Ausgabe 5/03
3. April
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Natürlich kommt das Gespräch recht schnell zum aktuellen Thema Nr. 1, dem Krieg im Irak. Dr. Konstantin Gabaschwili, Georgiens Botschafter in Deutschland seit 1994, ist ein durch und durch politischer Mensch, einer, der politische Position bezieht, wenn's sein muss, und nicht um die Dinge herumredet, wenngleich ihn sein Lebenslauf zunächst einmal als Wissenschaftler ausweist. Aber vielleicht ist es gerade die Konkretheit des Wissenschaftlers, die ihn bei unserer Begegnung daran hindert, sich in unklaren aber wohl formulierten diplomatischen Sentenzen zu ergehen und sofort auf den Punkt zu kommen, auch wenn der Irak heißt und keinem in der Welt gegenwärtig angenehm sein kann.

Der Orientalist kam mit dem Niedergang der UdSSR in die Politik. Sein Politischer Lebenslauf in Kürze, davor war der heute 55-jährige Universitätsdozent und wissenschaftlicher Leiter des Netzes deutscher Schulen in Georgien: 1989 stellvertretender Bildungsminister, 1992 Parlamentsabgeordneter und Mitglied des Staatsrates, der eigentlichen Exekutive der jungen georgischen Republik, ein paar Monate Bildungsminister, später Oberbürgermeister von Tbilissi, bevor ihn Eduard Schewardnadse an den Rhein schickte. Jetzt residiert er an der Spree und ist neuerdings auch noch Botschafter in Polen, weshalb seine Amtszeit als Botschafter über den ansonsten üblichen Zeitrahmen von fünf plus zwei Jahren verlängert werden konnte. Wenn alles hinhaut, werde er die Weltmeisterschaft 2006 noch in Deutschland erleben, erklärt er mit einem schelmischen Lächeln. Dann reiche es auch. Dann habe er seinen Job getan, dann könnten andere weitermachen. Welcher Georgier wüsste nicht, die ernsten Pflichten seines Lebens wenigstens hie und da mit etwas Angenehmem zu verbinden. Konstantin Gabaschwili macht da keine Ausnahme.

Also Kote Gabaschwili, wie ihn seine Bekannten nennen, kommt recht schnell zum Thema Irak, als wir ihn vor einer Woche in der Berliner Botschaft Georgiens in der Heinrich-Mann-Straße besuchten. Als kleines Land müsse Georgien seine europäischen wie amerikanischen Interessen ausbalancieren. Und das sei gegenwärtig nicht gerade leicht. Die Gegensätze zwischen den beiden Hauptpartnern Georgiens, das sind nun einmal die USA und Deutschland, seien schmerzlich und nicht gut für sein Land. Einerseits verstehe er vor allem die moralische Motivation der deutschen Position, die den Krieg ablehnt, andererseits akzeptiere er aber auch die Position Amerikas als einziger Weltmacht im Kampf gegen den Terrorismus, versucht er den Spagat zwischen der Loyalität zu seinem deutschen Gastgeber und zur neuen georgischen Schutzmacht, den USA, wobei er keinen Zweifel daran lässt, dass er den Krieg für ebenso unausweichlich hält wie die Entscheidung seines Landes, sich der Koalition der Willigen anzuschließen. Welche Chance hätte Georgien denn auch gehabt? Denn es seien die USA gewesen, die Russland in den letzten Jahren die "rote Linie" im Kaukasus aufgezeigt haben, die es nicht mehr überschreiten könne, und damit Georgiens Souveränität schützten. Mit den USA als wichtigstem Freund habe Georgien jetzt ein hoch entwickeltes Land an seiner Seite, während die Alternative Russland eben selbst noch eine Art Entwicklungsland sei mit eigenen Sorgen und Problemen, die es zu lösen habe. Damit sei Georgien erstmals in seiner Geschichte auf der Seite von Ländern, den USA und Europa, denen man nicht die Absicht der Annektion unterstellen könne sondern die ehrlich an der Brückenfunktion Georgiens interessiert seien.

Diese Brückenfunktion gefunden zu haben, bezeichnet Gabaschwili als das wichtigste Ergebnis der letzten zehn Jahre georgischer Politik. Dem sei alles andere unterzuordnen, alle ungelösten Probleme, wobei er einräumte, dass es nicht eben leicht sei, ein Land wie Georgien zu repräsentieren, ein Land, dem gemeinhin nur die Eigenschaften chaotisch, korrupt und kriminell anhaften. Er versucht es eben über die Kultur, ein Produkt Georgiens, das über alle Zweifel erhaben ist: Konzerte, Ausstellungen, kultureller Austausch.

