Ausgabe 5/02, 8. April
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Der lange Abschied des Eduard Schewardnadse
Georgien und die Sezessionen

Als Eduard Schewardnadse vor zehn Jahren nach Georgien kam, übernahm er neben den innenpolitischen Aufräumungsarbeiten nach dem Nationalismus Gamsachurdias und dem Putsch auch eine weitere schwere Hypothek: die ungelösten Konflikte mit Abchasien und Südossetien. In unserer fünften Folge der Serie über die zehn Jahre Schewardnadse in Georgien beschäftigt sich GN-Herausgeber Rainer Kaufmann mit der Geschichte dieser Konflikte und den Lösungsansätzen, die vor allem im Falle Abchasien derzeit wieder auf der Tagesordnung der georgischen Innen- und Aussenpolitik stehen. Denn beide innenpolitischen Konflikte sind ohne aussenpolitische Einflüsse nicht vorstellbar.

Bewertet man die Konflikt-Bilanz von zehn Jahren Schewardnadse so wie sie die georgischen Medien bewerten, dann ist sie schlichtweg vernichtend. Nach einfachem Schwarz-Weiss-Muster verlangt man von ihm nichts weniger, als Abchasien und Südossetien wieder nach Georgien zurückzuholen. Dies hat er - bis heute jedenfalls - noch nicht geschafft. Die Frage, ob es unter den bis heute obwaltenden Umständen überhaupt möglich gewesen wäre, beide Konflikte im Sinne Georgiens zu lösen, spielt da eine untergeordnete Rolle. Man will die Einheit des Landes, die es allerdings in der geforderten Form nie oder nur über einen sehr kurze Phase der Geschichte gegeben hat. Sollte Schewardnadse dies in den letzten drei Jahren seiner Amtszeit nicht gelingen, werden sie ihn verdammen. Sollte er Erfolg haben und vor allem den Abchasienkonflikt lösen können, werden ihm selbst diejenigen, die ihn in den letzten Monaten schon tot geschrieben haben, Denkmäler bauen für die Ewigkeit. So einfach ist es manchmal mit historischen Bewertungen.

Südossetien

Iim autonomen Gebiet Südossetien mit seiner Hauptstadt Zchinwali lebten am Ende der Sowjetära 65.000 Osseten, dazu 29.000 Georgier sowie ein paar Russen und Armenier. Darüber hinaus wohnten in anderen Gebieten Georgiens noch rund 100.000 Osseten in durchaus friedlichem Nebeneinander mit der georgischen Bevölkerungsmehrheit. Die Osseten sind ein indoeuropäisches Volk, ihre Sprache ist dem Iranischen verwandt. Schon zu Sowjetzeiten litten die Osseten unter der verwaltungsmäßigen Trennung in zwei Verwaltungseinheiten, im Nordkaukasus gab es die Nordossetische Republik, im Südkaukasus das autonome Gebiet Südossetien.

Als Antwort auf die aggressive georgische Nationalbewegung forderten die Südosseten bereits im Herbst 1989 die Anerkennung ihres autonomen Gebietes als Autonome Republik. Die georgische Nationalbewegung wehrte sich mit Massendemonstrationen vor Zchinwali gegen die geplante südossetische Sezession, was unweigerlich in einem mehrjährigen Blutvergießen mündete, in dem sich beide Seiten nichts schenkten und das schließlich zu einer Vertreibung aller Südosseten führte, die im übrigen Georgien lebten. Besonders die Gegend um Bakuriani, wo viele Osseten siedelten, wurde von der georgischen Soldateska ethnisch gesäubert. Schewardnadse entschärfte gleich nach seiner Rückkehr nach Georgien diesen Konflikt, in dem er eine Friedenspolizei aus Georgiern, Südosseten und Russen schuf, die in gemeinsamen Patrouillen für Ruhe und Ordnung zu sorgen hatte. Ein erster diplomatischer Erfolg des früheren außenpolitischen Weltstars auf der für ihn ansonsten viel zu kleinen kaukasischen Bühne.

