Ausgabe 9/02, 19. Juni
Home            

 


Das vorvergangene Wochenende hatte Peter Shaw eigentlich anders geplant. Mit seiner ukrainischen Lebensgefährtin Diana wollte er nach London reisen und die Mutter des etwa vierjährigen Sohnes heiraten. Doch es kam anders. Am Abend vor der Abreise wurde er in einer mysteriösen Aktion von sieben bewaffneten Männern auf dem Heimweg von seinem Büro angehalten und entführt. Und dies vor den Augen einer zufällig vorbeikommenden Polizeistreife, die den mit Maschinengewehren ausgerüsteten Banditen, die zumindest teilweise ebenfalls Polizeiuniform trugen, nichts entgegenzusetzen hatte und die Entführer mit ihrem Opfer laufen lassen musste. "Der Mann gehört uns" sollen die maskierten Täter den Polizisten zugerufen haben und in Tbilissi wird fleissig darüber spekuliert, wer denn diesen etwas ungewöhnlichen Besitzanspruch auf den britischen Manager angemeldet haben könnte.

In Tbilissi und um Tbilissi und um Tbilissi herum herrschte wieder einmal hektischer Aktionismus. Präsident Schewardnadse höchstpersönlich hat die zuständigen Sicherheitsminister dafür verantwortlich gemacht, Peter Shaw in Kürze zu befreien, und mit ihrer Entlassung gedroht, sollten sie keinen Erfolg vorweisen können. Die Polizei kontrollierte mit Übereifer an allen Ausfallstrassen nach dem bekannten Auswahlprinzip Zufall. Die Autos der Entführer und das von Peter Shaw, mit dem die Entführer zusammen mit ihrem Opfer entkommen konnten, wurden mittlerweile gefunden. Zwei Experten von Scotland Yard sind zur Unterstützung der georgischen Sicherheitsbehörden gekommen, bislang ohne jedes Ergebnis. Und die britische Regierung lehnte es zumindest offiziell ab, irgendwelche Lösegeldforderungen der Entführer zu erfüllen. Bislang wurden keine Forderungen bekannt.

Peter Shaw ist in Tbilissi ein umstrittener Mann und seine Bank, die EU-finanzierte Agro-Bussiness Bank Georgia (ABG), geniesst nicht gerade den Ruf eines Vorzeigeprojekts. Sie war im Januar 2000 auf Inititative des georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse aus einem EU-Partnerschaftsfond für die Landwirtschaft hervorgegangen und dümpelte eher vor sich hin als dass sie Erfolgskurs aufnehmen konnte.

Ihr Jahresüberschuss 2001 vor Steuern war gerade einmal 119.000 GEL, nachdem man im Jahr zuvor einen Verlust von 53.000 GEL ausgewiesen hatte. Und dabei ist das Gehalt ihres britischen Direktors noch nicht einmal inbegriffen, denn Peter Shaw stand auf der Gehaltsliste der TACIS, das ist das EU-Entwicklungshilfeprogramm für die Staaten der ehemaligen Sowjetunion (Technical Assistance for CIS countries). Insgesamt hat die Bank in zwei Jahren Kredite von knapp 15 Millionen GEL ausgegeben, vornehmlich an den landwirtschaftlichen Sektor. Das ist eine eher bescheidene Summe. Dennoch weisst die Delegation der EU, deren Vertreter im Aufsichtsrat der Bank sitzen, trotzig darauf hin, dass die ABG nach einer Bewertung durch die georgische Nationalbank im sogenannten CAMEL-System (Capital, Assets, Management, Earnings, Liability) eine unter sechs von insgesamt 27 georgischen Banken sei, die die Note 2 erhalten hätten, und dass die ABG damit im Spitzenfeld der georgischen Banken rangiere. Die Bestnote 1 hat keine Bank erreicht.

Mehr als ein Trostpflaster ist das sicher nicht, denn es ist kein Geheimnis in Tbilissi, dass man auch seitens der EU mit der Geschäftsentwicklung der ABG nicht zufrieden sein konnte. Nicht umsonst wurde Peter Shaws Vertrag gegen seinen Willen nicht verlängert. "Wir wollten die Vergangenheit vergessen und mit einem unbelasteten Mann neu starten", erklärte ein EU-Aufsichtsrat der Bank, als ob diese schon eine lange Vergangenheit hätte. Erfolgreiche Bankmanager schickt man nicht nach zwei Jahren nach Hause. Richtiger ist wohl, dass die Bank unter Peter Shaws Führung nicht richtig aus den Startlöchern herausgekommen ist, obwohl dieser vom British Consultancy Bureau im vergangenen Jahr als "Individual Consultant of the Year" ausgezeichnet worden war. In Georgien hat diese Auszeichnung eher Kopfschütteln ausgelöst.

