Natürlich kommt das Gespräch recht schnell zum aktuellen
Thema Nr. 1, dem Krieg im Irak. Dr. Konstantin Gabaschwili, Georgiens
Botschafter in Deutschland seit 1994, ist ein durch und durch politischer
Mensch, einer, der politische Position bezieht, wenn's sein muss,
und nicht um die Dinge herumredet, wenngleich ihn sein Lebenslauf
zunächst einmal als Wissenschaftler ausweist. Aber vielleicht
ist es gerade die Konkretheit des Wissenschaftlers, die ihn bei
unserer Begegnung daran hindert, sich in unklaren aber wohl formulierten
diplomatischen Sentenzen zu ergehen und sofort auf den Punkt zu
kommen, auch wenn der Irak heißt und keinem in der Welt gegenwärtig
angenehm sein kann.
Der Orientalist kam mit dem Niedergang der UdSSR in die Politik.
Sein Politischer Lebenslauf in Kürze, davor war der heute
55-jährige Universitätsdozent und wissenschaftlicher
Leiter des Netzes deutscher Schulen in Georgien: 1989 stellvertretender
Bildungsminister, 1992 Parlamentsabgeordneter und Mitglied des
Staatsrates, der eigentlichen Exekutive der jungen georgischen
Republik, ein paar Monate Bildungsminister, später Oberbürgermeister
von Tbilissi, bevor ihn Eduard Schewardnadse an den Rhein schickte.
Jetzt residiert er an der Spree und ist neuerdings auch noch Botschafter
in Polen, weshalb seine Amtszeit als Botschafter über den
ansonsten üblichen Zeitrahmen von fünf plus zwei Jahren
verlängert werden konnte. Wenn alles hinhaut, werde er die
Weltmeisterschaft 2006 noch in Deutschland erleben, erklärt
er mit einem schelmischen Lächeln. Dann reiche es auch. Dann
habe er seinen Job getan, dann könnten andere weitermachen.
Welcher Georgier wüsste nicht, die ernsten Pflichten seines
Lebens wenigstens hie und da mit etwas Angenehmem zu verbinden.
Konstantin Gabaschwili macht da keine Ausnahme.
Also Kote Gabaschwili, wie ihn seine Bekannten nennen, kommt
recht schnell zum Thema Irak, als wir ihn vor einer Woche in der
Berliner Botschaft Georgiens in der Heinrich-Mann-Straße
besuchten. Als kleines Land müsse Georgien seine europäischen
wie amerikanischen Interessen ausbalancieren. Und das sei gegenwärtig
nicht gerade leicht. Die Gegensätze zwischen den beiden Hauptpartnern
Georgiens, das sind nun einmal die USA und Deutschland, seien
schmerzlich und nicht gut für sein Land. Einerseits verstehe
er vor allem die moralische Motivation der deutschen Position,
die den Krieg ablehnt, andererseits akzeptiere er aber auch die
Position Amerikas als einziger Weltmacht im Kampf gegen den Terrorismus,
versucht er den Spagat zwischen der Loyalität zu seinem deutschen
Gastgeber und zur neuen georgischen Schutzmacht, den USA, wobei
er keinen Zweifel daran lässt, dass er den Krieg für
ebenso unausweichlich hält wie die Entscheidung seines Landes,
sich der Koalition der Willigen anzuschließen. Welche Chance
hätte Georgien denn auch gehabt? Denn es seien die USA gewesen,
die Russland in den letzten Jahren die "rote Linie"
im Kaukasus aufgezeigt haben, die es nicht mehr überschreiten
könne, und damit Georgiens Souveränität schützten.
Mit den USA als wichtigstem Freund habe Georgien jetzt ein hoch
entwickeltes Land an seiner Seite, während die Alternative
Russland eben selbst noch eine Art Entwicklungsland sei mit eigenen
Sorgen und Problemen, die es zu lösen habe. Damit sei Georgien
erstmals in seiner Geschichte auf der Seite von Ländern,
den USA und Europa, denen man nicht die Absicht der Annektion
unterstellen könne sondern die ehrlich an der Brückenfunktion
Georgiens interessiert seien.
Diese Brückenfunktion gefunden zu haben, bezeichnet Gabaschwili
als das wichtigste Ergebnis der letzten zehn Jahre georgischer
Politik. Dem sei alles andere unterzuordnen, alle ungelösten
Probleme, wobei er einräumte, dass es nicht eben leicht sei,
ein Land wie Georgien zu repräsentieren, ein Land, dem gemeinhin
nur die Eigenschaften chaotisch, korrupt und kriminell anhaften.
Er versucht es eben über die Kultur, ein Produkt Georgiens,
das über alle Zweifel erhaben ist: Konzerte, Ausstellungen,
kultureller Austausch.
