Ausgabe 6/02, 24. April
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Frankfurter Allgemeine Zeitung

Amerikaner im Bogen der Instabilität

Neuer Einfluß in einstigen Sowjetrepubliken / Von Markus Wehner

MOSKAU, 22. April. Den Militärs in Moskau ist es ein Graus: In Zentralasien stehen Tausende Nato-Soldaten, amerikanische Militärberater sind im Kaukasus tätig. Als verloren gelten den Geostrategen in Moskau diese Länder, die seit zweihundert Jahren unter russischem Einfluß stehen und die auch nach dem Ende der Sowjetunion als Hinterhof Rußlands betrachtet werden. Über eine Entfernung von mehr als dreitausend Kilometern reicht das militärische Engagement der Amerikaner und ihrer Verbündeten im ehemaligen Sowjetreich, von Kirgistan, das an China grenzt, bis nach Georgien am Schwarzen Meer.

Vor einem halben Jahr haben die zentralasiatischen Staaten den Amerikanern mit dem Segen des russischen Präsidenten Putin Flugplätze zur Verfügung gestellt, damit Washington und seine Verbündeten den Krieg gegen Taliban und Al Qaida in Afghanistan führen konnten. In Moskau, aber auch in den zentralasiatischen Staaten fragt man sich, welche Ziele die Amerikaner darüber hinaus in der Region verfolgen und wie lange sie denn bleiben wollen. Die Sorgen sind unterschiedlich: Geostrategen in Moskau fürchten, daß die Amerikaner für immer dableiben werden, die zentralasiatischen Politiker, daß sie allzu schnell wieder abziehen könnten. Washington hat Moskau versichert, daß seine Truppenpräsenz in Zentralasien nicht auf Dauer angelegt sei. Wie lange man aber zu bleiben gedenkt, ist ungewiß.

Der wichtigste Verbündete Amerikas in der Region ist Usbekistan, dessen Präsident Karimow unlängst in Washington von Präsident Bush empfangen wurde. Es ist der militärisch stärkste Staat Zentralasiens, und es ist vor drei Jahren aus dem kollektiven Sicherheitsvertrag der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) ausgestiegen, dem heute noch Rußland, Weißrußland, Armenien, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan angehören. Daher bedarf Taschkent nicht der Zustimmung des Kremls, um fremden Truppen Stützpunkte zur Verfügung zu stellen. Usbekistan, das eine knapp 140 Kilometer lange Grenze mit Afghanistan hat, beherbergt auf dem Flughafen Chanabad im Süden etwa 1500 amerikanische Soldaten. Bundesverteidigungsminister Scharping hat bei seinem jüngsten Usbekistan-Besuch zudem einen Vertrag unterzeichnet, kraft dessen die Bundeswehr den Militärflughafen bei Termes nutzen kann, der unmittelbar an der Grenze zu Afghanistan liegt. Die Kooperationsbereitschaft wird belohnt: Usbekistan erhält in diesem Jahr 160 Millionen Dollar Entwicklungshilfe aus Washington, etwa dreimal soviel wie im Vorjahr (55 Millionen Dollar). Auch die Europäische Union hat ihre Hilfe für Taschkent im Vergleich zum Vorjahr auf 50 Millionen Euro verdoppelt.

Kasachstan, der Nachbar im Norden, der in Zentralasien mit Usbekistan um die führende Rolle wetteifert, wäre gerne der zweite Hauptverbündete der Amerikaner in der Region geworden. Früher als alle anderen Führer der zentralasiatischen Staaten hatte Präsident Nasarbajew verkündet, eventuelle Anfragen Amerikas und der Nato zu einer militärischen Unterstützung würden positiv beschieden. Doch Kasachstan ist direkter Nachbar Rußlands und dazu von Afghanistan weiter entfernt als die anderen Staaten der Region.

Eine wichtige Rolle für die Amerikaner spielt Kirgistan. Auf dem Flughafen Manas, der nahe der Hauptstadt Bischkek liegt, halten sich etwa 1200 Soldaten aus Amerika, Spanien, Frankreich und Deutschland auf - auch Kanada, Italien, Dänemark, die Türkei und Australien haben das Recht erhalten, Truppen dort zu stationieren. Kürzlich fand eine neun Tage dauernde Anti-Terrorismus-Übung gemeinsam mit kirgisischen Truppen statt, die sich bei Einfällen islamistischer Kämpfer in das Fergana-Tal vor drei Jahren als hilflos erwiesen hatten. Insgesamt ist nach amerikanischen wie kirgisischen Angaben an eine Aufstockung des Kontingents in Manas auf bis zu 3000 Mann gedacht. Der Flughafen, der dann für vierzig große Militär- und Transportflugzeuge Platz haben soll, wird rasch ausgebaut. Der Vertrag über die Nutzung des Flughafens wurde für die Dauer von zwölf Monaten geschlossen.