Wenige Tage nach der Entführung von Peter Shaw sollte in Brüssel in einer Ausschreibung ein neuer Berater gesucht werden, der anstelle von Shaw das Management der Bank übernehmen sollte. Georgische Medien deuteten die Brüsseler Ausschreibung voreilig als eine neue Finanzspritze der EU für die Bank, auf die die Entführer spekulierten. Von einer Million war die Rede. Um wieviel Geld es bei dieser Ausschreibung auch immer gehen mag, es handelt sich nur um das Honorar für das Beratungsinstitut, das die ABG auf Vordermann bringen soll.

Die Ausschreibungsbedingungen sehen vor, dass sich der neue Berater mit 5 % Anteilen in die Bank einkaufen soll. Darüberhinaus soll er eine internationale Finanzinstitution motivieren, ebenfalls Anteile an der Bank zu übernehmen, und dann die Privatisierung der Bank vorbereiten. Gedacht ist an eine Art Genossenschaftsbank, bei der die Kreditnehmer gleichzeitig auch die Anteilseigner der Bank werden, wobei anzumerken ist, dass der Genossenschaftsgedanke nach 70 Jahren Erfahrung mit real existiert habenden Genossen hierzulande nur schwer zu vermitteln ist.

Mit der Entführung von Peter Shaw ist das Projekt zunächst einmal gestoppt, wobei sich viele in Tbilissi fragen, ob den Brüsseler Entwicklungshelfern mit der Entführung nicht eine wohlfeile Ausrede in die Hände gespielt wurde für den Fall, dass es mit der ABG nicht aufwärtsgeht und keine internationalen Partner für das Konzept gefunden werden. Tatsache ist, die Reform der ABG ist vorerst auf Eis gelegt, und niemand weiss derzeit, wie und wann es mit der Privatisierung weitergehen soll. Jetzt sinds die Entführer gewesen, über die Situation der Bank und ihre Zukunft muss vorerst nicht mehr geredet werden.

Um das alles bewerten zu können, muss man ein wenig in die Geschichte der Bank einsteigen. Sie ist nicht ganz einfach zu verstehen, schon gar nicht für die georgischen Medien, die die Bank entweder mehr oder weniger mit dem Eigentum von Peter Shaw gleichsetzen oder sie zu je 50 % der EU und dem georgischen Staat zuschreiben. Beides ist falsch. Peter Shaw war kein Geschäftsmann, er war ein Berater, bezahlt vom europäischen TACIS-Programm. Von der ABG hat er bis heute keinen einzigen Tetri erhalten, versichert die EU-Delegation. Und die Bank gehört weder ihm, formal auch nicht der EU und schon gar nicht der georgischen Regierung. Diese darf nach georgischer Recht überhaupt keine Anteile an einer Bank halten.

Wie entstand diese Bank? Anfang der neunziger Jahre lieferte die EU kostenlos Mehl nach Georgien, um den damaligen dramatischen Mangel an Brot abwenden zu können. Das Mehl wurde an georgische Bäckereien, die damals noch staatlich waren, geliefert. Der Erlös aus dem Verkauf des Mehls sollte nicht direkt in den georgischen Staatshaushalt fliessen, wo er unkontrolliert verschwinden konnte, sondern musste in einen sogenannten EU-Partnerschaftsfond einbezahlt werden, mit dem gezielt der Landwirtschaft unter die Arme gegriffen werden sollte. Dieser Partnerschaftsfond hat unter anderem auch Kredite an die Landwirtschaft vergeben. Diese Kredite wurden über 22 von der EU zusammen mit der georgischen Nationalbank ausgesuchte georgische Geschäftsbanken ausgegeben, die von den 24 % Zinsen, die der Kreditnehmer zu zahlen hatte, 12 % für sich behalten durften. Dafür hatten sie das Kreditrisiko zu tragen. Mit dieser Konstruktion wollte man einerseits den kurzfristigen Mangel an Brot beheben, dann die Landwirtschaft langfristig unterstützen und ganz nebenbei auch das georgische Bankenwesen stärken.