Denn auch wirtschaftlich läuft nicht alles so wie es sich
der Botschafter in seinen Idealvorstellungen ausdenkt. Für
deutsche Unternehmen sei Hermes eine Religion, und da Hermes wegen
der Beschränkung georgischer Staatsgarantien nicht funktioniere,
spielt sich auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Zusammenarbeit
eben nicht das ab, was eigentlich wünschenswert und möglich
sei. Trotzdem rangiert Deutschland als Handelspartner Georgiens
auf Rang vier, was wohl vor allem den deutschen Exporten von Konsumgütern
nach Georgien geschuldet ist. Umgekehrt sieht`s nicht ganz so
gut aus, auch nicht, wenn man nach der Rolle der deutschen Wirtschaft
in Georgien fragt. Ein bisschen mehr an Risikobereitschaft würde
sich der Botschafter schon wünschen, wenngleich er nicht
verkennen kann, dass sich die deutsche Wirtschaft mit ihrem Engagement
in Ostdeutschland doch ganz erheblich verausgabt habe und deshalb
die Ressourcen der deutschen Wirtschaft für Investitionen
in einem "Risikoland" wie Georgien eben begrenzt seien.
Dafür bedankt sich der Botschafter für die umfangreichen
Hilfen aus der Bundesrepublik und anderen westlichen Ländern,
die meist in Form von Beratungsleistungen erbracht würden,
wobei er offen genug ist, zuzugeben, dass nicht jede Form der
Beratung vergangener Jahre die gewünschten Früchte gezeigt
habe. Und nicht jeder westliche Consultant, der nach Georgien
gekommen sei, habe ausschließlich die Interessen Georgiens
im Auge gehabt. Das Beratungswesen, lässt Kote Gabaschwili
diplomatisch verklausuliert durchblicken, sei eben auch nur ein
Gewerbe, in dem manch einer mehr an sich und sein Wohlergehen
denke als an den Auftrag, den er habe, und das Land, das er berate.
Er wünschte sich gelegentlich, dass die Hilfe für sein
Land künftig direkter in die Wirtschaft fließen könnten,
etwa in den Aufbau einer Lebensmittel verarbeitenden Industrie
und deren Marketing, damit die Landwirtschaft Georgiens endlich
eine Chance bekomme, sich zu entwickeln. Diesen Vorschlag habe
er öfter gemacht, in Deutschland wie in Georgien, aber bis
heute nur eine verhaltene Reaktion gefunden.
Offen ist er auch in Sachen georgischer Schwerindustrie, deren
Kolosse er als ein Relikt der Sowjetideologie erklärt. Diese
Industriegiganten seien in die Landschaft geklotzt worden, um
die bodenständige Landbevölkerung zu vereinheitlichen,
zu sowjetisieren, zu systematisieren und sie ihren Wurzeln, ihrer
Geschichte und ihrer angestammten Heimat zu entfremden. Jedem,
der den Niedergang der georgischen Industrie beklagt, hält
Kote Gabaschwili diesen Aspekt entgegen und stellt die Frage,
warum der Staat an diesen Kolossen noch festhalte anstatt sie
einfach zu demontieren und zu verschrotten. Georgien sei nun mal
kein klassisches Industrieland und die Wirtschaft des Landes kranke
auch daran, dass sie sich mit den "Errungenschaften"
des real existiert habenden Sozialismus herumplagen müsse,
ohne die Hilfeleistungen erhalten zu haben, mit denen man etwa
in Ostdeutschland oder im Baltikum eingesprungen sei, um den Schritt
von der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft zu organisieren.
Und wer wisse, wie schwer sich der Osten Deutschlands trotz der
Milliardenhilfe aus dem Westen noch immer mit der neuen Situation
tue, würde die Probleme eines kleinen Landes wie Georgien
eher verstehen.
Konstantin Gabaschwili bekennt sich dazu, eindeutig westlich
orientiert zu sein und marktwirtschaftlich. In dieser Orientierung
sieht er auch die einzige Chance für sein Land. Keine Frage,
dass er auch das wesentliche Verdienst seines Präsidenten
darin sieht, diese Orientierung unumkehrbar gemacht zu haben.
Dies muss zu der Frage führen, welche Kräfte denn nach
Schewardnadse kommen könnten, und ob diese in der Lage seien,
das Erbe des Mannes anzutreten, den man nicht nur in Georgien
des weißen Fuchs nennt. Einen Nachfolger, dem der Schuh
Schewardnadses passe, gibt es nicht, sagt er, aber, er traut es
den verschiedenen Kräften im Parlament durchaus zu, entsprechende
und vor allem tragfähige Mehrheiten zu bilden. Ganz so chaotisch
wie sich das Parlament in den derzeitigen Vorwahlkampfzeiten präsentiert,
ist es in den Augen Gabaschwilis nicht. Aber, egal, wer an die
Macht komme, es müssten Kräfte der Marktwirtschaft sein
und Kräfte, die sich nach und am Westen orientierten. Dass
dies so kommen wird, daran scheint Schewardnadses Mann an Rhein,
Spree und Weichsel nicht eine Sekunde zu zweifeln.
