Ausgabe 8/02, 5. Juni
Home            

 

Mit dem Zerfall der Bürgerunion musste die frühere Mehrheitspartei im Mai auch alle einflussreichen Positionen in den Parlaments-Ausschüssen abgeben. Da dies meist Anhänger des Schwania-Flügels waren, verlor der frühere Parlamentspräsident jetzt die letzten Bastionen im Parlament und muss seine Mannschaft völlig neu aufstellen. Dafür hat Präsident Eduard Schewardnadse wieder eine Parlamentsmehrheit, auf die er sich im Zweifelsfall verlassen kann. Die Probe aufs Exempel bestand die neue Koalition, als sie den Schwania-Vertrauten Giorgi Baramidse mit 118 Stimmen als Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses abwählte. Dieser hatte sich im Gegensatz zu allen anderen Ausschussvorsitzenden geweigert, freiwillig seinen Stuhl zu räumen, nachdem die Fraktion der Neuen Rechten erfolgreich einen Antrag durchgebracht hatte, dass angesichts des Zerfalls der Bürgerunion und der neuen Machtverhältnisse im Parlament auch die Vorsitzenden der Ausschüsse neu bestetzt werden sollten. Trotz dieser gewonnenen Machtprobe ist die neue Koalition aber äusserst fragil. Sie besteht aus zu vielen Parteien und Gruppieren.

Die neue Parlamentsmehrheit zeigt sich nicht so klar und deutlich wie etwa eine Koalition in Deutschland. Seit dem Zusammenbruch der Bürgerunion muss eine Parlamentsmehrheit immer wieder in Hintergrundgesprächen zusammengezimmert werden. Deshalb bewerten Parlamentsbeobachter den Vorgang, dass die verschiedenen Gruppierungen sich zu einer Machtdemonstration gegen Schwania haben zusammenraufen können, als den Beginn einer Art von Koalition, die bis zum Ende der jetzigen Legislaturperiode halten könnte. Zum neuen Regierungslager werden folgende Fraktionen gezählt: "Neue Rechte", "Industrialisten", "Neues Abchasien und Christliche Demokraten", "Abchasien" und einige direkt gewählte Abgeordnete sowie die Gruppe "Tanadgoma" und die "Allianz für ein neues Georgien". Um jedoch in Kampfabstimmungen die Mehrheit zu behalten, braucht dieses durchaus brüchige Bündnis auch noch die Unterstützung von Aslan Abaschidses "Wiedergeburt", in deren Block sich ein Teil der Koalitionsparteien ohnehin befindet. Die "Neue Rechte", die sich vor zwei Jahren aus der Bürgerunion abgespalten hatte, ist demnach wieder im Zentrum der Regierungsmacht angekommen, ihr Fraktionsvorsitzender David Gamkrelidse gilt als einer der Drahtzieher dieser eigenartigen Koalition.

Auch wenn Schewardnadse jetzt eine neue Mehrheit im Parlament zusammengebastelt hat, ist das Regieren bei weitem nicht mehr so einfach wie zu Schwanias Zeiten, der seinem Präsidenten immer den Rücken freihalten konnte. Es heisst, dass sich Schewardnadse regelmässig mit den Vertretern dieser Parteiengruppe treffe, dazwischen tausche er sich mit seinem Staatsminister Awtandil Jorbenadse aus, der als der neue zweite Mann hinter dem Präsidenten gilt. Beide, Schewardnadse und Jorbenadse, brauchen die Mehrheit im Parlament, sie müssen also ihre Gefolgschaft pflegen. Folglich wurden die Ausschüsse brav unter den neuen Koalitionären aufgeteilt, die neuen Rechten reklamierten bescheiden nur den Verteidigungsausschuss für sich. Dafür, so wird in den Wandelgängen des Parlaments spekluliert, rechnen sich die abgesprungenen Bürgerunion-Leute den einen oder anderen Sitz in der Regierung aus. Niemand wechslt die Front ohne einen entsprechenden Preis. Bei den November-Demonstationen gegen die Regierung Schewardnadses hatte Lewan Gachechiladse von den Neuen Rechten vor einigen Tausend Denmonstranten noch eindrucksvoll gefordert: "Ein neues Parlament, eine neue Regierung, ein neuer Präsident".

Ähnlich verhält es sich mit anderen Partnern dieser neuen Konstellation. Die Industrialisten waren einst eng mit Schwania liiert, solange er als starker Mann hinter Schewardnadse galt und als Verbündeter für ein neues Steuergesetz gebraucht wurde. Der Abaschidse-Block "Wiedergeburt" war während der Herrschaft der Bürgerunion lange Zeit die einzige Oppositionsfraktion, jetzt ist die Mehrheit der Gruppierung, der neben Aslans Partei auch einige andere Parteien angehören, zum Regierungslager übergelaufen. Ohne einen politischen Preis wird Aslan Abaschidse nicht zu haben sein, deshalb sind alle Überlegungen, die Regierung solle dem eigenmächtigen Provinzfürsten in seiner autonomen Republik gelegentlich Grenzen aufzuzeigen, obsolet. Ob und wie lange diese Koalition hält, wird viel von den Launen und Strategien des selbstbewussten Adscharen abhängen. Wie lange diese Koalition halten wird, steht angesichts der bevorstehenden Parlamentswahlen und Präsidentenwahlen in den Sternen. Nach den Kommunalwahlen werden die Karten im georgischen Parlament bald neu gemischt werden.

Klarer sind die Verhältnisse bei der Opposition. Surab Schwania mit seinem Flügel der ehemaligen Bürgerunion und Michael Saakaschwili mit seiner Nationalen Bewegung werden wohl getrennt marschieren, aber vereint schlagen. Die Mehrheit bei den Parlamentswahlen kann der eine nicht ohne den anderen erreichen.

 


Abgewählt: Reformer Giorgi Baramidse

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nachrichten Magazin

Land und Leute

Linkliste

Slide Show
 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ERKA-Verlag ©2002