Unter den nicht orthodoxen Kirchen und Glaubensgemeinschaften ist die
Evangelisch-Baptistische Kirche von Georgien die "georgischste",
wenngleich die Entstehung dieser Kirche in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts im wesentlichen Nichtgeorgiern zu verdanken ist. Keimzelle
der Baptisten waren die russischen Molokaner. Das waren Christen, die sich
wegen des Prunks wie auch der autoritären Führung der russischen
Orthodoxie von dieser losgesagt hatten und ihren Glauben ohne Liturgie,
ohne Ikonen und vo allem ohne Klerus pflegten. In ihrem Widerstand gegen
alles, was nach organisierter Kirche aussah, akzeptierten die Molokaner
nicht einmal die Taufe. Dem russischen Zaren erschienen die Molokaner -
der Name wird mit dem russischen Wort Milch "Moloko" erklärt,
da die Molokaner jeglichem Genuss von Alkohol entsagten - so suspekt, dass
er sie an die Grenzen seines Riesenreiches verbannte, nach Sibirien und
in den Südkaukasus. So gab es in Tbilissi und einigen anderen Orten in Georgien eine ansehnliche
Zahl an exilierten russischen Christen, die sich keiner Kirche angehörig
fühlten. Auf sie traf in der zweiten Hälfte der 60-er Jahre
des vorletzten Jahrhunderts der deutsche Kaufmann Martin Kallweit aus
Wilnius, ein Baptist, der einen der Führer der Molokaner davon überzeugte,
dass Christentum ohne Taufe nicht möglich sei. Am 20. August 1867
taufte er dann Nikita Woronin in der Kura, die baptistische Kirche von
Georgien war gegründet, auch die baptistische Bewegung im russischen
Reich, die von Tbilissi aus ihre Kreise zog. Heute zählt der Vorsitzende Bischof der georgischen Baptisten, Malchaz
Songulaschwili, 17.000 Gläubige in vier Diözesen mit insgesamt
60 Gemeinden, sieben davon in Tbilissi. Die überwiegende Mehrheit
seiner Kirchenmitglieder sind ethnisch Georgier, aber es gibt - auch in
Tbilissi - noch Gemeinden, die russisch, armenisch und ossetisch sprechen
und in diesen Sprachen ihren Gottesdienst abhalten. Mit dem Begriff "Vorsitzender
Bischof" ist ein wesentliches Merkmal der Baptisten umschrieben:
die innerkirchliche Demokratie. Das Kirchenoberhaupt muss sich alle vier
Jahre der Wiederwahl einer Versammlung stellen, in der Laienvertreter
und Klerus gemeinsam Stimmrecht haben. Er führt seine Kirche auch
nicht patriarchalisch, sondern versteht sich als Vorsitzender einer demokratisch
organisierten Kirchenleitung. Das Wesen seiner Kirche beschreibt Malchas Songulaschili damit, dass sie sowohl die Tradition des orthodoxen Christentums als auch die der radikalen europäischen Reformer verkörpere. So findet man in der Baptistenkirche in der Kedia-Strasse orthodox beeinflusste Wandmalereien, da zünden die Gläubigen auch mal die aus der Orthodoxie bekannten kleinen gelben Wachskerzchen an. Daneben prägen amerikanische Einflüsse wie liturgische Tänze oder
Rollenspiele den Gottesdienst ebenso wie die Predigt und das Gebet, das
im Zentrum etwa der europäisch protestantischen Gottesdienste steht.
Sanctus und Kyrie eleison stehen in der römisch-katholischen Tradition.
Georgisch geprägte Gesänge, traditionelle sowie modern-schlagerartige,
runden die georgisch-baptistische Liturgie ab. Malchas Songulaschwili erklärt dieses Mix an Stilrichtungen mit
der Überzeugung der Baptisten-Kirche, Mitglied der universellen Kirche
der Christenheit zu sein. Alles, was helfe, die Botschaft des Evangeliums
und die eigene Glaubensüberzeugung auszudrücken, sei willkommen,
egal welcher christlicher Tradition es entstamme. So hätten die molokanisch
geprägten Baptisten Georgiens auch früh eingesehen, dass sie
sich der kontemplativen Kultur der georgischen Orthodoxie zu öffnen
hätten. Ebenso hätten sie auch sehr früh eingesehen, dass
in einem Land wie Georgien, in dem der Wein ein wichtiger Bestandteil
der kulturellen Identifikation darstellt, ein strikter Prohibitismus wenig
Chancen hatte, zu überleben. Der erst 40-jährige Bischof selbst
sieht seine persönlichen Wurzeln denn auch in den Traditionen der
Orthodoxie wie der europäischen Reformkirchen. Die georgischen Baptisten
sind daher auch besonders stark in der ökumenischen Bewegung Georgiens
engagiert. Umso unverständlicher ist es für den Kirchenführer auch,
dass seine Kirche in jüngster Zeit ebenso wie die anderer christlicher
Glaubensgemeinschaften in Tbilissi unter starken Druck extremistischer
ortdoxoer Gruppen geraten ist. Im vergangenen Jahr wurde erstmals ein
LKW mit Bibeln und entsprechender Literatur aufgebracht und alle Schriftwerke
verbrannt. Im Januar diesen Jahres sprengten aufgehetzte Anhänger
des in Gldani residierenden Priesters Basil Mkalawischwili, der selbst
von der Orthodoxie exkommuniziert wurde, ein ökumenisches Friedensgebet
