Ausgabe 5/02, 8. April
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Wie Rusudan Daraseli Tbilissi verändern will

Rusudan Daraseli sitzt in ihrem Büro in der Tschawtschawadse-Strasse eingerahmt von Plänen, Modellen, Skizzen und 3-D-Grafiken. Alle zeigen sie mehr als zehngeschossige Wohnburgen, nicht einfallslose Wohnsilos, nein, teilweise durchaus ansprechende Entwürfe vom neuen Wohnen in Tbilissi. Grosszügige Gegenentwürfe zum verträumten, dörflichen Charakter der Altstadt und lebensfrohe Gegenentwürfe zum Einheitsgrau sozialistischer Plattenburgen. Und Rusudan Daraseli stellt sich vor, dass sie einmal mit dem Flugzeug über Tbilissi einschweben wird und ihre Stadt präsentiert sich nicht mehr als ungeordnete Ansammlung von Bauten mehrerer Jahrhunderte sondern als durchstrukturierte Grossstadt westlicher Prägung, der man schon aus der Luft eine gewisse Planung und Ordnung ansieht, so wie sie das erkennt, wenn sie beispielsweise Frankfurt anfliegt oder Wien oder irgendeine andere europäische Grossstadt. Rusudan Daraseli ist Chefin des Bauunternehmens Center Point, eines von mehreren Unternehmen, das derzeit den Strassen der georgischen Hauptstadt ein anderes Gesicht verleihen. Und den Menschen eine andere Qualität vom Wohnen.

Vor drei Jahren wurde die Firma gegründet, sie sollte urspünglich nur den Zustand des Immobilienmarktes in Tbilissi analysieren. Aus dem Analysieren wurde schnell ein Handeln, mittlerweile, erklärt Rusudan Daraseli nicht ohne Stolz, hat Center Point zehn Wohngebäude mit insgesamt 170 Wohungen fertiggestellt, 15 weitere sind für die nächsten eineinhalb Jahre bereits angefangen oder in der Planung.  Über 200 Mitarbeiter sind auf den Baustellen der Gesellschaft tätig. Dazu kommen noch jede Menge Handwerker, die Fremdfirmen abstellen.

Und eine Ende des Booms ist noch nicht abzusehen, im Gegenteil: So wie Center Point sind mehrere Baufirmen in Tbilissi dabei, die teilweise marode Bau- und Wohnungssubstanz der georgischen Hauptstadt auf einen mordernen Standard zu bringen. Der Bedarf ist enorm. Rund 5 % der Tbilisser Bevölkerung, so schätzt Rusudan Daraseli, sei in der Lage, sich eine Neubauwohnung zu leisten. Das wären bei angenommenen 1,1 Millionen Einwohnern – soviel hat die jüngste Volkszählung angeblich für Tbilissi herausgefunden – und einer Familiengrösse von 5 Köpfen immerhin 11.000 Wohnungen, für die ein Sofortbedarf besteht. Sollten es nur 1 % der Tbilisser sein, die sich eine neue Wohnung leisten können, wären dies immerhin noch 2.200 Wohnungen, die in den nächsten zwei bis fünf Jahren gebraucht würden. Für Rusudan Daraseli und ihre Wettbewerber gibt es jede Menge zu tun.

Eine andere Betrachtung des Marktpotenzials geht vom Sanierungsbedarf aus. Ein Teil der Wohnungen und Wohnhäuser in Tbilissi sind kaum noch sanierbar oder nur mit Kosten, bei denen Abbruch und Neubau weitaus sinnvoller scheinen. Zusammengenommen ergibt sich für den Wohnungsbau in den nächsten Jahren also ein beachtliches Marktpotenzial, das seine wirtschaftlichen Folgen zeitigt. Denn der Wohnungsbau induziert Arbeitsplätze auch in anderen Branchen, dem Handel und Handwerk zum Beispiel.

