Ausgabe 16/02, 23. Okt. Archiv
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Die innenpolitische Schonfrist für Eduard Schewardnadse ist abgelaufen. Haben sich die wichtigsten Oppositionspolitiker vor dem Gipfel in Kischniew mit kritischen Stellungnahmen noch zurückgehalten, kam es nach dem jährlichen Rechenschaftsbericht Schewardnadses vor dem Parlament am 11. Oktober zu einem handfesten Eklat. Fünf Fraktionen verliessen sofort nach der Rede demonstrativ das Parlament und lehnten es ab, über diesen Rechenschaftsbericht überhaupt zu debattieren. Der Präsident sei auf keines der drängenden Probleme des Landes wirklich eingegangen und habe damit zu erkennen gegeben, dass er überhaupt nicht gewillt sei, mit der Bevölkerung und dem Parlament in einen ernsthaften Meinungsaustausch einzutreten. Demgegenüber verlautet aus der Umgebung des Präsidenten, die Opposition habe mit ihrem Boykott wohl den bequemsten Weg der Auseinandersetzung gewählt, weil sie fürchten müsse, in einem direkten Austausch von Argumenten den Kürzeren zu ziehen. Schewardnadse sei bereit gewesen, auf die Oppositionskritik die richtige Antwort zu geben. Doch auch im verbliebenen Rumpfparlament hagelte es böse Kritik an Schewardnadses Politik und Person. Nach einem harschen Statement zog später auch noch die Fraktion Wiederaufbau des adscharischen Präsidenten Aslan Abaschidse aus dem Saal. Nur zwei Fraktionen standen mit ihren Bewertungen ohne wenn und aber hinter dem Präsidenten, der es in den letzten Jahren seiner Amtszeit sehr schwer haben wird, parlamentarische Mehrheiten zu organisieren.

Schewardnadse beschäftigte sich in seiner Rede tatsächlich weniger mit den aktuellen innenpolitischen und wirtschaftlichen Problemen des Landes als vielmehr mit tiefgreifenden Strukturreformen im Aufbau des georgischen Staates und kündigte dabei wichtige Verfassungsänderungen an. So soll Georgien aus einem zentralistisch organisierten Staat in eine Föderation umstrukturiert werden. Das Parlament soll in ein Zweikammersystem mit einem höchstens 100-köpfigen Parlament und einer zweiten Kammer, dem Senat, in dem die Vertreter der Föderationssubjekte vertreten sind, umgewandelt werden. Gleichzeitig kündigte er die Einführung eines sogenannten Ministerkabinetts an und forderte mehr Kompetenzen für das Staatsministerium, das derzeit nichts anderes ist als eine Regierungskanzulei. Ganz nebenbei will Schewardnadse noch die staatlichen Symbole geändert wissen, zum Beispiel die Nationalhymne. Die heutige Hymne sei eines Landes mit der musikalischen Tradition Georgiens unwürdig.


Wichtige Reformen kündigte er auch im Sicherheitsbereich an. So soll zum Beispiel der Nationale Sicherheitsrat, derzeit eine wichtige Stelle im zentralen Nervensystem der georgischen Politik, zu einem reinen Informationsbeschaffungsdienst für Analysen und Prognosen umgebaut werden. Das Justizministerium soll aufgewertet werden und die Kompetenz bekommen, alle staatlichen juristischen Angelegenheiten zu koordinieren.

Im aussenpolitischen Teil seiner etwas mehr als einstündigen Rede beschäftige sich der Präsident vor allem mit dem aktuellen Thema des Verhältnisses Georgiens zu Russland und Amerika. Beide Länder seien gleichermassen strategische Partner Georgiens und das Land habe keinen Grund, sich für einen von beiden zu entscheiden. Im Gegenteil: Georgien sei eine Bühne, auf der Russland und Amerika zusammenarbeiten könnten, aber niemals eine Bühne für russisch-amerikanische Konfrontationen.