in der Baptistischen Kirche. Es kam zu Handgreiflichkeiten, eine größere
Katastrophe konnte nur dadurch vermieden werden, dass der Gottesdienst
abgesagt wurde und die Gemeinschaft der nicht orthodoxen Gläubigen
sich dem Strassendiktat der orthodoxen Fundamentalisten beugte. Regierungschef Awtandil Dschorbenadse kam einige Wochen später in
die Baptistenkirche, um eine öffentliche Entschuldigung des georgischen
Präsidenten zu überbringen und am 14. März konnte das ökumenische
Gebet dann wiederholt werden, diesmal mit demonstrativer Beteiligung des
georgischen Staatspräsidenten und der Botschafter aller europäischer
Staaten. Eine Rede Schewardnadses bei diesem Gottesdienst, an dem auch
ein Erzpriester der Orthodoxie, Basil Kobachidse, teilnahm, war nicht
vorgesehen. Spontan entschloss sich das Staatsoberhaupt jedoch, am Ende
der Zeremonie das Wort zu ergreifen. Dabei verurteilte er die Übergriffe
religiöser Eiferer auf die Minderheiten-Religionen und sicherte allen
Glaubensgemeinschaften den Schutz des Staates zu. (Siehe auch: Englische
Übersetzung der Ansprache Eduard Schewardnadses) Diese Haltung scheint sich jedoch nicht in allen georgischen Ministerien herumgesprochen zu haben. Denn gerade erst hat das Justizministerium einen Antrag der Baptisten, in den Gefängnissen des Landes mit Kleider-, Sach- und Lebensmittelspenden den dort herrschenden katastrophalen Zuständen wenigstens ein klein wenig abhelfen zu wollen, eine Absage erteilt mit der offiziellen Begründung, man betrachte diese Aktion als Versuch des Proselythentums. Darunter versteht man das Anwerben von Gläubigen durch finanzielle oder materielle Vorteile, die man diesen verspricht. Für die Aktion hatten die Baptisten unter ihren Gemeindemitgliedern Geld und Sachspenden gesammelt, die man dann in Gefängnissen verteilen wollte. Solche Aktionen verkörpern eine weitere Tradition der Baptisten:
das soziale Engagement. Zu jeder Fastenzeit vor Ostern wird Woche für
Woche ein Sozialthema in den Mittelpunkt des Gottesdienstes gestellt.
In diesem Jahr ging es in der ersten Woche um behinderte Kinder, eines
der ganz grossen Tabuthemen in der georgischen Gesellschaft, in der behinderte
Kinder aus der Öffentlichkeit nahezu völlig verbannt sind. Deshalb
besuchten die Baptisten einige Einrichtungen für Behinderte oder
Familien mit behinderten Kindern. In der zweiten Woche richteten die baptistischen
Priester die Aufmerksamkeit ihrer Gläubigen auf die drängenden
ökologischen Probleme des Landes und sammelten in einer gemeinsamen
Aktion den überall in der Stadt großzügig verteilten Straßenmüll
ein. In der dritten Woche wurde das Schicksal von jungen Witwen aufgearbeitet,
die in der traditionellen georgischen Dorfgemeinschaft mehr oder weniger
von der gesellschaftlichen Entwicklung ausgegrenzt werden. Dazu passt,
dass bei den Baptisten selbstverständlich auch Frauen ein Priesteramt
ausfüllen können, hierzulande eine mittlere Revolution. Jetzt,
in der vierten Woche, hatte man sich der Strafgefangenen gewidmet und
musste dabei das enttäuschenden Ergebnis hinnehmen: Dem georgischen
Staat ist die Hilfe einer nicht orthodoxen Kirche nicht willkommen. Die Sozialarbeit ist ohnehin einer der Schwerpunkte der Baptisten. Darin
unterscheiden sie sich insbesondere von der Orthodoxie, in der die Tradition
gesellschaftlichen Engagements weniger ausgeprägt ist. Dabei setzen
die Baptisten nicht nur auf die Unterstützung, die sie aus dem Ausland
erhalten. Sie fordern ihre eigenen Gemeindemitglieder auch immer wieder
zum Engagement auf. So hat man beispielsweise als einzige georgische Kirche
tatkräftig die tschetschenischen Flüchtlinge im Pankisital mit
Geld- und Sachspenden unterstützt, obwohl das georgisch-tschetschenische
Verhältnis mit einigen historischen Hypotheken belastet ist. "Aber
das war eine wunderbare Erfahung für uns selbst" resumiert Bischof
Songulaschwili dieses Engagement, da man gelernt habe, Menschen zu helfen,
denen man jahrhundertelang mehr oder weniger reserviert, wenn nicht gar
feindlich gegenüber gestanden hätte. Daneben beschäftigt die baptistische Kirche derzeit 54 haupt- und ehrenamtliche MitarbeiterInnen in der Diakonie. Sie betreuen landesweit 560 alleinstehende Patienten, die regelmässig besucht und mit Schwesterndiensten versorgt werden. Um die Arbeit der Baptisten-Diakonie verstärken zu können, baut man derzeit am Rande von Didi Digomi ein großes, dreiflügeliges Diakonie- und Studienzentrum. Untergebracht werden soll ein Altersheim, Wohnungen für alleinstehende Mütter, ein Studienkolleg und ein Tagungszentrum. Mit diesem stattlichen Neubau soll das soziale Element der baptistischen Kirche neue Impulse erhalten. |