Denn auch wirtschaftlich läuft nicht alles so wie es sich der Botschafter in seinen Idealvorstellungen ausdenkt. Für deutsche Unternehmen sei Hermes eine Religion, und da Hermes wegen der Beschränkung georgischer Staatsgarantien nicht funktioniere, spielt sich auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Zusammenarbeit eben nicht das ab, was eigentlich wünschenswert und möglich sei. Trotzdem rangiert Deutschland als Handelspartner Georgiens auf Rang vier, was wohl vor allem den deutschen Exporten von Konsumgütern nach Georgien geschuldet ist. Umgekehrt sieht`s nicht ganz so gut aus, auch nicht, wenn man nach der Rolle der deutschen Wirtschaft in Georgien fragt. Ein bisschen mehr an Risikobereitschaft würde sich der Botschafter schon wünschen, wenngleich er nicht verkennen kann, dass sich die deutsche Wirtschaft mit ihrem Engagement in Ostdeutschland doch ganz erheblich verausgabt habe und deshalb die Ressourcen der deutschen Wirtschaft für Investitionen in einem "Risikoland" wie Georgien eben begrenzt seien.

Dafür bedankt sich der Botschafter für die umfangreichen Hilfen aus der Bundesrepublik und anderen westlichen Ländern, die meist in Form von Beratungsleistungen erbracht würden, wobei er offen genug ist, zuzugeben, dass nicht jede Form der Beratung vergangener Jahre die gewünschten Früchte gezeigt habe. Und nicht jeder westliche Consultant, der nach Georgien gekommen sei, habe ausschließlich die Interessen Georgiens im Auge gehabt. Das Beratungswesen, lässt Kote Gabaschwili diplomatisch verklausuliert durchblicken, sei eben auch nur ein Gewerbe, in dem manch einer mehr an sich und sein Wohlergehen denke als an den Auftrag, den er habe, und das Land, das er berate. Er wünschte sich gelegentlich, dass die Hilfe für sein Land künftig direkter in die Wirtschaft fließen könnten, etwa in den Aufbau einer Lebensmittel verarbeitenden Industrie und deren Marketing, damit die Landwirtschaft Georgiens endlich eine Chance bekomme, sich zu entwickeln. Diesen Vorschlag habe er öfter gemacht, in Deutschland wie in Georgien, aber bis heute nur eine verhaltene Reaktion gefunden.

Offen ist er auch in Sachen georgischer Schwerindustrie, deren Kolosse er als ein Relikt der Sowjetideologie erklärt. Diese Industriegiganten seien in die Landschaft geklotzt worden, um die bodenständige Landbevölkerung zu vereinheitlichen, zu sowjetisieren, zu systematisieren und sie ihren Wurzeln, ihrer Geschichte und ihrer angestammten Heimat zu entfremden. Jedem, der den Niedergang der georgischen Industrie beklagt, hält Kote Gabaschwili diesen Aspekt entgegen und stellt die Frage, warum der Staat an diesen Kolossen noch festhalte anstatt sie einfach zu demontieren und zu verschrotten. Georgien sei nun mal kein klassisches Industrieland und die Wirtschaft des Landes kranke auch daran, dass sie sich mit den "Errungenschaften" des real existiert habenden Sozialismus herumplagen müsse, ohne die Hilfeleistungen erhalten zu haben, mit denen man etwa in Ostdeutschland oder im Baltikum eingesprungen sei, um den Schritt von der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft zu organisieren. Und wer wisse, wie schwer sich der Osten Deutschlands trotz der Milliardenhilfe aus dem Westen noch immer mit der neuen Situation tue, würde die Probleme eines kleinen Landes wie Georgien eher verstehen.

Konstantin Gabaschwili bekennt sich dazu, eindeutig westlich orientiert zu sein und marktwirtschaftlich. In dieser Orientierung sieht er auch die einzige Chance für sein Land. Keine Frage, dass er auch das wesentliche Verdienst seines Präsidenten darin sieht, diese Orientierung unumkehrbar gemacht zu haben. Dies muss zu der Frage führen, welche Kräfte denn nach Schewardnadse kommen könnten, und ob diese in der Lage seien, das Erbe des Mannes anzutreten, den man nicht nur in Georgien des weißen Fuchs nennt. Einen Nachfolger, dem der Schuh Schewardnadses passe, gibt es nicht, sagt er, aber, er traut es den verschiedenen Kräften im Parlament durchaus zu, entsprechende und vor allem tragfähige Mehrheiten zu bilden. Ganz so chaotisch wie sich das Parlament in den derzeitigen Vorwahlkampfzeiten präsentiert, ist es in den Augen Gabaschwilis nicht. Aber, egal, wer an die Macht komme, es müssten Kräfte der Marktwirtschaft sein und Kräfte, die sich nach und am Westen orientierten. Dass dies so kommen wird, daran scheint Schewardnadses Mann an Rhein, Spree und Weichsel nicht eine Sekunde zu zweifeln.

