Soll keiner sagen, die Regierung beschäftige sich nicht mit den wirklich brennenden Fragen der Bevölkerung. Und die Frage, die der Bevölkerung fast schon im wörtlichen Sinne am meisten auf den Nägeln brennt, ist die der Energieversorgung über den Winter. Also handelte die Regierung verantwortungsbewusst und setzte das Thema Energieversorgung gleich zweimal hintereinander auf die Tagesordnung ihrer Mittwoch-Routinesitzung. Dabei tat sich insbesondere Staatspräsident Eduard Schewardnadse mit einem unerwarteten Angriff auf den amerikanischen Stromverteiler AES-Telasi hervor. Am 4. Dezember forderte er zur Verblüffung auch seiner engeren Umgebung in der Staatskanzlei gar dessen Rückzug aus Georgien. Am 11. Dezember ruderte er wortgewaltig zurück, begrüsste das Verbleiben von AES in Georgien, bezeichnete sich selbst als den Hauptinitiator das amerikanischen Energieengagements in Georgien und sicherte AES jede Unterstützung seiner Regierung auch in Zukunft zu. AES selbst hatte einen Rückzug aus Georgien abgelehnt, erklärte aber, keine weiteren Investitionen mehr vornehmen zu wollen. AES-Manager Ignacio Irribaren zeigte sich über das erste Statement des Präsidenten erstaunt und begründete es mit falschen Informationen, die der Präsident erhalten habe. Das Schauspiel vom georgischen Energiechaos erlebte dieser Tage - wie alle Jahre kurz vor Weihnachten - eine Neuauflage und der Staatspräsident kann heuer nicht sagen, er spiele keine tragende Rolle in dieser Tragigkomödie.

Die Verbalattacke des georgischen Präsidenten auf den Stromverteiler AES-Telasi, der zu 75 % der amerikanischen Gesellschaft AES gehört, kam urplötzlich. Obwohl die Firma in den letzten Jahren rund 300 Millionen $ in das marode Stromverteilersystem von Tbilissi investiert hatte, erklärte Schewardnadse am 4. Dezember, dass AES Georgien verlassen müsse, da ihre Muttergesellschaft in den USA kurz vor dem Bankrott stehe. In der Tat sind die Aktienkurse der AES-Mutter in den Vereinigten Staaten dramatisch gefallen, von 70 auf einen Dollar. Die Firma sei eine schwere Bürde für das Land, dekretierte Schewardnadse und verstieg sich sogar zu einem Vergleich der Arbeit von AES mit der russischen Firma ITERA, der Georgien gerade 90 % der staatlichen Düngemittelfabrik AZOT verkauft hatte. Es gäbe sowohl in Russland und in Georgien Gesellschaften, die gute und schlechte Arbeit ablieferten, erklärte er sybillinisch, was in den georgischen Medien als eine präsidiale Hinwendung zu Russland gewertet wurde. Und schon unterstellte die Leitartikler ihrem Präsidenten, er wolle den Russen neben der georgischen Gasversorgung, die sie ohnehin besitzen, und dem Düngemittelwerk auch noch die Stromverteilung zuschustern. Für viele war der georgische Präsident nach seinem forschen NATO-Auftritt in Prag bereits wieder auf eine pro-russische Linie ungeschwenkt. So schnell wird hierzulande gedacht und publiziert.

Das auf diesen präsidialen Angriff völlig unvorbereitete Management des amerikanischen Stromverteilers musste sich zuerst einmal mit der amerikanischen Botschaft beraten, bevor man in einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit trat. Dabei konnte Ignacio Irribaren dem Präsidenten vorhalten, dass sein Unternehmen gerade der georgischen Regierung aus der Patsche geholfen hatte. AES hatte seine Stromtarife erhöhen müssen, was durch den vor Jahren abgeschlossenen Vertrag abgedeckt war, nachdem der Investor kostendeckende Preise verlangen kann. Die Regierung hatte zugesagt, die Differenz zwischen dem zum alten Stromtarif für die Bevölkerung zu bezahlen, fand aber im Haushalt 2002 dafür keine Mittel. Gegen die Zusage, die Summe im Haushalt 2003 einzustellen und dann zu begleichen, hat AES bei der Bank of Georgia einen 8 Millionen GEL-Kredit zu einem Jahreszins von 30 % aufgenommen, um den Zeitraum bis Februar zu überbrücken. Dann muss die Regierung ihre Schuld bei AES begleichen, wenn nicht wird AES die Summe in einer neuen Tariferhöhung der Bevölkerung aufs Auge drücken. Allerdings will AES diese Zwischenfinanzierung nur für Kunden gelten lassen, die nicht auf ihrer schwarzen Liste als Stromdiebe stehen.

