Ausgabe 5/03
3. April
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Die kritischen Fragen seiner Gäste, einer Delegation von 24 Botschaftern bei der Wiener OSZE, die in der verganenen Woche Tbilissi, Suchumi und Zchinwali besucht hatten, müssen den georgischen Staatspräsidenten gehörig aufgeschreckt haben. Denn sonst hätte er sich nicht beeilt, in seinem montäglichen Radiointerview ausdrücklich zu versichern, dass die Übereinkunft des georgisch-rusischen Gipfels von Sotschi die internationalen Abchasienverhandlungen in Genf nicht berührten und dass für Tbilissi nach wie vor das Thema der Aufteilung der Kompetenzen zwischen Tbilissi und Suchumi im Mittelpunkt der Abchasienpolitik stehe.

Denn während der georgisch-russische Gipfel von Sotschi wieder einmal eine Annäherung der beiden Präsidenten Putin und Schewardnadse gebracht hatte (Georgien News berichtete darüber), hatte er dafür aber für umsomehr Verwirrung bei den sogenannten „Freunden Georgiens beim Generalsekretär der Vereinten Nationen“ und der OSZE gesorgt. Zu den Freunden Georgiens, die seit Jahren den Vermittlungsprozess in Abchasien begleiten, gehören die USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Russland. Vor ein paar Wochen hatten alle fünf Freunde in Genf einstimmig beschlossen, neben den Fragen der wirtschaftlichen Kooperation und der Rückkehr der Flüchtlinge nach Abchasien jetzt gleichrangig auch die Statusfragen der abtrünnigen Provinz auf der Basis des sogenannten Boden-Papiers zu besprechen. In der bilateralen Übereinkunft von Sotschi ist dagegen nur noch von den Fragen der Wirtschaft und der Flüchtlinge die Rede, die zu synchronisieren seien, und die westlichen Freunde Georgiens stellen sich die Frage, zu welchem Preis sich Georgien die gleichzeitige Behandlung der Statusfragen Abchasiens hat abhandeln lassen. Eduard Schewardnadse hatte also akuten Erklärungsbedarf vor den Botschaftern der OSZE und es erscheint Beobachtern mehr als fraglich, ob der erfahrene Staatsmann die Bedenken seiner vielen Freunde in der Welt auch tatsächlich hat zerstreuen können.

Die Übereinkunft von Genf

Bei dem Fünfertreffen in Genf, bei dem auch die UN-Sonderbotschafterin für den Abchasienkonflikt, Heidi Tagliavini, beteiligt war, soll die russische Delegation unter Putins Sonderbeauftragtem Loschinin eine überaus konstruktive Rolle gespielt haben. Die Freunde einigten sich darauf, die Abchasien-Verhandlungen parallel und gleichzeitig und unter Beteiligung aller Freunde sowie der Konfliktparteien auf drei Feldern voranzubringen:

- wirtschaftliche Kooperation (Eisenbahnlinie, Inguri-Kraftwerk)
- Rückkehr von Flüchtlingen in die Gali-Region
- Politische Statusfragen auf der Basis des sogenannten Boden-Papiers.

Man vereinbarte in Genf, im Juni schon zu überprüfen, ob auf allen drei Feldern gleichgewichtige Fortschritte erzielt wurden, um in diesem Falle dann für Herbst eine internationale Konferenz über vertrauensbildende Maßnahmen unter der Führung der Vereinten Nationen zu organisieren. Die Stimmung in Genf wird als positiv geschildert und alle Teilnehmer waren der Meinung, dass jetzt Bewegung in die Verhandlungen kommen könnte. Selbst die abchasische Seite habe bei einem Besuch der UN-Sonderbotschafterin in Suchumi kurz nach dem Genfer Treffen zwar nicht gerade euphorisch jubelnd zugestimmt, den Genfer Beschluss aber auch nicht völlig abgelehnt, was als Signal für einen gewissen Fortschritt in der Sache gedeutet wurde. Bei einem Besuch der Georgien-Botschafter der Freundesgruppe kurze Zeit später hat Suchumi diesen dann eine kalte Dusche verpasst und die Diskussion von Statusfragen total abgelehnt. Kurz danach wiederum soll dies in einem Direktkontakt mit Heidi Tagliavini erneut relativiert worden sein.

