Ausgabe 6/02, 24. April
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Einfluss verloren
EURASIA-Studie über die Position Russlands im Kaukasus

"Der schnell anwachsende strategische Einfluss der USA im Kaukasus hat russische Politikplaner alarmiert. Moskau ist daran interessiert, Schritte zu unternehmen, die Erosion seiner Position in der Region einzudämmen. Dabei haben russische Beamte wenig Optionen, auf die US-Ausbreitung zu antworten, wenn sie gleichzeitig die herzlichen Beziehungen mit Washington erhalten wollen." Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Eurasia-Fonds, nachzulesen im englischen Wortlaut unter www.eurasianet.org. GN veröffentlicht die Studie in einer Übersetzung.

Die bekanntesten US-Aktionen im Kaukasus sind die Entscheidung, Militärberater nach Georgien zu entsenden, und eine Ankündigung des State Departments vom 29. März, das Waffenembargo gegen Armenien und Aserbaidschan aufzuheben. Beide Aktionen bieten die Möglichkeit, die militärischen Orientierung aller drei Kaukasusstaaten von Russland weg zur NATO zu entwickeln.

"Das Auftreten amerikanischer Truppen im Transkaukasus könnte Hoffnungen nicht nur in Tbilissi sondern auch in Eriwan und Baku aufkeimen lassen", befürchtet Alexander Khramchischin, der Chef der Analysenabteilung des Instituts für Politische und Militärische Analysen. Russische Strategen befürchten, dass am Ende Washington auch die Lösung verschiedener Konflikte herbeiführen könnte, einschliesslich Berg-Karabach und Abchasien, somit Stabilität bringe und Sicherheiten garantiere in einem unruhigen früheren Grenzland des russischen Imperiums. Bei einem solchen Szenario würden die Vereinigten Staaten als Garant für Frieden und Entwicklung im Kaukasus auftreten, während Russland nach Khramchischins Worten "in der Kälte aussen vor bleibe".

Einige Kommentatoren gehen davon aus, dass der jüngste Sicherheitsgipfel der "Caucasus Four" (in Sotschi vor zwei Wochen, Anm. d.Übers.) ein russischer Schachzug war, um strategische Initiative in der Region wiederzuerlangen. Lokale politische Analysten bemerken einen ausgesprochenen Wandel in Russlands Verhalten, der erstmals während der Sotschi-Gespräche bemerkt wurde. Moskau scheint bereit zu sein, sein übliches Divide-et-Impera-Gehabe aufzugeben und stattdessen für ein eigenes kollektives Sicherheitssystem im Südkaukasus zu optieren.

Konfrontiert mit einer aggressiven amerikanischen Diplomatie im Kaukasus "zeigt Russland - möglicherweise zum ersten Mal - seinen Willen, die Interessen von Georgien und Aserbaidschan zu respektieren, insbesondere bei der Lösung der verschiedenen regionalen Konflikte" unterstreicht der Analyst der in Baku ansässigen Denkfabrik "Profile". "Im Gegenzug möchte Russland die Garantien, dass die Ausweitung der militärischen Kooperation zwischen diesen Staaten und Washington nicht zu einer langfristigen amerikanischen Militärpräsenz im Südkaukasus führt."

Man muss abwarten, wie der neue russische diplomatische Ton in den Hauptstädten des Kaukasus aufgenommen wird. Aserbaidschan und Georgien haben es generell begrüsst, das die USA in der Region Profil zeigen. Armenien ist weitaus zurückhaltender, was die amerikanische Präsenz angeht. Und die geopolitische Situation neigt zu plötzlichen Verwerfungen. Die US-Präsenz mag beidseitige Hoffnungen auf eine Zusammenarbeit zwischen Washington und den betreffenden kaukasichen Nationen aufkeimen lassen, sie half aber auch, zusätzliche Brüche zwischen den drei Ländern, insbesondere zwischen Armenien und Georgien, zu schaffen.

Es war die Entscheidung der Bush-Administration vom Ende Februar, US-Militärberater nach Georgien zu entsenden, die den grössten Teil von Russlands politischer Klasse aufgerüttelt hat. Seither haben die USA und ihre NATO-Verbündeten ihre strategische Ausgangsposition rapide verstärkt. Am 21. März kam eine Gruppe von NATO-Experten nach Tbilissi, um die Wasiani-Militärbasis zu besichtigen, die russische Truppen erst im Juli letzten Jahres verliessen und die im Juni ein von der Allianz geführtes Militärmanöver beherbergen wird. Nach Irakli Batkuaschwili, dem Verbindungsoffizier des georgischen Verteidigungsminsiteriums zur NATO, "haben 15 Länder, sowohl NATO-Mitglieder als auch Partner einschlieslich Armenien und Aserbaidschan ihre Bereitschaft erklärt, an dieser Übung teilzunehmen."

