Home
|
|
|
Phantomjagd
in den Rebbergen
Pankisi-Reportage aus dem schweizerischen Magazin "Fact"
Nur wenige der vielen
Journalisten, die in den letzten Wochen über das Pankisital geschrieben
haben, waren wirklich dort. Der deutsche Journalist Stefan Scholl, dessen
eigentlicher Arbeitgeber Die Woche gerade dicht gemacht
wurde, als er im Pankisital nach Al Qaida und Osama Bin Laden recherchierte,
konnte seine Reportage im schweizerischen Magazin Fact unterbringen.
GN veröffentlicht diese Reportage ohne jeden weiteren Kommentar.
7700 tschetschenischen
Kriegsflüchtlinge im georgischen Pankisital sind ins
Fadenkreuz der Weltmächte geraten
von
Stefan Scholl
"Es heißt,
die Russen wollen kommen und hier Säuberungen veranstalten.“ Sumi hat
das harte, dunkle Gesicht eines alten Irokesenhäuptlings, aber der Blick
unter ihren Habichtsbrauen ist müde und ängstlich. "Säuberungen!
Besoffene russische Soldaten, die sich nackt ausziehen und verlangen,
dass unsere Mädchen sie waschen. Danach vergewaltigen die Soldaten die
Mädchen.“
Sumi Tschapajew (70) ist eine von 7700 tschetschenischen Kriegsflüchtlingen
im Pankisi-Tal in Nordostgeorgien. 94 Quadratkilometer Weideland und
Weinberge, die jetzt ins Visier der Großmächte geraten sind: Moskau
und Washington erklären, im Pankisi, 250 Kilometer nordöstlich von Tiblissi,
70 Kilometer südlich der Grenze zu Tschetschenien, hätten sich Kämpfer
Ben Ladens festgesetzt. Pankisi, so liest es sich in russischen oder
westlichen
Zeitungen, sei das Tal der Drogenbosse, der Kidnapper, der Bombenleger,
neuester Frontabschnitt im Krieg gegen den Weltterrorismus.
Im Dezember 1999 bombardierten die Russen Sumis Dorf Itum-Kale (in Tschetschenien,
Anm. d. Red.), 34 Verwandte kamen um, sie floh mit den übrigen in die
Berge, Richtung georgischer Grenze, in Autos, zu Fuß, ein georgischer
Hubschrauber brachte Sumi mit anderen Frauen und Kinder ins Pankisi.
Zehn Familienangehörige teilen sich
zwei Zimmer in einem Internat in Duissi, dem grössten Ort im Tal,
andere Flüchtlinge wohnen in den gastfreien Häusern der Kistenen, einem
Tschetschenenstamm, der schon im 19. Jahrhundert ins georgische
Pankisi übersiedelte. Keine Arbeit, kein Geld, 17 humanitäre Hilfskilo
Bohnen und Mehl pro Kopf und Monat, Russland zahlt gar nichts. Statt
dessen fordert Moskau von Georgien die Zustimmung zu einem Militärschlag
gegen die tschetschenische Guerilla, die sich angeblich unter die Flüchtlinge
im Pankisi gemischt haben. "Wir sind tote Seelen“, klagt ein Tschetschene,
"denen die Russen noch die Haare abrasieren wollen.“
Russlands Außenminister Igor Iwanow verkündete umlängst, Ben Laden halte
sich in der Region versteckt. Und Philip Remler, US-Geschäftsträger
in Georgien, erklärte, Kämpfer der Al Quaida, der Terrorgarde Ben Ladens,
hätten sich aus Afghanistan ins Pankisi-Tal zurückgezogen. Schon meldet
die Weltpresse, 200 Mann einer US-Spezialeinheit seien unterwegs, um
sie zu erledigen.
