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Frankfurter Allgemeine Zeitung
Amerikaner im Bogen der Instabilität
Neuer Einfluß in einstigen Sowjetrepubliken
/ Von Markus Wehner
MOSKAU, 22. April. Den Militärs in Moskau ist es ein Graus:
In Zentralasien stehen Tausende Nato-Soldaten, amerikanische Militärberater
sind im Kaukasus tätig. Als verloren gelten den Geostrategen in
Moskau diese Länder, die seit zweihundert Jahren unter russischem
Einfluß stehen und die auch nach dem Ende der Sowjetunion als
Hinterhof Rußlands betrachtet werden. Über eine Entfernung
von mehr als dreitausend Kilometern reicht das militärische Engagement
der Amerikaner und ihrer Verbündeten im ehemaligen Sowjetreich,
von Kirgistan, das an China grenzt, bis nach Georgien am Schwarzen Meer.
Vor einem halben Jahr haben die zentralasiatischen Staaten
den Amerikanern mit dem Segen des russischen Präsidenten Putin Flugplätze
zur Verfügung gestellt, damit Washington und seine Verbündeten den Krieg
gegen Taliban und Al Qaida in Afghanistan führen konnten. In Moskau,
aber auch in den zentralasiatischen Staaten fragt man sich, welche Ziele
die Amerikaner darüber hinaus in der Region verfolgen und wie lange
sie denn bleiben wollen. Die Sorgen sind unterschiedlich: Geostrategen
in Moskau fürchten, daß die Amerikaner für immer dableiben werden, die
zentralasiatischen Politiker, daß sie allzu schnell wieder abziehen
könnten. Washington hat Moskau versichert, daß seine Truppenpräsenz
in Zentralasien nicht auf Dauer angelegt sei. Wie lange man aber zu
bleiben gedenkt, ist ungewiß.
Der wichtigste Verbündete Amerikas in der Region ist Usbekistan,
dessen Präsident Karimow unlängst in Washington von Präsident Bush empfangen
wurde. Es ist der militärisch stärkste Staat Zentralasiens, und es ist
vor drei Jahren aus dem kollektiven Sicherheitsvertrag der Gemeinschaft
Unabhängiger Staaten (GUS) ausgestiegen, dem heute noch Rußland, Weißrußland,
Armenien, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan angehören. Daher bedarf
Taschkent nicht der Zustimmung des Kremls, um fremden Truppen Stützpunkte
zur Verfügung zu stellen. Usbekistan, das eine knapp 140 Kilometer lange
Grenze mit Afghanistan hat, beherbergt auf dem Flughafen Chanabad im
Süden etwa 1500 amerikanische Soldaten. Bundesverteidigungsminister
Scharping hat bei seinem jüngsten Usbekistan-Besuch zudem einen Vertrag
unterzeichnet, kraft dessen die Bundeswehr den Militärflughafen bei
Termes nutzen kann, der unmittelbar an der Grenze zu Afghanistan liegt.
Die Kooperationsbereitschaft wird belohnt: Usbekistan erhält in diesem
Jahr 160 Millionen Dollar Entwicklungshilfe aus Washington, etwa dreimal
soviel wie im Vorjahr (55 Millionen Dollar). Auch die Europäische Union
hat ihre Hilfe für Taschkent im Vergleich zum Vorjahr auf 50 Millionen
Euro verdoppelt.
Kasachstan, der Nachbar im Norden,
der in Zentralasien mit Usbekistan um die führende Rolle wetteifert,
wäre gerne der zweite Hauptverbündete der Amerikaner in der Region geworden.
Früher als alle anderen Führer der zentralasiatischen Staaten hatte
Präsident Nasarbajew verkündet, eventuelle Anfragen Amerikas und der
Nato zu einer militärischen Unterstützung würden positiv beschieden.
Doch Kasachstan ist direkter Nachbar Rußlands und dazu von Afghanistan
weiter entfernt als die anderen Staaten der Region.
Eine wichtige Rolle für die Amerikaner spielt Kirgistan. Auf dem Flughafen
Manas, der nahe der Hauptstadt Bischkek liegt, halten sich etwa 1200
Soldaten aus Amerika, Spanien, Frankreich und Deutschland auf - auch
Kanada, Italien, Dänemark, die Türkei und Australien haben das Recht
erhalten, Truppen dort zu stationieren. Kürzlich fand eine neun Tage
dauernde Anti-Terrorismus-Übung gemeinsam mit kirgisischen Truppen statt,
die sich bei Einfällen islamistischer Kämpfer in das Fergana-Tal vor
drei Jahren als hilflos erwiesen hatten. Insgesamt ist nach amerikanischen
wie kirgisischen Angaben an eine Aufstockung des Kontingents in Manas
auf bis zu 3000 Mann gedacht. Der Flughafen, der dann für vierzig große
Militär- und Transportflugzeuge Platz haben soll, wird rasch ausgebaut.
Der Vertrag über die Nutzung des Flughafens wurde für die Dauer von
zwölf Monaten geschlossen.
