Ausgabe 3/02, 11. März
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Der lange Abschied des Eduard Schewardnadse

In einer mehrteiligen Serie beschäftigt sich GN-Herausgeber Rainer Kaufmann mit den letzten zehn Jahren, in denen Eduard Schewardnadse als Staatschef Georgien geprägt hat. In drei Jahren endet seine letzte Amtsperiode, seit  Monaten wird in Georgien fast nur noch darüber diskutiert, ob er das Ende seiner Amtszeit erreichen wird oder vielleicht sogar vorzeitig zurücktreten muss. Georgien richtet sich auf die Zeit nach Schewardnadse ein, es wird ein langer Abschied. Zeit also, die zehn Jahre Schewardnadse, der in Deutschland populärer ist als in Georgien, Revue passieren zu lassen. In den vergangenen beiden Ausgaben stand die die Karriere Schewardnadses während der Sowjetzeit und die Entwicklung in Georgien nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Vordergrund. Heute geht es um die Rückkehr des weissen Fuchses nach Tbilissi, die, so will es der Zufall, genau vor zehn Jahren, nämlich am 7. März 1992 sttfand. Der Autor lebt seit 1991 überwiegend in Georgien und hat Schewardnadse 1991 bei einer seiner ersten Pressekonferenzen nach seiner Rückkehr erlebt.

Der weisse Fuchs kommt zurück

Die Rolle Schewardnadses bei dem Putsch gegen Gamsachurdia ist unklar. Auffallend war jedoch, dass kurz nachdem Gamsachurdia die Landesgrenze Georgiens in Richtung Norden überschritten hatte, in Moskau einer auf die politische Bühne zurückkehrte, die er seit seinem Rücktritt als sowjetischer Aussenminister eher gemieden hatte: Eduard Schewardnadse. „Wenn mein Volk mich braucht, werde ich zurückkommen nach Georgien“ war die klare Botschaft an seine Landsleute. Natürlich wurde er gebraucht, natürlich wurde er gerufen und zwar so schnell, dass die Gerüchte bis heute nicht verstummen wollen, er hätte bei all diesen Aktionen gegen Gamsachurdia vielleicht doch im Moskauer Hintergrund irgendwie Regie geführt.

Bereits zwei Monate nach dem Putsch kehrte er nach Georgien zurück und übernahm das politische Szepter. Auffallend war auch, dass das Georgien Schewardnadses, obwohl von einer höchst zweifelhaften Militärjunta unter seiner Führung regiert, recht schnell die diplomatische Anerkennung durch die Bundesrepublik Deutschland und die USA erfuhr, die beide Länder dem demokratisch gewählten Präsidenten Gamsachurdia und seiner Republik beharrlich verweigert hatten. Auch dabei haben Insider immer wieder auf eine aktive Rolle Schewardnadses hinter den Moskauer Kulissen hingewiesen, eine Vermutung, für die einiges spricht. Warum sollte der Mann, der den Warschauer Pakt auflöste und den Deutschen die Wiedervereinigung brachte, seine guten Kontakte zu den westlichen Hauptstädten nicht genutzt haben, um Gamsachurdia zu isolieren? Für ihn und seine nationalistische Politik wird er sich kaum eingesetzt haben. Dafür erntete Schewardnadse recht schnell den Lohn seines internationalen Renommees, denn mit der diplomatischen Anerkennung verbanden beide Länder, Deutschland und die USA, auch rasche Hilfeleistungen für das heruntergekommene Land. Der erste deutsche Botschafter in Tbilissi erklärte die plötzliche Anerkennung Georgiens damals damit, Schewardnadse habe Baker und Genscher, den beiden befreundeten Aussenministern, als Gegenleistung in die Hand versprochen, sein Land kompromisslos zu Demokratie und Marktwirtschaft zu führen. Dies und nichts anderes sei Grundlage für die rasche diplomatische Anerkennung gewesen, eine der letzten Amtshandlungen Genschers übrigens, denn wenige Tage bevor er sein Amt zur Verfügung stellte, flog er kurz nach Tbilissi, um seinem Freund Schewardnadse die erste diplomatische Anerkennung des Westens zu präsentieren. Amerika hatte Deutschland den Vortritt gelassen, eine Geste, die sich auch heute noch an den Autonummern der Botschafter ablesen lässt. Der Deutsche hat die Nummer 01 D 01, der Amerikaner 02 D 01. Manchmal lässt sich Geschichte eben auch an Nebensählichkeiten fest machen.

