Ausgabe 6/02, 24. April
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Nachhutgefechte
Propagandaschlacht um das Kodori

Das war zu erwarten. Nach dem erzwungenen Rückzug der russischen Fallschirmjäger aus dem Kodorital tobt in den hiesigen Agenturen und Medien eine wahre Propagandaschlacht zwischen Tbilissi, Suchumi und Moskau. Es geht um die Wahrung des Gesichts und um jeden noch so kleinen propagandistischen Geländegewinn. Auch um Eigeninteressen der georgischen Militärs zum Beispiel, die nur beim Aufbauen einer aktuellen Bedrohungslage vom überforderten Finanzminister zusätzliche Finanzen einklagen können.   Russen und Abchasen werfen den Georgiern vor, das Kodori-Protokoll vom 2. April verletzt und nicht alle Soldaten aus dem oberen Teil des Tals abgezogen zu haben. Deshalb müssten die russischen Friedenstruppen regelmässige Kontrollen vornehmen und würden dies auch in Zukunft tun. Dagegen erklären die Georgier, es seien nur noch Grenzschützer im Tal, das Militär sei abgezogen. Unterdessen reden alle Seiten in verbalen Rundumschlägen eine weitere Verschärfung der Lage herbei, während die Gespräche zwischen Suchumi und Tbilissi unter Vermittlung der UNO in aller Ruhe ebenso wieder aufgenommen wurden wie Teile der Rahmenvertragsverhandlungen zwischen Georgien und Russland, die angesichts des Kodori-Zwischenfalls abgebrochen wurden. Auf der Experten-Ebene wurden sie immer wetiergeführt, erklärte Eduard Schewardnadse auf seiner Montagspressekonferenz. Trotz aller vordergründigen rhetorischen und medialen Aufrüstung verdichten sich in Tbilissi die Hintergrund-Informationen, dass sich die Lage in Abchasien und speziell im Kodorital wieder beruhigt hat. Und politische Analysten rätseln über die wahren Hintergründe des Zwischenfalls, der leicht hätte eskalieren können.

Für ein paar Stunden war die Situation im Kodorital am Freitag der vorletzten Woche wirklich brissant, als sich erstmals Russen und Georgier bewaffnet gegenüberstanden. Der georgische Verteidigungsminister hatte den Befehl zum Waffeneinsatz gegeben, sollten die von Georgiern eingekesselten russischen Soldaten irgendwelche nicht mit Georgien abgestimmte Aktionen unternehmen. Russische Fallschirmjäger hatte sich per Hubschrauber mit grossem Equippment, Waffen und Versorgung für einen längeren Aufenthalt in den Teil des Kodoritals verlegen lassen, der von Georgien kontrolliert wird. Die Aktion war entgegen den Abmachungen des Kodori-Protokolls vom 2. April weder mit den Georgiern noch mit UNOMIG abgesprochen worden. Auf heftigen Protest Georgiens und der UNOMIG mussten sich die Russen zurückziehen. Eduard Schewardnadse selbst war noch an demselben Nachmittag demonstrativ und öffentlichkeitswirksam ins Kodorital geflogen, um dem russischen General Jewteew das Ultimatum zum Rückzug zu überbringen, und hatte am Samstag danach in einem Telefongespräch mit seinem russischen Kollegen Putin die Angelegenheit bereinigen können.

Unabhängig von allen verbalen Schuldzuweisungen und taktischen Nachhutgefechten steht in Tbilissi die Frage im Vordergrund, wer denn die Verlegung der russischen Fallschirmjäger angeordnet haben könnte und mit welchem Zweck. Dabei wird immer wieder die Entscheidung Georgiens für eine engere Militärkooperation mit den USA ins Spiel gebracht, gegen die gewissen Kreise der russischen Armee auf ihre Weise protestieren wollten. Die Frage, warum sie dies aber gerade jetzt und nicht Ende Februar, als diese Entscheidung weltweites Aufsehen erregte, taten, unterstützt nicht gerade diese Theorie. Wenn dies der einzige Hintergrund der Aktion gewesen sein soll, dann waren Zeitpunkt und Ort mehr als schlecht gewählt. Ausserdem, so wird in Moskau kolportiert und fleissig reportiert, habe man den Georgiern nur aufzeigen wollen, dass man eventuelle militärische Aktionen Georgiens zur Rückerlangung Abchasiens niemals zulassen wolle. Auch diese These erscheint zu oberflächlich, um den wahren Hintergrund der Aktion zu erklären. Vor allem die russische Generalität weiss zu genau, dass die Georgier zu einer solchen Operation auf Jahre hinaus nicht in der Lage sind.

