Sollte der Weg
zur Macht einmal frei werden, dann hat es Michael Saakaschwili nicht
weit. Das Partei-Hauptquartier seiner "Demokratischen Bewegung"
liegt direkt neben dem Aussenministerium, nur jeweils ein paar Hundert
Meter vom Parlament oder der Regierungskanzlei entfernt. Damit ist
der Volkstribun schon einmal dort präsent, wo er spätestens
in ein paar Jahren stehen will, im Zentrum der Macht. Aber viel
lieber wäre es ihm, der Machtwechsel von Schewardnadse zur
Opposition käme früher, am besten schon morgen. Sakaschwili
lässt keinen Zweifel daran, dass er bereit dazu wäre.
Georgien zu organisieren, dürfte nicht allzu schwer sein. Das
Land sei überschaubar.
Das Gespräch
mit einem der wichtigsten Oppositionsführer Georgiens kommt
ohne Umschweife auf den Punkt. Warum denn die Opposition nicht
die Chance gesucht hätte, den Präsidenten im Parlament
zu stellen, wie dies doch üblich wäre in einer Demokratie,
lautet die Frage. Die Antwort: "Da gibt es nichts zu diskuttieren.
Der Mann handelt nicht wie ein demokratischer Führer. Je
schwächer seine Position wird, desto autokratischer wird
er. Er führt Georgien auf den Weg in eine Milosevic-Republik."
Und Saakaschwili
legt nach: Seit er sich in Opposition zu Schewardnadse begeben
hätte, sei er vom Staatlichen Fernsehen nur ein einziges
Mal zu einer Sendung eingeladen worden. Zehn Minuten habe der
Auftritt gedauert und die Redakteurin, die es gewagt hätte,
ihn einzuladen, sei anschliessend gefeuert worden. Die staatlichen
Medien seien für die Opposition völlig gesperrt und
in den sataatlichen Zeitungen würde sie auf unflätigste
Weise beschimpft.
Seit einem
halben Jahr würden die Ergebnisse der Kommunalwahl in Tbilissi
nachgezählt, nur damit das neue Stadtparlament, in dem die
Bürgerunion Schewardnadses nicht mehr vertreten ist, nicht
zusammentreten kann. Statt das Ergebnis dieser Wahl zu akzeptieren,
habe Schewardnadse den Jusitzminister angewiesen, die Amtszeit
des alten Stadtparlaments so lange zu verlängern, bis das
nachgezählte Ergebnis endgültig vorliegt. Wann das sein
wird, weiss niemand, aber Saakaschwili befürchtet, dass dieses
im Juni gewählte Stadtparlament so schnell nicht zusammentreten
wird. Wenn die Nachauszählung publiziert wird, die, soweit
jetzt bereits bekannt ist, keine Veränderung der Mandatsverteilung
bringen wird, wird er sicher einen Grund finden, die ganze Wahl
annulieren zu lassen, redet sich Saakaschwili in Rage.
In
Westgeorgien hätten bei den Kommunalwahlen paramilitärische
Einheiten Wahlauftritte seiner Partei verhindert und der Staatschef
hätte, statt diese Rechtsbrüche zu unterbinden und verfolgen
zu lassen, lediglich sein Bedauern darüber geäussert,
dass die Parteien im Wahlkampf auf diese Art und Weise aneinandergeraten
seien. Für Saakaschwili ist klar, dass Schewardnadse und
sein Regierungsapparat hinter den gewalttätigen Angriffen
auf ihn und seine Parteifreunde stehen.
Wenn sich
an dieser Situation nichts ändere, müsse sich die Opposition
sogar überlegen, ob sie an den Parlamentswahlen im kommenden
Jahr teilnehmen werde. Was habe es denn für einen Sinn, anzutreten,
wenn die Regierung keine fairen Wahlen garantiere? Saakaschwili
sieht bei der derzeitigen Regierung kein Szenario für eine
demokratische Wahl und befürchtet Massenproteste seien nicht
mehr aufzuhalten, sollte Schewardnadse seine Politik nicht gründlich
ändern.
Wie von einem
Wasserfall gespeist sprudeln die Anschuldigungen stakkadoartig
hervor, ohne den Ansatz einer Pause. Was war denn da am Vorabend
der präsidialen Parlamentsrede? Schwania, Gamkrelidze und
er hätten sich telefonisch verabredet, das Parlament während
der Rede Schewardnadses zu verlassen, wenn dieser nicht einen
einigermassen passablen Auftritt bewerkstellige und sich, wie
zu erwarten war, nicht den brennenden Problemen des Landes widmete.
Niemand habe von dieser Absprache gewusst, nicht einmal die engsten
Parteifreunde seien eingeweiht worden, um den Überraschungseffekt
dieses demonstrativen Auszuges aus dem Parlament nicht vorzeitig
zu verschleissen. Schon eine Stunde nach dieser Telefonkonferenz
habe der Präsident bei Schwania und Gamkrelidze angerufen
und sie aufgefordert, den Plan aufzugeben und wenigstens seine
Rede anzuhören. "Woher hat er die Information? Lässt
er die Telefongespräche der Opposition abhören?"
beschuldigt der frühere Justizminister seinen ehemaligen
Chef des glatten Verfassungsbruchs.