Wir wollen etwas mehr wissen von der Situation Georgiens, wie
Kote Gabaschwili sie sieht. Immerhin hat er den Vorteil neben
der Kenntnisse seiner Heimat jetzt einige Jahre auch etwas Distanz
zu ihr gewonnen zu haben. Deshalb geben wir ihm ein paar Stichworte.
Zum Beispiel: Korruption. Es sei unendlich schwer, diese Mentalität,
die das ganze Land erfasst habe, zu ändern. Während
der Sowjetzeit sei die Korruption ein Mittel gewesen, dem Sozialismus
Schaden zuzufügen und für viele damit entschuldbar gewesen.
Jetzt richte sich der Schaden gegen das eigene Volk und nicht
mehr gegen ein System, das als von außen aufgezwängt
empfungen wurde. Kote Gabaschwili will damit keineswegs die Korruption
der Sowjetära glorifizeren, Korruption sei durch kein System
zu rechtfertigen, außerdem habe es ja auhc damals Leute
gegeben, die korrekt gehandelt hätten. Vielleicht hätte
der Westen nicht bemerkt, wie korrupt das Sowjetsystem wirklich
gewesen sei und sei jetzt überrascht, wenn er diesem Phänomen
gegenüberstehe. Der Botschafter, der seinen Präsidenten
sehr gut kennt, legt großen Wert auf die Festellung, dass
entgegen aller öffentlichen Meinung gerade Eduard Schewardnadse
nach seiner Rückkehr nach Georgien besonders intensiv gegen
die Korruption ankämpfe. Außerdem sei wohl offensichtlich,
dass das derzeit geltende Steuerrecht Georgiens, das mit Hilfe
und auf Rat vieler ausländischer Freunde und Institutionen
eingeführt worden sei, die Hauptquelle ist, aus der sich
die Korruption im Lande nährt.
Rechtsstaat: Dasselbe Problem. Recht und Regierung haben die
Menschen im Sowjetsystem als ihren Feind wahrgenommen. Wie sollten
sie denn jetzt so schnell umdenken und in Recht und Regierung
ihre Freunde und Verbündete erkennen? Die georgische Gesellschaft
müsse eben lernen, dass die Sorge für den Staat eben
so wichtig sei für das Wohlergehen der Menschen wie die Sorge
um die eigene Familie.
Religionsfreiheit: Die georgische Gesellschaft kocht, sagt Kote
Gabaschwili. 70 Jahre sei die Religion verboten gewesen, 180 Jahre
sei unter Moskauer Herrschaft alles georgische im Prinzip verboten
gewesen. Jetzt kommt das eben zusammen, die neu gewonnene Freiheit,
die Religion als nationale Identifikation aus Vergangenheit und
für die Zukunft, die alle anderen Religionen als Bedrohung
wahrnehme. Nicht dass diese Denkweise die Duldung Gabaschwilis
fände, schon gar nicht seine Unterstützung. Es ist lediglich
seine Analyse. Und aus dieser zieht er den Schluss, dass es vermutlich
wenig brächte, den aufrührenden Ex-Priester, der diese
Stimmungen aufheizt, einzusperren und zum Martyrer zu machen.
Viel wichtiger fand er, dass sich der Staatspräsident kürzlich
bei einem ökumenischen Gottesdienst in der baptistischen
Kirche in Tbilissi gezeigt und damit ein deutliches Zeichen gesetzt
habe.
Apropos Schewardnadse: Nachdem dieser in den letzten Jahren zunächst
einmal die Sicherheitsprobleme des Landes gelöst habe, gelte
es jetzt, im Übergang zur Zeit nach ihm, die Staatssysteme
zu reorganisieren. Gabaschwili will nicht ausschliessen, dass
das Verfassungssystem des Landes geändert wird, eventuell
nach deutschem Muster mit einem Staatspräsidenten als repräsentative
Institution und einer Regierung, die von der Mehrheit des Parlaments
eingesetzt wird, nicht mehr vom Präsidenten, und dieser auch
verantwortlich ist. Das sowjetische Modell mit einem Mann an der
Spitze, dem man alleine die letzte Verantwortung für das
Staatswesen aufbürde und auch alle Verwantortung abladen
könne, habe ausgedient. Der Mann, erkennen wir auch an dieser
abschließenden Bemerkung, ist ganz und gar westlich beeinflusst,
konkreter gesagt, vielleicht sogar deutsch. Denn wenn er, in der
Formulierung ganz Diplomat, eine Entwicklung nicht ausschliessen
will, darf man getrost annehmen, dass eine solche Entwicklung
voll und ganz seiner Vorstellung für die künftige Gestaltung
seines Heimatlandes entspricht.
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