Ausgabe 5/02, 8. April
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Stirn geboten
Russische Fallschirmjager haben sich aus dem Kodorital zuruckgezogen

Es hat nur zwei Tage gedauert und die Ordnung im Kodorital ist wiederhergestellt. Am Sonntag morgen um 10 Uhr sind die letzten russischen Soldaten mit Hubschraubern evakuiert und an ihren Standort zuruckgebracht worden. Nach einem Telefongesprach zwischen den beiden Prasidenten Putin und Schewardnadse am Samstag nachmittag bestatigte der Russe, dass die Fallschirmjager, die ins obere Kodorital verlegt worden waren, zuruckgezogen werden mussen. Gleichzeitig sprach er die Hoffnung aus, dass diese Operation ohne Zwischenfalle erfolge, wahrend Schewardnadse zuvor bereits vor georgischen Studenten erklart hatte, der Zwischenfall vom Kodorital solle nicht als Vorwand benutzt werden, die Beziehungen beider Lander zu belasten.

Damit wurde eine Mini-Krise, die leicht zu einer ernsthaften Beschadigung des in den letzten Monaten spurbar besser gewordenen Verhaltnisses zwischen Russland und Georgien hatte eskalieren konnen, von den Fuhrern beider Lander schnell beigelegt. Wie in Tbilissi zu erfahren war, hatten auch hochrangige UN-Vertreter sowie die westlichen Mitglieder des sogenannten Freundeskreises Georgiens beim UN-Generalsekretar gegen die Aktion der russischen Friedenstruppen protestiert und von Moskau die bedingungslose und unverzugliche Beendigung dieser Aktion verlangt. Der UN-Sicherheitsrat und die UN-Mission in Georgien hatten ebenfalls in deutlichen Reaktionen die Positions Georgiens unterstutzt.

Das Geschehen um die russischen Fallschirmjager im Kodorital macht deutlich, was sich in den letzten Monaten im georgisch-russischen Verhaltnis geandert hat. Deshalb lohnt eine erste Analyse des ganzen Vorgangs. Da sind entgegen der Absprachen des Protokolls, das Tbilissi, Suchumi, die russischen GUS-Friedenstruppen und die UNOMIG-Mission am 2. April zum Ruckzug der georgischen Soldaten aus dem Kodorital unterschrieben haben, am Freitag morgen etwa 80 russische Fallschirmjager per Helikopter ins obere Kodorital verlegt worden. Nach diesem Protokoll darf keine der beteiligten Seiten im Kodorital Aktionen ohne vorherige Absprache mit den anderen Unterzeichnern unternehmen. Dies wurde bei der Verlegung der Fallschirmjager nicht eingehalten, sowohl Georgien als auch UNOMIG haben sich uber die einseitige russische Aktion beschwert und erklaren ubereinstimmend, nicht konsultiert, sogar nicht einmal informiert worden zu sein.

Der Kommandeur der russischen Friedenstruppen begrundete im Nachhinein die Aktion mit der Notwendigkeit, die im oberen Kodorital lebende Bevolkerung schutzen zu mussen, wobei er vergass anzufugen, von wem denn die angebliche Bedrohung ausgegangen war. In Moskau spielte man man den Vorgang mit der Erklarung herunter, dass die Fallschirmjager nur einen Kontrollposten beim Dorf Ajara aufbauen wollten.

Das obere Kodorital ist das einzige Gebiet Abchasiens, das von Georgien aus kontrolliert wird. Es hat direkt unterhalb der Hauptkette des grossen Kaukasus, etwa 35 km Luftlinie sudwestlich des Elbrus, einen Zugang aus der georgischen Provinz Swanetien, der allerdings wahrend der Wintermonate nicht passierbar ist. Man nennt es auch das abchasische Swanetien. Im oberen Kodorital leben Swanen und keine Abchasen. Der untere Verlauf des Tals zielt direkt auf die abchasische Hauptstadt Suchumi.