Fortschritte in der Abchasienfrage

Der Vorfall und die Bedeutung, die ihm beigemessen wurde, ist nur vor dem Hintergrund der aktuellen Verhandlungssituation in Abchasien zu verstehen. Auf der einen Seite sind die Bemühungen des UN-Sonderbotschafters Dieter Boden um eine politische Lösung des Konflikt so weit gediehen wie noch nie. Der russische Präsident Putin hat nach den Ereignissen vom 11. September und seiner Annäherung an Amerika die bislang unproduktive Haltung Russlands in der Abchasien-Diplomatie aufgegeben und sich das sogenannte Boden-Papier, das eine Kompetenzaufteilung zwischen Suchumi und Tbilissi innerhalb des georgischen Staates vorsieht, zu eigen gemacht. Danach ist der Status Abchasiens als ein Bestandteil Georgiens gesichert und eine Lösung nur innerhalb der georgischen Verfassung möglich. Die Anzeichen vermehren sich, dass die gemässigten Kräfte der russischen Aussenpolitik den Druck auf Abchasien erhöht haben, dies zu akzeptieren. Die Abchasen lehnen das Papier ab und suchen jeden Vorwand, um Verhandlungen aus dem Wege zu gehen oder gar zu verzögern. Sie sind es auch, die nach dem Kodorizwischenfall die Situation mit Mobilmachungen und angeblichen georgischen Überfallplänen anheizen. Eine unüberlegte Reaktion Georgiens würde nur ihnen nutzen und die diplomatischen Fortschritte der letzten Monate infrage stellen. Also wird munter provoziert.

Am abchasischen Friedensprozess beteiligen sich neben den Konfliktparteien und der UNO die sogenannten Freunde Georgiens beim UN-Generalsekretär, das sind die Länder Amerika, Grossbritannien, Frankreich, Deutschland und Russland. Vor einer Woche noch traf sich der Sonderbeauftragte des russischen Präsidenten für den Abchasienkonflikt Waleri Loschinin in Tbilissi mit den Botschaftern oder deren Vertreter der Freundes-Länder in Tbilissi. Dabei wurde noch einmal deutlich, dass alle fünf das Bodenpapier unterstützen. Abchasien ist in dieser Frage erstmals isoliert, nachdem sich alle an diesem politischen Prozess beteiligten Parteien, also auch Russland, in der Grundsatzfrage einig sind.

Zum anderen stehen alle Beteiligten unter einem massiven Zeitdruck. Mitte des Jahres laufen beide Mandate für die Friedenssicherung aus, das der russischen Friedenstruppen unter dem Mandat der GUS und das der UNOMIG, die diese Friedenstruppen zu kontrollieren hat. Eine Verlängerung vor allem des Mandats der GUS-Friedenstruppen unter dem gegenwärtigen Format ist nicht zu erwarten. Vor allem Georgien ist dazu nicht mehr bereit, da es den russischen Blauhelmen einseitige Parteinahme zugunsten der abchasichen Seite vorwirft. Es gibt bereits einen georgischen Parlamentsbeschluss vom vergangenen Herbst, das Mandat nicht mehr zu verlängern, den Eduard Schewardnadse angesichts der sich abzeichnenden Fortschritte in den Verhandlungen und vor allem angesichts seiner persönlichen Annäherung an Putin nicht umgesetzt hat. Von diesem Mandat ist auch die Verlängerung des UN-Mandates abhängig. Ohne GUS-Mandat kein UNOMIG-Mandat und ein reines UN-Blauhelmmandat ist nirgendwo in der Welt durchzusetzen.

Abchasen unter Druck

Der Zeitdruck dürfte vor allem vom Zeitfenster der UN-Entscheidung über die Verlängerung des UNOMIG-Mandats aufgebaut werden. Dies ist einerseits sehr vorsichtig formulierten Statements der Abchasen zu entnehmen, die sich gegen jeglichen Druck wehren und dafür zweiseitige Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien in aller Ruhe ohne zeitliche Vorgabe fordern. Nur die beiden Konfliktparteien könnten verhandeln, dritte könnten nur vermitteln aber keine Forderungen stellen, war dieser Tage aus Suchumi zu hören. Vor einigen Wochen gab es aus Abchasien ähnliche Stellungnahmen, die eindeutig in Richtung Russland zielten, das man zwar zur aktiven Teilnahme an den Verhandlungen einlade, dem man aber keinerlei Recht zusprechen wollte, Druck auszuüben. Andererseits hat Eduard Schewardnadse schon nach dem GUS-Gipfel in Alma Ata und seinem Treffen mit Putin vollmundig getönt, die Abchasen hätten endlich einzulenken, ansonsten könne auch die UNO ihre Einstellung ändern. Ganz ohne Hintergrund wird er sich so nicht aufspielen können.

Georgien hat jetzt nach dem Kodori-Zwischenfall einige diplomatische Trümpfe in der Hand. Eine Verlängerung des GUS-Mandats ohne Veränderung der Zusammensetzung und des Auftrags der Friedenstruppen kann ihm jetzt wohl nicht mehr zugemutet werden. Es darf angenommen werden, dass sich die Präsidenten Putin und Schewardnadse auch in dieser Frage bereits seit längerer Zeit einig sind. Neben einer Präzisierung des Auftrags läuft es auf eine Internationalisierung der Friedenstruppen hinaus. Georgien will vor allem auf der Kommandoebene auch andere Nationen einbeziehen. Es gehe nicht an, dass die gemeinsame Friedenstruppe der GUS nur von den Instruktionen des Verteidigungsministeriums einer einzigen Nation abhänge, erklärte der georgische Verteidigungsminister Tewsadse dieser Tage nach dem Kodori-Zwischenfall und eröffnete damit die Diskussion. Aussenminister Menagarischwili legte nach und kündigte georgische Vorschläge zu diesem Thema an.