Aber in der
Aussenpolitik, hat da Schewardnadse in den letzten Wochen nicht
doch einigen Schaden vom Land abwenden können? Wäre
es nicht fair von der Opposition, dies wenigstens zuzugeben? Man
könne einzig Schewardnadses Entscheidung, stärker mit
dem Westen zu kooperieren, begrüssen. Das sei aber auch alles.
Seine Russlandpolitik sei alles andere als systematisch, im Gegenteil,
er selbst habe Russland immer wieder Anlass gegeben, Druck auf
Georgien auszuüben. Ausserdem wisse man nie, ob er - siehe
den letztendlich geplatzten Gasdeal mit ITERA - das Land an Russland
verkaufen wolle oder nicht. Er sei immer zu viel zu grossen Zugeständnissen
an Russland bereit gewesen und habe auf der anderen Seite aber
auch mit seinem Gerede über Gulajew das ganze Verhältnis
zu Russland zerstört. Jenen betrachten die Russen als eine
Art tschetschenischen Bin Laden und Schewardnadse habe ihn als
einen gebildeten Menschen bezeichnet. Die ganze russische Presse
habe deshalb auf Georgien gewütet. Mit der Wendung nach dem
Westen sei die Russland-Krise noch nicht bewältigt. Russland
würde sofort wieder Druck auf Georgien ausüben, wenn
es innenpolitische Entlastung brauche.
Natürlich
hat sich die internationale Situation zugunsten des Westens gewandelt.
Und das ist durchaus im Sinne Saakaschwilis. Aber er warnte die
westlichen Staaten, sich in den nächsten Jahren allzusehr
auf Schewardnadse zu verlassen, dem er vorwarf, in Georgien eine
Stabilität nach zentralasiatischem Muster schaffen zu wollen.
Das werde nicht gelingen, denn Georgein brauche ein starke Demokratie,
wenn es stabil bleiben soll. Daran müsse sich der Westen
orientieren.
Die von Schewardnadse
angesprochenen Verfassungsreformen lehnt Saakaschwili rundweg
ab. Die derzeitige Verfassung sei sehr gut für Georgien:
"Ein starker Präsident und ein starkes Parlament".
Der politischen Klasse traut er derzeit noch nicht die Reife zu,
auf Parlamentsebene zu handlungsfähigen und reformbereiten
Koalitionen zu kommen, die dann tatsächlich eine Regierung
tragen könnten. Da würde zuviel im Dunkeln gedealt,
als dass es vorwärts gehen könne. Allerdings nennt Saakaschwili
auch zwei klare Voraussetzung dafür, dass das jetzige System
funktionieren könne: Das Parlament muss stark sein, so wie
es zu Zeiten der Bürgerunions-Mehrheit war, als er zusammen
mit Schwania dem Präsidenten die Mehrheiten garantierte.
Und: Der Präsident muss ein Reformer sein, keiner wie Schewardnadse,
der nur an alten Strukturen festhalte. Wer denn dieser Präsident
sein könne, blieb offen in dem Gespräch, Schwania vielleicht,
er selbst natürlich auch, mehr Kandidaten fielen Saakaschwili
nicht ein. Sicher ist er sich aber in einem: ein Nachfolgekandidat
von Schewardnadses Gnaden wird in Georgien keine Wahl gewinnen
können, wenn diese unter einigermassen fairen Bedingungen
ablaufen sollten.
Ob er und
Schwania vielleicht nur deshalb Schewardnadse so stark attackierten,
um sich rechtzeitig aus dem Schatten des grossen Meisters zu entfernen
und so ihre eigenen Wahlchancen zu wahren? Nein, Saakaschwili,
lacht ob dieser vordergründig taktischen Betrachtungsweise
ihrer Fundamentalopposition zu Schewardnadse. Die Trennung von
ihm sei nur natürlich gewesen. Während der gemeinsamen
Tage in der Bürgerunion habe man parteiintern das eine oder
andere ausbalancieren können. Aber die Konflikte hätten
zugenommen, sodass ein Auseinandergehen unumgänglich geworden
wäre. Da stecke eine grosse Logik in diesem Prozess der Entfernung
voneinander.
Und noch etwas
gibt Saakaschwili am Ende des einstündigen Gesprächs
zu Protokoll: Wenn Schewardnadse weiter in ein autokratisches
Regime abdriftet, dann werde er hinweggefegt von den Leuten, nicht
von der parlamentarischen Opposition. Die könne das überhaupt
nicht verhindern. Das ganze politische Spektrum im Lande sei gegen
Schewardnadse. Mit der Gamkrelidze-Fraktion, die sich zum Oppositionsbündnis
bekannt habe, hätte der Präsident auch die Unterstützung
der einflussreichen wirtschaftlichen Clans verloren, die Reformer
und Demokraten seien ihm schon früher davongelaufen. Wenn
sich die Opposition jetzt, ungeachtet ihrer Unterschiede im Detail,
nur in einem Ziel einig sei, dann wäre der Weg frei für
einen politischen Neuanfang. Und dieses Ziel heisst ganz einfach:
Alle minus einen - die Formel Saakaschwili. Und dann wäre
er allen anderen vielleicht einen Schritt voraus, nicht nur, weil
er sein Parteihauptquartier mitten im Regierungsviertel aufgeschlagen
hat. Saakaschwili rechnet sich gute Chancen aus, bei Wahlen mehr
als 20 % auf sich zu vereinen. Und damit kann man in diesem Land
durchaus auch Präsident werden.
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