Entgegen allen ersten Informationen handelte es sich nach zuverlassigen Informationen, die GN am Samstag abend in Tbilissi erhielt, nicht um Soldaten aus der GUS-Friedenstruppe sondern um eine andere, nicht identifizierte Einheit, vermutlich um Soldaten, die noch in der russischen Militarbasis Gudauta stationiert sind. Diese Basis musste eigentlich von Russland nach einer Vereinbarung auf dem Istanbuler OSZE-Gipfel langst geraumt sein. Die Agenturen melden aber nach wie vor, diese Fallschirmjager seien eine Einheit der offiziellen russischen Friedenstruppe gewesen, die unter dem Mandat der GUS die Waffenstillstandslinie in Abchasien bewacht.

Es war ohne Frage eine gezielte Provokation Russlands. Unbekannt ist nach wie vor, auf welcher Kommandoebene der Einsatz angeordnet wurde. Bis jetzt steht der Kommandeur der russischen Friedenstruppen Alexander Jewteew hinter dem Manover, ob er allerdings Anweisungen einer hoheren Instanz folgte oder eigenmachtig handelte, ist noch nicht zu beurteilen. Schewardnadse erklarte am Freitag bereits, der Zwischenfall zeige erneut, dass es "gewisse Krafte in Russland gibt, die an einer Destabilisierung der Situation in Georgien interessiert sind". Der russische General habe ganz sicher die Zustimmung irgendeiner Instanz in Moskau gehabt, da er nicht der "Held sei, der solche Entscheidungen unabhangig treffen kann." Der georgische Aussenminister Irakli Menagarischwili Minister unterstutzte diese These nach dem Telefongesprach der beiden Prasidenten, als er erklarte, dass es unter denen, die die Entscheidung, Fallschirmjager ins Kodorital zu verlegen, getroffen hatten, Leute gabe, die die Lage anderes einschatzten als die russische Fuhrung.

 

Georgien reagierte mit aller Macht, aber auch mit aller Besonnenheit. Eine im Kodorital stationierte Einheit der Grenzschutztruppen stellte die Russen noch am Freitag Nachmittag und kesselte sie zusammen mit im oberen Kodorital lebenden Einheimischen, also Swanen, ein. Der georgische Verteidigungsminister gab den auch fur Russland unmissverstandlichen Befehl, sofort das Feuer zu eroffnen oder zu erwidern, sollten die russischen Fallschirmjager irgendeine Aktion starten, die zuvor nicht mit Georgien abgestimmt sei.

In Tbilissi liess Eduard Schewardnadse der Wut seiner Parlamentarier vollen Lauf, verhielt sich selbst aber eher diplomatisch zuruckhaltend. Da wurde in einer Parlamentssitzung von einer offenen Kriegserklarung Russlands geredet und mit militarischer Rhetorik reagiert. Und das Parlament ratifizierte fast wie zum Trotz noch am selben Tag das georgisch-amerikanische Militarabkommen ohne jede Gegenstimme. Sogar die eher Moskau-orientierten Abgeordneten konnten es sich angesichts der russischen Provokation im Kodorital nicht leisten, ihre Bedenken gegen die sich verstarkende Allianz mit den USA zu Protokoll zu geben.

Auf der diplomatischen Ebene brach Georgien die gerade in Tbilissi angesetzte dritte Verhandlungsrunde zu einem neuen georgisch-russischen Rahmenabkommen sofort ab. Diese Verhandlungen fuhrte auf georgischer Seite Aussenminister Irakli Menagarischwili, auf russischer Seite der Vorsitzende des Duma-Komitees fur GUS-Angelegenheiten Boris Pastuchow. Die Verhandlungen waren uber Winter wieder in Gang gekommen, nachdem sich Schewardnadse und Putin im Grundsatz uber eine Neugestaltung des georgisch-russischen Verhaltnisses geeinigt hatten.