Als zusätzliche Nationen bieten sich beispielsweise die Ukraine und Armenien an. Es fällt auf, dass beide Länder in diesen Tagen verstärkte diplomatische Aktivitäten mit Georgien entfalten auch mit dem Hinweis auf den Abchasienkonflikt. Beide Länder haben erhebliche wirtschaftliche Interessen an einer friedlichen Abchasien-Lösung, die unter anderem eine für beide wie auch für Georgien wichtige Eröffnung der Eisenbahnlinie durch Abchasien mit sich bringen könnte. Ausserdem gibt es in Abchasien auch eine kleine armenische Minderheit. Eine solche Internationalisierung der GUS-Friedenstruppen würde einen massiven Gesichtsverlust für die russische Generalität bedeuten, die bislang das Einbeziehen anderer Nationen in diese Friedensmission in „ihrem eigenen Hinterhof Südkaukasus“ vehement abgelehnt hat.

Putins Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel

Es werden vor diesem Hintergrund in Tbilissi mehrere Variationen zum Kodori-Zwischenfall gehandelt. Die eine besagt, es sei eine selbstherrliche Aktion des russischen Militärs, dem die ganze Richtung nicht mehr passe, gewesen, wobei dann immer noch zu fragen wäre, welche Kommandoebene diese Entscheidung getroffen hat. Dies würde aber auf einen Zwist zwischen Putin und der Armee hindeuten und die Glaubwürdigkeit Putins in Zweifel ziehen.

Andere, so der Direktor des georgischen Zentrums für zivile-militärische Beziehungen David Darchiaschwili erklären, die Eigenständigkeit der russischen Militärs sei ein Mythos. Die Geschichte des russischen Militärs sei geprägt von blindem Gehorsam gegenüber den zivilen Mächten und einer totalen Abhängigkeit von politischen Kreisen. „Russische Offiziere sind in diesem System aufgewachsen. Ich bezweifle, dass sie solch abenteuerlichen Schritte unternehmen können“, erklärte Darchiaschwili.

Eine weitere Erklärung könnte in der schlechten Koordination russischer Politik liegen, im Wettbewerb verschiedener Regierungsstellen und –ebenen. Dafür, so georgische Interpretationen, spräche das schnelle Ende der Aktion nach dem Telefonat zwischen Putin und Schewardnadse. Wenn dem so wäre, müsste man allerdings davon ausgehen, dass der Kreml unregierbar und Russland ein unsicherer und in seinem Verhalten nicht einschätzbarer Partner sei, schlussfolgert die Nachrichtenagentur Civil Georgia, die unter anderen von der UN-Association und der deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung gesponsort wird. Auch diese Interpretation der Ereignisse könne die Position Putins ausserhalb seines Landes nur schwächen.

Wem nutzt das ganze Szenario?

Eine andere Erklärung versucht, erst einmal die möglichen Nutzniesser des Geschehens zu erkennen. Vor dem Hintergrund der diplomatischen Bemühungen um eine Regelung des Abchasienkonflikts und vor allem auch um eine Neudefinition des Mandates der GUS-Friedenstruppen hat diese Mini-Krise denjenigen in die Hände gespielt, die dieses Mandat ändern und durch eine Internationalisierung das „Friedensmonopol“ der russischen Armee brechen wollen. Nach diesem Abenteuer, das beide Länder an den Rand eines bewaffneten Scharmützels brachte, dürfte die russische Generalität zunächst einmal Boden verloren haben.

Wenn es stimmt, dass Putin und Schewardnadse in der Abchasienfrage in wesentlichen Punkten Einigung erzielt haben, dann können sie beide gemeinsamen Nutzen aus dieser Krise ziehen. Da hierzulande politische Entscheidungen oft genug erst nach einem entsprechend dramatischen Zwischenfall durchsetzbar sind, spricht einiges, vielleicht sogar vieles für die Vermutung, dass der General der russischen Friedenstruppen Alexander Jewteew den Zwischenfall doch nicht ohne entsprechende Rückendeckung aus Moskau inszeniert haben könnte. Dann dürfte der grosse Regisseur im Hintergrund aber ganz andere Ziele verfolgt haben als gemeinhin vermutet wird. Dass mit Boris Pastuchow gerade ein gemässigter Politiker in Georgien weilte, der zusammen mit dem in dieser Krise ungeheuer präsent agierenden Schewardnadse hat eingreifen können, könnte in dieses Szenario passen. In Tbilissi stellen sich viele Auguren die Frage, ob es im Kodori nicht sogar etwas ähnliches wie ein Drehbuch gegeben haben könnte. Zur Jahresmitte, wenn die Entscheidungen über die beiden Friedensmandate gefällt werden müssen, wird man vermutlich mehr wissen.

 

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