Die Südosseten reagierten mit verschiedenen Versuchen, den Zusammenschluss mit ihren nordkaukasischen Brüdern zu einer einheitlichen ossetischen Republik innerhalb der Russischen Föderation zu erreichen. Als sie die Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens einsehen mussten, da selbst die Nordosseten wenig Interesse zeigten, ihren einigermaßen stabilen Status quo innerhalb der Russischen Föderation der südossetischen Brüder wegen zu gefährden, erklärte das südossetische Parlament in Zchinwali schließlich einseitig die staatliche Unabhängigkeit Südossetiens, diplomatisch anerkannt von so bedeutenden Staaten wie Nordossetien, Transnistrien (einer Teilrepublik von Moldawien) und der Republik Gagausien.

Friedens-Memorandum durch OSZE-Vermittlung

Mitte der neunziger Jahre kamen Südosseten und Georgier in einem Memorandum überein, ihre Differenzen nur noch friedlich und auf dem Verhandlungsweg zu lösen und auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten, ein Erfolg der beharrlichen Vermittlungsarbeit der OSZE-Mission in Tbilissi, die sich auf Anrufen der beiden Konfliktparteien der Region Südossetien angenommen hatte. Zusammen mit dem norwegischen Flüchtlingsrat hatte man Diplomaten aus Zchinwali und Tbilissi in Seminaren in der kanadischen und norwegischen Abgeschiedenheit auf ihre gemeinsame Aufgabe vorbereitet. Auf dem Schreibtisch eines hohen Regierungsbeamten Zchinwalis stehen Erinnerungsfotos an diesen frühen ossetisch-georgischen Seminarurlaub, als ob die Sezession des Gebietes, das nicht einmal der Grösse eines Landkreises entspricht, nur eine Fiktion wäre. Und der Pressesprecher der ossetischen Regierung bedauert es am Ende eines langen Gesprächs, in dem er immer wieder die staatliche Unabhängigkeit seines Landes betont, dann doch, schon recht lange nicht mehr in Tbilissi gewesen zu sein. Die Stadt würde ihm nach wie vor noch gut gefallen. Die beiden deutschen OSZE-Botschafter Eiff und Boden waren an der erfolgreichen Vermittlung in Südossetien massgeblich beteiligt, letzterer versucht sich jetzt mit ähnlichen Erfolgsaussichten auf dem weitaus schwierigeren Terrain Abchasien.

An diesen Gewaltverzicht hat man sich bisher gehalten. Zwar geht die südossetische Verwaltung nach wie vor von der Unabhängigkeit ihres Gebietes von Georgien aus, die wirtschaftliche Realität ist allerdings eine ganz andere. Südossetien ist, wie übrigens alle anderen Sezessionsgebiete im Kaukasus, alleine nicht lebensfähig. Auf dem Markt von Zchinwali gibt es neben russischen auch georgische oder über Georgien importierte Produkte, und der georgische Lari wird neben dem Rubel, der hier offizielle Währung ist, mittlerweile ohne Probleme als Zahlungsmittel akzeptiert. Auch die Verbindungsstraße von Tbilissi über Zchinvali in die westgeorgische Gebirgsregion Ratscha kann normalerweise problemlos passiert werden, die südossetischen "Grenzkontrollen", die vor einigen Jahren noch irgendwo im Niemandsland zwischen den Städtchen Oni und Kirov vom sezessionistischen Trotz der Zchinwali-Verwaltung zeugten, sind längst abgebaut.