Schewardnadse zitierte Pastuchow am Freitag Nachmittag noch zu einem Rapport in seine Staatskanzlei, worauf dieser gegenuber georgischen Journalisten erklaren musste, die Aktion sei "ein schwerer Fehler des Kommandeurs der russischen Friedenstruppen" gewesen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Moskau offiziell das ganze Geschehen erst einmal dementiert und erst nach einer harschen Intervention Schewardnadses das Unternehmen eingestanden. Mehr noch: Schewardnadse erreichte, dass Pastuchow mit ihm zusammen ins Kodorital flog, um dort den russischen General Jewteew zur Rede zu stellen und dem Spuk ein Ende zu bereiten. Der Georgier gab dem Russen-General eine Nacht Zeit, seine 80 Mann aus dem Kodorital abzuziehen und an ihren ursprunglichen Standort zuruck zu verlegen. Ansonsten werde das Mandat der russischen Friedenstruppen insgesamt beendet. Der General musste klein beigeben. Und Boris Pastuchow musste nach seinem unerwarteten Abchasien-Abstecher am Samstag unverrichteter Dinge nach Moskau zuruck fliegen. Georgien war nicht bereit, die unterbrochenen Verhandlungen uber ein Rahmenabkommen wieder aufzunehmen.

Das muss man noch einmal festhalten, um die Verschiebung der Gewichte im georgisch-russischen Verhaltnis erkennen zu konnen. Noch im letzten Jahr hat Russland seinen Nachbarn Georgien mit der Einfuhrung eines Visaregimes gedemutigt. Vor einigen Tagen hatte es in der Moskauer Duma Antrage gegeben, Abchasien und Sudossetien als Mitglieder in die Russische Konfoderation aufzunehmen. Und im Herbst letzten Jahres haben russische Hubschrauber im Kodorital und im Pankisital den georgischen Luftraum verletzt und in ziemlich unbewohnte Gegenden gefeuert. Man habe damals ein paar Duftmarken setzen wollen, erklaren westliche Beobachter diesen Vorgang, gegen den die Georgiern nichts unternehmen konnten als lautstark zu protestieren.

Jetzt, nach der Verlegung russischer Fallschirmjager ins abchasische Kodorital, reisst der georgische Prasident das Gesetz des Handels an sich und nimmt seinen Verhandlungspartner aus der russischen Duma mit an den Ort des Geschehens, um dort einen russischen General zur Raison zu bringen. Vor ein paar Monaten oder gar Wochen ware ein solcher Kraftakt unmoglich gewesen. . Zum ersten Mal in seiner ganzen Amtszeit als Prasident Georgiens war Schewardnadse in der Lage, einer russischen Provokation die Stirn zu bieten.

Allerdings verzogerte sich der Abzug dann doch noch, weil sich beide Seiten nicht uber die Transportart einigen konnten. Die Russen verlangten eine Evakuierung per Hubschrauber, was die Georgier nicht akzeptierten. Sie wollten den eigenmachtigen General wohl vollig demutigen und boten ihm lediglich georgische Militar-LKWs an, mit denen Mann und Gerat abtransportiert werden konnen. Am Samstag hat man sich dann aber doch auf einen Abzug per Hubschrauber geeinigt Das wahre Ausmass der ganzen Aktion wird man erst in einigen Tagen erkennen. Putin wird reagieren mussen, will er das neu gewonnene Vertrauensverhaltnis zu Schewardnadse nicht aufs Spiel setzen. Er wird deutlich machen mussen, wer in der russischen Aussenpolitik das Sagen hat, der Prasident oder seine Generale.

Naturlich steht jetzt die Frage im Raum, wie sich dieser Vorfall auf die abchasisch-georgischen Friedensverhandlungen unter Vermittlung des deutschen UN-Sonderbotschafters Dieter Boden auswirkt. Dazu ist es noch zu fruh, verlassliche Aussgane zu machen. In diplomatischen Kreisen der georgischen Hauptstadt erwartet man aber, dass sich die Mini-Krise letzten Endes eher positiv auf den Friedensprozess auswirken wird als negativ. Darauf deutet auch das rasche Ende hin, dass die beiden Prasidenten mit ihrer Telefondiplomatie gesetzt haben. Denn wenn es das Ziel der Aktion gewesen sein sollte, diesen Friedensprozess zu stoppen, konnte der Schuss leicht nach hinten losgehen. Es konnte sogar sein, dass das eigenmachtige Handeln des russischen Generals alle Hauptakteure, Putin eingeschlossen, dazu zwingt, die Angelegenheit jetzt noch rascher zu einem Ende zu fuhren als geplant. Das Mandat der UNOMIG-Friedenstruppen lauft Mitte des Jahres aus und muss dann vom Sicherheitsrat erneuert werden. Es ist kaum anzunehmen, dass es unter den gegenwartigen Bedingungen verlangert wird. Auch das Mandat der russischen Friedenstruppen im Auftrag der GUS hat diese Aktion nicht unbedingt begunstigt. Auch dieses Mandat muss zur Jahresmitte erneuert werden. Es durfte vor allem nach der jungsten Eskapade unmoglich sein, dass das Mandat im bisherigen Rahmen verlangert wird. So gibt es jede Menge Handlungsbedarf. Und es gibt eine klare Terminvorgabe fur alle. Es scheint, als wurde sich in Abchasien nach dem Kodori-Ausflug der russischen Fallschirmjager vielleicht sogar mehr bewegen als vorher.

