Ausgabe 6/02, 24. April
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Unseriös und gefährlich
Internet-Umfragen über Abchasien und Kodori

Wenn Journalisten nicht mehr viel einfällt, machen sie eine Umfrage. Des Volkes Stimme zu den grossen und kleinen Entwicklungen der Politik aufzuspüren, war schon immer der einfachste Weg, sich einem Thema publikumsnah anzunähern.

Im Internet-Zeitalter ist diese Art von Dialog zu einem beliebten Spiel geworden. Kaum eine Webseite ohne ein Umfrage-Modul. Interaktives Beteiligen der Besucher nennt man dies. In Wirklichkeit geht es wohl eher darum, die Klientel mit Umfragen oder Diskussionsforen an sich zu binden. Das gibt einen demokratischen Touch und erhöht ganz nebenbei auch die Anzahl der Klicks.

Bedenklich wird es aber, wenn jetzt in solchen Umfragen dem Zufalls-Pannel von Webseiten die Frage gestellt wird, ob es im Kodorital angesichts der jüngsten Vorfälle zu einem Wiederaufflammen des georgisch-abchasischen Krieges kommen würde. 68 % von 141 Besuchern einer georgischen Internet-Nachrichten-Agentur erwarten einen neuen Krieg - ein Ergebnis, das diese Internet-Agentur dann schleunigst als eine Nachricht verkaufte. So kreiert der Chronist selbst die Nachricht und mischt sich in das Geschehen, das er eigentlich nur beobachten sollte, ein. In der deutschen Agentur lag bei Redaktionsschluss von GN bei weitaus niedrigerer Beteiligung ein ausgeglichenes Ergebnis vor, bei dem die gemässigten Ansichten mit 7:4 gegen einen erneuten Waffengang überwogen.

Beides ist unseriös und gefährlich. Denn schon die Fragestellung suggeriert, dass die Situation tatsächlich bis kurz vor den Ausbruch von Gewalthandlungen eskaliert sei. Dem ist aber nicht so. Wer informiert ist, hat genügend Hinweise, in den verbalen Rundumschlägen aller Seiten nur das erkennen, was sie in Wahrheit sind, nämlich Zweck-Propaganda. Auf dem mittlerweile schon fast erloschenen Feuerchen Kodori kochen alle, Georgier, Abchasen und Russen ihre Propagandsüppchen, die so schal sind, dass sie noch nicht einmal hierzulande munden können. Auf dieser Nachrichtenlage Umfragen zu starten, die auch nur einen Hauch von Seriosität für sich beanspruchen, ist schlichtweg unverantwortlich.

Umfragen können nur dann ernst genommen werden, wenn ihre Fragestellung einen realen Hintergrund hat und wenn sie wissenschaftlich korrekt durchgeführt wurden, d.h. von einigermassen repräsentativen Befragungen ausgehen. Die zufällige Zusammensetzung einer Internet-Gemeinde und deren mehr oder weniger guter Informationsstand machen solche Befragungen zu einem mehr als fragwürdigen Spiel mit Unwahrheiten, bestenfalls Halbwahrheiten, aber ganz sicher zu einem Spiel mit Emotionen. Die gleichzeitig mit den Abstimmungen abgegebenen Meinungsäusserungen, die wegen ihres aufhetzenden Charakters teilweise flugs wieder aus dem Netz herausgenommen wurden, belegen dies. Ausserdem sollte jederman wissen, dass solche Befragungen problemlos manipuliert werden können.

Wenn es sich dabei um Fragestellungen nach den beliebtesten georgischen Gerichten, Weinen oder Gesängen handelt oder ähnlichem, ist es ein harmlose Spielerei. Schön für den, der daran teilnimmt, und für den, der sie veranstaltet. Die Frage nach Krieg und Frieden ist aber zu ernst, als dass man sie dem Zufallsergebnis einer zweifelhaften und systematisch unseriösen Umfrage überlassen dürfte. Mit solchen Fragen betreibt man keine Gesellschaftsspiele.

Rainer Kaufmann

 

Ein kleiner Nachtrag in eigener Sache: GN wird sich dieser Spielereien enthalten, fordert jedoch jedermann auf, sich mit einem Leserbrief zu den Berichten von GN und der Situation im Lande zu äussern. Mit vollem Namen und nachprüfbarer Adresse werden wir alle Zuschriften veröffentlichen, sofern sie nicht gegen gute Sitte oder Gesetze verstossen. Diskussion ja, auch die kontroverse Diskussion, auch Kritik an unserer Arbeit. GN wird keine Meinungsäusserung unterdrücken. Zweifelhafte Umfragen und Diskussionsforen, bei denen sich die Teilnehmer wie in einem neuen Diskussionsforum einer englisch sprachigen georgischen Webseite hinter der Anonymität des Netzes verstecken können, wird GN aber nicht veranstalten. Die Demokratie hat auch vor der Erfindung des Internet bereits funktioniert und sie braucht vor allem Menschen, die bereit sind, ihre Meinung ohne das Visier eines Internet-Decknamens zu äussern.

 

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