Ausgabe 16/02, 23. Okt. Archiv
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Sollte der Weg zur Macht einmal frei werden, dann hat es Michael Saakaschwili nicht weit. Das Partei-Hauptquartier seiner "Demokratischen Bewegung" liegt direkt neben dem Aussenministerium, nur jeweils ein paar Hundert Meter vom Parlament oder der Regierungskanzlei entfernt. Damit ist der Volkstribun schon einmal dort präsent, wo er spätestens in ein paar Jahren stehen will, im Zentrum der Macht. Aber viel lieber wäre es ihm, der Machtwechsel von Schewardnadse zur Opposition käme früher, am besten schon morgen. Sakaschwili lässt keinen Zweifel daran, dass er bereit dazu wäre. Georgien zu organisieren, dürfte nicht allzu schwer sein. Das Land sei überschaubar.

Das Gespräch mit einem der wichtigsten Oppositionsführer Georgiens kommt ohne Umschweife auf den Punkt. Warum denn die Opposition nicht die Chance gesucht hätte, den Präsidenten im Parlament zu stellen, wie dies doch üblich wäre in einer Demokratie, lautet die Frage. Die Antwort: "Da gibt es nichts zu diskuttieren. Der Mann handelt nicht wie ein demokratischer Führer. Je schwächer seine Position wird, desto autokratischer wird er. Er führt Georgien auf den Weg in eine Milosevic-Republik."

Und Saakaschwili legt nach: Seit er sich in Opposition zu Schewardnadse begeben hätte, sei er vom Staatlichen Fernsehen nur ein einziges Mal zu einer Sendung eingeladen worden. Zehn Minuten habe der Auftritt gedauert und die Redakteurin, die es gewagt hätte, ihn einzuladen, sei anschliessend gefeuert worden. Die staatlichen Medien seien für die Opposition völlig gesperrt und in den sataatlichen Zeitungen würde sie auf unflätigste Weise beschimpft.

Seit einem halben Jahr würden die Ergebnisse der Kommunalwahl in Tbilissi nachgezählt, nur damit das neue Stadtparlament, in dem die Bürgerunion Schewardnadses nicht mehr vertreten ist, nicht zusammentreten kann. Statt das Ergebnis dieser Wahl zu akzeptieren, habe Schewardnadse den Jusitzminister angewiesen, die Amtszeit des alten Stadtparlaments so lange zu verlängern, bis das nachgezählte Ergebnis endgültig vorliegt. Wann das sein wird, weiss niemand, aber Saakaschwili befürchtet, dass dieses im Juni gewählte Stadtparlament so schnell nicht zusammentreten wird. Wenn die Nachauszählung publiziert wird, die, soweit jetzt bereits bekannt ist, keine Veränderung der Mandatsverteilung bringen wird, wird er sicher einen Grund finden, die ganze Wahl annulieren zu lassen, redet sich Saakaschwili in Rage.

In Westgeorgien hätten bei den Kommunalwahlen paramilitärische Einheiten Wahlauftritte seiner Partei verhindert und der Staatschef hätte, statt diese Rechtsbrüche zu unterbinden und verfolgen zu lassen, lediglich sein Bedauern darüber geäussert, dass die Parteien im Wahlkampf auf diese Art und Weise aneinandergeraten seien. Für Saakaschwili ist klar, dass Schewardnadse und sein Regierungsapparat hinter den gewalttätigen Angriffen auf ihn und seine Parteifreunde stehen.

Wenn sich an dieser Situation nichts ändere, müsse sich die Opposition sogar überlegen, ob sie an den Parlamentswahlen im kommenden Jahr teilnehmen werde. Was habe es denn für einen Sinn, anzutreten, wenn die Regierung keine fairen Wahlen garantiere? Saakaschwili sieht bei der derzeitigen Regierung kein Szenario für eine demokratische Wahl und befürchtet Massenproteste seien nicht mehr aufzuhalten, sollte Schewardnadse seine Politik nicht gründlich ändern.

Wie von einem Wasserfall gespeist sprudeln die Anschuldigungen stakkadoartig hervor, ohne den Ansatz einer Pause. Was war denn da am Vorabend der präsidialen Parlamentsrede? Schwania, Gamkrelidze und er hätten sich telefonisch verabredet, das Parlament während der Rede Schewardnadses zu verlassen, wenn dieser nicht einen einigermassen passablen Auftritt bewerkstellige und sich, wie zu erwarten war, nicht den brennenden Problemen des Landes widmete. Niemand habe von dieser Absprache gewusst, nicht einmal die engsten Parteifreunde seien eingeweiht worden, um den Überraschungseffekt dieses demonstrativen Auszuges aus dem Parlament nicht vorzeitig zu verschleissen. Schon eine Stunde nach dieser Telefonkonferenz habe der Präsident bei Schwania und Gamkrelidze angerufen und sie aufgefordert, den Plan aufzugeben und wenigstens seine Rede anzuhören. "Woher hat er die Information? Lässt er die Telefongespräche der Opposition abhören?" beschuldigt der frühere Justizminister seinen ehemaligen Chef des glatten Verfassungsbruchs.

