Wenn sich die beiden Präsidenten Putin und Schewardnadse in diesen Tagen im russischen Schwarzmeerort Sotschi treffen, dann werden sie aller Voraussicht nach über ein ganz konkretes Thema zu sprechen haben, das – im wahrsten Sinne des Wortes – Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen um Abchasien bringen kann. Es geht um die Wiederaufnahme des Eisenbahnbetriebes durch Abchasien, ein Vorhaben, das vor wenigen Monaten in Georgien nahezu undenkbar erschien, jedenfalls undenkbar ohne entsprechende Fortschritte in den Grundsatzfragen der Konfliktlösung.

Aber ist es wirklich undenkbar, dass schon in Bälde wieder Züge von Moskau über Suchumi nach Tbilissi und weiter nach Eriwan fahren? Es scheint nicht ausgeschlossen, dass die beiden Präsidenten in der Lage sein werden, bei ihren Gesprächen in Sotschi die Signale auf grün zu stellen. An der Wiederaufnahme des Eisenbahnverkehrs durch Abchasien hat vor allem Russland ein gesteigertes Interesse, aber auch Armenien drängt seit Georgien seit einiger Zeit immer heftiger, den Schienenstrang nach Moskau wieder zu aktivieren und somit die Folgen der armenische Selbstblockade zu lindern. Auch Georgien würde von einer erneuten Inbetriebnahme des Schienenstrangs profitieren. Der Eisenbahnverkehr durch Abchasien war mit dem Abchasienkrieg unterbrochen worden.

Dabei haben Russen und Abchasen im Dezember bereits einseitig Fakten geschaffen, als sie den Eisenbahnbetrieb von Sotschi nach Suchumi aufnahmen, ohne vorher die georgische Regierung um Erlaubnis gefragt zu haben. Deren pflichtgemäßen Proteste waren aber durchaus überhörbar, jedenfalls ließ Tbilissi nicht den Eindruck aufkommen, es hätte prinzipiell etwas gegen die Wiederaufnahme des Eisenbahnverkehrs über Abchasien. Das mediale Protestgeschrei dagegen war durchaus heftiger. Aber dies muss im georgischen Politikalltag nicht unbedingt überraschen.

Synchronisation mit Flüchtlingsfrage

Eduard Schewardnadse verband seine mögliche Zustimmung allerdings mit der Forderung, den Fortschritt in der Verkehrs-Kommunikation mit der Rückkehr georgischer Flüchtlinge nach Gali zu „synchronisieren“. Wie aus georgischen Regierungskreisen verlautet, habe Wladimir Putin dieser Forderung beim letzten Treffen mit Schewardnadse anlässlich des GUS-Gipfels in Kiew bereits grundsätzlich zugestimmt, zumindest ließ er dies seinen georgischen Kollegen in einer Pressekonferenz widerspruchslos verkünden. In Sotschi wird es also um Details des Eisenbahndeals gehen, den auch eine Arbeitsgruppe der sogenannten Freunde Georgiens beim UN-Generalsekretär befürworten soll. Diese hat den beiden Konfliktparteien kürzlich neue Vorschläge zur Konfliktregulierung unterbreitet. Die Vorschläge sollen wirtschaftliche, politische und sicherheitsrelevante Fragen behandeln. Es scheint, als ob das Interesse aller Beteiligten an wirtschaftlichen Fortschritten endlich groß genug wäre, um ungeachtet der starren Fronten im Grundsatzstreit erste Ergebnisse zu zeitigen.

Georgische Regierungskreise sehen in einer Aufnahme des Eisenbahnbetriebs durch Abchasien vor allem Vorteile für Georgien, auch wenn man befürchtet, dass es bei der Synchronisierung mit der Flüchtlingsproblematik nicht ohne organisatorische Reibungen abgehen wird. Abchasische Verwaltungen dürften kreativ genug sein, mit bürokratischen Hindernissen die Rückkehr der Flüchtlinge zu behindern, wenn die Züge erst einmal rollen. Da macht man sich in Tbilissi wenig Illusionen.

Gutes Geschäft für alle

Trotzdem scheint man in der Staatskanzlei Schewardnadses entschlossen, die Chance auf einen ersten Teilerfolg im Abchasienkonflikt beim Schopf zu packen. Denn die georgische Exportwirtschaft, für die Russland mit seinem Ballungsraum Moskau als wichtigster Absatzmarkt gilt, dürfte an der kostengünstigen Transportoption Schiene gelegen sein. Interessiert ist auch die georgische Eisenbahngesellschaft, die sich vor allem vom Transitservice nach Armenien ein gutes Geschäft verspricht. Heute schon entfallen auf den Transitverkehr mehr als 2/3 der Frachtleistungen der georgischen Eisenbahn, allerdings im wesentlichen auf den Transit vom Kaspischen zum Schwarzen Meer. Ein Ausbau der Nord-Süd-Verkehre würde die Auslastung des Netzes, die derzeit bei etwa 40 % liegt, verbessern, zumal die Strecke zwischen Samtredia und Tbilissi, über die auch der Moskau-Eriwan-Transit führen würde, zweispurig ausgebaut ist daher durchaus noch neuen Verkehr aufnehmen kann.