Eindeutig bekannte sich Eduard Schewardnadse zum Beitritt Georgiens zur Europäischen Union und zur NATO. Schon nach dem Prager NATO-Gipfel will Georgien offiziell mit einem Aufnahmeantrag vorstellig werden. Dies sei keine einfache und rasch umzusetzende Perspektive, aber strategisch real, da Georgien bereits erhebliche Anstrenungen in der Reform seiner Landesverteidigung unternommen habe. In wenigen Jahren werde Georgien über eine kleine, gut ausgerüstete und ausgebildete Armee verfügen, die NATO-Standards genüge, erklärte Schewardnadse. Eine NATO-Mitgliedschaft Georgiens richte sich nicht gegen Russland, da Russland selbst in alle wichtigen Entscheidungen der NATO eingebunden sei.


Mit einigen Überraschungen wartete Schewardnadse zum Thema Abchasien auf, als er die baldige Einberufung einer Internationalen Abchasienkonferenz unter der Präsidentschaft Russlands und Amerikas mit aktiver Beteiligung der Ukraine und der Türkei ankündigte. Er hätte mit dieser Initiative bereits früher an die Öffentlichkeit können, aber die Idee sei noch nicht ausgegoren gewesen. Georgien werde auf dieser Konferenz konkrete Vorschläge auf der Basis des UN-Dokuments zur Aufteilung der Kompetenzen zwischen Tbilissi und Suchumi unterbreiten. Dieses Papier sollte nicht von der Agenda verschwinden. Wie diese Vorschläge aussehen könnten, zeigte Schewardnadse mit seiner Ankündigung, den Vorsitz im künftigen Senat Georgiens, der zweiten Kammer, automatisch dem höchsten Führer Abchasiens zuzubilligen, der damit zweiter Mann im georgischen Staat würde.

Für die Fünfer-Koalition in der Opposition, die das Parlament aus Protest gegen die Rede Schewardnadses verlies, erklärte der Vorsitzende der "Neuen Rechten" David Gamkrelidze, die Opposition habe gehofft, Schewardnadse würde sich mit den schweren Problemen, die im Land existierten befassen. So habe der Präsident die Frage der Budgetkrise mit einem Defizit von 110 Millionen GEL nicht erwähnt, auch nicht die politischen Verstösse seiner Regierung, zum Beispiel die Tatsache, dass das Stadtparlament von Tbilissi seit mehr als fünf Monaten nach der Wahl noch nicht zu seiner ersten Sitzung zusammentreten konnte. Dem Boykott der Parlamentssitzung haben sich neben den "Neuen Rechten" auch die "Bewegung für demokratische Reformen" des früheren Justizministers Michael Saakaschwili, die "Vereinten Demokraten" des ehemaligen Parlamentspräsidenten Surab Schwania, die "Traditionalisten" von Akaki Tsereteli und die "Christdemokraten - neues Abchasien" unter Wascha Lordkipanidse, dem ehemaligen Staatsminister Schewardnadses, angeschlossen. Drei dieser Fraktionen (Neue Rechte, Vereinigte Demokraten und Bewegung für demokratische Reformen) haben sich in den letzten drei Jahren von der Bürgerunion Schewardnadses abgespalten, ihre Führer waren bis zum vergangenen Jahr noch prominente Mitglieder der ehemaligen Mehrheitspartei.

Surab Schwania und Michael Sakaschwili fuhren ebenfalls schweres Geschütz gegen ihren ehemaligen Mentor Schewardnadse auf. Die Rede, erklärten sie unisono, habe sie an eine Parteiveranstaltung der KP aus den 60-er Jahren erinnert. Die Führer der fünf Boykottfraktionen liessen erkennen, dass sie sich ab sofort als ein Oppositionsblock verstehen und gemeinsame Aktionen gegen die Regierungspolitik planen. David Gamkrelidse sprach sogar von einem historischen Tag. Es sei höchste Zeit, der Politik des Teilens und Herrschens ein Ende zu bereiten. Surab Schwania erklärte dazu, dass man sich darauf geeinigt habe, gemeinsam das Parlament zu verlassen aus Protest gegen die Pläne der Regierung, die Opposition aufspalten zu wollen. Man habe umfangreiche Stellungnahmen zur Regierungspolitik vorbereitet gehabt, sei aber angesichts der Rede Schewardnadses derart bestürzt gewesen, dass man sich zum Boykott der Diskussion entschlossen habe.