Die Kredite wurden von einer "Credit Management Unit" (CMU) im Landwirtschaftsministerium geprüft, die von Peter Shaw als TACIS-Experte und dem georgischen Landwirtschaftsminister gemeinsam geführt wurde. Ob Peter Shaw einen Teil dieser Kredite selbst geprüft und genehmigt hat oder dies ausschliesslich durch die georgische Partnerseite, das Landwirtschaftsministerium geschah, ist nahezu unerheblich. Als EU-Projektleiter des Partnerschaftsfonds kann er aus der Verantwortung für Fehler der CMU kaum entlassen werden. Und es kam zu Fehlern, denn vier dieser Banken gerieten in grössere Schwierigkeiten, weil die Kreditnehmer ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen konnten und Peter Shaw als ebenso korrekter wie unnachgiebiger Vertreter des EU-Partnerschaftsfonds diese Banken verklagt und in den Konkurs getrieben hatte.

Warum die Kredite notleidend wurde, kann heute nicht mehr geklärt werden. Einerseits, so heisst es, seien sie nicht hinreichend seriös geprüft worden, was in der Verantwortung von Peter Shaws Partnerschaftsfond lag. Denn die im Agrargeschäft völlig unerfahrenen und überforderten lokalen Banken haben bei der Übernahme der Kreditverantwortung nur die verlockenden 12 % Zinsen gesehen und sich voll auf die Erfahrung der EU-geführten Kreditprüfer verlassen. So ist dies nicht nur bei EU-Projekten geschehen, auch andere Kreditlinien, die aus europäischen, auch deutschen Quellen gespeist wurden, konnten von den unerfahrenen georgischen Banken nur über externe Experten als Kreditprüfer vergeben werden. Das Kreditrisiko verblieb bei den Banken, die Berater hatten kein Obligo zu übernehmen.

Eine andere Version dieser Bankenkonkurse wird in Peter Shaws Mitmanager im Partnerschaftsfond, dem damaligen Landwirtschaftsminister Bakur Gulua, gesucht. Gulua wird selbst unter hiesigen Bedingungen allerseits ein besonders auffällig einnehmendes Wesen bescheinigt. Es wird vermutet, dass Guluas Leute bei der Kreditprüfung Kreditnehmer eingeschleust haben, die nie und nimmer den Willen gehabt hätten, die Kredite zurückzuzahlen. Den Schaden hatten die Banken, die durch diese Manipulationen in den Konkurs mussten.

Wenn diese Version stimmt, muss Peter Shaw auch dafür ein gewisses Mass an Verantwortung übernehmen, er war im Auftrag der EU für das Management des Partnerschaftsfonds verantwortlich. Die georgischen Medien und auch viele ausländische Kenner der Szene erklären, Peter Shaw habe sich an diesen Spielchen beteiligt und persönlich bereichert. Die EU-Delegation hingegen schliesst jede unsauberen Machenschaften durch Peter Shaw grundsätzlich aus und spricht von einer bösen Diffamierungskampagne, an der sich auch staatliche Behörden, u.a. der Staatsanwalt beteiligten. Dieser liess nämlich kurz nach der Entführung verlauten, dass er intensiv im persönlichen Umfeld Shaws recherchiere und insbesondere dessen Vermögensverhältnisse durchleuchte. Die Wahrheit wird wohl nie ans Licht kommen.

Trotzdem bleibt: Das ganze Konstrukt des EU-Partnerschaftsfonds war wohl zu blauäugig angelegt, als dass es in Georgien hätte funktionieren können. Bei einer solchen Konstellation musste selbst der ehrlichste und aufrechteste Europäer angesichts der realen Verhältnisse im Land einfach zwischen alle Mühlsteine geraten. Das wäre die positivste Variante der Affaire Peter Shaw. Jedenfalls sieht man in Tbilissi im Konkurs von vier georgischen Banken eines der möglichen Motive für die Entführung. Es gäbe genügend Leute, die aus dieser Zeit noch eine Rechnung mit Peter Shaw zu begleichen hätten, heisst es. Und selbst ein Vertreter der EU-Delegation wird in einer e-mail an Brüssel, das aus Kreisen der EU-Delegation an die Presse gespielt wurde, mit der Bemerkung zitiert: "Peter Shaw hat immer eine strikte Kreditpolitik, Kreditmanagament und Rückführung der Kredite verfolgt, was ihm viele Feinde im Land eingebracht hat."

