Ausgabe 1/02, 9 Februar
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Der lange Abschied des Eduard Schewardnadse

Das eigentlich Unvorstellbare nimmt langsam aber sicher Gestalt an: Die Republik Georgien ohne Eduard Schewardnadse. Seit nunmehr fast zwei Generationen gibt es für die Georgier keine andere Regel als diese, dass ohne Eduard Ambrosewitsch Schewardnadse, den Freund oder Feind gleichermassen anerkennend den weissen Fuchs nennen, nichts geht im Lande, gegen ihn schon gar nicht. Die friedlich protestierenden Studenten, die Anfang November den Präsidenten dazu zwangen, gleich sein ganzes Kabinett zu entlassen, stellten erstmals unverblümt die Frage nach seinem eigenen, vorzeitigen Rückzug aus der Politik. Während vor allem in Deutschland nach dem Regierungssturz von Tbilissi die bange Frage gestellt wird, ob Schewardnadse noch Herr der Lage in Georgien sei, ob er angesichts einer offenen Opposition und tagelanger Demonstrationen in der Hauptstadt die Probleme seines Landes noch würde lösen können, wird in Georgien eines immer deutlicher: Schewardnadse selbst wird zum Problem, zumindest die Medien kennen kaum noch ein anderes Thema als den Rücktritt des weissen Fuchses.

Dabei sind es nur noch drei Jahre, bis er verfassungsgemäss ohnehin auszuscheiden hat. Denn nach einer einmaligen Wiederwahl im Jahr 2000 ist eine dritte Kandidatur für das höchste Staatsamt ausgeschlossen. Und auf eine Verfassungsänderung zu seinen Gunsten, wie angesichts einiger Beispiele im postsowjetischen Raum immer wieder spekuliert wurde, hat er ausdrücklich verzichtet. Ein solches Ansinnen wäre auch chancenlos gewesen im selbstbewussten georgischen Parlament, in dem die Erosion der Macht Schewardnadses schon seit Monaten zu erkennen ist. Gruppe für Gruppe der vor einiger Zeit noch mit absoluter Mehrheit regierenden Bürgerunion Schewardnadses war dem alten Meister abhanden gekommen, sodaß er sich am Ende sogar dazu gezwungen sah, das sinkende Boot zu verlassen und den Parteivorsitz des eigenartigen Interessenbündnisses von unpolitischen Technokraten, engagierten Reformern und alten Betonköpfen, das er sich zur Absicherung seiner Macht mit einem geschickten Geflecht an persönlichen Beziehungen geknüpft hatte, aufzugeben. So musste er – wohl für einen allerletzten Anlauf – neue Koalitionen und neue Mehrheiten suchen und schreckte dabei nicht einmal vor Bündnissen zurück, die er selbst vor wenigen Wochen noch als absurd abgetan hätte. Georgien am Ende der Ära Schewardnadse – das wird dann wohl auch endgültig der Abschied von der Sowjetunion werden, denn allem Ansehen zum Trotz, das Schewardnadse im Westen genossen hat, hat er es hierzulande niemals vermocht, den langen Schatten der Sowjetzeit endgültig abzuschütteln.

Die Parteikarriere des Eduard Schewardnadse

Es war eine Bilderbuchkarriere, die Eduard Schewardnadse aus einem kleinen Dorf Mamati in der westgeorgischen Provinz Gurien, wo die Menschen nach allgemeiner Auffassung noch etwas schlauer und gewitzter sein sollen als im übrigen Kaukasus, in die Zentren der Moskauer Macht gebracht hatte. Der Historiker aus bestem sozialistischen Elternhaus – der Vater war Mitglied des Obersten Sowjets Georgiens, der Bruder sass im Zentralkomitee -, begann schon in den späten 40-er Jahren seine Musterkarriere im sozialistischen Jugendverband Komsomol, die ihn noch vor Abschluss des Studiums bis hin zum ersten Sekretär des ZK des Komsomol Georgiens führen sollte. 1958 schon, gerade einmal 30 Jahre alt, wurde er Vollmitglied des georgischen ZK, 1966 Vollmitglied des Politbüros Georgiens, 1976 Vollmitglied des ZK der KPdSU. Von 1972 bis 1985, als er zur Überraschung vieler von Gorbatschow zum Aussenminister der Sowjetunion berufen wurde, war Schewardnadse KP-Chef Georgiens und damit mächtigster Mann in der Kaukasus-Republik. Dazwischen sass er für einige Jahre in der georgischen Regierung, wo er als Innenminister mit Generalsrang all die Verbindungen zum Sicherheitsapparat knüpfte, die ihm Jahrzehnte später im vom Bürgerkrieg zerrütteten Georgien helfen sollten. Denn es war der Sicherheitsapparat, es waren die alten Seilschaften, die Schewardnadse in den letzten Jahren seit seiner Rückkehr nach Tbilissi die Macht abgesichert haben, woraus sich seine Nibelungentreue zu allen korrupten Ministern des Sicherheitsapparates erklärt, die er letzten Endes auf Druck der Strasse dann doch noch entlassen musste.