Der, der den Tiger reiten kann

Schewardnadse war zunächst Vorsitzender eines Staatsrates, in dem sich die beiden Putschisten Kitowani und Josseliani wiederfanden, dazu Tengis Sigua, der während des Sylvester-Putsches noch rechtzeitig von Gamsachurdia zu den Putschisten übergelaufen war und per Telefon schliesslich Gamsachurdia zur Aufgabe überredet hatte. Das Gremium hatte ohne Zweifel keine demokratische Legitimation, das Land damals auch keine Verfassung. Die beiden Warlords Kitowani und Josseliani beherrschten mit ihren bewaffneten Kräften, denen Schewardnadse anfangs nichts entgegenstellen konnte, die Strassen des Landes, die Reste an staatlicher Verwaltung und das, was an Wirtschaft noch übrig geblieben war. Kein Betrieb, in dem sich nicht einer der ihren als Vizedirektor eingeschlichen hätte, um abzukassieren. Kein Liter Benzin, der nicht von ihnen kontrolliert worden wäre; keine Zigarette, an der sie nicht verdient hätten; keines der wenigen Restaurants, in dem nicht ihre Jungs alleine das Recht hatten, sich um die Sicherheit zu bemühen, was immer man damals darunter zu verstehen hatte. Sogar im großen internationalen Marco-Polo-Hotel Metechi-Palace, heute Sheraton, war der österreichische Generalmanager machtlos gegen das Treiben der bewaffneten Milizionäre in der eleganten Lobby des modernen Hotelpalastes. Ein diskreter Hinweis in Form eines runden Verbotsschildes mit rotem Rand am Hoteleingang, dass in diesem Hotel keine Waffen getragen werden dürften, wurde von den damaligen Herren in Tbilissi grosszügig übersehen. Und gelegentlich, so wurde damals berichtet, sei rasch die hauseigene Putzkolonne angerückt, um den Boden der eleganten Hotellobby von Blut zu reinigen. Es herrschte Ausnahmezustand in der georgischen Hauptstadt, es herrschten die Kalkaschnikows der Putschisten.

Kitovani und Josseliani, zwei schillernde Figuren, betrachteten nach ihrem Sieg über Gamsachurdia Georgien als ihre private Beute, in der sie nach Belieben abkassieren konnten, während sie Eduard Schewardnadse lediglich als eine Art Marionette sahen, die sie brauchten, um die Isolation des Landes auf internationalem Parkett zu durchbrechen. Dass dieser seine Rolle allerdings anders definierte und beide einschliesslich ihrer Privatmilizen entwaffnen und entmachten konnte, ist eine der ganz grossen innenpolitischen Meisterleistungen Schewardnadses. Er erkaufte sie mit einer unverbrüchlichen Treue zu den Netzwerken der Sicherheitsappartae, denen er die Absicherung seiner Macht verdankte. Mit den beiden Putschisten, bar jeder politischen Erfahrung und Konzeption und unberechenbar in ihrer Macht- und Geldgier, an der Spitze, hätte Georgien auf keinen Fall als eigenständiges Land überleben können. Ein deutscher Diplomat, damals befragt, warum die Bundesrepublik eine Regierung, in der ein ehrenwerter Schewardnadse von so zweifelhaften Leuten wie Josseliani und Kitowani abhänge, unterstütze, antwortete in weiser Voraussicht: „Schewardnadse hat keine andere Chance als den Tiger Josseliani zu reiten. Und es gibt nur einen, der diesen Tiger reiten kann: Eduard Schewardnadse.“ Eine Prognose, an die in diesen schrecklichen Tagen der Willkürherrschaft der Warlords, der Schewardnadse mit seinem Renommee internationale Anerkennung verschaffte, niemand glauben wollte. Sie sollte sich aber bestätigen.

