Irakli Tschubinischwili ist für einen Parlamentsabgeordneten
mit 33 Jahren eigentlich ein junger Bursche. In der politischen
Landschaft des nachsozialisitischen Georgiens aber ist er schon
fast ein alter Hase. In seinem Parlamentsbüro, wo wir ihn besuchen,
hängen ein paar Erinnerungsfotos an der Wand, u.a. ein spanischer
Zeitungsartikel vom 6. Juli 1990, der ihn zusammen mit Surab Schwania
bei einem Besuch in Spanien zeigt. Die Überschrift: "Die
Ökologen sind die Reform-Pioniere der Sowjetunion." Damals
war Georgien pro froma noch Teil der UdSSR und Irakli Tschubinischwili
und Surab Schwania, Vertreter der schon 1989 gegründeten Grünen
Bewegung Georgiens, waren auf Informationsreise auf der Iberischen
Halbinsel.
Heute sitzt Irakli Tschubinischwili für die Vereinigten
Demokraten seines alten Freundes Surab Schwania im Parlament,
mit dem er den Parteieintritt in Schewardnadses Bürgerunion
ebenso mitvollzogen hatte wie den späteren Bruch mit dem
Staatspräsidenten. Dazwischen managte Irakli die eine oder
andere Wahlkampagne Schwardnadses, war für ein paar Jahre
zum Studium in den USA oder als Geschäftsmann in Moskau.
Seit 1999 ist er Abgeordneter des georgischen Parlaments und derzeit
Vorsitzender eines Interims-Untersuchungsausschusses mit dem Auftrag,
die Krisensituation auf dem Energiesektor Georgiens zu durchleuchten.
Seinen Bericht, dem alle 18 Mitglieder seiner Kommission, also
auch die aus dem Regierungslager zugestimmt haben, liegt seit
einigen im Parlament Tagen vor, er soll in ein paar Wochen auch
der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das mehr
als 100 Seiten umfassende Papier birgt allerhand Sprengstoff.
Es ist nicht auszuschliessen, dass es gerade dieser Report war,
der in den letzten Wochen im Regierungslager für erhebliches
Chaos in Sachen Energiepolitik und umtriebige Hektik sorgte, obwohl
im Plenum des Parlaments nur 20 Abgeordnete sassen, als Irakli
kürzlich seinen brissanten Bericht vortragen durfte. Ganze
zwei Monate musste er kämpfen, um das Thema auf die Tagesordnung
einer Plenarsitzung zu bringen. Der Bericht, der viele Details
enthalten und Namen nennen soll, wurde auch dem Generalstaatsanwalt
vorgelegt, der eine entsprechende Prüfung zugesagt hat. Grund
genug für GN, Irakli zu besuchen und ihn um Aufklärung
über die teilweise verfahrene Situation auf dem Energiesektor
zu bitten.
Mit einer grundlegenden Reform des früher staatseigenen
Stromsektors wurde in Georgien im Jahr 1995 ein System geschaffen,
das den Granden des Energiesystems alle Möglichkeiten bot,
sich hemmungslos auf Kosten anderer zu bereichern. Um das verstehen
zu können, erklärt Irakli zunächst einmal die Grundzüge
des Systems. Auf der Produktionsseite sind verschiedene Kraftwerke,
teils privatisiert, teils in staatlichem Besitz. Das Überlandnetz,
das den Strom zu den kommunalen Verteilern oder industriellen
Grossverbrauchern durchleitet, wird von zwei staatlichen Firmen
betrieben. Die kommunalen Stromverteiler gehören mit Ausnahme
von Tbilissi kommunalen oder regionalen Behörden, in Tbilissi
wurde der Stromverteiler TELASI privatisert und mehrheitlich von
der amerikanischen Gesellschaft AES übernommen.
Dazwischen gibt es aber ein besonderes Gebilde, den Energie-Grossmarkt
(Energy Wholesales Market), eine Art Energiebörse, in der
alle Unternehmen oder Organisationen der Stromwirtschaft zusammengeschlossen
sind. Die gesamte Stromproduktion muss dem Energie-Grossmarkt
angedient werden, der dann darüber entscheidet, welche Verteilerfirma
oder welcher Industriebetrieb mit Energie versorgt werden. Diese
Organisation ist auch für die Transfers aller Gelder von
den kommunalen Verteilergesellschaften, so diese überhaupt
bezahlen und die Einnahmen nicht in privaten Taschen fliessen,
oder den grossen industriellen Verbrauchern, die direkt beliefert
werden (so auch diese bezahlen), zu den Stromproduzenten verantwortlich.
Damit ist die Energie-Börse das Herzstück der georgischen
Stromwirtschaft und, wie Iraklis Bericht an ein paar Beispielen
deutlich macht, auch das Zentrum aller Machenschaften der georgischen
Strommafia.
Die Energie-Börse sollte eigentlich eine unabhängige
Makleragentur für Verteilung der vorhandenen Stromkapazitäten
sein. Irakli Tschubinischwili ist aber davon überzeugt, dass
ein paar hochgradig kriminelle Personen aus den oberen Regionen
der Regierung, insbesondere des zuständigen Ministeriums,
den Energie-Grossmarkt für trübe Machenschaften benutzten.
Denn den Gesetzes-Auftrag, als Non-Profit-Organisation eine ehrliche
Maklerrolle zwischen Stromproduzenten und Verbrauchern zu spielen,
hat man auf eine ganz besondere Art und Weise wörtlich genommen:
In nur drei Jahren seiner Existenz baute die Energie-Börse
ein Verlustkonto von über 400 Millionen $ auf, Geld, das
für Stromverbrauch zwar bezahlt wurde, jedoch niemals bei
den Stromproduzenten ankam, u.a. bei AES-Mtkwari, dem Kraftwerksblock
von Gardabani, das mit russischem Erdgas den zusätzlichen
Strombedarf im Winter absichern soll.