Die "grösste Freihandelszone Europas"

Wer einmal den nahezu unübersehbaren, riesigen und gut organisierten Schwarzmarkt im Dörfchen Ergneti vor den Toren der südossetischen Hauptstadt Zchinwali erlebt hat, auf dem sich wohl Tausende abenteuerlicher Lkws stauen, dem wird schnell klar, dass sich die Hintermänner dieses Riesengeschäftes - neben Benzin werden hier auch Lebensmittel wie Mehl oder Fleisch am georgischen Zoll vorbeigeschleust - wohl kaum durch eine politische Lösung des Südossetien-Konfliktes stören lassen wollen. In Tbilissi nennt man den Ergneti-Markt schönfärberisch die "grösste Freihandelszone Europas". Solange alles so bleibt, wie es jetzt ist, und solange nicht wieder geschossen wird, können die Warenströme ungestört über das südossetische Niemandsland laufen und solange wird das Thema Südossetien auf der Prioritätenliste nicht unbedingt obenan stehen. Da gibt es einflussreiche Leute, die solches, wenn nicht zu verhindern, so doch immerhin zu verzögern wissen. So lange wird der steuer- und zollfreie Großmarkt von Zchinwali weiter boomen, so lange dürfen sich die Provinzverwalter Südossetiens weiter als Regierung einer unabhängigen Republik fühlen und so lange wird der georgische Fiskus auf die dringend benötigten Zoll- und Steuereinnahmen des riesigen Schwarzmarktes von Ergneti notgedrungen verzichten müssen. Und alle werden zufrieden sein, mit Ausnahme von Weltbank und Währungsfonds, die von den Georgiern immer wieder das Einsammeln ihrer Zölle und Steuern verlangen. Was aber können der aufrechteste Staat und sein fleißigster Finanzminister tun, wenn ihnen durch sezessionistische Umtriebe die Hände gebunden sind? An dieser Tatasache kam Schewardnadse bisher nicht vorbei, immerhin ist ein enger Verwandter einer der "big players" im georgischen Benzinhandel. Allerdings ist auch anzumerken, dass der Südossetienkoflikt dann wohl automatisch gelöst werden wird, wenn der weitaus schwierigere Abchasienkonflikt innerhalb der Grenzen Georgiens vernünftig gelöst werden kann.

Abchasien

Die Geschichte dieser Sezession ist - wie fast immer im Kaukasus - sehr kompliziert. Beim Zerfall der UdSSR lebten rund 525.000 Menschen in Abchasien, nur 93.000 von ihnen waren Abchasen, also knapp 18 % der Gesamtbevölkerung. Die Georgier stellten immerhin 240.000 Einwohner, also 45 %, der Rest waren Armenier, Russen, Balten, Griechen und andere Ethnien. Die Abchasen sind ein überwiegend muslimisches, nordkaukasisches Volk, ethnisch also nicht mit den Georgiern gleichzusetzen. Im Mittelalter war Abchasien ein eigenes Fürstentum gewesen, das sich im 10. Jahrhundert mit Kachetien und Tao-Klardschetien zum georgischen Königreich vereinigte. Im 15. Jahrhundert, kurz nach dem Zerfall dieses Königreichs, wurde das abchasische Fürstentum wieder selbständig. Die Georgier stehen nun auf dem Standpunkt, Abchasien sei schon immer urgeorgisches Territorium gewesen, was die Abchasen ebenso heftig bestreiten.

Erbe der Sowjetzeit

Bei der Bildung der Transkaukasischen Föderation im Jahr 1922 war Abchasien der Rang einer mit Georgien, Armenien und Aserbaidschan gleichrangigen Republik innerhalb dieser Föderation zuerkannt worden. Bei der Aufhebung der Föderation in den dreißiger Jahren wurde es herabgestuft zur Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik innerhalb der Georgischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Schon während der Sowjetära gab es ständige Querelen zwischen Abchasen und Georgiern, die alles unternahmen, die abchasische Titularnation zu unterminieren, während diese versuchte, ihre Verwaltungs- und Wirtschaftspfründe vor dem Zugriff der georgischen Bevölkerungsmehrheit zu schützen. Schon zu Sowjetzeiten forderten die Abchasen die Umgliederung ihrer Republik direkt unter das Dach der Russischen Föderation. 1978 noch musste der sowjetische Ministerrat den Streit schlichten, indem er den Abchasen eine eigene Universität und Fernsehsendungen in Abchasisch zubilligte, nachdem die Georgier bereits in den vierziger Jahren die Einführung des georgischen Alphabets und die Abschaffung des muttersprachlichen Unterrichts auf abchasischem Gebiet durchgesetzt hatten. Die Abchasen wiederum erreichten es, dass nahezu alle Führungspositionen in Partei, Wirtschaft und Staat mit Angehörigen der Titularnation besetzt wurden, obwohl diese nur 18 % der Gesamtbevölkerung ausmachte. Abchasien, die nordwestliche Provinz Georgiens am Schwarzen Meer mit der Hauptstadt Suchumi, war die Urlaubsregion der Sowjetunion schlechthin. Millionen von Sowjetbürgern und Urlaubern aus dem Ostblock einschließlich DDR trafen sich jeden Sommer in den beliebten Urlaubsorten Gagra, Pitzunda oder Gudauta. Von der Schönheit der viel gepriesenen Sowjetriviera ist allerdings nicht mehr viel übrig geblieben. Die palmenbestandenen Traumstrände mit Blick auf die Schneeberge des Kaukasus sind seit Jahren weitgehend verwaist.