Der Himmel über Pankisi ist ein blassblaues Seidentuch, die Schneegipfel
des Hochkaukasus blenden, ein einsamer Mann mit einer Plastiktüte eilt
säbelbeinig über einen nackten Vorfrühlingsacker. Ein magerer, muskulöser
Krieger im Kampfanzug, mit dem Blick einer Panzerfaust. Einer, der nicht
mit Journalisten redet. Die Flüchtlinge versichern, solche Männer trügen
nur Uniformstücke, weil sie so bequem und billig seien. Aber laut georgischem
Geheimdienst machen 200 bis 500 "Bojewiki“, tschetschenische Kämpfer,
im Pankisi Urlaub vom Partisanenkrieg gegen die Russen. Sogar ein Dutzend
Araber soll hier sein. Die georgische Staatsmacht duldet es. Oder wie
ein Militär in Tiblisi erklärt: "Wozu sollen wir einen Kleinkrieg
gegen die Bojewiki anfangen, nur weil die Russen ihre Grenzen nicht
dichthalten können?“
So kurven Schiguli-Kleinwagen durch Duissi, hinten sitzen alte Frauen,
vorne hält ein Schwarzuniformierter eine Kalaschnikow auf dem Schoss.
"Kurz gesagt, unsere Brüder“, lächelt ein Einheimischer. Die 7000
Kistenen, die in Pankisi leben, sympathisieren heftig mit ihren tschetschenischen
Vettern. Die Kistinen bauen Rotwein wie alle Georgier an, aber sie sprechen
tschetschenisch, beten zu Allah, und pflegen das kriegerische Gesetz
der Berge. Erst vergangenes Jahr erschoss ein 25jähriger den Pensionär,
der vor 40 Jahren seinen Onkel ermordet hatte.
Aber nicht Blutrache
hat den Ruf des Pankisitals ruiniert. Seit 1999 die Flüchtlinge kamen,
schildert die georgische Presse das Tal als Räuberhöhle. Auch russische
Zeitungen melden, dass tschetschenische Kidnapper Mitarbeiter des Roten
Kreuzes verschleppen, spanische Geschäftsleute, orthodoxe Priester oder
georgische Polizisten. Die Russen entdeckten im Pankisi gar eine Rauschgiftfabrik.
"Schwarzes Loch der Kriminalität“ nennen die "Moscow Times“
das Tal.
Vergangenen Juli drohte blutiger Kampf mit den georgischen Nachbardörfern:
Kisten und Tschetschenen stahlen den Georgiern immer wieder Vieh, die
gründeten eine Bürgerwehr und nahmen ganze Minibusse mit tschetschenischen
Insassen als Geisel. Die schetschenen revanchierten sich. Aber der Krieg
der Kidnapper endete glimpflich. Der georgische Parlamentsabgeordnete
Nudar Mudibadse (52), Weltcupsieger im Schwergewichtsringen fuhr mit
anderen
georgischen Kampfsportlern ins Pankisi-Tal. "Waffen hatten wir
nicht. Aber wir haben mit den Ältesten der Tschetschenen verhandelt:
Ihr seid unsere Gäste, benehmt euch dementsprechend.“ Mudibadses 160-Kilo-Autorität
wirkte, fast alle Geiseln kamen umgehend frei.
Tatsächlich ist das Tal kaum krimineller als andere Regionen Georgiens.
Nach Angaben von Geheimdienstler hat es im Pankisi nie eine Drogenfabrik
gegeben. Viele Eingeweihte glauben, hohe Sicherheitsbeamte hätten an
den Entführungen mitverdient. So wurden etwa die zwei spanischen Geschäftsleute
Ende 2000 nicht im Pankisi, sondern am Flughafen in Tiblissi verschleppt.
Kidnapping, das ohne bestens informierte Komplizen in der Hauptstadt
nicht klappt. Die Entführungsrate sank noch einmal deutlich, als
Präsident Schewardnadse Anfang des Jahres sowohl der Innen- als auch
der Sicherheitsminister auswechselte.