Präsident Akajew, der lange als der Demokrat unter
den autoritär regierenden Führern der Region galt, hat schon signalisiert,
daß man nichts dagegen hätte, diese Frist zu verlängern. "Es ist
sehr unwahrscheinlich, daß alle Probleme in Afghanistan in einem Jahr
gelöst werden", sagte er und gab sich überzeugt, daß sowohl Rußland
als auch China gegen eine längere Anwesenheit der ausländischen Truppen
keinen Einspruch erheben würden. Akajew bestritt, daß sein hochverschuldetes
Land aus wirtschaftlichen Gründen den Wünschen Washingtons zustimmen
mußte.
In Tadschikistan, dem ärmsten Staat der Region, sind
im Süden des Landes auf dem Flughafen Kuljab unweit der afghanischen
Grenze einige hundert Soldaten der Anti-Terror-Koalition untergebracht.
Freilich halten sich weitaus mehr russische Soldaten im Land auf. Die
205. Motorisierte Schützendivision ist in der Hauptstadt Duschanbe und
im Süden stationiert, russische Offiziere befehligen die tadschikischen
Grenztruppen. Von insgesamt 25 000 russischen Soldaten in Tadschikistan
ist die Rede.
In Moskau wird derzeit vor allem über die Frage diskutiert,
wie sehr die Amerikaner ihre Präsenz auf den Kaukasus ausdehnen wollen:
In das westlich orientierte Georgien wurden 150 bis 200 Militärberater
entsandt, die dazu bestimmt sind, georgische Streitkräfte für einen
Anti-Terror-Einsatz im Pankisi-Tal auszubilden, wo sich mehrere hundert
islamistische tschetschenische Kämpfer aufhalten sollen. Zudem wird
vom Nato-Staat Türkei der Militärflughafen Marneuli nahe der Hauptstadt
Tiflis modernisiert, wo Flugzeuge der Nato landen sollen. In Moskau,
wo die Aufregung über die amerikanischen Militärberater im Nachbarstaat
hohe Wellen schlug, behauptete die Zeitung "Nesawissimaja Gaseta",
von diesem Flughafen aus planten die Amerikaner, Angriffe auf Bagdad
zu fliegen. Selten wird in der russischen Presse daran erinnert, daß
Moskau immer noch zwanzigtausend Soldaten in Georgien stehen hat. Von
einer Veränderung der militärischen Kräfteverhältnisse durch zweihundert
amerikanische Militärberater kann daher kaum die Rede sein, zumal mehr
als 100 000 russische Soldaten im benachbarten Tschetschenien stehen.
Klar ist allerdings, daß die Amerikaner
ihren politischen und militärischen Einfluß in Georgien, Armenien und
Aserbaidschan verstärken. Armenien, das im Freund-Feind-Denken bisher
als letzte Bastion Moskaus in der Region galt, wird amerikanische Militärhilfe
erhalten. Kürzlich hat Washington auch das Verbot, Aserbaidschan Militärhilfe
zu leisten, aufgehoben und mit Gesprächen über eine Sicherheitskooperation
begonnen. Die Präsenz der Amerikaner im Kaukasus könnte auch dazu dienen,
die geplante Pipeline von Baku über Georgien bis zum türkischen Ceyhan,
mit der Rußland umgangen wird, zu sichern. Die Türkei hat mit Blick
auf das Projekt schon einen Sicherheitsvertrag mit Georgien und Aserbaidschan
ausgearbeitet.
Militärische und wirtschaftliche Hilfe des Westens eröffnet den zentralasiatischen
und kaukasischen Staaten neue Perspektiven, die Abhängigkeit vom großen
Nachbarn Rußland wird freilich bestehenbleiben. Kasachstan, wo mehr
als ein Drittel der Bevölkerung Russen sind, transportiert heute 95
Prozent seines Öls über Rußland - über die Pipeline von den Tengis-Feldern
zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk - und vermietet Moskau
den Weltraumflughafen Baikonur. Tadschikistan wickelt sechzig Prozent
seines Handels mit Rußland ab. Georgien ist auf Gaslieferungen aus Rußland
angewiesen und kann seine Territorialkonflikte nicht ohne Rußland lösen.
Aserbaidschan hat kürzlich die 1987 fertiggestellte militärische Radarstation
in Gabala für zehn Jahre an Rußland vermietet.
Das Interesse an Zentralasien und am Kaukasus beschränkt
sich heute nicht mehr allein auf das "Große Spiel" um Öl und
Gas. Fragen der Sicherheit stehen im Vordergrund. Im Kaukasus zeichnet
sich offenbar eine Arbeitsteilung zwischen dem Westen und Rußland ab,
die in Zentralasien schon vereinbart wurde. Die Russen, nicht zuletzt
Präsident Putin, haben in den vergangenen Jahren immer wieder von dem
"Bogen der Instabilität" gesprochen, der von islamistischer
Militanz und organisierter Kriminalität, wie etwa Rauschgift- und Waffenschmuggel,
geprägt ist. Zu diesem Bogen gehören nach russischer Auffassung nicht
zuletzt die Länder des Kaukasus und Zentralasiens - es sei Zeit, hier
etwas zu tun. Amerika hat sich diese Sicht zu eigen gemacht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.04.2002, Nr. 94 / Seite 9
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