Als man erkannt hatte, dass der Weg über georgische Partner-Banken nicht funktionieren würde, entschloss man sich, eine eigene Bank zu gründen. Auch hierfür wurde wieder ein überaus filigranes und delikates System gewählt, das jede Menge Konfliktstoff in sich birgt. Aus den Mitteln des Partnerschaftsfonds, insgesamt 6,9 Millionen GEL, wurden vier gleichstarke Stiftungen gegründet, deren Inhaberschaft die EU für sich reklamiert. Diese Stiftungen halten je 25 % der Anteile der Bank. Entsprechend einem Memorandum of Understanding zwischen der EU und der Republik Georgien, entsandten EU und die georgische Regierung zunächst je zwei Vertreter in den Aufsichtsrat der Bank, wodurch in der georgischen Öffentlichkeit der irrige Eindruck entstand, dem georgischen Staat gehörten 50 % des ABG-Kapitals.

Durch eine Gesetzesänderung musste die Zahl der Aufsichtsräte um einen erhöht werden, um Pattsituationen grundsätzlich ausschliessen zu können. Diesen Sitz hat der georgische Landwirtschaftsminister vehement für sich reklamiert, die EU konnte sich aber mit ihrem Anspruch schliesslich durchsetzen und den dritten Posten besetzen. Die Mehrheiten sind jetzt klar, zumindest solange, bis die Bank irgendwann einmal an ihre künftigen Besitzer verkauft wird. Den Verkaufserlös müssen die EU-Stiftungen dann direkt an das georgische Budget abführen, ein Umstand, der manch einem georgischen Ministerialen überhaupt nicht gefallen mag. Denn bei diesem Manöver sollen durch die Kontrolle der EU über die Stiftungen mögliche Finanzmanipulationen umgangen werden.

Ausserdem ist ein Teil der georgischen Regierung anscheinend prinzipiell gegen die genossenschaftliche Privatisierung der Bank und bevorzugt eher georgische Geschäftsbanken oder ein paar wenige kapitalkräftige Privatleute als neue Eigner. Hinter den Kulissen spielt sich wohl ein heftiger Machtkampf zwischen der EU und Vertretern der georgischen Regierung, insbesondere dem Landwirtschaftsministerium, in dieser Frage ab. Ein Ergebnis der Entführung von Peter Shaw ist, dass dieser Machtkampf vorerst nicht entschieden zu werden braucht. Denn ein neuer Berater, der die Privatisierung vorantreiben soll, wird wohl kaum nach Georgien kommen, solange Peter Shaw nicht befreit ist. Wenn es keine Gründe persönlicher Rache waren, die die Hintermänner der Entführer zu dieser Tat motivierten, dann könnte sich in Tbilissi vielleicht sogar die Frage stellen, ob mit dieser Entführung nicht die geplante Umwandlung der Stiftungs- in eine Genossenschaftsbank verhindert werden sollte. Dann wäre der Fall allerdings auf einer ganz anderen Ebene anzusiedeln.

Während die Regierung Schewardnadse den Eindruck vermittelt, den Fall rasch aufklären und vor allem Peter Shaw unversehrt befreien zu wollen, wundern sich hohe Regierungsbeamte hinter vorgehaltener Hand, dass Peter Shaw das Angebot einer Bewachung durch die Regierung abgelehnt hatte. Angesichts der ihm und der Regierung bekannten Gefährdung, die wohl im Zusammenhang mit seiner nicht nur unter Georgiern umstrittenen Geschäftspolitik steht, wurde ihm dies von der georgischen Regierung nahegelegt, vergebens. Peter Shaw fuhr auch am Abend der Entführung ohne Fahrer oder Leibwächter von seinem Büro nach Hause. Fünf Minuten zuvor hatte er seine künftige Frau noch angerufen. Seither hat sie nichts mehr von ihm gehört. Ob er mit einem Bodyguard gegen die gezielte Aktion von sieben Profis eine Chance gehabt hätte, ist sicher zu bezweifeln. Denn Shaws Ausscheiden im Zusammenhang mit der Brüsseler Ausschreibung muss Insidern lange bekannt gewesen sein. Sie konnten sich in aller Ruhe auf den Coup vorbereiten. Dementsprechend professionell haben sie auch zugeschlagen.

 


ABG Zentrale in Tbilissi


Schalterhalle


Geschäftsbericht 2002


Direktorengremium

Peter Shaw mit Eduard Schewardnadse



GN-Kommentar zu diesem Thema
Kein normales Verbrechen

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ERKA-Verlag ©2002