Ausgabe 16/02, 23. Okt. Archiv
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"Wer hätte vor zehn Jahren daran geglaubt, dass Georgien heute so ein schönes Fussballstadion haben würde und ein Länderspiel auf diesem Niveau austragen könnte?" sagte ein Besucher kurz vor dem Anpfiff des EM-Qualifikationsspiels Georgien-Russland noch voll Stolz. Mit diesem Stadion habe Georgien endlich das Sowjetniveau verlassen und wer heute am Fernseher zuschaue, müsse doch anerkennen, dass sich in den letzten Jahren etwas getan habe in Georgien. In der Tat, das erst im letzten Jahr fertiggestellte Lokomotive-Stadion, finanziert von der staatlichen georgischen Eisenbahn, ist ein kleines Schmuckkästchen, der Stolz des georgischen Sports, d.h. es war der Stolz des georgischen



  

Sports bis zu jener 39. Minute, als die Flutlichtanlage ausfiel und nur für eine kurze Zeit wieder hochgefahren werden konnte. Jetzt sind die Bettreiber des Lokomotive-Stadions zur Zielscheibe internationalen Spotts geworden. Und was als sportlich-friedliches Ende im georgisch-russischen Propagandakrieg der letzten Wochen gedacht war, geriet zur grösstmöglichen Blamage für das Land und vor allem seinen Präsidenten, der zusammen mit einigen Ehrengästen aus Russland das Stadion in völliger Dunkelheit verlassen musste.

Natürlich war sofort von Sabotage die Rede, von finsteren Mächten, die die Regierung blamieren oder gar stürzen wollten oder eben einfach nur etwas dagegen hatten, dass da entgegen aller Medienhysterie, die politische Spannungen auf den Rasen übertragen wollte, nichts anderes stattfand als ein - übrigens bemerkenswert fairer - Sportwettkampf zweier Profiteams in erstaunlich freundschaftlicher Atmosphäre. Der Präsident des russischen Fussballverbandes, Wjatscheslaw Koloskow, hatte noch am Vorabend davon gesprochen, dass seine Delegation keinerlei besonderen Sicherheitsmassnahmen von Tbilissi verlangt habe, da man doch zu "engen Freunden" gekommen sei. Trotzdem sorgten unübersehbar einige Tausend Polizeibeamte für Ordnung und Sicherheit. Und am Rande des Spiels absolvierten georgische Spitzenpolitiker eine ganze Reihe freundschaftlicher Treffen auf politischer Ebene, so mit dem Vorsitzenden des russischen Föderationsrates, Sergej Mironow, und dem nordossetischen Präsidenten Alexander Dsassochow. Beide waren Schewardnadses Gäste auf der Ehrentribüne zusammen mit Diplomaten und einem Teil der georgischen Regierung. Und dann der grosse Knall - ein Stadion im Candlelight.


Was war geschehen? Soweit die technischen Untersuchungen bis heute ergaben, können alle finsteren Theorien von Sabotage nahezu ausgeschlossen werden. Der Grund für den Ausfall der Flutlichtanlage ist wohl eher in einer unglückseligen Kette von Schlampereien bei der Installation und beim Betrieb der elektrischen Anlage des Stadions zu suchen. Die Stromversorgung ins Stadion war nachweislich nicht unterbrochen, der Transformator und der Ersatztransformator haben einwandfrei gearbeitet. Bis zu dieser Stelle ist der Stromverteiler AES-TELASI verantwortlich und dessen Aggregate haben störungsfrei funktioniert, wie auch die gesamte Stadt an diesem Abend mit Strom versorgt worden war.