Diese Militärübung gilt neben anderen Zielen wahrscheinlich hautpsächlich dem Schutz der Energie-Transport-Netzwerke im Kaukasus, erklärt der Regionalanalyst. Auf der Internatioalen Konferenz "Öl, Gas und Georgiens Energieindustrie", die gerade in Tbilissi abgehalten wurde, haben amerikanische Teilnehmer darauf hingewiesen, dass, sollte die Notwendigkeit bestehen, die USA und NATO die Öl- und Gaspipelines beschützen würden und zwar diejenigen, die bereits in der Region operierten und die, die jetzt zu bauen sind, einschliesslich der sogenannten Baku-Tbilissi-Ceyhan Route.

"Mit der Bereitschaft, amerikanische Militärpräsenz in Georgien aufrecht zu erhalten, hat Washington den grössten Investoren der Welt ein aktuelles Signal gegeben, dass ihre Interessen im Südkaukasus geschützt seien", erklärte der georgische Politologe R. Klimiaschwili der Rossiiskaya Bizness Gazeta.

Nach den Berichten der georgischen Presse waren sich die Experten aus den Vereinigten Staaten, Westeuropa und der Türkei, die an der Tbilissi-Energie-Kopnferenz teilgenommen haben, einige, dass "Georgien eine strategische Funktion als Transitland erreicht hat".

Die Möglichkeit, das Amerika als Beschützer der Baku-Ceyhan-Route auftritt, könnte Russlands Profit-Möglichkeiten im Öl- und Gasgeschäft beeinträchtigen. Russische und amerikanische Experten haben sich lange über die Frage der Transitrouten für Kaspisches Öl gestritten. "Wir wollen dass die Ölpipelines hauptsächlich über unser Territorium führen; die Amerikaner bevorzugten eine maximale Diversifizierung der Routen, aus Furcht selbst in irgendjemandes Abhängigkeit bei der Ölversorgung zu geraten" erklärt Wacheslaw Nikonow, der Präsident der Denkfabrik Politika Foundation, in seinem jüngsten Kommentar in der russischen Zeitung Trud.

"Offensichtlich wird die militärische Präsenz im Südkaukausus den USA dabei helfen, dies zu erreichen. Die Baku-Ceyhan Ölpipeline, bei unseren Politikern in höchstem Masse unbeliebt, wird unausweichlich gebaut" fügte Nikonov hinzu.

Um die Schlussfolgerung des Moskauer Analysten zu bestätigen, erklärte am 5. April Valekh Alekperov, Leiter der Abteilung Auswärtiges Investment in der staatlichen aserbaidschanischen Ölfirma SOCAR, Journalisten in Baku, dass die Investorengruppe der Ölpipeline die Verabschiedung des Projektes versichert hätten und von den internationalen Finanzorganisationen Finanzierungszusagen erwarten.

Wie Georgien hat Aserbaidschan postitv auf die wachsende amerkanische Einbindung in die Region reagiert. Nach einem Bericht der aserbaidschanischen Zeitung Sarq, "glauben einige Aserbaidschaner, dass das Eintreffen von US-Truppen in der Region auch eine positive Wendung in der Lösung des Karabach-Konflikt hervorrufen könne."

Diese Veränderung in der Haltung von Baku muss Moskau nervös machen. Aserbaidschan erwartet "mehr als einen substantiellen Beitrag von den USA und der NATO bei der Lösung des Karabach-Konflikts" untersteicht das Moskauer Periodikum Nezavisimoye Yoyennoye Obozreniye. "Es ist offensichtlich, dass dieses Problem nicht von der OSZE gelöst werden kann. Das offzielle Baku findet einen Ausweg aus der Karabach-Einbahnstrasse nur über Washington und Brüssel."

Washington scheint seine militärische Zusammenarbeit mit Baku ausbauen zu wollen. Ende März besuchte der stellvertretende Staatssekretär für Eurasische Politik, Mira Ricardel, Baku, um die strategischen Kooperationsmöglichkeiten zu erkunden. Ricardel und aserbaidschanische Behördenvertreter stimmten überein, dass die beiden Länder zusammenarbeiten sollten bei der maritimen Sicherheit, bei der Sicherung der konstanten Kontrolle des Luftraums und bei der Untersützung der Stabilität in der Region. Bevor er das Land verliess, erklärte Ricardel, die militärische Zusammenarbeit mit Aserbaidschan habe ein neues Stadium erreicht, einen Bericht der Turan Newsagentur bestätigend. Ricardel fügte hinzu, dass US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld auf die kaukasischen Staaten "grosse Hoffnungen" setze, insbesondere auf Aserbaidschan.

