Es kam wie schon einmal in diesem Jahr. Nach heftigem Getöse
und einer unglaublichen Propagandaschlacht in den Medien treffen
sich die beiden Präsidenten Putin und Schewardnadse am Rande
eines GUS-Gipfels und plötzlich liest sich alles ganz anders,
plötzlich ist die Luft raus. Russland habe keinerlei aggressiven
Intentionen gegenüber Georgien, erklärte Putin am Sonntag
spät abends in der moldawischen Hauptstadt Kischniew seinem
georgischen Gegenüber bei dem mit Spannung erwarteten Vieraugengespräch.
Keine Rede mehr von einseitigen Militäraktionen Russlands,
keine Forderung mehr nach Beteiligung russischer Einheiten an den
Operationen im Pankisi, dafür Übereinstimmung, die angeschlagenen
Beziehungen wieder auf Vordermann bringen zu wollen. Das Thema Pankisi
kann als nahezu abgearbeitet gelten, nachdem sogar der russische
Verteidigungsminister Iwanow in der moldawischen Hauptstadt vor
Presevertretern einräumen musste, die Situation an der georgisch-russischen
Grenze sei ruhig.
Was jetzt noch kommt, ist Feinarbeit, den sich die Geheimdienste
Georgiens und Russlands aufteilen, die Amerikaner sind ja längst
auch mit von der Partie im Pankisi. Denn noch sollen ein paar
von allen Seiten dringlichst gesuchte Verbrecher im Tal sein,
je nach Diktion und Tageserfordernis auch Terroristen genannt.
Die Russen haben den Georgiern eine Liste von fünf Personen
gegeben, von denen noch vier unentdeckt im Pankisi sein sollen,
und die sie unbedingt haben wollen, da sie verschiedener Sprengstoffattentate
auf Wohnhäuser in Moskau verdächtigt werden. Die Amerikaner
sollen noch auf die Verhaftung eines Mannes drängen, den
sie dringend suchen. Und dann steht ja noch der Fall Peter Shaw
zur längst versprochenen Lösung an, von dem georgische
Sicherheitsminister immer wieder mal behaupten, er werde noch
im Pankisi festgehalten, ohne jedoch irgendeinen Beweis für
diese Behauptung vorzulegen.
Der weiseste
Mann Russlands
Georgien hat zunächst einmal alles getan, um das Treffen
mit Putin richtig vorzubereiten. Die Sicherheitsoperationen im
Pankisital dauern an, internationale Beobachter bis hin zu einer
Delegation der Parlamentarischen Versammlung der NATO haben den
Georgiern bestätigt, ganze Arbeit verrichtet zu haben. In
der vergangenen Woche trafen sich Moskauer Georgier, u.a. auch
der georgische Botschafter in Russland und der bekannte Bildhauer
Tsereteli, beim Moskauer Patriarchen, der demonstrativ die Einigkeit
der orthodoxen Brüder Georgien und Russland forderte. Kurz
danach übergaben georgische Sicherheitsbehörden 5 der
13 Tschetschenen, die sie im August an der georgisch-russischen
Grenze festgenommen hatten, in einer rechststaatlich recht zweifelhaften
Aktion an Russland.
Und am Samstag erwies Eduard Schewardnadse noch kurz vor seiner
Abreise zum GUS-Gipfel mit einer Kranzniederlegung am Grab des
russischen Diplomaten Gribojedow auf dem Tbilisser Pantheon der
Moskauer Diplomatie seine Reverenz. Die feiert in diesen Tagen
den 200. Geburtstag ihres Aussenministeriums und Schewardnadse,
selbst einmal Chef dieser Mammutbehörde in Moskau, nahm den
Termin zum Anlass, einen der wichtigsten historischen Mittler
zwischen Russland und Georgien mit einem Kranz zu ehren. Alexander
Puschkin nannte den 1829 ermordeten Wissenschaftler und Diplomaten,
der auf seinen testamentarischen Wunsch in Tbilissi begraben wurde,
den "weisesten Mann Russlands". Manchmal sind es eben
die kleinen Gesten, die mithelfen, grosse Politik vorzubereiten.
Dass er bei dieser Gelegenheit seinen russischen Kollegen zu
einem Besuch Georgiens einlud, mag wohl weniger zur versöhnlichen
Stimmung des Moldawien-Treffens der beiden beigetragen haben.
Eine Georgienreise kann sich der russische Präsident derzeit
nicht leisten. Dazu wurde die Stimmung vor allem in den russischen
Medien viel zu sehr gegen Georgien aufgeheizt. Trotzdem konnte
die georgische Staatskanzlei schon am Montag morgen erklären,
die Stimmung zwischen Schewardnadse und Putin sei weitaus besser
gewesen sei, als man erwarten konnte. Putin habe sich als pragmatische
Person mit konstruktiven Vorschlägen erwiesen. Kurz nach
der Rückkehr Schewardnadses nach Tbilissi machte denn recht
schnell die Einschätzung die Runde, der georgische Staatschef
sei stolz darauf, sich immer auf das Wort Putins verlassen zu
haben. Denn der Mann habe beim Tete-a-tete seine Zusage noch einmal
bestätigt, dass es keine russischen Aggressionen gegen Georgien
geben werde. Dass er angesichts der Bockigkeit seiner eigenen
Generalität gelegentlich öffentlich anders auftreten
müsse, wird in Tbilissi verstanden. Ein sachlicher Putin,
mit dem man Absprachen treffen könne, ist den Georgiern noch
immer lieber als etwa ein unberechenbarer General oder Nationalist
vom Schlage Schirinowksis an der Spitze des Kreml. Wenn es denn
seiner Machtposition nütze, dürfe er dann auch hin und
wieder mal verbal ausrasten. Zumal die Reaktion der Internationalen
öffentlichkeit auf die Putin`schen Eruption auch seinem Generalstab
nicht verborgen geblieben kann. Die Staatengemeinschaft hat sich
unisono gegen jeden Versuch Moskaus ausgesprochen, gegenüber
Georgien gewalt anzuwenden.
