Ausgabe 8/02, 5. Juni
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Da hat es sogar dem alten Fuchs Schewardnadse derart die Sprache verschlagen, dass er sein montäglich-höfisches Ritual von Rundfunkansprache und Pressekonferenz erst einmal ausfallen liess. Er wolle erst die endgültigen Ergebnisse abwarten, bevor er sich zum Ausgang dieser Wahl äussern könne, liess er verlauten und hüllte sich erst einmal in Schweigen. Viel Erhellendes kann ihm zu diesem Wahlergebnis nicht mehr einfallen: Gerade einmal 1 Prozent hat seine Bürgerunion, die er einst gegründet und zur stärksten politischen Kraft im Lande geführt hatte, bei der Kommunalwahl in der georgischen Hauptstadt eingefahren. Vor vier Jahren hatte sie noch genau 29,94 % errungen und war damit stärkste Partei in der georgischen hauptstadt. Ab jetzt ist die Partei des Präsidenten in der Sakrebulo, dem Stadtparlament von Tbilissi, nicht mehr vertreten. Für den von Schewardnadse eingesetzen Bürgermeister brechen ebenso schwere Zeiten an wie für seinen Mentor in der Staatskanzlei.

Dieser Erdrutsch hat nicht nur lokale Bedeutung, er kommt einem politischen Erdbeben in der Kaukasus-Republik gleich. Und das, obwohl es bei der Wahl der 49 Stadtverordneten eigentlich um nichts ging, zumindest nicht um politische Verantwortung. Die Gemeinderäte haben nach der geltenden georgischen Kommunalverfassung kaum Handlungsspielraum. Der Bürgermeister wird vom Präsidenten direkt ernannt, die Zuteilung von Finanzmitteln obliegt der Zentralregierung, kurz: In den Kommunen regiert noch das kommunistische, zentral von oben gelenkte System, von Demokratie und Subsidiarität keine Spur.

Dass sich mit einigen Parteiführern und Parlamentsabgeordneten trotzdem erstaunlich viele prominente Kandidaten um einen Platz in der Sakrebulo von Tbilissi beworben haben, zeigt, dass diese Wahl von hohem Symbolwert für ganz Georgien war. Es ging den Parteien weniger um die Stadt und ihre Probleme, es ging ihnen vielmehr um einen letzten Stimmungstest vor der Parlamentswahl im nächsten Jahr, um eine Wählerabfrage für alte und neue Formationen, nachdem das knapp ein Jahrzehnt alte Parteiensystem mit der Mehrheitspartei Bürgerunion zusammengebrochen war.

Verloren hat in Tbilissi in erster Linie die Bürgerunion, das heisst, der klägliche Rest, der von dieser vor Jahren noch allmächtigen Partei Schewardnadses übrig geblieben ist. Mit einem Prozent an Wählerstimmen liegt sie noch nicht einmal annähernd an der politischen Wahrnehmungsgrenze von 4 %. So hoch liegt nämlich das Eingangsquorum zu einem Kommunalparlament in Georgien. Da wird Schewardnadse viel nachdenken müssen, wenn er diese Blamage, die auch seine Blamage ist, erklären muss. Denn obwohl er nicht mehr Vorsitzender dieser Partei ist, hat er zugelassen, dass sich die wichtigsten Flügel der Bürgerunion nach und nach verabschiedet haben. Zum Schluss liess er seinem blassen Günstling Lewan Mamaladse, dem Gouverneur von Nieder-Kartli, freie Hand, den früheren Parlamentspräsidenten Surab Schwania in einem gnadenlosen Machtkampf aus der Partei hinaus zu tricksen. Die Wählerinnen und Wähler von Tbilissi haben dem Meister aller Ränkespiele dafür eine ebenso gnadenlose Abfuhr erteilt.

Schwania kann sich als einer der heimlichen Sieger dieser Wahl fühlen. Obwohl er erst wenige Tage vor dem Urnengang mit seinen Kandidaten Asyl in einer ansonsten eher merkwürdigen und unbedeutenden Partei fand, die sich "Christlich Konservativ" nennt und mit dem Zusatz "Surab Schwanias Team" auf den Stimmzetteln vertreten war, ist ihm auf Anhieb mit 8 % mehr als einen Achtungserfolg gelungen. Mit diesem Ergebnis kann er sich mit einiger Aussicht auf Erfolg daran machen, seine eigene Parteibasis für den nächsten Wahltag im Herbst 2003 aufzubauen. Mit Schwania, dem gemässigten Reformer, darf also weiter gerechnet werden, wenn es um die Macht in der Aera nach Schewardnadse geht.

Klarer Sieger der Wahl ist der Volkstribun Michael Saakaschwili, der mit seiner Nationalen Bewegung auf Anhieb knapp ein Viertel der Wählerstimmen auf sich ziehen konnte. Saakaschwili, der früher einmal zusammen mit Surab Schwania den Reformerflügel der Bürgerunion repräsentierte, ist aus Enttäuschung über die Unbeweglichkeit der Schewardnadse-Regierung auf einen Kurs populistischer Fundamental-Opposition zur Regierung übergegangen. "Georgien und Tbilissi ohne Schewardnadse" war sein Wahlmotto. Wenngleich ihm immer wieder die Fähigkeit, ein führendes Staatsamt zu begleiten, abgesprochen wird, führt nach diesem Wahlergebnis an Saakaschwili kein Weg vorbei, wenn es um eine reformerische Mehrheit jenseits des Schewardnadse-Lagers geht. Ob er allerdings jetzt schon sein Ziel erreichen wird, sich als Sprecher der Sakrebulo von Tbilissi zu einem der wichtigsten Gegenspieler Schewardnades aufzubauen, erscheint fraglich.