Viel bedeutender ist der Transitverkehr von Zchinwali nach Wladikawkas und umgekehrt, der über den Roki-Tunnel, neben dem Kreuzpass der Einzige Kaukausus-Übergang zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer, der mit LKW oder PKW befahren werden kann, führt. Vor allem Benzin-Tanklastzüge in großer Zahl rollen täglich über die holprige Strecke, die im Winter oft tagelang oder wochenlang wegen Lawinenabgängen gesperrt ist. Die georgische Regierung hat mit diesem "innerossetischen Grenzverkehr" allerdings erhebliche Probleme. Da Tbilissi den ossetischen Grenzposten nach Russland nicht selbst kontrollieren kann und an der Verwaltungsgrenze zu Südossetien aus verständlichen Gründen keine Zollstationen aufbauen will, kommt ein Großteil des gesamten Benzinbedarfs Georgiens auf diesem schwarzen Kanal ins Land. Und davon profitieren letztlich alle - mit Ausnahme des georgischen Fiskus: die Russen, die den georgischen Markt beliefern; die Südosseten, die keinen Zoll nach Georgien abführen aber dennoch immer irgendwie und irgendwo ihre Hand aufhalten; schließlich die georgischen Importeure, die ihr flüssiges Gold und andere Produkte zu geringeren Zollgebühren und überdies steuerfrei erhalten.

Diese Spannungen verschärften sich Anfang der neunziger Jahre. Tbilissi kündigte noch unter Gamsachurdia an, die Autonomie Abchasiens aufzuheben, worauf der Oberste Sowjet Abchasiens die alte Verfassung von 1925 aus der Versenkung hervorzauberte und damit die Unabhängigkeit von Georgien proklamierte. Es kam, wie es kommen muss, wenn das Wort Kompromiss nicht zum Sprachschatz zweier Kontrahenten gehört: zum Krieg zwischen Georgien und der abtrünnigen Provinz. Er wurde ohne jeden Zweifel von Georgien begonnen und zwar von Tengis Kitowani, dem Mitglied des georgischen Staatsrates unter Eduard Schewardnadse, ohne dass die junge Republik militärisch oder politisch auf einen solchen Schritt vorbereitet gewesen wäre. Es waren Kitowanis Leute, die vom Parlamentsgebäude in Suchumi die abchasische Fahne herunterholten und mit einer georgischen ersetzten. Es war von Anfang an ein Kamikaze-Unternehmen, auf das sich die junge Nation Georgien eingelassen hatte. Ihre Nationalgarde war völlig überfordert, und Josselianis Mchedrioni, eine rasch mit Freiwilligen aufgefüllte Privatarmee, hatte ausser Patriotismus und dem Willen, auf alles zu schiessen, was abchasisch aussieht, wenig Ausbildung und Substanz.