Präsident Akajew, der lange als der Demokrat unter den autoritär regierenden Führern der Region galt, hat schon signalisiert, daß man nichts dagegen hätte, diese Frist zu verlängern. "Es ist sehr unwahrscheinlich, daß alle Probleme in Afghanistan in einem Jahr gelöst werden", sagte er und gab sich überzeugt, daß sowohl Rußland als auch China gegen eine längere Anwesenheit der ausländischen Truppen keinen Einspruch erheben würden. Akajew bestritt, daß sein hochverschuldetes Land aus wirtschaftlichen Gründen den Wünschen Washingtons zustimmen mußte.

In Tadschikistan, dem ärmsten Staat der Region, sind im Süden des Landes auf dem Flughafen Kuljab unweit der afghanischen Grenze einige hundert Soldaten der Anti-Terror-Koalition untergebracht. Freilich halten sich weitaus mehr russische Soldaten im Land auf. Die 205. Motorisierte Schützendivision ist in der Hauptstadt Duschanbe und im Süden stationiert, russische Offiziere befehligen die tadschikischen Grenztruppen. Von insgesamt 25 000 russischen Soldaten in Tadschikistan ist die Rede.


In Moskau wird derzeit vor allem über die Frage diskutiert, wie sehr die Amerikaner ihre Präsenz auf den Kaukasus ausdehnen wollen: In das westlich orientierte Georgien wurden 150 bis 200 Militärberater entsandt, die dazu bestimmt sind, georgische Streitkräfte für einen Anti-Terror-Einsatz im Pankisi-Tal auszubilden, wo sich mehrere hundert islamistische tschetschenische Kämpfer aufhalten sollen. Zudem wird vom Nato-Staat Türkei der Militärflughafen Marneuli nahe der Hauptstadt Tiflis modernisiert, wo Flugzeuge der Nato landen sollen. In Moskau, wo die Aufregung über die amerikanischen Militärberater im Nachbarstaat hohe Wellen schlug, behauptete die Zeitung "Nesawissimaja Gaseta", von diesem Flughafen aus planten die Amerikaner, Angriffe auf Bagdad zu fliegen. Selten wird in der russischen Presse daran erinnert, daß Moskau immer noch zwanzigtausend Soldaten in Georgien stehen hat. Von einer Veränderung der militärischen Kräfteverhältnisse durch zweihundert amerikanische Militärberater kann daher kaum die Rede sein, zumal mehr als 100 000 russische Soldaten im benachbarten Tschetschenien stehen.

Klar ist allerdings, daß die Amerikaner ihren politischen und militärischen Einfluß in Georgien, Armenien und Aserbaidschan verstärken. Armenien, das im Freund-Feind-Denken bisher als letzte Bastion Moskaus in der Region galt, wird amerikanische Militärhilfe erhalten. Kürzlich hat Washington auch das Verbot, Aserbaidschan Militärhilfe zu leisten, aufgehoben und mit Gesprächen über eine Sicherheitskooperation begonnen. Die Präsenz der Amerikaner im Kaukasus könnte auch dazu dienen, die geplante Pipeline von Baku über Georgien bis zum türkischen Ceyhan, mit der Rußland umgangen wird, zu sichern. Die Türkei hat mit Blick auf das Projekt schon einen Sicherheitsvertrag mit Georgien und Aserbaidschan ausgearbeitet.

Militärische und wirtschaftliche Hilfe des Westens eröffnet den zentralasiatischen und kaukasischen Staaten neue Perspektiven, die Abhängigkeit vom großen Nachbarn Rußland wird freilich bestehenbleiben. Kasachstan, wo mehr als ein Drittel der Bevölkerung Russen sind, transportiert heute 95 Prozent seines Öls über Rußland - über die Pipeline von den Tengis-Feldern zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk - und vermietet Moskau den Weltraumflughafen Baikonur. Tadschikistan wickelt sechzig Prozent seines Handels mit Rußland ab. Georgien ist auf Gaslieferungen aus Rußland angewiesen und kann seine Territorialkonflikte nicht ohne Rußland lösen. Aserbaidschan hat kürzlich die 1987 fertiggestellte militärische Radarstation in Gabala für zehn Jahre an Rußland vermietet.


Das Interesse an Zentralasien und am Kaukasus beschränkt sich heute nicht mehr allein auf das "Große Spiel" um Öl und Gas. Fragen der Sicherheit stehen im Vordergrund. Im Kaukasus zeichnet sich offenbar eine Arbeitsteilung zwischen dem Westen und Rußland ab, die in Zentralasien schon vereinbart wurde. Die Russen, nicht zuletzt Präsident Putin, haben in den vergangenen Jahren immer wieder von dem "Bogen der Instabilität" gesprochen, der von islamistischer Militanz und organisierter Kriminalität, wie etwa Rauschgift- und Waffenschmuggel, geprägt ist. Zu diesem Bogen gehören nach russischer Auffassung nicht zuletzt die Länder des Kaukasus und Zentralasiens - es sei Zeit, hier etwas zu tun. Amerika hat sich diese Sicht zu eigen gemacht.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.04.2002, Nr. 94 / Seite 9

 

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