Ausgabe 1/02, 9 Februar
Home            

 

Pankisital - Das Ende der Welt wird plotzlich weltbekannt

In den Reisewarnungen fast aller westlichen Regierungen wird nicht vergessen, darauf hinzuweisen, wie gefahrlich es sei, das Pankisital zu bereisen. Keine Frage, dem ist so, aber niemand, der Georgien als normaler Tourist oder Geschaftsmann bereist, hat ein Interesse an diesem Tal, es sei denn, er hatte eine Vorneigung fur die besondere Art von Geschaften, die derzeit dort betrieben werden. In diesem Falle sollte er die Spielregeln und die besonderen Risiken seiner Zunft genau kennen.

Zunachst einmal zur Geografie: Das Pankisital liegt im Nordosten Georgiens an der Grenze zur Weinregion Kachetien, dort wo der Alasani aus dem Kaukasus tritt und in die grosse kachetische Ebene einmundet, die er aufgeschwemmt hat. Im Norden und Osten liegt die 5.000 m hohe Gebirgskette des Gro?en Kaukasus, die das Gebiet von Tschetschenien und Daghestan trennt, ein Gebirgsriegel, der nur zu Fu? oder zu Pferd und auch das nur an einen wenigen Stellen zu uberwinden ist. Ein landschaftlich nicht sonderlich attraktives Tal, ein breiter Talboden voll von Geroll und Schutt, die der Fluss jedes Jahr zur Schneeschmelze ins Tal schiebt. Es gibt weitaus schonere Gegenden in Georgien, weshalb sich im Pankisital vor der Tschetschenienkrise auch kaum ein Fremder verirrte. Denn irgendwie war im Pankisital immer die Welt zu Ende.

Interessant ist das Tal lediglich, weil in den Dorfern Birkiani und Duisi seit Jahrhunderten die sogenannten Kisten wohnen, ein muslimischer Volksstamm, der eng mit den Tschetschenen verwandt ist. Es gab nie ernsthafte Probleme im Zusammenleben der Kisten und Georgier bis zu Beginn der neunziger Jahre und dem ersten Krieg Moskaus in Tschetschenien, als erstmals tschetschenische Fluchtlinge uber die Bergpasse ins Pankisital kamen, unter ihnen auch verwundete Kampfer, die dort gesund gepflegt wurden. Beim zweiten Tschetschenienkrieg kamen erneut einige Tausend Frauen, Kinder und alte Menschen aus Tschetschenien heruber, selbstverstandlich auch begleitet von Mannern, die der Kalaschnikow und anderer Waffen machtig waren. Man munkelte immer wieder davon, dass tschetschenische Feldkommandanten im Pankisi residierten. Seither ist das Pankisital Synomym fur politische Instabilitat in Georgien, fur Verbrechen, Entfuhrungen, Drogenhandel und, um eine Moskauer Dauerklage nicht zu unterschlagen, ein Hort des Terrorismus. Dabei sollte allerdings niemals die tschetschenische Version der Verhaltnisse vergessen werden, wonach die Tschetschenen guten Rechts ihre Heimat verteidigen und die Russen die eigentlichen Terroristen sind. Nur sind die Verhaltnisse in der Welt eben so, dass sich kaum jemand dieser Version anschliessen mochte.

Zunachst einmal leidet vor allem die Bevolkerung des Pankisitals unter der Last der rund 7.000 Dauergaste aus Tschetschenien. Das sind vermutlich weitaus mehr als das Tal Einwohner hat. Wahrend das Pankisital fur Russland eine der wichtigsten Nachschubbasen fur Waffen und Kampfer der "tschetschenischen Terroristen" ist, hat Georgien dies immer weit von sich gewiesen und sich lediglich auf seine humanitare Pflicht berufen, Fluchtlinge aufzunehmen.

Glaubt man der OSZE, die seit 1999 die Grenze zwischen Georgien und Tschetschenien - und neuerdings auch die zwischen Georgien und Inguschetien - uberwacht, dann kann seit mehr als einem Jahr nahezu ausgeschlossen werden, dass die tschetschenische Kampferm die sich im Pankisital sammelten, uber Bergpfade zuruck in ihre Heimat einsickerten, um den Russen einen Partisanenkreig zu liefern. Der Stab der OSZE umfassst mehr als 40 Beobachter, die mit Hubschraubern und Bodenpatrouillen die wenigen Gebirgspasse durchaus effektiv zu kontrollieren in der Lage sind, wie Georgien-News im letzten Fruhjahr vor Ort feststellen konnte. Es sind atemraubende Helikopterfluge in den engen Schluchten und Talern des grossen Kaukasus, die die OSZE-Mission vom tuschetischen Stutzpunkt Omalo aus regelmassig unternimmt, wahrend die Bodenbeobachter - meist europaische Gebirgsjager, die fur ein halbes Jahr zur OSZE abgeordnet werden - die schmalen Trampelpfade im Hochgebirge nach nicht ortsansassigen Passanten uberprufen, auch im Winter. Aber wer ist hier schon ansassig ausser ein paar Schafhirten, die zur Sommerweide in den Hochtaelrn sind und im Herbst wieder hinunterziehen ins Alasanital. Nach Aussagen des fruheren osterreichischen Chefs dieser Beobachtermission, General Lubenik, hat seit 1999 kein einziger Tschetschene mehr diese Grenze uberschritten. Diese Feststellung erscheint auch deshalb glaubwurdig, weil auf der anderen Seite die Russen mittlerweile die gesamte tschetschenische Grenze vermint und damit unter Kontrolle haben, was Moskauer Generale allerdings nicht daran hinderte, im Schatten des amerikanischen Anti-Terror-Bombardements in Afghanistan gelegentlich auch ein paar Bomben uber georgischem Gebiet abzuwerfen. Die Anti-Terror-Koalition ist eben ein weltweit aktives Bundnis und nicht nur auf Bin Laden beschrankt.

