Fünf
Tschetschenen als Morgengabe an Putin
Auslieferung
tschetschenischer Häftlinge an Russland ist umstritten
Im georgisch-russischen Nerven- und Propagandakrieg sind 13 tschetschenische
Häftlinge, die im August beim Versuch, die georgisch-russische
Grenze von Georgien aus zu überqueren, festgenommen wurden,
zwischen alle Fronten geraten und dienen beiden Seiten als Spielbälle
im diplomatischen Ping-Pong. Fünf dieser Häftlinge wurden
am frühen Freitag Morgen an Russland übergeben, ganz offensichtlich
als georgische Morgengabe an den russischen Präsidenten Putin
kurz vor dem mit Spanung erwarteten GUS-Gipfel im moldawischen Kischniew.
Insbesondere Menschenrechtsgruppen haben harsche Kritik an der Auslieferung
geübt, unterstützt vom Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte, der - von den Verteidigern der Tschetschenen angerufen
- die georgische Regierung unmissverständlich aufforderte,
von den Auslieferungen abzusehen. Im Pankisital war es wegen der
Auslieferungen zu Protestaktionen der lokalen Bevölkerung zusammen
mit tschetschenischen Flüchtlingen gekommen, einige tschetschenische
und kistische Frauen haben auch vor einem Gefängnis in Tbilissi
mit wütenden Protesten auf die Auslieferung reagiert.
Der georgische Staatspräsident erklärte demgegenüber
kurz vor seinem Abflug nach Kischniew, dass das Auslieferungsverfahren
legal sei, da den fünf Tschetschenen in Russland weitaus
schwerere Verbrechen zur Last gelegt würden als in Georgien.
In Georgien kann man sie nur wegen versuchten Grenzverletzung
und unerlaubtem Waffenbesitz anklagen. Schewardnadse hielt seinen
Kritikern entgegen,das Land würde durch diese Auslieferung
keineswegs ruiniert.
Wie ernst es den georgischen Behörden war, Russland mit
der Auslieferung der Tschetschenen ein Zeichen der Kooperationsbereitschaft
zu geben, lässt sich an der Tatsache ablesen, dass es bei
der Abführung der fünf aus der Untersuchungshaft zu
heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen ist. Menschenrechtsorganisationen
beklagen sich darüber, dass einige Tschetschenen bei dieser
Aktion von maskierten georgischen Polizisten brutal geschlagen
worden seien. Die Polizei wiederum erklärte, diese Tschetschenen
hätten Widerstand gegen ihre Auslieferung geleistet und den
hätte man brechen müssen.
Der Verteidiger von zwei Tschetschenen erklärte, dass seine
Mandanten bereit seien, die härteste Strafe anzunehmen, wenn
sie von einem georgischen Gericht ausgesprochen würde, aber
um ihr Leben fürchteten, wenn sie nach Russland ausgeliefert
würden. Die gesamte Auslieferungsaktion wurde von den Anwälten
als illegal bezeichnet, zumal bei einigen der Tschetschenen noch
nicht einmal die Identität einwandfrei geklärt sei.
Russlands Auslieferungsantrag richte sich gegen unbekannte Personen.
"Die Auslieferung wurde als Geheimaktion durchgeführt,
die Anwälte waren nicht eingeweiht worden, es wird ihnen
bis heute noch nicht erlaubt, mit den Gefangenen zu sprechen",
erklärte einer der Verteidiger. Ausserdem habe man der Verteidigung
keine Einsicht in das 700 Seiten starke Material gegegen, mit
dem der russische Generalstaatsanwalt die Auslieferung begründete.
Die gesamte Auslieferungsaktion wird von den Verteidigern als
illegal bezeichnet, sie verstosse gegen alle Gesetze Georgiens
und entsprechende internationale Konventionen.
Dass Georgien mit der raschen Auslieferung von Gefangenen durchaus
Erfahrung besitzt, ist der Öffentlichkeit bisher verborgen
geblieben. Im Juli wurde ein Arrestant an Russland übergeben,
der terroristischer Angriffe in Russland verdächtigt wurde.
Im Oktober vergangenen Jahres wurden bereits 13 Personen an Russland
ausgeliefert, die von Russland nach Georgien eingedrungen waren.
Und bei der Pankisi-Aktion der vergangenen Wochen sollen auch
ein paar Gefangene ohne jede grössere Auslieferungsprozedur
direkt an die USA übergeben worden sein. Im Pankisital arbeiten
die Geheimdiesnte Georgiens, Russlands und Amerikas hinter den
Kulissen der georgisch-russischen Eiszeit Hand in Hand.
Das Schicksal der übrigen acht tschetschenischen Häftlinge
ist ungewiss. Sicher ist, dass sie sich nicht sicher sein können,
nicht doch noch an Russland ausgeliefert zu werden. Wie aus Kischniew
zu erfahren war, hat Putin wohl unmissverständlich die Auslieferung
der restlichen acht Tschetschenen verlangt. Der russische Generalstaatsanwalt
erklärte zwar, die Georgier würden diese Tschetschenen
nicht ausliefern, da ihre Identität nicht geklärt sei.
Die georgische Nachrichtenagentur Civil Georgia zitiert demgegenüber
eine Quelle aus der georgischen Generalstaatsanwaltschaft, dass
sich die Sicherheitsorgane beider Seiten längst darüber
einig seien, die Gefangenen auszuliefern. Es sei aber Sache der
Politiker, den Zeitpunkt der Aktion festzulegen.
Die Auslieferung hat das bisher recht gute georgisch-tschetschenische
Verhältnis belastet. Tschetschenische Demonstranten warfen
Schewardnadse Verrat vor und drohten ihm mit persönlichen
Konsequenzen, wenn auch nur einer der Tschetschenen in russischer
Haft ums Leben käme. Der tschetschenische Präsident
Maschadow bezeichnete die Aktion als einen Fehler Georgiens, dem
er angesichts des russischen Genozids an seinem Volk eine bisher
respektable Haltung bescheinigte. Jetzt habe man sich aber dem
Druck des gemeinsamen Feindes, der "Kreml-Verbrecher"
gebeugt. Maschadow forderte Georgien auf, keine weiteren Auslieferungen
mehr zuzulassen, um das georgisch-tschetschenische Verhältnis
vor schlimmem Schaden zu bewahren. Die Tschetschenen würden
nie vergessen, dass Tausende ihrer Flüchtlinge in Georgien
Unterschlupf gefunden hätten. Maschadow rief vor allem auch
seine Landskleute in Georgien auf, besonnen zu reagieren und sich
nicht zu Provokationen hinreissen zu lassen.
Am Samstag abend überraschte dann das georgische Justizministerium
die Öffentlichkeit mit der Nachricht, dass der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte am Freitag die georgische
Regierung angewiesen habe, die Auslieferung der Tschetschenen
zu unterlassen. Der Beschluss, den die Verteidiger der Tschetschenen
angestrengt haben, sei Georgien per Fax zugeleitet worden. Nach
dieser eindeutigen Stellungnahme aus Strassburg hat sich auch
die georgische Menschenrechtsbeauftragte, Nana Devdariani, in
der Öffentlichkeit gezeigt mit der Bemerkung, dass sich durch
diese Auslieferung das Recht zum Gefangenen der Politik gemacht
habe. Hätte sie von dem Antrag der Verteidigung an den Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte früher gewusst, hätte
sie alles getan, die Entscheidung der georgischen Regierung vom
Freitag morgen zu verhindern. Frau Devdariani meldete ihren ernsten
Widerstand gegen die Auslieferung der übrigen Gefangenen
an.
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