Tauwetter
auf höchster Ebene
Das nüchterne Ergebnis des nächtlichen Plauschs von
Kishniew, soweit es bis jetzt erkennbar ist, ist kurz erzählt:
Putin hat seine Rede vom 11. September und die darin gemachten
Vorwürfe an Georgien nicht wiederholt. Beide Seiten wollen
die Zusammenarbeit ihrer Sicherheitsdienste aktivieren. Das ist
nichts Neues, sie koooperieren mitunter recht zuverlässig.
Darüber hinaus ist von gemeinsamen Grenzschutz-Patrouillen
entlang der georgisch-russischen Grenze die Rede. Und alle tschetschenischen
Kämpfer, die sich in georgischem Gewahrsam befinden, sollen
an Russland ausgeliefert werden. Aus russischer Sicht eigentlich
ein bescheidenes Ergebnis nach all dem Lärm, der da in den
letzten Wochen veranstaltet worden war. Trotzdem kam Schewardnadse
seinem russischen Kollegen mit der Bewertung entgegen, dass Georgien
einige der Bedingungen erfüllen werde, die Russland sinnvollerweise
von Georgien einfordere und die auch im Interesse Georgiens lägen.
Der Ältere von beiden hatte kein Problem damit, seinem jüngeren
Kollegen, der einen Tag später seinen 50. Geburtsag feierte,
ein klein wenig Vorschuss in Sachen Augenhöhe zu geben.
Dass das diplomatische Tauwetter auf höchster Ebene schon
auf die Arbeitsebene durchgedrungen ist, lässt sich an zwei
Meldungen ableiten, die sicher nicht ganz zufällig am Tage
nach dem Präsidentengipfel über die Agenturen liefen.
Zum einen ist man in Moskau davon überzeugt, dass die Bahnlinie
durch Abchasien bald wieder in Betrieb genommen werden kann. Moskau
und Tbilissi würden intensiv an der Lösung dieser Frage
arbeiten, verlautbarte der russische Transportminister. Zum anderen
soll die Arbeit der gemeinsamen Kommission zur Festlegung des
genauen Grenzverlaufs zwischen Georgien und Russland, die seit
Mai nicht mehr getagt hat, wieder aufgenommen werden. Beide Kommissionen
erwarteten sich von dem Kishniew-Treffen wichtige Impulse. Und
der englisch sprachige Georgian Messenger meldete an Putins Geburtstag,
dass die Russen die Besetzung ihrer beiden Militärbasen in
Georgien um rund 1.000 Mann reduzieren würden.
Der nächste
Gipfel kommt bestimmt
Wichtige Impulse darf man sich von diesem Treffen auch in der
Abchasienfrage erwarten. Obwohl das Thema öffentlich kaum
behandelt werden wird, dürfte es in Kishniew auf der Tagesordnung
gestanden haben. Denn beide Präsidenten wissen, dass die
Hitzköpfe auf beiden Seiten nach der Beruhigung im Pankisital
ein neues Betätigungsfeld suchen. Das Kodorital bietet sich
dafür bestens an. In den Medien wird bereits heftig aufgerüstet.
Wie man in Tbilissi hört, schalten sich derzeit insbesondere
die Amerikaner recht massiv in die Verhandlungen um Abchasien
ein, jedenfalls viel aktiver als früher. Das mag den Hardlinern
in Moskau wiederum nicht allzu sehr gefallen, man darf aber davon
ausgehen, dass die USA ihr Versprechen, sich um die Stabilität
im Kaukasus zu bemühen, auch einhalten werden.
So ist in Regierungskreisen von Tbilissi denn auch zu hören,
US-Diplomaten hätten im Vorfeld des GUS-Gipfels und natürlich
im Hintergrund wesentlich zur entspannten Atmosphäre zwischen
den beiden Präsidenten beigetragen. Eduard Schewardnadse,
der alte Fuchs, hat wohl im Spiel zwischen Russland und den USA
auf die richtige Karte gesetzt, ohne den Herzbuben aus Moskau
zu demütigen. Ob ihm sein neuer Kreuzbube aus Washington
auch bei der nächsten Runde der georgisch-russischen Auseinandersetzung
helfen kann, ist allerdings fraglich. Diese steht am 12. Oktober
an, wenn in einem Qualifikationsspiel zu Fussball-Europameisterschaft
in Tbilissi die georgische Legionärs-Nationalmannschaft ausgerechnet
auf Russland trifft. Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel.
|