Ausgabe 6/03
16. April
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Unter den nicht orthodoxen Kirchen und Glaubensgemeinschaften ist die Evangelisch-Baptistische Kirche von Georgien die "georgischste", wenngleich die Entstehung dieser Kirche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im wesentlichen Nichtgeorgiern zu verdanken ist. Keimzelle der Baptisten waren die russischen Molokaner. Das waren Christen, die sich wegen des Prunks wie auch der autoritären Führung der russischen Orthodoxie von dieser losgesagt hatten und ihren Glauben ohne Liturgie, ohne Ikonen und vo allem ohne Klerus pflegten. In ihrem Widerstand gegen alles, was nach organisierter Kirche aussah, akzeptierten die Molokaner nicht einmal die Taufe. Dem russischen Zaren erschienen die Molokaner - der Name wird mit dem russischen Wort Milch "Moloko" erklärt, da die Molokaner jeglichem Genuss von Alkohol entsagten - so suspekt, dass er sie an die Grenzen seines Riesenreiches verbannte, nach Sibirien und in den Südkaukasus.


So gab es in Tbilissi und einigen anderen Orten in Georgien eine ansehnliche Zahl an exilierten russischen Christen, die sich keiner Kirche angehörig fühlten. Auf sie traf in der zweiten Hälfte der 60-er Jahre des vorletzten Jahrhunderts der deutsche Kaufmann Martin Kallweit aus Wilnius, ein Baptist, der einen der Führer der Molokaner davon überzeugte, dass Christentum ohne Taufe nicht möglich sei. Am 20. August 1867 taufte er dann Nikita Woronin in der Kura, die baptistische Kirche von Georgien war gegründet, auch die baptistische Bewegung im russischen Reich, die von Tbilissi aus ihre Kreise zog.

Heute zählt der Vorsitzende Bischof der georgischen Baptisten, Malchaz Songulaschwili, 17.000 Gläubige in vier Diözesen mit insgesamt 60 Gemeinden, sieben davon in Tbilissi. Die überwiegende Mehrheit seiner Kirchenmitglieder sind ethnisch Georgier, aber es gibt - auch in Tbilissi - noch Gemeinden, die russisch, armenisch und ossetisch sprechen und in diesen Sprachen ihren Gottesdienst abhalten. Mit dem Begriff "Vorsitzender Bischof" ist ein wesentliches Merkmal der Baptisten umschrieben: die innerkirchliche Demokratie. Das Kirchenoberhaupt muss sich alle vier Jahre der Wiederwahl einer Versammlung stellen, in der Laienvertreter und Klerus gemeinsam Stimmrecht haben. Er führt seine Kirche auch nicht patriarchalisch, sondern versteht sich als Vorsitzender einer demokratisch organisierten Kirchenleitung.

Das Wesen seiner Kirche beschreibt Malchas Songulaschili damit, dass sie sowohl die Tradition des orthodoxen Christentums als auch die der radikalen europäischen Reformer verkörpere. So findet man in der Baptistenkirche in der Kedia-Strasse orthodox beeinflusste Wandmalereien, da zünden die Gläubigen auch mal die aus der Orthodoxie bekannten kleinen gelben Wachskerzchen an. Daneben

prägen amerikanische Einflüsse wie liturgische Tänze oder Rollenspiele den Gottesdienst ebenso wie die Predigt und das Gebet, das im Zentrum etwa der europäisch protestantischen Gottesdienste steht. Sanctus und Kyrie eleison stehen in der römisch-katholischen Tradition. Georgisch geprägte Gesänge, traditionelle sowie modern-schlagerartige, runden die georgisch-baptistische Liturgie ab.

Malchas Songulaschwili erklärt dieses Mix an Stilrichtungen mit der Überzeugung der Baptisten-Kirche, Mitglied der universellen Kirche der Christenheit zu sein. Alles, was helfe, die Botschaft des Evangeliums und die eigene Glaubensüberzeugung auszudrücken, sei willkommen, egal welcher christlicher Tradition es entstamme. So hätten die molokanisch geprägten Baptisten Georgiens auch früh eingesehen, dass sie sich der kontemplativen Kultur der georgischen Orthodoxie zu öffnen hätten. Ebenso hätten sie auch sehr früh eingesehen, dass in einem Land wie Georgien, in dem der Wein ein wichtiger Bestandteil der kulturellen Identifikation darstellt, ein strikter Prohibitismus wenig Chancen hatte, zu überleben. Der erst 40-jährige Bischof selbst sieht seine persönlichen Wurzeln denn auch in den Traditionen der Orthodoxie wie der europäischen Reformkirchen. Die georgischen Baptisten sind daher auch besonders stark in der ökumenischen Bewegung Georgiens engagiert.

Umso unverständlicher ist es für den Kirchenführer auch, dass seine Kirche in jüngster Zeit ebenso wie die anderer christlicher Glaubensgemeinschaften in Tbilissi unter starken Druck extremistischer ortdoxoer Gruppen geraten ist. Im vergangenen Jahr wurde erstmals ein LKW mit Bibeln und entsprechender Literatur aufgebracht und alle Schriftwerke verbrannt. Im Januar diesen Jahres sprengten aufgehetzte Anhänger des in Gldani residierenden Priesters Basil Mkalawischwili, der selbst von der Orthodoxie exkommuniziert wurde, ein ökumenisches Friedensgebet in der Baptistischen Kirche. Es kam zu Handgreiflichkeiten, eine größere Katastrophe konnte nur dadurch vermieden werden, dass der Gottesdienst abgesagt wurde und die Gemeinschaft der nicht orthodoxen Gläubigen sich dem Strassendiktat der orthodoxen Fundamentalisten beugte.