Eine andere, vermutlich zutreffendere Erklärung für die Attacke Schewardnadses auf AES wird in der Veröffentlichung des Berichtes einer parlamentarischen Untersuchungskommission gesehen, die nahezu unglaubliche kriminelle Machenschaften der sogenannten "Energieväter" Georgiens, das sind höhere Chargen der georgischen staatlichen Stromverwaltung, auflistet. Danach haben fein gesponnenene Netzwerke im Energiesystem über Jahre hinweg Hunderte von Millionen $ abgegriffen, die eigentlich für den Einkauf von Primärenergie vorgesehen waren. Und sie haben Strom verbraucht, dessen Primärenergie von AES-Telasi vorfinanziert worden war, ohne diesen zu bezahlen. Diese kriminellen Machenschaften sind einer der Hauptgründe für die unsichere Stromversorgung in Georgien. Es heisst, Schewardnadse habe mit einem publikumswirksamen Frontalangriff auf AES von der verheerenden Wirkung des Berichts der Untersuchungskommission ablenken wollen. Denn der Bericht nennt Namen hoher georgischer Offizieller und fordert endlich eine effektive Strafverfolgung. Drei oder vier der Drahtzieher dieses Millionen-Betrugs an der georgischen Bevölkerung müssten endlich hinter Gitter gebracht werden, fordert der Parlamentsabgeordnete Irakli Tschubinischwili, der Vorsitzende der Untersuchungskommission (siehe auch: Die Strommafia fest im Visier).

Einer der Hauptgründe für die vielen Stromabschaltungen, unter denen die georgische Bevölkerung leidet, liegt nämlich in der willkürlichen Zuteilung des Stroms durch die sogenannte "Georgische Energiebörse", die, statt den durch sie bezogenenen Strom zu bezahlen, bei der Umleitung der Gelder in private Taschen anscheinend beteiligt ist und in den letzten Jahren Verluste in Höhe von rund 400 Millionen $ angesammelt hat. Dieses Geld muss irgendwo versickert sein und für die Untersuchungskommission des Parlaments ist es keine Frage, dass Mitglieder hoher Regierungskreise in diese Machenschaften verwickelt sein müssen. Die Diskussion um AES, für die es keinen ersichtlichen aktuellen Grund gab, hat auf alle Fälle von der Diskussion um den brissanten Parlamentsbericht abgelenkt. Ob dies in der Absicht des Präsidenten gelegen hat oder ob er lediglich den Einflüsterungen falscher Ratgeber aufgesessen ist, ist unter politischen Analysten heftig umstritten. Solche unerwarteten Attacken Schewardnadses seien oftmals recht kurzfristig geplant und nur mit wenigen Vertrauten abgesprochen, heisst es in der Umgebung Schewardnadses. Und manchmal vertraue er einfach den falschen Leuten.

Jedenfalls befleissigte sich die Mannschaft Schewardnadses, die Sache schnell herunterzuspielen, und versuchte die Ausfälle des Präsidenten damit zu begründen, dass er nur den anstehenden Geldtransfer von AES zu ITERA beschleunigen wollte, mit dem die Gaslieferungen für den bekannten 9. Kraftswerksblock in Gardabani im Voraus zu bezahlen sind. Dieses Ziel habe er erreicht, AES hat, ebenso wie die georgische Energiebörse, die notwendigen Gelder in dieser Woche freigestellt. Der Kraftwerksblock sollte am 10. Dezember hochgefahren werden und die Stromversorgung über Winter einigermassen absichern. Allerdings reicht die bis jetzt geleistete Anzahlung nur für einige Wochen. Trotz dieser zusätzlichen Stromquelle, sollen nur die Verbraucher beliefert werden, die ihren Strom auch tatsächlich bezahlen, erklärte Energieminister David Mirtschulawa. Seine "Energieväter", die sich über Jahre hinweg durch unbezahlte Stromlieferungen bereichert haben, müssen sich nach neuen Einnahmequellen umschauen, wenn`s denn wirklich so kommt, wie der schwergewichtige Minister behauptet.