Bekannt wurde der junge georgische KP-Chef als Kämpfer gegen die Korruption und mutiger Wirtschaftsreformer, der die zuvor etwas verschlafene Kaukasusrepublik in die Spitzengruppe der Sowjetrepubliken führte. Der wendige Parteiführer brachte es auch fertig, dass Moskau den Plan, Georgisch als Staatssprache zu streichen und nur Russisch als Verwaltungssprache zuzulassen, zurücknahm, obwohl er – weisungsgemäss und linientreu, zuvor heftig für diese Moskauer Vorgabe gestritten hatte. Aber den Widerstand seiner Landsleute gegen eine völlige Russifizierung des öffentlichen Lebens konnte – oder wollte – Schewardnadse nicht unterdrücken. Unbarmherzig ging er allerdings mit Dissidenten und Systemkritikern um. Sein späterer Widersacher Swiad Gamsachurdia sass unter Schewardnadse als Dissident im Gefängnis, von dem er sich allerdings durch eine heute noch heftig umstrittene öffentliche Selbstanklage befreien konnte. Die beiden Herren, Hauptkontrahenten im postsowjetischen Georgien, kannten sich also schon von früheren Zeiten sehr genau. Diesem frühen Hardliner Schwewardnadse steht allerdings der Schewardnadse aus Glasnost-Zeiten gegenüber, der umstrittene Filmprojekte seiner Georgier gegen die Bedenken Moskauer Kulturbürokraten durchzusetzen vermochte.

Der Diplomat der Perestroika

Weltpolitische Bedeutung erhielt Schewardnadse, als er 1985 als Nachfolger Gromykos zum Außenminister der UdSSR berufen wurde. Schon der Auftritt des geselligen Georgiers, der auch heute noch durchaus um seinen gewinnenden Charme weiß, auf dem internationalen Parkett unterschied sich deutlich von der Bärbeissigkeit seines langjährigen Vorgängers. Und was er in der georgischen Gesellschaft als einzig mögliche Überlebensstrategie gelernt hatte, das Knüpfen und effektive Nutzen von Beziehungsnetzwerken, wurde vielleicht zum Schlüssel einer neuen sowjetischen Außenpolitik und zum Beginn einer Veränderung der Welt. Denn ohne die wirklich intensiven Freundschaften Schewardnadses zu James Baker und Hans-Dietrich Genscher, die weit über den Rahmen üblicher Freundschaften unter Politkern verschiedener Länder hinausgingen, wären einige der politischen Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte kaum vorstellbar. Während Helmut Kohl seinen späteren Freund Gorbatschow noch mit Goebbels verglich und Ronald Reagan die Sowjetunion noch als „Reich des Bösen“ bezeichnete, hatte vor allem Genscher bereits soviel Zutrauen zu Schewardnadse gefunden, dass er immer wieder daran erinnerte, die neuen Machthaber im Kreml mit ihrem Wunsch nach Veränderungen ernst zu nehmen. Dass es dabei allerdings zur völligen Auflösung der Sowjetunion kommen würde, darf man dem damaligen Moskauer Aussenminister bei aller Kreativität nicht als strategische Leistung zuschreiben. Er und sein Mentor Gorbatschow waren wohl eher umsichtige Konkursverwalter eines untergehenden Systems, das sie retten wollten, denn aktive Gestalter einer neuen Welt. Trotzdem darf sich Eduard Schewardnadse ohne Zweifel das Verdienst anrechnen, entscheidend dazu beigetragen zu haben, dass sich die Auflösung des Warschauer Paktes und der UdSSR ohne dramatische Zuspitzung und militärische Aktionen vollziehen konnte, eine Leistung, die ihm manch ein russischer General bis heute noch verübelt, woraus sich wiederum ein Teil der militärischen Unterstützung Russlands für die abtrünnige Provinz Abchasien erklärt.

Fortsetzung in der nächsten Ausgabe: Georgien am Ende der UdSSR

 

 


Der weisse Fuchs

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