Das Hauptproblem des Pankisitals ist weniger die Fluchtlingssituation als vielmehr die Tatsache, dass sich dort im Schatten der Fluchtlinge Waffen- und Drogenhandler und - so wird immer wieder spekuliert - auch Drogenproduzenten verschanzt haben, unter ihnen ganz sicher auch Tschetschenen, aber genauso sicher auch Leute aus Georgien und anderen Landern, auch aus Russland. Wenn es um finstere Geschafte geht, spielen die ehrenwerten Gesellschaften aller Lander bestens zusammen. Uber die Anzahl der Kriminellen gibt es unterschiedliche Angaben: Von mehr als 600 sprechen georgische Boulevard-Schlagzeilen, nicht mehr als 20 oder 30 schatzt ein zuverlassiger Informant von Georgien-News, der erst vor wenigen Tagen aus dem Pankisital zuruckkam. Und wahrend die georgische Presse davon berichtet, wie gefahrlich es im Pankisital sei, spricht unser Informant davon, dass die Lage ausserordentlich entspannt und ruhig sei.

Da sich der Drogenschmuggel uber die georgisch-russische Grenze, vor allem die daghestanische, abspielt, liegt es vor allem in russischer Verantwortung, wie dicht diese Grenze ist. Denn auch russischen Grenzern darf man jede Menge an Geschaftssinn unterstellen, so dass manche Warenstrome, die aus Zentralasien uber Daghestan in Richtung Westen fliessen, an dieser Grenze nicht unbedingt angehalten werden. Vor allem in Moskauer Berichten zur Situation im Pankisital wird dies geflissentlich ubersehen.

Im vergangenen Jahr machte das Tal Schlagzeilen wegen einiger Entfuhrungen, ein libanesischer und zwei spanische Geschaftsmanner - sie wurden vor wenigen Tagen erst entlassen - mussten einige Monate im Pankisital verbringen, derzeit ist noch ein georgischer Monch und ein azerbaidschanischer Staatsburger in der Hand von Verbrechern, die sich Millionen an Losegeldern versprechen. Glimpflich verlief dagegen vor drei Jahren die Entfuhrung zweier Mitarbeiterinnen des Internationalen Roten Kreuzes samt ihres georgischen Fahrers, sie kamen bereits wenige Tage nach ihrer Gefangennahme wieder frei.

Die georgischen Sicherheitsbehorden sind bisher nicht eingeschritten, jedenfalls nicht sonderlich erfolgreich. Der offizielle Grund: Tbilissi wollte sich nicht in den russisch-tschetschenischen Konflikt verwickeln lassen, weshalb sich Eduard Schewardnadse bis vor wenigen Monaten sogar weigerte, anzuerkennen, dass sich unter den vielen harmlosen Fluchtlingen auch einige bewaffnete, tschetschenische Kampfer befanden, teilweise sogar bekannte Feldkommandanten.

Nach neueren Informationen darf nan vermuten, dass hochrangige georgische Sicherheitsfunktionare samt deren politischer Fuhrung durchaus vom Drogenhandel profitierten, weshalb sie wenig Grunde sahen, die unkontrollierbare Situation in den Griff zu bekommen. Zwar wurde das Tal durch Sicherheitskontrollen an allen Zugangsstrassen und Wegen weitraumig abgeschnitten. Ohne Passierschein des Innenministeriums war es nicht erlaubt, das Pankisital zu betreten oder zu verlassen. Das Sicherheitsnetz war allerdings so weitmaschig geknupft, dass, wer immer es wollte, genugend Locher zum Durchschlupfen fand.

Nicht mehr zu leugnen wurde dies, als im letzten Herbst an der anderen Seite Georgiens, namlich im abchasischen Konfliktgebiet am Schwarzen Meer einige Hundert tschetschenische Kampfer auftauchten, die mit georgischen Partisanen gegen die mit den Russen verbundeten Abchasen kampften. Irgendwer, man spricht hinter vorghaltener Hand wieder von hochrangigen Funktionaren der georgischen Sicherheitsapparate, soll ihnen freies Geleit vom Pankisital zum Kodorital in Abchasien gewahrt haben. Auch der Mord an dem popularen TV-Journalisten Sanaia soll im Zusammenhang mit dem Pankisital stehen. Es wird immer wieder behauptet, Sanaia hatte Beweise fur die Verstrickung hoher Politiker in den Drogenhandel des Pankisitals gehabt. Bewiesen wurde diese Mordthese bisher allerdings nicht.