Der Mann ist durch den Bericht der Untersuchungskommission gewaltig unter Druck geraten. Denn ein Grossteil der kriminellen Machenschaften sei mit seiner Billigung geschehen, erklärt die Opposition im georgischen Parlament. Trotzdem verteidigte Staatsminister Awtandil Dschorbenadse seinen Energieminister als einen guten und in der Sache erfahrenen Mann, der seinen Laden schon in Ordnung bringen könne. Die Situation sei zwar schwer und Korruption in den höheren Etagen sei der Grund für die angespannte Energielage. Prozesse gegen hochrangige Personen müssten endlich zum Abschluss gebracht werden, befand der Quasi-Regierungschef, um ein für alle mal aufzuräumen.

Mirtschulawa seinerseits reagierte auf den Bericht der Untersuchungskommission, in dem er auf einen Schlag 57 Mitarbeiter seines Ministeriums entliess. Welche Etagen davon betroffen sind und ob die in dem Kommissionsbericht aufgeführten "Energieväter" unter diesen Entlassungen zu finden sind, ist den Agenturberichten bis dato nicht zu entnehmen.

Präsident Schewardnadse erklärte am Ende des energiepolitischen Laienschauspiels, hierzulande Kabinettsitzung genannt, dass er von seinem Energieminister die Courage erwarte, zurückzutreten, wenn er es nicht schaffe, in zehn Tagen wenigstens eine der Turbinen des Ingurikraftwerkes wieder in Betrieb zu nehmen, die rechtzeitig zur Winterkälte und dem damit verbundenen Anstieg im Stromverbrauch, ausgefallen sind. Neben der Korruption ist der schlechte technische Zustand des gesamten Stromsystems mit seinen ständigen Ausfällen eine weiterer Grund für die unsichere Stromversorgung Georgiens. Mirtschulawa versicherte, dass die Inguri-Turbinen am 13. Dezember wieder in Betrieb genommen würden.

Eine - nicht repräsentative - Umfrage von GN zur Stromversorgung in Tbilissi lässt kein einheitliches Bild über die Lage zu. Während vor allem Befragte aus dem Stadtzentrum (Vake, Vere, Saburtalo, Didube) übereinstimmend erklärten, die Situation habe sich im November und Dezember gegenüber dem Vorjahr merklich verbessert, wird aus einzelnen Stadtbezirken von einer Verschlechterung berichtet. Überraschenderweise berichten demgegenüber auch Bewohner von Temka und Gldani über eine durchaus stabile Stromversorgung.

In Zukunft soll aber alles besser werden. Eine spanische Fachfirma hat das Management der georgischen Energiebörse, dem sogenannten "Herzstück der Korruption", übernommen und eine irische Firma ist seit kurzem damit beauftragt, die Leitung der bisher staatlich gemanagten Agenturen "Elektrodispetcherizatsia" (Stromproduktionskontrolle) und "Elektrogadatsema" (Stromleitungssysteme) zu übernehmen. Dafür hat die Weltbank einen Wettbewerb ausgeschrieben und einen Kredit von 53 Millionen $ gewährt. 27 Millionen $ sollen für die Modernisierung des Überlandnetzes und der Stromproduktionskontrolle Georgiens verwendet werden. Damit, so Energieminister Mirtschulawa, werde das gesamte Stromsystem Georgiens transparent. Es sei denn, irgendjemand erklärt die Spanier und Iren bei der Aufführung des Energie-Weihnachtstheaters im nächsten Jahr zu einer Last für Georgien und fordert sie auf, das Land zu verlassen. Die "Energieväter" werden schon einen geeigneten Helden für diese Rolle finden.

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