Nordkaukasische Föderation

Mit Unterstützung von Freiwilligen aus den nordkaukasischen Republiken und Autonomiegebieten, unter anderen auch Tschetschenen, die mittlerweile in der abchasischen Hauptstadt Suchumi eine "Konföderation der kaukasischen Bergvölker" gebildet hatten, und mit erheblicher Militärhilfe durch Russland gewannen die zahlenmäßig eigentlich hoffnungslos unterlegenen Abchasen diesen Konflikt, vertrieben alle Georgier aus ihrem Gebiet und brachten der jungen georgischen Nation eine Demütigung bei, die bis heute nachwirkt.

Schewardnadse war in diesen Krieg von seinen beiden Staatsratskollegen Kitowani und Josseliani mit ihren Privatarmeen, die ein Großteil der militärischen Aktionen mit ungeschulten Freiwilligenverbänden führten, hineingetrieben worden. Kurz nach Ausbruch der Feindseligkeiten erklärte er noch bei einer öffentlichen Massenveranstaltung, auf der alle georgischen Parteien gemeinsam gegen die abchasische Sezession protestierten, er habe engsten Kontakt mit dem russischen Präsidenten Jelzin und er vertraue diesem, dass der Konflikt schnell und politisch gelöst werden könne. Schewardnadse hatte darauf vertraut, dass der Russe einsehe, dass ein Ausbrechen Abchasiens aus Georgien unweigerlich einen Dominostein-Effekt für den Nordkaukasus und somit die Russische Föderation auslösen würde. Der launische Russe spielte aber ein doppeltes Spiel und liess zu, dass seine Militärs den Abchasen mit massiver Waffenhilfe und vor allem auch mit Luftangriffen auf georgische Stellungen halfen, das autonome Gebiet zurückzuerobern und eine eigenständige Republik auszurufen. Vernünftig war das aus russischer Sicht nicht.

Verhandlungen in Genf

Den Oberbefehl der regulären georgischen Streitkräfte hatte Schewardnadse selbst übernommen, zeigte sich über Wochen hinweg vor Ort und konnte - wohl unter dem Schutz Russlands, das ihn noch brauchen sollte - 1993 gerade noch mit dem letzten Hubschrauber die von den Abchasen zurückgewonnene Hauptstadt Suchumi verlassen. Den Russen war ein gedemütigter Schewardnadse allemal lieber als Leute vom Schlage Kitowanis oder Josselianis oder gar Gamsachurdias, der kurz nach dem Fall von Suchumi mit einigen Getreuen versuchte, gegen Tbilissi zu marschieren und Schewardnadse zu stürzen. Es waren dieselben Russen, die kurz zuvor die Georgier aus Abchasien vertreiben halfen, die damals die für Tbilissi strategisch wichtige Eisenbahnlinie von Tbilissi nach Poti schützten und damit Schewardnadses Macht retteten.

Ein Waffenstillstand folgte, darauf nicht enden wollende Verhandlungen unter Aufsicht der UNO. Dabei zeigte der alte Fuchs nach der deprimierenden Niederlage wieder einmal sein politisches Geschick, denn mit der Führung der georgischen Delegation bei den Verhandlungen in Genf beauftragte er keinen geringeren als Dschaba Josseliani, dem er das mühsame diplomatische Ringen um kleinstmöglichste Fortschritte überließ. Es war ein kluger Schachzug, den Warlord in die Friedensbemühungen einzubinden, da dieser ansonsten mit Dolchstoßlegenden jeder Art innenpolitisches Kapital gegen Schewardnadse hätte sammeln können. So war es der Mchedrioni-Chef selbst, der immer wieder mit fast leeren Händen aus Genf zurückkommen musste.

Zentrales Thema: Rückkehr der Flüchtlinge

Seither hat sich nicht allzu viel bewegt in Abchasien. Den Wunsch Georgiens nach einer internationalen Friedenstruppe, womöglich UN-Blauhelmen, konnte Schewardnadse damals nicht durchsetzen und musste statt dessen die Stationierung einer russischen Friedenstruppe akzeptieren, freilich unter einem GUS-Mandat und der Aufsicht einer UN-Beobachtermission. Zwar hat der Waffenstillstand mit Ausnahme kleinerer Scharmützel und Partisanenaktivitäten bis heute gehalten, aber das Ziel, den vertriebenen Georgiern eine Rückkehr in ihre abchasische Heimat zu ermöglichen, wurde verfehlt. Die Rückkehr der Flüchtlinge ist für Georgien ein zentraler Punkt einer Lösung des Abchasienkonflikts, gleichzeitig aber auch das grösste Problem für die Abchasen, die sich dann wieder in der für sie unbequemen Minderheitenrollte vorfinden.