Wir wollen etwas mehr wissen von der Situation Georgiens, wie Kote Gabaschwili sie sieht. Immerhin hat er den Vorteil neben der Kenntnisse seiner Heimat jetzt einige Jahre auch etwas Distanz zu ihr gewonnen zu haben. Deshalb geben wir ihm ein paar Stichworte.

Zum Beispiel: Korruption. Es sei unendlich schwer, diese Mentalität, die das ganze Land erfasst habe, zu ändern. Während der Sowjetzeit sei die Korruption ein Mittel gewesen, dem Sozialismus Schaden zuzufügen und für viele damit entschuldbar gewesen. Jetzt richte sich der Schaden gegen das eigene Volk und nicht mehr gegen ein System, das als von außen aufgezwängt empfungen wurde. Kote Gabaschwili will damit keineswegs die Korruption der Sowjetära glorifizeren, Korruption sei durch kein System zu rechtfertigen, außerdem habe es ja auhc damals Leute gegeben, die korrekt gehandelt hätten. Vielleicht hätte der Westen nicht bemerkt, wie korrupt das Sowjetsystem wirklich gewesen sei und sei jetzt überrascht, wenn er diesem Phänomen gegenüberstehe. Der Botschafter, der seinen Präsidenten sehr gut kennt, legt großen Wert auf die Festellung, dass entgegen aller öffentlichen Meinung gerade Eduard Schewardnadse nach seiner Rückkehr nach Georgien besonders intensiv gegen die Korruption ankämpfe. Außerdem sei wohl offensichtlich, dass das derzeit geltende Steuerrecht Georgiens, das mit Hilfe und auf Rat vieler ausländischer Freunde und Institutionen eingeführt worden sei, die Hauptquelle ist, aus der sich die Korruption im Lande nährt.

Rechtsstaat: Dasselbe Problem. Recht und Regierung haben die Menschen im Sowjetsystem als ihren Feind wahrgenommen. Wie sollten sie denn jetzt so schnell umdenken und in Recht und Regierung ihre Freunde und Verbündete erkennen? Die georgische Gesellschaft müsse eben lernen, dass die Sorge für den Staat eben so wichtig sei für das Wohlergehen der Menschen wie die Sorge um die eigene Familie.

Religionsfreiheit: Die georgische Gesellschaft kocht, sagt Kote Gabaschwili. 70 Jahre sei die Religion verboten gewesen, 180 Jahre sei unter Moskauer Herrschaft alles georgische im Prinzip verboten gewesen. Jetzt kommt das eben zusammen, die neu gewonnene Freiheit, die Religion als nationale Identifikation aus Vergangenheit und für die Zukunft, die alle anderen Religionen als Bedrohung wahrnehme. Nicht dass diese Denkweise die Duldung Gabaschwilis fände, schon gar nicht seine Unterstützung. Es ist lediglich seine Analyse. Und aus dieser zieht er den Schluss, dass es vermutlich wenig brächte, den aufrührenden Ex-Priester, der diese Stimmungen aufheizt, einzusperren und zum Martyrer zu machen. Viel wichtiger fand er, dass sich der Staatspräsident kürzlich bei einem ökumenischen Gottesdienst in der baptistischen Kirche in Tbilissi gezeigt und damit ein deutliches Zeichen gesetzt habe.

Apropos Schewardnadse: Nachdem dieser in den letzten Jahren zunächst einmal die Sicherheitsprobleme des Landes gelöst habe, gelte es jetzt, im Übergang zur Zeit nach ihm, die Staatssysteme zu reorganisieren. Gabaschwili will nicht ausschliessen, dass das Verfassungssystem des Landes geändert wird, eventuell nach deutschem Muster mit einem Staatspräsidenten als repräsentative Institution und einer Regierung, die von der Mehrheit des Parlaments eingesetzt wird, nicht mehr vom Präsidenten, und dieser auch verantwortlich ist. Das sowjetische Modell mit einem Mann an der Spitze, dem man alleine die letzte Verantwortung für das Staatswesen aufbürde und auch alle Verwantortung abladen könne, habe ausgedient. Der Mann, erkennen wir auch an dieser abschließenden Bemerkung, ist ganz und gar westlich beeinflusst, konkreter gesagt, vielleicht sogar deutsch. Denn wenn er, in der Formulierung ganz Diplomat, eine Entwicklung nicht ausschliessen will, darf man getrost annehmen, dass eine solche Entwicklung voll und ganz seiner Vorstellung für die künftige Gestaltung seines Heimatlandes entspricht.

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