Einen durchaus spürbaren Dämpfer haben die Ambitionen von Lewan Gachechiladse erhalten, der mit seiner Partei "Die Neuen Rechten" eine Mehrheitsposition im Kommunalparlament von Tbilissi anstrebte. Gachechiladse, der früher auch der Bürgerunion angehörte und als intimer Gegner Schwanias gilt, hatte dafür eigens sein Parlamentsmandat aufgegeben. Lediglich Platz drei und nur etwas mehr als elf Prozent sind weitaus weniger als sich die im rechten Zentrum stehende Unternehmerpartei ausgerechnet hatte. Dasselbe gilt für den Bierkönig Gogi Topadse und seine Partei "Industrie rettet Georgien" mit 7 Prozent wie für den "Wiedergeburtsblock", der es auf sechs Prozent brachte. Soviele Wähler hatten die Gefolgsleute des adscharischen Präsidenten Abaschidse in der georgischen Hauptstadt schon vor vier Jahren auf die Beine gebracht. Dass sie hinter Schwanias Not-Liste ins Ziel gingen, wrid ihnen sicher weh tun. Diese drei Parteien - "Neue Rechte", "Wiedergeburt" und "Industrialisten" - bilden im georgischen Parlament mittlerweile das Rückgrat der Schewardnadse-Regierung, sodass es der Staatspräsident durch die Hintertür dann doch noch auf rund 25 % Unterstützung im Stadtparlament von Tbilissi gebracht hat, vorausgesetzt, man kann das jüngste Abstimmungsverhalten im nationalen Parlament auf die Situation in der Sakrebulo übertragen. Da diese neue Koalition mehr als brüchig ist, kann sich Schewardnadse im Stadtrat von Tbilissi kaum auf sie verlassen (sie auch:Frontwechsel). Die Mehrheit ist ohnehin gegen ihn.

Auf Platz eins haben die Wähler ganz knapp vor Michael Saakaschwili die Arbeiterpartei gesetzt. Vor vier Jahren schon hat diese neo-kommunistische Partei mit 17,90 % auf dem zweiten Platz abgeschnitten. Jetzt können sie mit mehr als 25 % rechnen. Ihr Spitzenkandidat Schalwa Natelaschwili hat sich seit Jahren als profilierter Kritiker der Regierung präsentiert. Jetzt hat sich sein konsequenter Oppositionskurs, der in dem Wahlslogan "Verjagt die Räuber aus der Regierung" gipfelte, ausbezahlt. Landesweit spielt die Arbeiterpartei keine überragende Rolle.

Nicht mehr im Stadtparlament vertreten sind neben der Bürgerunion die Sozialisten (1998: 12,66 %), diie Volkspartei (1998: 7,4 %), die Nationaldemokratische Partei (1998: 6,65 %) und der Bund georgischer Traditionalisten (1998: 6,09 %)

Addiert man die Ergebnisse der sechs wichtigsten Parteien nach ihrer Zugehörigkeit zu den politischen Lagern Regierung und Opposition, dann haben die drei kompromisslosen Oppositionsparteien zusammen knapp 60 % der Stimmen erzielt, die drei Regierungsparteien nur 25 %. Eine niederschmetternde Bilanz für den Staatspräsidenten. Die Wählerinnen und Wähler von Tbilissi haben eindeutig das Signal zum Wechsel gegeben.

Für die politische Grosswetterlage Georgiens zeichnet sich damit für die im nächsten Jahr anstehenden Parlamentswahl ein spannender Kampf zwischen dem Duo Saakaschwili-Schwania und dem Lager um Gachechiladse und Abaschidse ab, wobei nach dieser Wahl durchaus die Chance besteht, dass sich die Parteienlandschaft Georgiens überschaulicher wird, zumindest was die wichtigen Parteien angeht. Für die Weiterentwicklung einer parlamentarischen Demokratie wäre dies sicher kein allzu grosser Nachteil.

Der nächste Walhkampf hat am Montag schon begonnen, als ein kämpferischer Michael Saakaschwili rund 1.000 Anhängern, die sich vor der Staatskanzlei Eduard Schewardnadses versammelten hatten, klar machte, dass er nicht daran denkt, auf den kommunalen Lorbeeren auszuruhen. Am Abend zuvor hatten Schwania und Saakaschwili mit ihren Anhängern zusammen den Sieg gefeiert. Und Saakaschwili erklärt ebenso wie der Führer der Arbeiterpartei Natelaschwili dass es jetzt nur ein Ziel gäbe, Schewardnadse los zu werden. Die Koalition der Opposition ist klar aufgestellt, die der Regierung noch ziemlich schwach auf den Beinen.

 


Liste 2: Wiederaufbau - Abaschidses Partei


Liste 34: Nationale Bewegung von Michael Saakaschwili


Liste 4: Arbeiterführer Natelaschwili, der Wahlsieger


Liste 36: Das Schwania-Team für Tbilissi


Liste 40: Gruppenbild für die "Einheit"


Demonstration Saakaschwilis nach
der Wahl


Der neue Volkstribun Michael Saakaschwili

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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