Dass es in der Abchasienfrage wenig Fortschritte gab, lag vor allem daran, dass Russland nach aussen zwar eine neutrale Rolle einnahm und sich im sogenannten Freundeskreis Georgiens beim UN-Generalsektär einbrachte, hinter den Kulissen allerdings wenig konstruktiv am Geschehen beteiligte. In diesem Freundeskreis sind die USA, Deutschland, Frankreich, England und Russland um eine diplomatische Vermittlung im Abchsienkonflikt bemüht. Die Russen waren aber bisher eher daran interessiert, die Abchasienfrage offen zu halten, eine der wenigen Möglichkeiten, die Moskau geblieben sind, Georgien zu piesacken und zu destabilisieren. Warum sollte man dieses Instrument, mit dem man Jahrhunderte lang erfolgreich operierte, so einfach aus der Hand geben?

Weltpolitische Veränderungen

Die Wende kam im vergangenen Jahr. Die georgisch-russischen Beziehungen waren auf dem Nullpunkt angelangt, als der 11. September die Welt veränderte. Zwar hatte sich Georgien im Tschetschenienkonflikt neutral verhalten, aber es sich hat auch den russischen Wünschen, auf georgischem Gebiet gegen tschetschenische Flüchtlinge und Widerstandskämpfer, die in den georgischen Bergen Unterschlupf fanden, vorzugehen, verweigert. Dies hatte zu einer neuen Eiszeit zwischen Russland und Georgien geführt, die unter anderem in der Einführung eines Visaregimes für Georgier durch Moskau ihren Höhepunkt fand.

Russland trat sofort der Anti-Terror-Koalition bei und korrigierte sein Verhältnis zu den USA, um im Schatten Afghanistans freie Hand zu bekommen, mit seinem "Terror-Problem" Tschetschenien aufzuräumen. Amerika nutzte seinerseits die Gelegenheit, mit dem Afghanistan-Einsatz gleich einen strategischen Gürtel im Süden Russlands anzulegen, zu dem Georgien, das Land zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer, zweifelsohne gehören musste. Dazu kamen die energiepolitischen Entwicklungen im Kaspischen Becken, bei denen sich russische und amerikanische Interessen letztendlich irgendwie in Übereinklang bringen liessen.

Es ist ohne Zweifel dem amerikanischen Einfluss in Moskau zuzuschreiben, dass sich Russland Georgien gegenüber plötzlich kooperativ zeigte und durch seinen Präsidenten Putin die Unverletzbarkeit und Einheit der georgischen Nation inklusive der Gebiete Abchasien und Südossetien erklärte. Erst mit diesem geopolitischen Paradigmenwechsel eröffnete sich dem klugen Taktiker Schewardnadse jetzt wirklich eine Chance, das Thema Abchasien anzupacken. Aus eigener Kraft, das wird hierzulande gerne übersehen, hätte Georgien wohl nie eine Chance bekommen, seine ethnischen und territorialen Probleme zu lösen. Schewardnadse hat diese Chance wohl erkannt und seit vergangenem Dezember vor allem zu seinem russischen Kollegen Putin ein Vertrauensverhältnis aufgebaut wie er es früher mit Genscher und Baker pflegen konnte. Dies und die amerikanisch-russische Annäherung dürften der Schlüssel für Schewardnadse sein, die territorialen Probleme Georgiens vielleicht doch noch einigermassen zufreidenstellend zu lösen.

 

 


Der weisse Fuchs


Das 1. Gymnasium nach dem Putsch im Januar 1992

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