Der Schaden entstand im Stadion-internen Elektrosystem und zwar im dahinter geschalteten Spannungsregulator, der zusammengebrochen ist und die Stromzufuhr zur Flutlichtanlage auf einen Schlag völlig ausser Kraft setzte. Der angeblich rund 300.000 $ teure Spannungsregulator ist, wie die gesamte Stadion-eigene elektrische Anlage, ein türkisches Produkt. Experten des Herstellers sind derzeit noch auf der Suche nach den Ursachen, wenngleich sie sich völlig sicher sind, dass es nicht an ihren Anlagen gelegen haben kann. Diese Haltung ist verständlich, denn vor allem aus versicherungstechnischen Gründen muss einwandfrei geklärt werden, ob es sich um einen Herstellungs-, Wartungs- oder Betriebsfehler handelt. Denn die Wiederholung eines EM-Qualifikationsspiels wird den georgischen Fussballverband teuer zu stehen kommen, daher wird die Suche nach dem letztendlich Verantwortlichen akribisch vorangetrieben. Irgendeiner muss den Schaden schliesslich bezahlen.


Bis zu diesem Punkt der Ereignisse ist eigentlich alles noch normal abgelaufen, ein technischer Schaden kann überall auf der Welt passieren. Alles weitere aber ist nicht nur für den Kenner des Landes mehr als nur pikant. Innerhalb weniger Minuten konnte der Generator gezündet und die Flutlichtanlage wieder hochgefahren werden. Allerdings nur für wenige Minuten, denn der Generator war anscheinend völlig ungzureichend belüftet, lief nach nur kurzer Zeit heiss und gab - pünktlich mit dem Pausenpfiff des Schiedsrichters - den Geist auf. Den Probelauf des Generators hatte man bei offenen Türen des Generatorenhauses gefahren, aus Sicherheitsgründen mussten diese während des Spiels geschlossen werden.......


Nach Auskunft von Elektrizitätsexperten hätte man auch den Spannungsregulator mit einer einfachen Schaltung relativ leicht und in wenigen Minuten reparieren können. Aber anscheinend war kein entsprechend erfahrener Fachmann vor Ort und es gab keine technischen Informationen auf georgisch, englisch oder russisch. Die vor Ort vorhandenen technischen Instruktionen waren auf türkisch und im Augenblick der Katastrophe war niemand zugegen, der dieser Sprache mächtig war. Dabei muss noch einmal darauf verwiesen werden, dass das Lokomotive-Stadion, wie der Name vermuten lässt, auf der Bilanz der staatlichen Eisenbahnverwaltung steht, die es finanziert und gebaut hat. Und diese sollte, wie man bis zur Halbzeit des Fussballspiels annehmen durfte, doch etwas von Elektrizität und dem Umgang mit derselben verstehen.

  

Erstaunlich war, wie ruhig und gelassen die rund 20.000 Fussballfans, die zwischen 10 und 50 Lari für ein Ticket zu zahlen hatten, den Abbruch des Spiels hingenommen haben. Zunächst einmal hat man sie mehr als eine halbe Stunde im Unklaren im Stadion sitzen lassen, anscheinend um erst einmal die Mannschaften und Ehrengäste in Sicherheit zu bringen. Erst danach leerte sich das Stadion, wobei keinerlei grösseren Aggressionen gemeldet wurden. Lediglich ein paar jugendliche Fans haben den Bus mit den russischen Fussballern mit Steinen und Eiern beworfen, ein Vorgang, den der Präsident des russischen Fussbalverbandes mit der Bemerkung herunterspielte, so etwas komme in allen Stadien der Welt vor und man müsse die Verärgerung der georgischen Fans verstehen, die sich auf dieses Spiel gefreut hätten. Auch die georgischen Sicherheitsbehörden lobten unisono die Disziplin der georgischen Fans, die sich wegen des Spiellabbruchs zu keinerlei Provokationen hätten hinreissen lassen. Szenen marodierender Hooligans, wie sie in Moskau nach einer Niederlage bei der WM zu sehen waren, gab es trotz der Enttäuschung der 20.000 über den Spielabbruch nicht.

