Ausgabe 3/02, 11. März
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Grundübel VAT: Die Mehrwertsteuer und die Korruption

Wer von der allgegenwärtigen Korruption in Georgien spricht, spricht in gleichem Atemzug auch vom Steuersystem, das diese begünstigt. Georgien News versucht im folgenden Beitrag, etwas Licht in den Dschungel georgischer Steuern zu bringen.

Um es vorweg zu sagen: Bei den meisten Steuersätzen würde einem jeden deutschen Steuerzahler warm ums Herz, sie sind nämlich durchaus erträglich. Zwei Beispiele:

Die Lohn- und Einkommenssteuer fängt bei 12 % an und endet bei einem Höchstsatz von ganzen 20 %, das ist sogar unter unserem Einstiegssteuersatz auf Lohn und Einkommen. Also, kein grosses Problem, wenn man einmal von der Tatsache absieht, dass kein georgischer Arbeitnehmer auf die Idee käme, er selbst sei diese Steuer auf sein Einkommen dem Staat schuldig. Die Einkommenssteuer wird auf das Unternehmen abgewälzt, der georgische Arbeitnehmer verdient normalerweise brutto für netto, was allerdings bei den landesüblichen Durchschnittsgehältern wiederum verständlich erscheint.

Die Steuer auf Unternehmensgewinne beträgt 20 %, auch das ist ein Satz, der jeden deutschen Mittelständler dazu motivieren müsste, mit seinem Betrieb nach Georgien umzuziehen. Mit beiden Steuern ist zu leben.

Wenig nachvollziehbar erscheinen vielen die verschiedenen Sozialabgaben (Renten- Arbeitslosen-, Krankenfond) mit mehr als 34 %, wobei kaum zu erkennen ist, welche Leistung dem entgegen steht. So erhält jeder Rentner, wenn überhaupt, diesselbe Grundrente von ein paar lumpigen Lari, ganz egal wieviel er in den Rentenfond einbezahlt hat. Ein solches System verführt natürlich dazu, möglichst viele Sozialbeiträge zu sparen, in dem die offiziellen Gehälter entsprechend niedriger angesetzt werden und die Differenz aus dem versteuerten Einkommen des Unternehmers beglichen wird.

Andererseits gehen die georgischen Arbeitnehmer wiederum davon aus, dass alle Sozialabgaben Kosten seien, die der Arbeitgeber zu erbringen habe und nicht etwa, nicht einmal teilweise, der Arbeitnehmer.  Dem Vernehmen nach sollen diese weitaus überhöhten Sozialbeiträge, die eh kaum jemand bezahlt, gesenkt werden, das Vernehmen dauert aber schon ein paar Jahre. Aber, wer von geringen Lohnkosten in Georgien ausgeht, sollte auf alle Fälle den vollen Lohnsteuersatz und die Sozialbeiträge auf die kalkulierten Löhne aufschlagen.

Das Hauptproblem im georgischen Steuersystem ist die Mehrwertsteuer, eine höchst sensible Umsatzsteuerart, die jedoch ein hoch entwickeltes Buchhaltungs- und Kassenwesen voraussetzt. Denn die Mehrwertsteuerschuld, die jeder Unternehmer von seinem Umsätzen an den Staat abzuführen hat, kann er um den Betrag an Mehrwertsteuer reduzieren, den sein Vorlieferant oder Vordienstleister auf die erhaltene Zahlung bereits an den Staat abgeliefert hat. Das nennt man den Vorsteuerabzug.

So wird mit der Mehrwertsteuer auf jeder Ebene nur der Betrag besteuert, der auf dieser Ebene tatsächlich an Mehrwert entsteht, und am Ende zahlt der Verbraucher beim letzten Glied einer Produktions- oder Handelskette eben diese Mehrwertsteuer. Der Staat, der zwar jedes Unternehmer direkt besteuert, kassiert im Prinzip den vollen Mehrwertsteuersatz nur einmal, obwohl er ihn de facto in mehreren Teilbeträgen einkassiert. Dieses System funktioniert allerdings nur, wenn jeder Teilnehmer im Wirtschaftskreislauf auch am Mehrwertsteuersystem teilnimmt. Dies wiederum setzt einen hohen Anteil an bargeldlosem Zahlungsverkehr und auf der Endverbraucherstufe, wo in cash gehandelt werden muss, ein lückenloses Kassen- und Bonierungssystem voraus.

In Georgien ist die Realität aber gerade umgekehrt: Ein Großteil aller Geschäfte wird in bar abgewickelt und Registrierkassen sind, obwohl eigentlich vorgeschrieben, äusserst selten, wobei erschwerend hinzukommt, dass ein normaler Kassenbon als Vorsteuerabzugsbeleg vom Finanzamt nicht anerkannt wird. Um einen vorsteuerabzugsfähigen Beleg zu erhalten, muss der Verkäufer ein besonderes Formular ausstellen, das er zuvor im Finanzamt käuflich zu erwerben hat. Dieses hat der Buchhalter vom Verkäufer abzuzeichnen und abzustempeln. Allein das Verfahren ist so aufwendig und kompliziert, dass sich kaum ein Unternehmen diesem unterwerfen kann (siehe auch .....).