Seit einigen Wochen hat sich die regierungsamtliche Sprachregelung zum Thema Panikistal grundlegend gewandelt. Tbilissi musste einraumen, dass sich unter den Fluchtlingen im Pankisital auch bewaffnete tschetschenische Verbande befanden. Zu Hilfe kamem da sicher auch die Ereignisse vom 11. September, nach denen sich Georgien den Amerikaner als eines der ersten Lander als Alliierte im Kampf gegen den Terror angeboten hatte. Die Annaherung Russlands an Amerika in dieser Koalition durfte bewirkt haben, dass sich die georgische Regierung den russischen Wunschen nach einer Losung der Situation im Pankisital nicht mehr total verschliessen konnte, wollte sie ihre Glaubwurdigkeit als Vorkampfer gegen den internationalen Terrorismus nicht aufs Spiel setzen. Gleichzeitig zeigte sich Russlands Putin nach einem November-Treffen mit Schewardnadse in Sachen Abchasien durchaus gesprachsbereit und signalisierte, die bisherige Blockade Moskaus bei der politischen Losung aufzugeben. Da musste Schewardnadse seine starre Haltung in Sachen Pankisi aufgeben und bot dem Kremlchef Kooperation an. Da kam es dem alten Fuchs dann gerade zupass, dass er sich nach den November-Protesten in Tbilissi seiner Minister der Sicherheitsorgane entledigen und den Nachfolgern die Aufgabe prasentieren konnte, im Pankisital endlich fur Recht und Ordnung zu sorgen.

Es ist also Bewegung gekommen in diese Angelegenheit, nicht zuletzt auch auf Druck von angeblich heftigen Demonstrationen am Eingang zum Pankisital, die der Afghanistan-Veteranen-Verband begonnen hat. Wie immer bei solchen Demonstrationen in Georgien darf man ausgiebig daruber spekulieren, wer oder was denn wohl ausgerechnet den Verband der Afghanistan-Veteranen - das sind ehemalige Rote-Armee-Soldaten aus dem Afghanistan-Abenteuer der UdSSR - dazu bewogen haben mag, sich um die Sicherheit im Pankisital zu kummern. Jedenfalls beherrschte das Thema in den letzten Wochen die Schlagzeilen der georgischen Presse, die nichts unversucht lasst, das Ende der Regierung Schewardnadse herbeizuschreiben.

Mittlerweile hat der neue Innenminister die Strassenkontrollen naher an den Ort des Geschehens verlagern lassen, um das Sicherheitsnetz etwas enger zu knupfen. Ausserdem fallt auf, dass die neuen Minister der Sicherheitsorgane fleissigen Kontakt mit ihren russischen Kollegen suchen, unter anderem war der Sekretar des russischen Sicherheitsrates Wladimir Ruschailo gerade fur einige Tage in Tbilissi. Dabei stand das Thema Pankisital ganz oben auf der Themenliste, wenngleich offizielle Stellen dies dementieren. Auffallig ist, dass die angeblich heftigen Demonstrationen der Afghanistan-Veteranen, denen sich auch Georgier und Kisten aus dem Pankisital angeschlossen hatten, so uberraschend schnell aufgehort haben wie sie begonnen wurden. Anscheinend hat der Druck der Strasse ausgereicht, um Tbilissi zum Handeln, das jetzt sicher mit Moskau abgestimmt wird, zu bewegen. Und mit diesem Ergebnis durften die Afghanistan-Veteranen den Demonstrations-Ruckzug antreten. Sie hatten ihre Schuldigkeit getan.

So besteht jetzt begrundete Hoffnung, dass sich die Lage im Pankisital beruhigt, dass das Thema aus den Schlagzeilen der georgischen Presse und von der Tagesordnung des komplizierten georgisch-russischen Verhaltnisses verschwindet und dass sich die Herren Putin und Schroder bei ihrem nachsten Treffen wieder anderen Zentren des internationalen Terrorismus zuwenden konnen. Was dann noch bleibt, ist die Frage der Ruckfuhrung der tschetschenischen Fluchtlinge in ihre Heimat. Russische Unetrhandler, die angeblich uber weitreichende Sicherheitsgarantien verfugen, sollen sich bereits im Pankisital aufhalten und mit den Fluchtlingen verhandeln.

 

 


OSZE-Kontrollen an der tschetschenischen Grenze
Foto: OSZE

Nachrichten Magazin

Service

Land und Leute

Linkliste

Slide Show
Georgien Versand Shop
 

Hier konnte Ihr Werbebanner stehen. Wenn Sie Interesse an einer Werbung in Georgien-News haben, mailen Sie uns. Wir schicken Ihnen gerne unsere Preisliste mit vielfaltigen Werbemoglichkeiten.
Senden Sie eine email

{

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ERKA-Verlag ©2002