Insbesondere die Pläne zur Parlaments- und Verfassungsreform, die Schewardnadse in seiner Rede vorlegte, hat die Opposition zur Rage gebracht. Sie wittert hinter der föderalen Lösung und dem Zwei-Kammern-System bei gleichzeitiger Aufwertung des Kabinetts nichts anderes als den Versuch Schewardnadses, das Parlament zu entmachten. Dem müsse die Oppositon mit Geschlossenheit gegenübertreten. Unterstützung fand Schewardnadse bei der Bürgerunion und der Fraktion "Neues Georgien", die seine Rede und die darin enthaltenen Vorschläge begrüssten.

Schewardnadse reagierte mit Unverständnis auf den Auszug der Opposition aus dem Parlament und nannte dies eine Revolution und Notstandssituation. Da er von den Plänen der Opposition wusste, sogar seine Rede zu boykottieren, habe er noch am Abend zuvor mit Schwania und Gamkrelidse gesprochen und sie gebeten, seinem Rechenschaftsbericht zuzuhören. Er sei bereit, sich mit diesen Abgeordneten zu treffen, aber die siebenjährige Erfahrung zeige, dass weder das Staatsoberhaupt noch diese Personen irgendeinen Nutzen aus diesen Kontakten hätten ziehen können, wobei Schewardnadse grosszügig unterschlug, dass er fünf dieser sieben Jahre vor allem mit Surab Schwania äusserst effektiv zusammengearbeitet hat.

Nach dieser Rede sind die Fronten in Georgien klarer denn zuvor. Die fünf Boykottparteien repäsentieren derzeit mit insgesamt 76 Abgeordneten den stärksten Block im georgischen Parlament, während es die offenen Unterstützer des Präsidenten, Bürgerunion und "Neues Georgien", gerade einmal auf 21 Sitze bringen. Die Kommunalwahlen vom Frühjahr haben aber gezeigt, dass die Oppositionsparteien bei Neuwahlen wohl weitaus stärker zu veranschlagen sind. Damals hatten Schwania, Saakaschwili und Gamkrelidze in der georgischen Hauptstadt mit 42 % der Stimmen fast die Hälfte der Wähler auf sich vereinen können. Darauf stützen sich die drei mit ihrer Totalopposition gegen Schewardnadse.

Insgesamt hat das Parlament 232 Sitze und Schewardnadse muss sich im nächsten Jahr seine Mehrheiten von Fall zu Fall durch Verhandlungen und informelle Kontakte unter den insgesamt 15 Fraktionen und 24 fraktionslosen Abgeordneten zusammenbasteln. Im Herbst 2003 wird ein neues Parlament gewählt, mit dem Eklat um die Präsidentenrede hat wohl ein einjähriger Dauerwahlkampf begonnen, der das Parlament zunächst einmal lähmen wird.

Regieren wird dadurch nicht unbedingt einfacher. Wie Eduard Schewardnadse in einer solchen innenpolitischen Situation Verfassungsänderungen der Bedeutung durchbringen will, die er in seiner Rede ankündigte, hat er nicht erklärt. Denn nach dieser Rede, so Michael Saakaschwili, ehemals Fraktionsvorsitzender der Bürgerunion und später Justizminister, sind alle Ressourcen des gegenseitigen Dialogs erschöpft. Demonstrationen, wie gleich nach Schewardnadses Rechenschaftsbericht in den Wandelgängen des Parlaments befürchtet, seien derzeit nicht geplant, heisst es. Surab Schwania liess aber keinen Zweifel daran, dass man wieder die Strasse mobilisieren werde, sollte die Regierung irgendwelchen Druck auf NGO`s, kritische TV-Sender oder gar Parteien ausüben. Nach überstandener aussenpolitischer Krise steht Eduard Schewardnadse ein heisses innenpolitisches Jahr bevor.

 


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