Im russischen Fernsehen wurde der ganze Vorfall jedoch völlig anders bewertet. Die "Ereignisse von Tbilissi" waren einem russischen Staatssender rund zwei Stunden nach dem Stromausfall sogar eine 20-minütige Sondersendung mit einigen Live-Schaltungen nach Tbilissi wert. Dabei wurde immer wieder die einzige Einstellung gezeigt, als ein Wurfgeschoss den Bus der russischen Nationalmannschaft traf. Und ein Telefon-Interview mit einem Reporter direkt am Flughafen beim Einchecken zum Charterflug nach Wolgograd erweckte gar den Eindruck, die russischen Spieler hätten Georgien aus Sicherheitsgründen Hals über Kopf verlassen müssen. Tatsache ist, dass die Kicker bereits zwei Stunden vor dem Spiel um 18.00 Uhr im Sheraton-Metechi-Palace ausgecheckt hatten, ihr sofortiger Abflug nach dem Spiel war Wochen vorher schon geplant, da in Wolgograd wenige Tage danach ein weiteres EM-Qualifikationsspiel auf dem Spielplan stand. Aus diesem Grund lehnten die Russen auch eine Wiederholung des Georgienspiels sofort am Sonntag, wie es in den UEFA-Statuten vorgesehen ist, ab. Die Wiederholung soll jetzt im Frühjahr stattfinden, Zeit genung, die Elektrik des Stadions auf Vordermann zu bringen, wenn nicht die UEFA das Spiel auf einem neutralen Platz ansetzen wird. Entsprechende Forderungen aus Russland wurden bereits erhoben.


Das Vorspiel zu diesem Nachspiel fand dann in der vergangenen Woche in Moskau statt, wo eine Delegation des georgischen Fussballverbandes über den Termin für das Wiederholungsspiel verhandelte. Die Gespräche mussten wegen Stromausfalls beim russischen Fussballverband unterbrochen werden.

Natürlich wurde auch Fussball gespielt an diesem Abend und zwar trotz der fünfminütigen Unterbrechung immerhin ganze 45 Minuten, also eine Halbzeit. Es war ein flottes und spannendes, überaus faires Spiel, bei dem beide Seiten ihre Torchancen hatten. Das Unentschieden entsprach dem Spielverlauf, die Georgier hatten sich gegen die weitaus stärker eingeschätzten Russen tapfer behauptet und hatten alle Chancen, das Spiel mit einem Achtungserfolg, vielleicht sogar mit einem glücklichen Sieg zu beenden, was Präsident Schewardnadse von seinem Nationaltrainer Alexander Tschiwadse mehr oder weniger deutlich eingefordert hatte. Dem Staatschef war das Spiel so wichtig, dass er sich tags zuvor in einem Telefonat mit dem Nationaltrainer ausführlich über den Stand der Vorbereitungen erkundigt hatte. Und die Sportzeitung Tribüne, die im Stadion kostenlos verteilt wurde, zierte eine Karrikatur, in der ein frisch gelockter Schewardnadse einem etwas trostlos dreinschauenden Torwart Putin mit strammen Schuss das Leder im Netz versenkt. Dank der Kompetenz seiner staatseigenen Eisenbahn-Verwaltung in Sachen Elektrizität muss sich Schewardnadse jetzt wohl eher damit beschäftigen, als Schütze eines fulminanten Eigentores in die Geschichte der internationalen Sport-Karrikatur einzugehen.


Tags darauf war dann die georgische Sportwelt wieder in Ordnung. Am hellen Nachmittag und im alten Dynamo-Stadion, das im Gegensatz zum Lokomotive-Schmuckkästchen den Charme früherer Zeiten nicht verbergen kann, schlug die georgische Rugby-Nationalmannschaft Russland in einem WM-Qualifikationsspiel mit 17:13 und sicherte sich damit die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2003 in Australien. 50.000 Zuschauer verwandelten die alte Betonschüssel von Dynamo in einen Hexenkessel und feierten ihre neuen Nationalhelden. Zum ersten Mal nimmt eine georgische Rugby-Nationalmannschaft an einem grossen internationalen Turnier teil. Bis tief in die Nacht hinein liessen georgische Fans mit hupenden Autokorsos in der Stadtmitte von Tbilissi ihren Gefühlen freien Lauf.

Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn am Tag zuvor auch nur ein kompetenter Elektriker im Stadion gewesen wäre und den Fussballern möglicherweise ein ähnliches Ergebnis gelungen wäre. Der zwölfte Mann ist ab sofort nicht mehr der Zuschauer, der zwölfte Mann ist zumindest in Georgien der Stadionelektriker, wenn der nicht gerade auf einer Beerdigung weilt.













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