Und die tschetschenischen Flüchtlingen im Pankisi sind friedlicher als
ihr Ruf. "Kriminalität veranstalten hier vor allem unsere Kistenen
und die Georgier“, sagt der Schuldirektor Wacho Margoschwili,
Vorsitzender des Ältestenrats der Kistenen. Dass der amerikanische Botschafter
Remler die Al Quida im Pankisi entdeckt hat, gilt in ganz Tiblissi als
Lachnummer. "Remler fährt jedes Wochenende in Gudauri Ski, 70 Kilometer
vom Pankisi-Tal entfernt³, sagt der deutsche Georgien-Unternehmer Rainer
Kaufmann. "Dort könnte jeder Terrorist mit einem Flammenwerfer
das komplette diplomatische
Korps Amerikas ausräuchern.“
Und Gela Beschuaschwali, stellvertretender Verteidigungsminister grinst:
"Wenn Amerikaner über Geographie reden, sollte man immer gründlich
nachfragen.“ Beschuaschwili stellt klar: Die 200 bis 250 US-Militärspezialisten,
die in der zweiten Märzhälfte nach Tiblisi kommen, sollen keine Terroristen
im Pankisi-Tal bekriegen, sondern vier georgische Bataillione ausbilden,
und damit den Grundstein zur georgischen Armeereform legen. "Das
war seit zwei Jahren geplant.“
Hinter dem Lärm um das Pankisi-Tal dämmert ein Stück neuer geopolitischer
Wirklichkeit: Russland hat die ehemalige Sowjetrepublik Georgen an Amerika
verloren. Die Russen zetern seit 1999 über tschetschenische "Banditen“
im Pankisi-Tal, aber das "Al Quaida“-Feldgeschrei der US-Diplomaten
war noch lauter. Die Botschaft der amerikanischen Propaganda: Jetzt
beschützen wir
Georgien vor dem Terror dieser Welt. Kein Zufall, dass der designierte
Vorsitzende des georgischen Sicherheitsrates, vorher sieben Jahren in
Washington als Botschafter amtierte. Wie Usbekistan und Kirgistan in
Zentralasien gehört jetzt auch Georgien zu den Antiterrorhilfstruppen
der USA. Und zu dem neuen Cordon Sanitaire, den die Amerikaner ganz
nebenher um den alten Rivalen Russland legen.
Georgien aber hofft westwärts. Russland, die einstige christliche
Schutzmacht gegen Osmanen und Perser, macht seit zehn Jahren gemeinsame
Sache mit den georgischen Rebellenprovinzen Südossetien und Abchasien.
Die Armee, offiziell noch 17.000 Mann stark, de facto wohl nur 9000,
droht auseinander zu fallen. Schewardnadse hofft auf das Know-how und
Kapital des Westens, um seinen vom Bürgerkrieg zerfetzten und von Korruption
zerfressenen Staat zu sanieren. "Der Westen will doch kein zweites
Kolumbien am schwarzen Meer bekommen“, sagt Beschaschwali.
Putins Russland aber gibt sich nicht geschlagen. Der Präsident selbst
erklärte ohne hörbares Zähneknirschen: "Wie jeder Staat hat Georgien
das Recht, selbst zu bestimmen, wie es seine Sicherheit organisiert.“
Gleichzeitig aber kauft sich die Ölfirma Lukoil mit 7,5% in die bisher
von den Russen heftig bekämpfte aserbaidschanisch-georgisch-türkischen
Pipeline ein. Und die Gaspromtochter Itera rechnet georgische Gasschulden
gegen eine Düngemittelfabrik ein. Ähnlich wie gegenüber der armen Ukraine
setzt Russland sein Rohstoffkapital ein, um zumindest die georgische
Wirtschaft wieder halbwegs unter Kontrolle zu bringen. Das neue "Great
Gamble“ um den Kaukasus und Zentralasien hat gerade erst angefangen.
Die alte Sumi im Pankisi-Tal will sich nicht fotografieren lassen. Andere
Flüchtlinge verdächtigen auch westliche Journalisten als Spione Moskau.
Die Tschetschenen hier fühlen sich wenn nicht von Gott so doch von der
Welt verraten. "Ich traue Euch nicht“, Sumi lächelt schwach. "Ich
traue nicht mal mehr dem eigenen Vater.“ Aber zumindest hofft
sie noch. "Vielleicht nehmen ja die Amerikaner oder die Engländer
Tschetschenien unter ihre Kontrolle, die Russen ziehen ab und wir können
heimkehren.“ Aber ehe sich dieser Wunsch
erfüllen mag, lädt Ben Laden doch zu einer Pressekonferenz ins Pankisi-Tal
ein.
|
|
|
Alltag im Pankisi
Fotos: Stefan Hille (Moskau)
|