Ausgabe 6/02, 24. April
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Der Wahltag begann so trostlos wie das Wetter, das ihm der in diesem Frühsommer besonders launische kaukasische Wettergott bescherte: Die Zentrale Wahlkommission (CEC) musste schwerwiegende organisatorische Mängel bei der Vorbereitung der Wahlen einräumen. Das Ergebnis: In mehreren Städten des Landes mussten die Kommunalwahlen verschoben werden. In Tbilissi aber fanden sie statt, ein paar Wahllokale konnten zwar erst etwas später öffnen, weil die Stimmzettel nicht rechtzeitig geliefert worden waren. Aber das darf hierzulande noch einmal grosszügig als folkloristisches Beiwerk entschuldigt werden. Man hatte, aus welchem Grund auch immer, erst drei Tage vor der Wahl mit dem Druck der Millionen Stimmzettel begonnen.

Organisieren ist nicht gerade eine georgische Stärke und vieles wird hierzulande auf den letzten Drücker erledigt. So hatte das Parlament noch Ende April kein neues Kommunalwahlgesetz verabschiedet und erst rund acht Wochen vor dem seit langem anbraumten Wahltermin vom 2. Juni hat der Präsident die Wahlen offiziell angeordnet und damit die Vorbereitungen eingeleitet. Der Finanzminister hatte damals noch nicht einmal das notwendige Geld für die Durchführung bereitgestellt, sodass bis rund einen Monat vor der Wahl viele zweifelten, ob sie überhaupt stattfinden würden. Nach dem Erdbeben Ende April gab es überdies viele Stimmen, die ein Aussetzen der Wahl forderten. Diesen Vorwurf wollte sich der georgische Präsident aber ersparen, nachdem die internationale Öffentlichkeit schon mehrfach die Abhaltung der Kommunalwahlen angemahnt hatte.

So kam dann alles, wie es kommen musste: In aller Eile und Hektik wurden Kandidaten aufgestellt und Programme verabschiedet. Dass es dabei in Tbilissi immerhin 27 Parteien und Wahlbündnisse schafften, ihre Kandidaten registrieren zu lassen und eine Art Wahlkampf zu führen, ist eine durchaus beachtliche Leistung, wenngleich von vorneherein nur fünf oder sechs Parteien der Einzug in das Kommunalparlament der georgischen Hauptstadt zugetraut wurde.

Ein Blick in mehrere Wahllokale zeigt, dass zumindest formal alles in Ordnung ablief. Die 13-köpfige Wahlkommissionen wurden strengstens überwacht von jeweils mindestens zehn Wahlbeobachtern, die von Parteien und unabhängigen NGO`s gestellt wurden. Einige angesehene NGO`s hatten sich hierfür eigens zu einer Koalition zusammengeschlossen und ihre Kräfte gebündelt. Mehrere dieser Organisationen hatten Protokoll-artige Formulare vorgefertigt, auf denen ihre Beobachter jeden Wähler zählten und alle Vorkomnisse auflisteten.

Die Stimmzettel waren blockweise und einzeln numeriert und registriert an die Wahlkommissionen ausgegeben worden. Bei der Auszählung konnten so die ausgegebenen Stimmzettel und die restlichen gegeneinander aufgerechnet werden.

Jeder Wähler musste neben der Wahlbenachrichtigung seinen Pass vorlegen, dessen Passnummer registriert wurde. So könnte theoretisch der Vorwurf der Mehrfachwahl (siehe auch: Kaukasisches Wähler Roulette) bei einem Vergleich der Wahllisten aller Wahllokale überprüft werden, wenngleich dafür kriminalistische Feinarbeit angesagt wäre, die Wochen und Monate dauern kann.