Regierungschef Awtandil Dschorbenadse kam einige Wochen später in die Baptistenkirche, um eine öffentliche Entschuldigung des georgischen Präsidenten zu überbringen und am 14. März konnte das ökumenische Gebet dann wiederholt werden, diesmal mit demonstrativer Beteiligung des georgischen Staatspräsidenten und der Botschafter aller europäischer Staaten. Eine Rede Schewardnadses bei diesem Gottesdienst, an dem auch ein Erzpriester der Orthodoxie, Basil Kobachidse, teilnahm, war nicht vorgesehen. Spontan entschloss sich das Staatsoberhaupt jedoch, am Ende der Zeremonie das Wort zu ergreifen. Dabei verurteilte er die Übergriffe religiöser Eiferer auf die Minderheiten-Religionen und sicherte allen Glaubensgemeinschaften den Schutz des Staates zu. (Siehe auch: Englische Übersetzung der Ansprache Eduard Schewardnadses)

Diese Haltung scheint sich jedoch nicht in allen georgischen Ministerien herumgesprochen zu haben. Denn gerade erst hat das Justizministerium einen Antrag der Baptisten, in den Gefängnissen des Landes mit Kleider-, Sach- und Lebensmittelspenden den dort herrschenden katastrophalen Zuständen wenigstens ein klein wenig abhelfen zu wollen, eine Absage erteilt mit der offiziellen Begründung, man betrachte diese Aktion als Versuch des Proselythentums. Darunter versteht man das Anwerben von Gläubigen durch finanzielle oder materielle Vorteile, die man diesen verspricht. Für die Aktion hatten die Baptisten unter ihren Gemeindemitgliedern Geld und Sachspenden gesammelt, die man dann in Gefängnissen verteilen wollte.

Solche Aktionen verkörpern eine weitere Tradition der Baptisten: das soziale Engagement. Zu jeder Fastenzeit vor Ostern wird Woche für Woche ein Sozialthema in den Mittelpunkt des Gottesdienstes gestellt. In diesem Jahr ging es in der ersten Woche um behinderte Kinder, eines der ganz grossen Tabuthemen in der georgischen Gesellschaft, in der behinderte Kinder aus der Öffentlichkeit nahezu völlig verbannt sind. Deshalb besuchten die Baptisten einige Einrichtungen für Behinderte oder Familien mit behinderten Kindern. In der zweiten Woche richteten die baptistischen Priester die Aufmerksamkeit ihrer Gläubigen auf die drängenden ökologischen Probleme des Landes und sammelten in einer gemeinsamen Aktion den überall in der Stadt großzügig verteilten Straßenmüll ein. In der dritten Woche wurde das Schicksal von jungen Witwen aufgearbeitet, die in der traditionellen georgischen Dorfgemeinschaft mehr oder weniger von der gesellschaftlichen Entwicklung ausgegrenzt werden. Dazu passt, dass bei den Baptisten selbstverständlich auch Frauen ein Priesteramt ausfüllen können, hierzulande eine mittlere Revolution. Jetzt, in der vierten Woche, hatte man sich der Strafgefangenen gewidmet und musste dabei das enttäuschenden Ergebnis hinnehmen: Dem georgischen Staat ist die Hilfe einer nicht orthodoxen Kirche nicht willkommen.

Die Sozialarbeit ist ohnehin einer der Schwerpunkte der Baptisten. Darin unterscheiden sie sich insbesondere von der Orthodoxie, in der die Tradition gesellschaftlichen Engagements weniger ausgeprägt ist. Dabei setzen die Baptisten nicht nur auf die Unterstützung, die sie aus dem Ausland erhalten. Sie fordern ihre eigenen Gemeindemitglieder auch immer wieder zum Engagement auf. So hat man beispielsweise als einzige georgische Kirche tatkräftig die tschetschenischen Flüchtlinge im Pankisital mit Geld- und Sachspenden unterstützt, obwohl das georgisch-tschetschenische Verhältnis mit einigen historischen Hypotheken belastet ist. "Aber das war eine wunderbare Erfahung für uns selbst" resumiert Bischof Songulaschwili dieses Engagement, da man gelernt habe, Menschen zu helfen, denen man jahrhundertelang mehr oder weniger reserviert, wenn nicht gar feindlich gegenüber gestanden hätte.

Daneben beschäftigt die baptistische Kirche derzeit 54 haupt- und ehrenamtliche MitarbeiterInnen in der Diakonie. Sie betreuen landesweit 560 alleinstehende Patienten, die regelmässig besucht und mit Schwesterndiensten versorgt werden. Um die Arbeit der Baptisten-Diakonie verstärken zu können, baut man derzeit am Rande von Didi Digomi ein großes, dreiflügeliges Diakonie- und Studienzentrum. Untergebracht werden soll ein Altersheim, Wohnungen für alleinstehende Mütter, ein Studienkolleg und ein Tagungszentrum. Mit diesem stattlichen Neubau soll das soziale Element der baptistischen Kirche neue Impulse erhalten.

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