schnelle Normalisierung der Beziehungen der beiden Länder und sei an der Ausarbeitung eines Rahmenabkommens interessiert. Die schnelle Lösung des Abchasienkonflikts sei die Basis, auf der beide Seiten ihre künftigen Beziehungen aufbauen könnten. Dabei unterstrich Schewardnadse, dass Russland sich bisher einer Kompetenzaufteilugn zwischen Suchumi und Tbilissi widersetzt habe, jetzt aber dieses UN-Dokument und andere UN-Resolutionen unterstütze. Die abchasische Seite müsse verstehen, dass es keinen anderen Weg gäbe als den der Vereinbarungen und Kompromisse, erklärte der georgische Staatschef und warnte Suchumi gleichzeitig: "Ansonsten wird der UN-Sicherheitsrat eine andere Haltung zu der Frage einnehmen und andere Entscheidungen treffen." Schewardnadse spielte dabei auf die grosszügigen Kompromisse an, die Georgien in dem UN-Papier den Abchasen gegenüber zu machen bereit ist. Nach Informationen in Tbilissi stellt dieses Papier das Äusserste an Autonomie dar, was die Abchasen innerhalb eines georgischen Staatsverbundes überhaupt erreichen könnten. Die Georgier ihrerseits würden nach Informtionen, die GN vorliegen, nicht nur die territoriale Integrität des Landes wieder gewinnen, es scheint, dass auch die Rückkehr der Flüchtlinge zufriedenstellend geregelt werden kann. Vermutlich wird es einen eher abchasischen Teil Abchasiens geben, der eine grössere Autonomie erhält, und einen eher georgischen Teil Abchasiens, der unter der vollen Souveränität Georgiens stehen wird. Schewardnadse ist sich der Unterstützung Putins sicher, zu dem er in den letzten Monaten einen persönlichen Draht aufgebaut hat. Da mag beim russischen Präsidenten sicher auch der eine oder andere Wink aus Washington mitgeholfen haben, sich doch mit seinem südlichen Nachbarn, der in Amerika als strategischer Verbündeter gilt, zu einem erträglichen Miteinander zu vereinbaren.

Vertrauensbildung: Georgischer Rückzug aus dem Kodori

Trotz aller verbaler Kraftakte haben sich die beiden Konfliktparteien unter der Vermittlung des UN-Sonderbotschafters Dieter Boden auf einem weiteren vertrauensbildenden Schritt geeinigt. Georgien zieht seine regulären Truppen aus dem Kodorital ab, die abchasische Seite versichert, dieses Vakuum nicht mit eigenen Kräften aufzufüllen. Beides wird von Sonderpatrouillen der UN-Beobachter mit den russischen Friedenstruppen kontrolliert. Ein entsprechendes Protokoll wurde in der vergangenen Woche im Tbilisser UN-Hauptqaurtier von Vertretern Tbilissis, Suchumis, der UN-Mission und der russischen Friedentsruppen unterzeichnet. Bei dieser Gelegenheit machte der Kommandeur der Friedenstruppen Generalmajor Alexander Ewtejew klar, dass die russischen Friedesntruppen ungeachtet aller gegenteiligen Informationen einen ganz normalen Dienst versähen. Es gäbe keine besonderen Bereitschaftsmassnahmen. (Siehe auch: Kodori-Frage erst einmal gelöst)

Präsident Putin hat mittlerweile den 1. stellvertretenden Aussenminister Waleri Loschinin zu seinem persönlichen Beauftragten zur Lösung des Abchasienkonflikts ernannt, ein Zeichen dafür, dass er das Thema Abchasien jetzt wohl zur Chefsache gemacht hat. Loschinin gilt unter Diplomaten als ein besonnener und solider Mann. Schewardnadse und andere georgische Politiker haben diese Personalie einmütig begrüsst. Es hat also allen Anschein, dass sich die russische Politik und Öffentlichkeit Georgien gegenüber in aggressiver Rhetorik ergeht, während der Präsident an seiner Linie einer kooperativen Politik mit dem Westen festhält, was ohne ein gutnachbarschaftliches Verhältnis zu Georgien nicht möglich ist. Darauf hat Washington mehrfach in Moskau hingewiesen. So ist es bei dem Gewirr an Stimmen und Stimmungen in Moskau recht schwer, die eigentlichen Ziele russischer Aussenpolitik zu erkennen. Die Realpolitik Putins jedenfalls scheint eine andere zu sein als die Politikoper, die einige seine Minister und viele Parlamentarier in der Öffentlichkeit aufführen. Mitte April, wenn in Tbilissi die nächste Runde der georgisch-russischen Rahmenvertragsverhandlungen anstehen, wird man mehr wissen.

 

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