Ähnlich ärgerlich wie die Einführung der US-Militärberater in Georgien ist die amerkanische Entscheidung, das Waffenembargo für Aserbaidschan und Armenien aufzuheben. Nach einem Statement des State Department Sprechers Philip Reeker wurde das Embargo wegen "positiver Entwicklungen" in beiden Ländern aufgehoben. Das Lieferverbot für Waffen war 1993 als Ergebnis des Karabach-Konflikts ausgesprochen worden.

Nach einem Kommentar von Turan, vermutet der frühere aserbaidschanische Präsidentenberater Vafa Quluzada, dass der mögliche Zugang Armeniens zu amerikanischen Waffen helfen kann, Russlands Abschied aus der Region zu beschleunigen. Armenien, das von zwei traditionellen Feinden umgeben ist, Aserbaidschan und Türkei, hat lange eine besondere Beziehung zu Russland gepflegt. Quzulada vermutet, es würde ein signifikante Grösse an Hilfe benötigen, um Armenien dazu zu bewegen, diese Beziehungen mit Russland zurückzufahren.

Nach wie vor ist die Aussicht auf ein Abrücken Eriwans von seiner "historischen Allianz" mit Moskau eine der grösseren geopolitischen Befürchtungen der russischen Führung. Der Besuch des armenischen Verteidigungsminister Serzh Sarkisian in Washington Mitte März und insbesondere sein Statement zur Notwendigkeit, die amerikanisch-armenische Militär-Kooperation zu beschleunigen, hat in Moskau die Alarmglocken schrillen lassen.

"Über die künftige Form und den Umfang einer solchen Zusammenarbeit hat es vorab keine Übereinstimmung mit Russland gegeben, das nach dem Vertrag über Freundschaft, Kooperation und gegenseitige Hilfe von 1997 die Verantwortung übernommen hat, Armenien vor Aggressionen zu schützen", erklärt der in Moskau sitzende Kaukasus-Analyst Wladimir Ilyin. Er beschreibt es als "sonderbar", dass Washington den Wunsch ausgedrückt habe, Armenien bei der Entwicklung seiner Luftverteidigung zu helfen. "Seit April 1999", sagt Ilyin, "war Armenien Mitglied des gemeinsamen Luftverteidigungssystems der GUS. Sein Luftraum ist geschützt durch russische Raketensysteme und Kampfjets."

Bei einer geschlossenen Sitzung des armenischen Parlaments am 4. April sprachen sich Sarkisian und der armenische Aussenminister Wartan Oskanian für künftige Änderungen in der, wie sie es nannten, "ergänzenden Aussenpolitik" Armeniens aus. Diese Veränderung, sagten die Politiker, seien zunächst in den Veränderungen der internationalen Situation infolge der terroristischen Attacken des 11. September zu suchen, die eine grössere Beachtung einer Verteidigungs- und Sicherheits-Kooperation mit der Nato erforderlich machten, speziell mit den USA, um die enge militärische Kooperation mit Russland auszubalancieren.

Oskanian erklärte, Armenien wollte genauso "engere Kontakte" mit Georgien suchen und den Dialog mit Ankara beschleunigen. "Armenien wird auch alle Anstrengungen unternehmen, um eine positive Änderung der Beziehung mit der Türkei herbeizuführen, dann der türkische Faktor in der Südkaukasus-Region wird immer bedeutender", unterstrich der Minister.

In den vergangenen Monaten waren die armenisch-georgischen Beziehungen von Spannungen geprägt. Die beiden Länder haben sich über die Rechte der ethnischen Armenier gestritten, die in Georgien leben. Armenische Offizielle haben ausserdem ihre Befürchtungen geäussert, dass die Anwesenheit amerikanischer Militärbeobachter in Georgien Tbilissi veranlassen könnte, sich für einen Versuch, das Abchasien-Problem mit Gewalt zu lösen, vorzubereiten. Eriwan befürchtet, dass erneute Kämpfe in Abchasien eine Kettenreaktion auslösen und damit neue Kämpfe in Karabach aufflammen könnten.

In einem TV-Interview am 4. April versuchte die georgische Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse, die beidseitigen Spannungen herunterzuspielen. Burdschanadse erklärte, "Georgien und Aserbaidschan haben sich für eine westlichere Orientierung entschieden als Armenien. Ich bin zuversichtlich, dass jedes Land unserer Region genau weiss, dass eine Konfrontation der beiden Richtungen ausgeschlossen werden muss, da dies nicht im Interesse auch nur eines dieser Länder wäre".

 

 

 

 

 

 

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