Aber in der Aussenpolitik, hat da Schewardnadse in den letzten Wochen nicht doch einigen Schaden vom Land abwenden können? Wäre es nicht fair von der Opposition, dies wenigstens zuzugeben? Man könne einzig Schewardnadses Entscheidung, stärker mit dem Westen zu kooperieren, begrüssen. Das sei aber auch alles. Seine Russlandpolitik sei alles andere als systematisch, im Gegenteil, er selbst habe Russland immer wieder Anlass gegeben, Druck auf Georgien auszuüben. Ausserdem wisse man nie, ob er - siehe den letztendlich geplatzten Gasdeal mit ITERA - das Land an Russland verkaufen wolle oder nicht. Er sei immer zu viel zu grossen Zugeständnissen an Russland bereit gewesen und habe auf der anderen Seite aber auch mit seinem Gerede über Gulajew das ganze Verhältnis zu Russland zerstört. Jenen betrachten die Russen als eine Art tschetschenischen Bin Laden und Schewardnadse habe ihn als einen gebildeten Menschen bezeichnet. Die ganze russische Presse habe deshalb auf Georgien gewütet. Mit der Wendung nach dem Westen sei die Russland-Krise noch nicht bewältigt. Russland würde sofort wieder Druck auf Georgien ausüben, wenn es innenpolitische Entlastung brauche.

Natürlich hat sich die internationale Situation zugunsten des Westens gewandelt. Und das ist durchaus im Sinne Saakaschwilis. Aber er warnte die westlichen Staaten, sich in den nächsten Jahren allzusehr auf Schewardnadse zu verlassen, dem er vorwarf, in Georgien eine Stabilität nach zentralasiatischem Muster schaffen zu wollen. Das werde nicht gelingen, denn Georgein brauche ein starke Demokratie, wenn es stabil bleiben soll. Daran müsse sich der Westen orientieren.

Die von Schewardnadse angesprochenen Verfassungsreformen lehnt Saakaschwili rundweg ab. Die derzeitige Verfassung sei sehr gut für Georgien: "Ein starker Präsident und ein starkes Parlament". Der politischen Klasse traut er derzeit noch nicht die Reife zu, auf Parlamentsebene zu handlungsfähigen und reformbereiten Koalitionen zu kommen, die dann tatsächlich eine Regierung tragen könnten. Da würde zuviel im Dunkeln gedealt, als dass es vorwärts gehen könne. Allerdings nennt Saakaschwili auch zwei klare Voraussetzung dafür, dass das jetzige System funktionieren könne: Das Parlament muss stark sein, so wie es zu Zeiten der Bürgerunions-Mehrheit war, als er zusammen mit Schwania dem Präsidenten die Mehrheiten garantierte. Und: Der Präsident muss ein Reformer sein, keiner wie Schewardnadse, der nur an alten Strukturen festhalte. Wer denn dieser Präsident sein könne, blieb offen in dem Gespräch, Schwania vielleicht, er selbst natürlich auch, mehr Kandidaten fielen Saakaschwili nicht ein. Sicher ist er sich aber in einem: ein Nachfolgekandidat von Schewardnadses Gnaden wird in Georgien keine Wahl gewinnen können, wenn diese unter einigermassen fairen Bedingungen ablaufen sollten.

Ob er und Schwania vielleicht nur deshalb Schewardnadse so stark attackierten, um sich rechtzeitig aus dem Schatten des grossen Meisters zu entfernen und so ihre eigenen Wahlchancen zu wahren? Nein, Saakaschwili, lacht ob dieser vordergründig taktischen Betrachtungsweise ihrer Fundamentalopposition zu Schewardnadse. Die Trennung von ihm sei nur natürlich gewesen. Während der gemeinsamen Tage in der Bürgerunion habe man parteiintern das eine oder andere ausbalancieren können. Aber die Konflikte hätten zugenommen, sodass ein Auseinandergehen unumgänglich geworden wäre. Da stecke eine grosse Logik in diesem Prozess der Entfernung voneinander.

Und noch etwas gibt Saakaschwili am Ende des einstündigen Gesprächs zu Protokoll: Wenn Schewardnadse weiter in ein autokratisches Regime abdriftet, dann werde er hinweggefegt von den Leuten, nicht von der parlamentarischen Opposition. Die könne das überhaupt nicht verhindern. Das ganze politische Spektrum im Lande sei gegen Schewardnadse. Mit der Gamkrelidze-Fraktion, die sich zum Oppositionsbündnis bekannt habe, hätte der Präsident auch die Unterstützung der einflussreichen wirtschaftlichen Clans verloren, die Reformer und Demokraten seien ihm schon früher davongelaufen. Wenn sich die Opposition jetzt, ungeachtet ihrer Unterschiede im Detail, nur in einem Ziel einig sei, dann wäre der Weg frei für einen politischen Neuanfang. Und dieses Ziel heisst ganz einfach: Alle minus einen - die Formel Saakaschwili. Und dann wäre er allen anderen vielleicht einen Schritt voraus, nicht nur, weil er sein Parteihauptquartier mitten im Regierungsviertel aufgeschlagen hat. Saakaschwili rechnet sich gute Chancen aus, bei Wahlen mehr als 20 % auf sich zu vereinen. Und damit kann man in diesem Land durchaus auch Präsident werden.

 

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