 


Alexander Evteev


David Tevzadze

Stellungnahme der UNOMIG - United Nations Oberserver Mission in Georgia - zur Verlegung der russischen Fallschirmjager ins obere Kodorital

Tbilissi,
12. April 2002

Aus der Sicht der heutigen Entwicklung im oberen Kodorital erklart UNOMIG ihre Sicht der Dinge mit einem Statement, das der Chef der Militarbeobachter, Generalmajor Anis A. Bajwa, in Rucksprache mit dem Besonderen Beauftragten des Generalsekretars, Dieter Boden, abgegeben hat.

"Ich wurde durch geogrische Behorden daruber informiert, dass heute morgen sechs russische Hubschrauber 80 Mann in Adjara im oberen Kodorital abgesetzt haben und dass diese Soldaten damit begonnen haben, Verteidigungsstellungen aufzubauen, wahrend 2 MI 24 Hubschrauber den Luftraum absicherten. Nach Ruckfragen wurde spater von den GUS-Friedenstruppen bestatigt, dass diese Operation unternommen wurde, um einen Kontrollposten in Adjara aufzubauen.

"Ich wurde durch geogrische Behorden daruber informiert, dass heute morgen sechs russische Hubschrauber 80 Mann in Adjara im oberen Kodorital abgesetzt haben und dass diese Soldaten damit begonnen haben, Verteidigungsstellungen aufzubauen, wahrend 2 MI 24 Hubschrauber den Luftraum absicherten. Nach Ruckfragen wurde spater von den GUS-Friedenstruppen bestatigt, dass diese Operation unternommen wurde, um einen Kontrollposten in Adjara aufzubauen.

In fruheren Gesprachen hatte ich den Kommandeur der GUS-Friedenstruppen, Generalmajor Jewteew angewiesen, ein Einvernehmen mit allen betroffenen Parteien fur die Wiedereroffnung eines solchen Kontrollpostens zu suchen, was beim kommenden Treffen der Arbeitsgruppe I hatte getan werden konnen. Ich habe ihnausserdem angewiesen, fur solche Konsultationen die Moglichkeit eines gemeinsamen Besuches im oberen Kodorital mit dem georgischen Verteidigungsminister in naher Zukunft zu nutzen.

Zu meiner volligen Uberraschung hat die GUS Friedenstruppe entschieden, die Wiedereroffnung dieses Kontrollpostens sofort in einer aggressiven und kampferischen Haltung zu unternehmen, was gegen die Normen von Friedenstruppen verstosst. Zutiefst beunruhigt uber die Wirkung einer solchen Operation auf den von den UN gefuhrten Friedensprozess und im Gegensatz zur Haltung, in der diese Aktion ausgefuhrt wurde, fordere ich die Fuhrung der GUS-Friedenstruppen dringlichst auf, sich unverzuglich zuruckzuziehen und sich ausschliesslich in einer Art und Weise zu verhalten, die gegenseitig vereinbart wird und fur alle Seiten akzeptabel ist. Ich betone ihnen gegenuber die Bedeutung, dass diese neue Situaion friedlich gelost wird, dass jede Verschlechterung der Sicherheitslage und jede Beeintrachtigung des Friedensprozesses vermieden wird."

 

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