Selbst wenn die Fortschritte in der Flüchtlingsfrage zunächst mehr deklamatorischen Charakter haben würden, macht es für die georgische Regierung durchaus Sinn, jetzt das Wagnis einzugehen. Große Fortschritte bei der Regelung des Abchasienkonflikts sind angesichts der Dominanz anderer weltpolitischer Probleme vorerst kaum zu erwarten. Die Freunde Georgiens mahnen Tbilissi unisono, zunächst einmal Ruhe zu geben und abzuwarten, bis Abchasien auf der russisch-amerikanischen Agenda wieder eine gewisse Bedeutung erlangen kann. Ein wirklicher Durchbruch erscheint nur auf dieser Ebene möglich. Da können Fortschritte auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Zusammenarbeit durchaus den Gesamtprozess der Konfliktregulierung fördern. Wenn man gezwungen ist, miteinander über gemeinsame Geschäfte zu reden – auch die abchasische Verwaltung will am Eisenbahntransit verdienen – verlieren andere Fragen an Bedeutung. Wandel durch Handel, nannte man früher einmal diesen strategischen Ansatz, Blockaden zu überwinden.

Reparaturkosten: 1,8 Mrd Rubel

Dabei vergisst Tbilissi allerdings nicht, eindeutige Warnungen an Suchumi auszusprechen, die georgische Geduld in der Frage der Rückkehr der Flüchtlinge nach Gali nicht über Gebühr zu strapazieren. Suchumi müsse immer im Auge behalten, dass kein einziger Zug ohne das Wohlwollen der georgischen Regierung über die Inguri-Brücke rollen werde. Und dass die Regierung von Tbilissi ihr eigenen Flüchtlinge kaum mit Gewalt an irgendwelchen Blockaden hindern könne, sollte die grundsätzliche Zusage Putins auf ihre sichere Rückkehr zumindest in Teile Abchasiens nicht eingehalten werden, versteht sich von selbst. Mit der Aufnahme des Eisenbahnverkehrs durch Abchasien könnte Georgien so ganz nebenbei ein kleines Druckmittel an die Hand bekommen. Der georgische Präsident wird bei seinem Besuch in Sotschi seinen russischen Gastgeber daran erinnern, dass es an ihm und seinen Leuten in Abchasien liegt, ihren Teil zum Gelingen des Eisenbahndeals beizutragen.

Dort plant man anscheinend bereits die alte Eisenbahnzukunft, als ob die Entscheidung schon gefallen wäre. Die Sicherheit georgischer Passagiere während ihres Transits durch Abchasien sei gewährleistet, ließ Suchumi dieser Tage verlauten. Die Züge könnten am Inguri verplombt werden, wenn es keinen Stopp in Suchumi selbst geben sollte, über den man selbstredend auch verhandeln könne Auch die Kosten hat die abchasische Eisenbahnverwaltung bereits ermittelt: 1,8 Milliarden russischer Rubel für eine Generalsanierung der Strecke und 919 Millionen für eine notdürftige Reparatur. Wer das Geld für die Sanierung der Strecke aufbringen soll, wird nicht erwähnt.

Wie die abchasische Eisenbahnverwaltung mitteilte, könnten schon in eineinhalb Monaten die ersten Züge rollen. Bis jetzt ist die Strecke von der russischen Grenze bis Otschamtschira und Twartscheli bereits befahrbar, es fehlt also nur das kleine Stück von Otschamtschira bis zum Inguri. Und eben eine Übereinkunft der beiden Präsidenten, was dann durchaus als Signal verstanden werden könnte, dass sie willens und in der Lage sind, nach den georgisch-russischen Turbulenzen des vergangenen Jahres wieder zu normalen Beziehungen zurückzufinden. Sollte das abchasisch-georgisch-russische Eisenbahnmärchen wahr werden, könnte Eduard Schewardnadse zum nächsten Tete-a-Tete in Putins Schwarzmeerresidenz Sotschi mit der Bahn reisen. Die Sicherheit im verplombten Zug ist ja gewährleistet.

(siehe auch: Die georgische Eisenbahn)

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