Das System ist meist dasselbe: Der Bauunternehmer sucht sich ein Grundstück in der Innenstadt, auf dem mehrere private Besitzer kleine Einfamilienhäuser haben oder ein sanierungswürdiges Mehrfamilienwohnhaus. Sind alle Eigentümer oder Teileigentümer einverstanden, so übergeben sie für die Bauphase ihr Eigentum an den Bauherren, der ihnen für die Bauzeit eine Übergangswohnung anmietet. Nach Fertigstellung des Baus erhalten die früheren Eigentümer kostenlos eine Wohnung entsprechend der Fläche, die sie in das Projekt eingebracht haben. Damit sich dies aber lohnt und der Bauherr etwas verdient, müssen auf derselben Bodenfläche weitaus mehr Wohnungen untergebracht werden als vorher. Das heisst: Es wird in die Höhe gebaut, es wird verdichtet, auf den Luxus der schönen Innenhöfe und Veranden, die die Stadtarchitektur von Tbilissi auszeichnen,  müssen die künftigen Bewohner verzichten. Mit dieser zusätzlich gewonnen Wohnfläche wird das ganze Sanierungsvorhaben finanziert. Der Nachteil dieses Verfahrens: Schert auch nur ein einziger Wohnungseigentümer eines alten Wohnhauses aus, verweigert sich diesem Sanierungskonzept oder stellt unangemessene Forderungen, scheitert das Projekt, die Baufirmen von Tbilissi können sich angesichts des teilweise trostlosen Zustands des Wohnungsbaus auch in der Stadtmitte ihre Projekte heraussuchen.

Rusudan Daraseli erklärt, dass es bei seriösen Bauunternehmen dabei selbstverständlich rechtlich sauber zugehe. Das Beispiel von der Dolidse-Strasse, wo ein Baulöwe direkt neben der technischen Universität rund 300 Wohnung gleich dreimal verkaufte, sich mit dem Geld aus dem Staub machte und neben einer trostlosen Bauruine einige Hundert finanziell ruinierter Familien zurückliess, kann sich nicht wiederholen. Rusudans Firma arbeitet nur mit registrierten Grundstücken oder Wohungen und gibt ihren Kunden auch schon vor Baubeginn entsprechende Dokumente, die sie im Grudbuchamt registrieren lässt.

Die Preise für Eigentumswohnungen reichen von 30.000 $ für eine Dreizimmerwohnung gehobenen Standards in der Stadtmitte bis zu 130.000 $ für ein Penthouse in Vake oder Vere. Da allenthalben in der Stadtmitte von Tbilissi gebaut wird und in den letzten zwei oder drei Jahren sicher mehr als 1.000 Wohnungen entstanden, muss man davon ausgehen, dass tatsächlich genügend Geld in der Stadt vorhanden ist. Ausserdem sind einige Banken von Tbilissi mittlerweile schon bereit, Kredite für die Restfinanzierung von Eigentumswohnungen einzuräumen. Rusudan Daraseli, die solche Kontrakte für ihre Kunden vermittelt, nennt die Konditionen: 18 % Jahreszins bei 5 Jahren Laufzeit. Das macht bei einem Finanzierungsbedarf von der Hälfte einer Dreizimmerwohnung von 30.000 $ eine Monatsbelastung von 360 $. Bei einer solchen Berechnung wird auch Skeptikern der Rusudan`schen Marktprognosen schnell klar, dass es durchaus 5 % der Tbilisser Bevölkerung sein kann, die sich modernen Wohnkomfort leisten können.

Den Stadtplanern ist die umgebremste Bauwut ein Dorn im Auge, denn sie wurden in den letzten Monaten geradezu überrollt. Während man im Bauministerium und bei der Stadtverwaltung noch über einem neuen Generalplan für Tbilissi brütet, einer Art Flächennutzungsplan, aus dem dann eine moderne Bauleitplanung abzuleiten wäre, hat der Markt längst eigene Realitäten geschaffen. Es wird fleissig in die Höhe gebaut, ungeachtet der jetzt schon vorgeschriebenen Geschosszahlen. Und wenn am Ende ein oder zwei Geschosse auf die genehmigte Bauhöhe draufgesetzt werden, findet sich niemand, der diesem Treiben heute Einhalt gebieten kann. Das wurde dann meist schon vorher mit den betroffenen Amtsleitern auf georgische Weise gelöst. So hat der Bauboom von Tbilissi durchaus zwei Seiten: zum steigert er zweifelsohne die Wirtschaft, zum anderen bringt er aber die Planungsbehörden in Zugzwang. Sie müssen jetzt möglichst schnell festlegen, wie das Gesicht von Tbilissi in zehn oder zwanzig Jahren aussehen soll. Gelingt es ihnen nicht, den wild sich entwickelnden Baumarkt zu ordnen, dann wird das Tbilissi des nächsten Jahrhunderts nur noch wenig mit dem gemein haben, was heute den Charme der Stadt ausmacht. Rusudan Daraseli sieht das aus ihrer Sicht: Die Altstadt, den historischen Kern von Tbilissi, rührt sie nicht an. In vielen anderen Bereichen allerdings kann sie in dem, was heute gebaut wird, keine Verschlechterung zu dem erkennen, was der Sozialismus hinterlassen hat. Wer wollte ihr da widersprechen.

 

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