Der Gipfel von Sotschi

Im Kommunique des Zweiergipfel von Sotschi fehlt dagegen jeglicher Hinweis auf die Behandlung von Statusfragen, außerdem auch jeder Hinweis auf eine Einbeziehung der übrigen Länder des Freundeskreises oder der Vereinten Nationen in die Verhandlungen. Man einigte sich lediglich auf die Synchronisation der wirtschaftlichen Fragen mit der Frage der Rückkehr von Flüchtlingen nach Gali und auf die Bildung einer georgisch-russischen Regierungskommission. Russland, das in Genf noch konstruktiv mitgewirkt hatte, hatte in Sotschi anscheinend keinen Grund gesehen, den Geist von Genf auch nur in einem Nebensatz zu zitieren.

Wie es heißt, habe Georgien in Sotschi versucht, auch den dritten Korb und damit das Thema Statusfragen und die Beteiligung der Freunde Georgiens samt UN im Spiel zu halten. Vergebens. Der Tatsache, dass Putin und Schewardnadse in und nach Sotschi davon nicht einmal ansatzweise sprachen, entnehmen Beobachter nun, dass sich die russische Linie durchgesetzt hat und die übrigen Freunde Georgiens und damit auch die Vereinten Nationen vorerst einmal beiseite geschoben wurden. Russland hat anscheinend das alleinige Sagen in der Abchasienfrage an sich gerissen und die verprellten Freunde Georgiens fragen sich nun, welchen Preis sich der georgische Staatspräsident dafür hat zusagen lassen.

Die Reaktion diplomatischer Beobachter dieser Sotschi-Konferenz ist denn auch diplomatisch zurückhaltend: Es sei durchaus legitim, erklären Freunde Georgiens, Statusfragen hintanzustellen, wenn dagegen eventuell spürbare Entlastung an der Flüchtlingsfront eingehandelt werden kännen. Etwas direkter heisst es dann aber auch: Georgien dürfe dann allerdings nicht unbedingt erwarten, dass seine Freunde in der Welt in den Fragen des künftigen Status von Abchasien georgischer sein müssten als die Regierung von Tbilissi selbst. Das Erstaunen der europäischen Freunde Georgiens, in Sotschi mit ihren jahrelangen Bemühungen um Abchasien noch nicht einmal erwähnt worden zu sein, ist möglicherweise bereits in eine gründliche Verägerung umgeschlagen.

GUS-Friedenstruppen

In Sotschi kamen Putin und Schewardnadse außerdem überein, das Mandat der GUS-Friedenstruppen ab sofort automatisch zu verlängern, solange keine der beteiligten Seiten eine Beendigung verlange. Damit entfällt das fast schon traditionelle halbjährige Gerangel um eine Weiterführung des Mandates für jeweils sechs Monate, wobei die russische Seite betont hat, dass dies vor allem ein Problem der georgischen Innenpolitik sei. Moskau hat in der Vergangenheit mehrfach erkennen lassen, das Mandat der Friedenstruppen sofort aufzugeben, wenn die georgische Regierung dies – wie vom Parlament in Tbilissi mehrfach beschlossen – verlange. Mit der Übereinkunft von Sotschi hat also vor allem der georgische Staatspräsident zu Hause ein Problem weniger, dafür aber auch keine Möglichkeit mehr, im Rahmen der halbjährlichen GUS-Gipfel über das Vehikel Mandatsverlängerung der Friedenstruppen seine GUS-Kollegen mit dem Problem Abchasien zu beschäftigen. Nach Sotschi kann sich Putin auf GUS-Gipfeln dem Thema Abchasien verweigern.

Nach Sotschi befürchten Beobachtern auch, dass das georgisch-russisch-abchasische Dreiertreffen zu einer dauerhaften Veränderungen des Abchasien-Friedensprozesses führen könnte. Denn der georgische Präsident hat in Sotschi erstmals einen Vertreter Abchasiens am Verhandlungstisch akzeptiert, ein Vorgang, den die Vereinten Nationen am Ende letzten Jahres noch ablehnten, als Russland vorschlug, einen abchasischen Vertreter an den Verhandlungen des Sicherheites zu Abchasien zuzulassen. Die Position Georgiens in dieser Frage dürfte nach Sotschi ebenfalls schwer zu halten sein.

Ein neues Verhandlungsformat?

