Ausgabe 9/02, 19. Juni
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Kein normales Verbrechen
GN-Kommentar zur Entführung von Peter Shaw


Die Entführung des britischen Bankberaters Peter Shaw wirft wieder einmal ein fahles Licht auf die Reputation Georgiens. Dabei handelt es sich nicht um ein gewöhnliches Verbrechen nach dem Strickmuster vom reichen Mann und den Millionen an Lösegeld. Nach allem, was man weiss, war Peter Shaw für eine solche Aktion ein denkbar ungeeigneter Kandidat. Und das wissen seine Kidnapper auch. Es muss ihnen also um etwas anderes gegangen sein. Entweder sollen Rechnungen beglichen werden, die, aus welchem Grund auch immer, noch offen stehen, oder das Unternehmen hat einen politischen Hintergrund.

Niemand, ausser georgischen Staatsanwälten und der allwissenden georgischen Presse, weiss derzeit wirklich, ob Peter Shaw eine weisse Weste hat oder nicht, ob er in die eigene Tasche gewirtschaftet oder sich nur im Netz eines blauäugig konstruierten Auftrags mit gerissenen Tricksern als Partner verfangen hat. Beide Varianten sind möglich, rechtfertigen aber keineswegs die Gewaltanwendung gegen den britischen Bankberater. Und sie rechtfertigen auch nicht die klammheimliche Freude, die viele empfinden. Dass Peter Shaw alles andere als einen guten Ruf in Tbilissi genoss, unter Georgiern sowieso, aber auch unter Ausländern, kann ihn noch lange nicht zum Freiwild für Gangster und eine hungrige Pressemeute machen. In einem Rechtsstaat, der Georgien ja werden will, sind für die Klärung solcher Vorwürfe einzig und allein die Gerichte zuständig. Selbstjustiz nach der Methode Kalaschnikow sind mit dem Wunsch Georgiens, Mitglied der EU und NATO zu werden, kaum zu vereinbaren. Das Verteidigungsbündnis begreift sich in erster Linie auch als ein Wertebündnis. Das müsste eigentlich auch in den Kaukasus durchgedrungen sein. Und Vorverurteilungen in der Presse, die sich nur auf Gerüchte stützen, haben mit Pressefreiheit nichts zu tun. Bis zum gerichtlich anerkannten Beweis und Urteil hat auch Peter Shaw zunächst einmal als unschuldig zu gelten.

Trotzdem und gerade deshalb muss sich der Dienstherr in Brüssel die Frage nach der Mitverantwortung gefallen lassen, vor allem die Frage, warum man den umstrittenen Berater nicht früher und vor allem geräuschlos und ohne Terminankündigung aus dem Verkehr gezogen und damit in Sicherheit gebracht hat. Vielleicht hätte es dann diese Entführung überhaupt nicht gegeben.

Ein normales Verbrechen ist diese Entführung nicht. Sie kann auch nicht verallgemeinernd herangezogen werden, wenn es um die Sicherheitslage für Ausländer im Lande geht. Zumindest beim Coctail wird dies auch von westlichen Diplomaten bestätigt. Die georgischen Behörden können den Schaden, den ihr Land wieder einmal genommen hat, nur dadurch abmindern, dass sie Peter Shaw schnell befreien und endlich einmal die Täter ermitteln, verhaften und den Gerichten zur Aburteilung überstellen.

Die EU hat nach dem Mord an ihrem Mitarbeiter Günter Beuchel im Dezember, über den es ebenfalls recht mysteriöse Umstände zu berichten gäbe, erneut einige Hausaufgaben zum Thema Personalauswahl, Personalführung und Fürsorgepflicht des Dienstherrn abzuarbeiten. Und zum Thema wirtschaftliche Zusammenarbeit mit georgischen Strukturen. Aus dieser Geschichte wird auch die EU nicht ohne Beschädigung hervorgehen. Vielleicht ist man in Brüssel wenigstens lernfähig.

Rainer Kaufmann

 

Hintergrund zu diesem Kommentar
Entführt: Peter Shaw

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ERKA-Verlag ©2002