Freitag,
20.9.
KOMMENTAR //Amerikanisch-russischer Radikalpragmatismus
Gerade sollte die Feinarbeit an der neuen amerikanisch-russischen
Partnerschaft beginnen - da setzt Wladimir Putin wieder einmal einen
groben Keil und will den amerikanischen Anti-Terror-Krieg um seinen
russischen Anti-Terror-Krieg vervollständigen. Was Amerika
die islamistische al Qaida, ist Russland die islamistische Guerilla
im Kaukasus, besonders in Tschetschenien.
Oder anders formuliert: Wer den großen Angriff auf den Irak
vorbereitet, sollte bei einer begrenzten russischen Intervention
im georgischen Pankisi-Tal nicht kleinlich sein. An einer solchen
Lesart des russisch-amerikanischen Radikalpragmatismus mag Präsident
Putin besonders schätzen, dass sie nie ausgesprochen werden
muss, weil sie sich von selbst versteht. In das sub-imperiale Moskauer
Denken übertragen, heißt die Botschaft an George W. Bush
in Sachen Georgien: Staatschef Schewardnadse muss eine Lektion erteilt
werden ob seiner Toleranz (oder Ohnmacht) gegenüber den tschetschenischen
Freischärlern im Pankisi-Tal. Russlands verbliebene Stärke
- sprich seine Armee - will dort georgische Schwäche kompensieren.
Subtext: Moskau liebt es nicht, wenn die Regierung in Tiflis die
kaukasische Karte zieht. Georgien liegt nur zwei Flugstunden südlich
der russischen Hauptstadt in einer Region, in der Hunderte von Völkern
leben, die heute - je nach politischer Konjunktur - davon träumen,
sich von russischem Einfluss zu befreien. Außerdem fließt
inzwischen aserbaidschanisches Öl über eine georgische
Pipeline nach Westen - ohne Transit durch Russland. Von den Einnahmen
erhofft sich Georgien eine schrittweise Emanzipation von Moskau,
das gern am Erdgas-Hahn dreht, sobald Tiflis wegen nationaler Eigenmächtigkeiten
zur Räson gebracht werden soll. Dass unter derartigen Umständen
in Georgien die Sehnsucht wächst, sich dieses rigiden Patronats
zu entledigen, steht außer Frage. Schewardnadse operiert immer
häufiger mit dem Wunsch, NATO- und EU-Mitglied zu werden. Bisher
eine Utopie, doch seit Washington das postsowjetische Eurasien als
Hinterland seines Anti-Terror-Feldzuges entdeckt und Stützpunkte
in Kasachstan, Usbekistan und Tadschikistan eingerichtet hat, darf
sich auch Georgien strategisch aufgewertet fühlen. US-Ausbilder
kümmern sich um die Armee Schewardnadse, deren Modernisierung
scheint beschlossene Sache.
Russland könnte
also in den asiatischen GUS-Staaten an die USA verlieren, was
es im "Anti-Terror-Krieg" gegen den kaukasischen Separatismus
dank amerikanischer Rückendeckung gewinn. Putins Drohungen
gegenüber Schewardnadse dürfen insofern auch als Warnungen
an Bush verstanden werden, Russland nicht dort zu verdrängen,
wo es essentielle Interessen hat. Die waren schließlich
ausschlaggebend, den Amerikanern in Sachen Anti-Terror so ergeben
zu folgen, wie das bisher geschehen ist.
|