Um Gelder dieser Grössenordnung verschwinden zu lassen,
bediente man sich einer ausgetüftelten Struktur an Forderungsabtretungen
über die gesamte Kette der Stromwirtschaft hinweg. Irakli
erzählt ein Beispiel aus seinem Kommissionsbericht und zeichnet
uns zum besseren Verständnis das Schema auf ein Blatt Papier.
Die Gruppe der
Kaukasischen Streitkräfte der russischen Armee stand bei
AES-Telasi mit 2,5 Millionen $ in der Kreide. Die Energie-Börse
übernahm diesen Forderungsausfall grosszügigerweise
und schrieb AES die entsprechende Summe gut. Deren Bilanz war
damit bereinigt.
Statt diese Forderung einzutreiben, trat die Energie-Börse
diese an den staatseigenen Stromerzeuger, TBILSRESI in Gardabani,
wiederum gegen eine entsprechende Gutschrift ab - bilanztechnisch
alles einwandfrei. Da dieses Unternehmen jedoch eigenartigerweise
ebenfalls kein Interesse daran hatte, die Summe auch zu kassieren,
wurde ein Privatunternehmen als Inkasso-Gesellschaft eingeschaltet,
das dann tatsächlich die Summe vom russischen Militärkommando
in Georgien kassierte, aber niemals daran dachte, den Betrag dahin
zu überweisen, wo er hingehörte und gebraucht wurde,
ins Energie-System, sondern irgendwie versickern liess. Solche
Scheinfirmen mit edlen Namen, teilweise offshore registriert,
griffen auf ähnliche Weise Millionengelder aus dem Energiemarkt
ab, die diesem fehlten, um genügend Primärenergie einzukaufen
oder aber, um alte Schulden zu begleichen. Ähnliche Beispiele
könnte Irakli gleich reihenweise aufzählen, wobei alle
entsprechenden Verträge vom Energieministerium überprüft
und genehmigt worden seien.
So wurden zum Beispiel von der Staatlichen Eisenbahn im Jahr
2001 rund 7 Millionen US-$ aufgebracht, um georgische Stromschulden
an Armenien, die sich auf rund 4,4 Millionen $ beliefen, zu begleichen.
Die 7 Millionen fehlen natürlich auf der Einnahmenseite der
Energie-Börse. Obwohl die staatliche Eisenbahnverwaltung,
die ansonsten direkte Geschäftsverbindungen mit Armenien
unterhält, auf direktem Wege hätte bezahlen können,
musste eine in Russland registrierte Firma
zwischengeschaltet werden, die ohne entsprechende Forderung des
armenischen Gläubigers ihrerseits satte Verzugszinsen von
2,5 Millionen US-$ aufschlug und dennoch von den vereinnahmten
7 Millionen nur einen geringen Teil nach Armenien transferierte.
Dabei sollte die Gesamtschuld innerhalb eines Jahres getilgt werden.
Die Differenz - ein paar Millionen - ist nicht mehr auffindbar.
Im Parlamentsbericht von Iraklis Untersuchungsausschuss sollen
Namen genannt werden, Namen, die in Tbilissi jeder kennt, Personen
aus höheren Etagen, die, so Irakli, dringend angeklagt und
verurteilt werden müssten. "Es reicht, drei oder vier
Leute in den Knast zu bringen, um mit der Korruption auf dem Energiesektor
Schluss zu machen" schlussfolgert Irakli am Ende unseres
Gesprächs. Die Sache läge jetzt beim Generalstaatsanwalt,
der Handlungsbedarf sei gegeben.
Natürlich unterhalten wir uns mit Irakli Tschubinischwili
auch über allgemeine energiepolitische Fragen. Es sei ein
Fehler gewesen, das gesamte Stromsystem so früh zu privatisieren
und den Gesetzen der Martkwirtschaft zu unterwerfen. Damals habe
man auf ein lan ganhaltendes Wachstum der georgischen Wirtschaft
gesetzt, mit deren Einkommenssteigerung ein Grossteil der Bevölkerung
befähigt werden sollte, kostendeckende Stromtarife zu zahlen.
Es ist eben anders gekommen und viele Menschen seien einfach nicht
in der Lage, die von dem Investor geforderten Stromtarife zu bedienen.
Trotzdem bescheinigte er gerade AES-Telasi, durchaus vernünftige
Arbeit geleistet zu haben, vor allem wenn man die Situation bei
AES mit anderen, weiter vom Staat beherrschten, Strukturen vergleiche.
Trotzdem gäbe es einige Fragen, über die man mit den
Amerikanern streiten müsse. Aber wie solle eine Regierung
gegenüber einer Privatfirma auftreten, wenn diese immer wieder
darauf verweisen könne, dass hohe Regierungsfunktionäre
in kriminelle Machenschaften auch zu Lasten dieser Firma verstrickt
seien? Ausserdem sei es wenig weise, jetzt nach vier Jahren und
ersten positiven Entwicklungen auf dem Energiesektor ausgerechnet
diejenigen aus dem Lande jagen zu wollen, die in diese Entwicklung
einige Hundert Millionen $ investiert und doch einiges an Verbesserungen
erreicht hätten. Aber Schewardnadse wisse anscheinend manchmal
nicht mehr, wovon er rede, erklärt sich Irakli das Theater
um AES-Telasi.
Irakli will darauf bestehen, dass sein Bericht erneut im Parlament
verhandelt wird. Und er wird auch darauf bestehen, dass die wichtigste
Schlussfolgerung aus der Arbeit seiner Kommission umgesetzt wird
und die heisst: Herr Staatsanwalt übernehmen Sie!
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