Erst Orden, dann Knast

Schewardnadse teilte zunächst die Macht mit den beiden, verteilte später fleissig Orden an seinen „besten Freund“ (Originalton Schewardnadse bei einer kussfeuchten Ordensverleihung an Dschaba Josseliani nach dem verlorenen Abchasienkrieg), um sie dann bei erstbester Gelegenheit inhaftieren und verurteilen zu lassen und später, nachdem sie nach einigen Jahren Gefängnis keine Gefahr mehr für die Macht Schewardnadses darstellten, grosszügig zu begnadigen. Nichts zeigt den den nahezu absolutistischen Machtanspruch Schewardnadses der letzten zehn Jahre und seine Kunst, damit umzugehen, deutlicher als die Geschichte seiner Beziehungen mit Josseliani und Kitowani seit seiner Rückkehr nach Georgien - ein Stoff, aus dem dem der Theaterwissenschaftler Josseliani durchaus dramaturgischen Nutzen hätte ziehen können. Als kurz vor der zweiten Parlaments- und Präsidentenwahl – Josseliani, zwischenzeitlich Ehrenvorsitzender der Mchedrioni, war damals noch im Parlament und damit immun – Schewardnadse gefragt wurde, warum er immer noch seine schützende Hand über Josseliani halte, antwortete er mit seinem bekannten treuherzigen Augenaufschlag, dass Ehrenvorsitzende normalerweise doch ehrenhafte Menschen seien und durchaus ihre Verdienste hätten. Warum sollte man es in diesem Fall nicht bei dieser Regel belassen? Wenige Wochen später, Josseliani hatte sich im Koalitionspoker gegen Schewardnadse verkalkuliert und keine Basis für eine erneute Kandidatur gefunden, liess Schewardnadse den seiner parlamentarischen Immunität beraubten Josseliani wegen dessen Beteiligung an einem Attentatsversuch gegen ihn selbst verhaften.

Meister personalpolitischer Tricks

Ähnlich ging Schewardnadse immer wieder mit engen Mitarbeitern um. Solange er sie brauchte, waren sie seine besten Freunde, wenn die Zeit gekommen war, sich ihrer zu entledigen, gelang ihm das meist relativ geräuschlos. Die Namen Josseliani und Kitowani, die erst einmal das Geschäft des Putsches gegen Gamsachurdia zu besorgen hatten, stehen da nur an prominentester Stelle einer Liste, die sich verlängern liesse. Jüngste Mitglieder im Club: die beiden Minister des Inneren und der Staatssicherheit, deren er sich spät, zu spät vielleicht, entledigte, als Schwania und Saakaschwili im November vergangenen Jahres die Studenten auf die Strasse schickten, um den Präsidenten selbst zum Rücktitt zu zwingen. Mit den beiden Bauernopfern rettete er seine Macht, die er jetzt nach den Wirren um Pankisi und dem GUS-Gipfel in Alma Ata rechtzeitig zu seinem zehnjährigen Amtsjubiläum wieder festigen konnte. Keine Frage, was der KP-Funktionär Schewardnadse in den Parteischulen der KPdSU an personalpolitischen Tricks gelernt hat, setzt der Demokrat Schewardnadse in einer Selbstverständlichkeit ein, die das Publikum immer wieder verblüffen.

Bei der Nachwahl eines Wahlbezirks in Tbilissi im Herbst 2001 versuchte sich  der inzwischen begnadigte Josseliani nochmals als Kandidat in Erinnerung und in die parlamentarische Immunität zu bringen, ohne jeglichen Erfolg. Schewardnadse hat die beiden Warlords, die ihn an die Macht gebracht haben, zur Bedeutungslosigkeit degradiert, wenngleich Kitowani - auf wessen Auftrag auch immer - aus seinem Moskauer Exil hin und wieder mit Statements in das politische Geschehen eingreift, die gelegentlich auch schwerwiegende Folgen haben, im letzten Fall der Selbstmord des Sicherheitschefs Schewardnadses. Wenngleich man Schewardnadse wohl kaum wird unterstellen können, dass er dies gewollt habe, nutzte er den Schock, den dieser Selbstmord auslöste, erneut zu einem überraschenden personalpolitischen Schachzug.

Mit der langsamen Ausschaltung der beiden Putschisten hat Schewadnadse zweifelsohne dem Land das Mindestmass an innenpolitischer Stabilität und Sicherheit gebracht, das zum Überleben notwendig war. Dass er dabei mit Freund und Feind nicht immer zimperlich umgsprungen ist, mag man verstehen, wenn man weiss, dass ja auch mit ihm nicht immer zimperlich umgegangen wurde. Zwei Attentate, die Schewardnadse nur mit viel Glück überlebte, zeugen von den gewaltigen Machtkämpfen, die sich in Georgien der 90-er Jahre abspielten. Schewardnadse hat dies alles überlebt, hat mit Rücktrittsdrohungen mehrfach das erste Parlament an die Wand gespielt, hat schliesslich eine Verfassung durchgepaukt und ein Basis-Netzwerk an Gesetzen, die das Land tatsächlich unumkehrbar in Richtung Rechtsstaat, Demokratie und Marktwirtschaft führten. Entwicklungen, die angesichts der chaotischen und anarchischen Voraussetzungen, die er bei seiner Rückkehr nach Georgien vorfand, niemand zu prognostizieren wagte.

 

 


Der weisse Fuchs


Das 1. Gymnasium nach dem Putsch im Januar 1992

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