Russland, so befürchten nicht nur die restlichen Freunde Georgiens, ist das bilaterale Format der Verhandlungen unter Hinzuziehung der Abchasen allemal lieber als das Gespräch im internationalen Format der Vereinten Nationen. Sollten die Georgier dem zugestimmt haben, könnte sich dies irgendwann einmal als Bumerang erweisen, dann nämlich, wenn sich die russische Politik, die virtuos auf der Klaviatur des Teilens und Herrschens wie auch auf der von Zuckerbrot und Peitsche zu spielen versteht, wieder einmal zurückrudert. Dann könnte es durchaus sein, dass diejenigen, die in Sotschi möglicherweise aus den weiteren Verhandlungen ausgeladen wurden, wieder gebraucht werden, um den festgefahrenen Karren erneut flott zu machen.

Außerdem wird man bei der Regelung der Flüchtlingsfrage auf internationale Unterstützung angewiesen sein. Denn eine Rückkehr der Flüchtlinge in die Region Gali ist ohne eine hinreichende Sicherheitsgarantie das Papier nicht wert, auf dem ein dementsprechendes Abkommen unterzeichnet werden wird, es sei denn, Georgien würde sich auf eine russisch-abchasisch-georgische Lösung verlassen und auf einen völkerrechtlichen Rahmen mit Garantie der Völkergemeinschaft verzichten. Ein internationaler Rechtsrahmen ist aber ohne Vereinte Nationen und ohne die Freunde Georgiens beim Generalsekretär nicht denkbar, auch wenn der georgische Präsident seinem amerikanischen Kollegen derzeit allzu beflissen beipflichtet, wenn dieser die Ineffektivität der Vereinten Nationen und speziell des Sicherheitsrates kritisiert.

Georgien im Irakkonflikt

Ein zweites führt in einigen Hauptstädten der Freunde Georgiens zu gewissem Nachdenken, die Art und Weise nämlich, wie sich Georgien derzeit in der Irak-Kriegskoalition mit der Benutzung von Flugplätzen und Infrastruktur anbietet, obwohl bis heute davon ausgegangen werden darf, dass es noch keine Anfrage seitens der USA gibt. Man befürchtet, dass die georgische Regierung zu kurz springt, wenn sie glaubt, für die bedingungslose Unterstützung des amerikanischen Feldzuges im Irak irgendwann einmal ein Machtwort Washingtons in Sachen Abchasien als Gegenleistung erwarten zu können. Abchasien ist und bleibt das einzige Machtmittel, mit dem Russland die Integration Georgiens in die NATO verhindern kann. Denn zu den Grundbedingungen einer Aufnahme in die NATO gehört neben der Gewährleistungen von wirtschaftlichen, rechtlichen und militärischen Mindeststandards auch die endgültige und friedliche Lösung von Sezessions- und Autonomieproblemen im eigenen Land. Während man bei der Bewertung der anderen Beitrittskriterien alle zur Verfügung stehenden Augen zudrücken kann, wenn strategische Ziele dies erfordern sollten, wird das Kriterium der territorialen Integrität und der Lösung ethnischer Konflikte vor einem NATO-Beitritt für die NATO nicht verhandelbar sein. Moskau ist sich der Kraft dieses Hebels durchaus bewusst.

Georgien braucht auf die Dauer viele Freunde, wenn es seine außenpolitischen Ziele erreichen will. Denn dass die USA im Alleingang und oder gar im Dissens mit Russland eine Abchasienregelung im Sinne Georgiens durchsetzen könnten, erscheint nahezu ausgeschlossen. Nach dem atmosphärischen Bruch in den russisch-amerikanischen Beziehungen infolge des Irakkrieges könnte es schnell dazu kommen, dass kleine Krisenherde wie Abchasien wieder gebraucht werden. Irgendwo muss man den Kettenhunden, die derzeit noch kurz gehalten werden, den Auslauf geben, den sie dann benötigen. Dazu passt die erneut aufgekommene Diskussion um einen russischen Kontrollposten im Kodorital und das kleinformatige diplomatische Gerangel um die Aufklärungsflüge der amerikanischen U 2 entlang der georgischen-russischen Grenze. Die wieder einmal aufgewärmte Männerfreundschaft Putin-Schewardnadse wird westlich von Sotschi mit sehr kritischen Augen beobachtet.

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