Da es aber so gut wie keine Vorsteuerbelege vom Vorlieferanten gibt, ist die georgische Mehrwertsteuer von 20 % - in Worten: zwanzig Prozent - keine Mehrwertsteuer mehr sondern eine einfache Umsatzsteuer von, noch einmal sei es wiederholt, satten 20 %, vorausgesetzt, ein Unternehmen führt über alle seine Einkünfte ordentlich Buch. Eine solche Umsatzsteuer – neben all den anderen Steuern - kann kaum ein seriöses Unternehmen erwirtschaften, weshalb das georgische Mehrwertsteuersystem nahezu alle kleinen und mittleren Unternehmen in die Schattenwirtschaft zwingt. Und Schattenwirtschaft heisst nichts anderes als Korruption. Konsequent weitergedacht heisst dies: das georgische Steuersystem ist die eigentliche Grundlage für die weitverbreitete Korruption und Schattenwirtschaft. Man schätzt, dass weit mehr als 50 % - andere sprechen von 80 % - der Alltagsgeschäfte kleinerer und mittlerer Unternehmen an der Mehrwertsteuer vorbei abgewickelt und damit auch anderen Steuern, zum Beispiel der Gewinnsteuer, entzogen werden. Das weiss jedermann vom kleinen Händler über alle Parlamentsabgeordneten bis zum hinauf zum Finanzminister oder Präsidenten. Und keiner tut etwas dagegen. Oder will keiner etwas dagegen tun?

Georgien-News-Kommentar zu diesem Thema:

Fragt man georgische Regierungsexperten, dann hat Georgien das beste Steuersystem der Welt. Fragt sich nur, wer ist der Nutzniesser dieses Systems. Bis heute nicht das Budget, denn, bedingt durch das System, werden grosse Teile der zu versteuernden Umsätze und Gewinne am Staat vorbeigeschleust und dies mit Hilfe der Leute, die eigentlich dazu da wären, den Staatssäckel zu füllen.

Das wissen auch die Internationalen Finanzorganisationen, von deren Krediten Georgien abhängt und die es bis heute den Georgiern nicht erlauben, die Mehrwertsteuer für ein paar Jahre auszusetzen. Denn dies wäre der einfachste Weg, alle Betriebe zur Zahlung einer massvollen Umsatzsteuer zu zwingen:

Aussetzen der Mehrwertsteuer für zehn bis 15 Jahre, dafür Erheben einer reinen Umsatzssteuer von 3 %, was im übrigen normalerweise der effektiven Mehrwertsteuerbelastung entspricht, wenn ein Unternehmen den Vorsteuerabzug voll ausnutzen kann. Dies funktioniert natürlich nur bei einer Generalamnestie für die Vergangenheit und drastischen Strafen für die Zukunft.

Wer also ernsthaft daran gehen will, die Korruption in Georgien zu bekämpfen, wird um eine mutige Reform des Steuersystems, vor allem der Mehrwertsteuer, nicht herumkommen. Diese Position haben verschiedene internationale Unternehmensverbände, u.a. auch die internationalen Handelskammern, immer wieder intern vorgetragen. Ihre Devise lautet: Herumdoktern an einem grundsätzlich falschen System bringt keine Lösung des Problems. Wer das nicht akzeptiert, akzeptiere in letzter Konsequenz, dass Korruption und Schattenwirtschaft nicht  bekämpft werden können.

Es scheint aber, dass es den Internationalen Finanzinstitutionen völlig egal ist, unter welchen Umständen der georgische Finanzminister sein Steuersäckel füllt. Hauptsache, er erreicht die vom IWF vorgegebenen Zahlen. Ob er dies mit einem Steuersystem bewerkstelligt, dem auch nur annähernd das Etikett von der „Steuergerechtigkeit“ verliehen werden kann, oder ob dieses Steuersystem den Aufbau einer funktionierenden Volkswirtschaft befördert oder behindert, wird nicht beachtet. Tatsache ist aber, dass die Georgier bei der Kompliziertheit des Systems Mehrwertsteuer diese derzeit einfach noch nicht umsetzen können. Dazu ist diese Volkswirtschaft noch nicht fähig. Wenn dem so ist, gibt es nur zwei Lösungen: Entweder das Steuersystem ändern oder die Bevölkerung austauschen.

Nicht immer ist sofort umsetzbar, was in Harvard oder anderen Kaderschmieden der Weltwirtschaft gelehrt wird. Manchmal muss man auch Kompromisse eingehen und die Menschen dort abholen, wo sie sind. Konkret: In Georgien in einer nahezu mittelalterlichen Cash- und Tauschwirtschaft. Und die hatte von dem Begriff Mehrwert noch keine Ahnung.  Den hat kein geringerer als Karl Marx in die Volkswirtschaft eingeführt.

 

 

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