Wahlumschlag und Stimmzettel wurden dem Wähler nur ausgehändigt, nachdem beide von zwei Mitgliedern der Wahlkommission abgezeichnet und einem weiten Mitglied abgestempelt wurden. Damit war das Einschleusen vorbereiteter Stimmzettel von aussen nach menschlichem Ermessen nicht möglich. Ausserdem wurden die Stimmzettel so spät gedruckt und ausgeliefert, dass eine grössere Manipulation ausserhalb der Wahllokale nahezu ausgeschlossen werden kann.

Die mehrfach versiegelten Wahlurnen waren aus Plexiglas und damit transparent. Niemand konnte irgendeinen Wahlumschlag in die Wahlurne einwerfen, ohne dass die zahlreichen Wahlbeobachter, die kaum von der Wahlurne wichen, es hätten bemerken können.

Vor der Öffnung der Wahlurnen wurden die verbliebenen Stimmzettel und Wahlumschläge gezählt und mit der auf den Wählerlisten zusammengezählten abgegebenen Stimmen verglichen. Damit konnte noch vor Öffnen der Wahlurnen abgeprüft werden, ob Stimmzettel verschwunden waren. Vor Öffnen der Wahlbriefe wurden alle Kuverts auf die vorgeschriebenen Unterschriften und Stempel überprüft, ebenso die Stimmzettel, bevor sie ausgezählt wurden. Damit war nahezu ausgeschlossen, dass Stimmzettel gezählt wurden, die nicht rechtmässig abgegeben waren.

So gesehen war formal alles in Ordnung und die Möglichkeit, zu manipulieren, nahezu ausgeschlossen. Bleibt noch das Thema Wählerverzeichnisse. Der Vorwurf steht im Raum, dass Tausende von Bürgern Tbilissis nicht in die Wählerverzeichnisse eingetragen waren und so von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machen konnten. Wenn die Beobachter der NGO`s ihre Aufgabe richtig wahrgenommen haben, dann werden sie anhand ihrer Protokolle aus den Wahllokalen nachweisen können, wieviele und auch welche Wahlwillige abgewiesen werden mussten, weil sie nicht in den Wählerverzeichnissen aufgeführt waren. Bis heute gibt es zu diesem Thema nur allgemeine Verdächtigungen und keine konkreten Hinweise. Waren es einige wenige, wird man damit leben können, denn sie haben das Wahlergebnis kaum beeinflusst. Waren es aber wirklich Tausende, dann wäre dies ein schwerwiegender Vorgang, egal ob es sich um eine absichtliche Manipulation oder nur um Schlamperei und Überforderung der Behörden handelt. Dass der Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission die Wahl am Vorabend noch abblasen wollte, weil die Wählerverzeichnisse mangelhaft waren, spricht für letztere Variante.

Bis zum gerichtlichen Beweis des Gegenteils muss wohl gelten: Trotz mancher organisatorischer Fehler und Improvisation waren die Wahlen in Tbilissi formal im grossen und Ganzen in Ordnung, wenn GN in seiner Zufallsauswahl an Wahllokalen einen repräsentativen Eindruck vom Wahlgeschehen einfangen konnte. Das wichtigste Indiz: Die Regierungspartei, die einzige, die wirklich in der Lage gewesen wäre, zu ihren Gunsten zu zu manipulieren, ist vernichtend geschlagen worden. Rund ein Prozent der Stimmen können kaum durch Manipulation zusammenkommen. Für die nächste Wahl, die Parlamentswahl im kommenden Jahr, haben die georgischen Wahlbehörden allerdings noch eine ganze Menge zu lernen, sollen diese geordnet über die Bühne gehen. Dann geht es um mehr als nur um einen Stimmungstest bei der Bevölkerung.

 


Etwas unübersichtlich: Registrierung der Wähler


Die Urne fest im Blick:
Wahlbeobachter


Transparenz total:
Gläserne Wahlurnen


Papierfahne:
Stimmzettel in Tbilissi


Doppelte Sicherung:
Unterschriften und Stempel auf Stimmzettel und Wahlumschlag


Protokoll:
Wahlbeobachterin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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