Adscharien
Droht
eine neue Sezession?
Eduard Schewardnadse
wurde plötzlich sehr deutlich. Auf der letzten Kabinettssitzung
erklärte er, wenn Adscharien Georgien verlassen wolle, solle
man dies laut und deutlich sagen. Aber niemand solle glauben, dass
es irgendjemanden gäbe, der dies zulassen würde. Damit
erreichten die Rivalitäten zwischen den beiden Politik-Fürsten
Georgiens, Eduard aus dem Zentrum Tbilissi und Aslan aus der Provinz
Batumi, einen neuen Höhepunkt, den niemand so erwartet hatte.
Doch hinter
der Fassade der Kooperation hat die Chemie zwischen den beiden
eigentlich noch nie gestimmt. Aslan Abaschidse, der seine autonome
Republik Adscharien manchmal wie ein aufgeklärter absolutistischer
Fürst und manchmal wie ein gnadenloser KP-Generalsekretär
führt, wurde von Schewardnadse im letzten Herbst mit dem
ehrenvollen Titel "Persönlicher Beauftragter des georgischen
Präsidenten für Abchasien" geehrt. Schewardnadse
stand damals vor den Trümmern seiner Parlamentsmehrheit,
nachdem er auf einen Schlag seine ganze Regierung hatte entlassen
müssen. Abaschidses Partei Aghorzineba, bis dahin in heftiger
Opposition nicht nur gegen Schewardnadse, sondern vielmehr gegen
dessen heimlichen Kronprinzen Schwania, musste den angeschlagenen
Präsidenten über den Winter retten, was ihr umso leichter
fiel, als der in Aslans Augen unbeliebteste Politiker von Tbilissi,
Surab Schwania, die Koalition Schewardnadses verlassen hatte.
Der Adschare kann seine Ambitionen auf die Nachfolge Schewardnadses
ebensowenig verbergen wie der frühere Parlamentspräsident,
wenngleich ersterem in Tbilissi wenig Chancen eingeräumt
werden.
Den Preis,
den Aslan Abaschidse für seine parlamentarischen Hilfsdienste
ziemlich direkt verlangte, musste Schewardnadse bezahlen: eine
aussenpolitische Sonderrolle für den eitlen Provinzfürsten,
der sich gerne als derjenige dem Wahlvolk präsentiert hätte,
der Abchasien wieder nach Georgien geholt hätte. Mehr noch,
der adscharische Präsident verlangte sogar, von Schewardnadse
als möglicher Ministerpräsident Georgiens ins Spiel
gebracht zu werden. Unter grossem innenpolitischen Druck in Tbilissi
erfüllte Schewardnadse bei seinem Besuch in Batumi dem Adscharen
diese Wünsche.
Und seither
verhandelte Aslan fleissig mit Russen und Abchasen, ohne seinen
präsidialen Auftraggeber in Tbilissi jemals über Absichten
oder gar Verlauf seiner Gespräche zu informieren. Und als
dieser ihn vor einigen Wochen aufforderte, endlich in Tbilissi
zum Rapport zu erscheinen, verzog sich der schmächtige Provinzfürst
erst einmal in die USA, wo ein russischer Astronaut zu einem amerikanischen
Weltraumflug startete. Der Geburtsort des Russen ist Batumi, wo
- Juri Gagarin lässt grüssen - mittlerweile schon eine
Strasse nach ihm benannt wurde.
Davor war
aber bereits klar geworden, dass die Vorschläge Abaschidses
zur Lösung des Abchasien-Konflikts in Tbilissi auf heftigsten
Widerstand stossen würden, wenngleich sie zumindest im Ansatz
durchaus erfolgversprechend sein könnten. Abaschidse, dem
beste Beziehungen zu Moskau, insbesondere zur dortigen Generalität
nachgesagt werden, schlug vor, das Verhältnis zu Abchasien
zunächst einmal durch eine Verstärkung wirtschaftlicher
Kontakte und dem Ende des GUS-Wirtschaftsboykotts neu zu gestalten.
Unter anderem soll das Inguri-Kraftwerk den Abchasen übergeben
und die Eisenbahnlinie durch Abchasien wierder eröffnet werden.
Diese und andere Überlegungen hatte Aslan seinem Präsidenten
in einem Brief mitgeteilt.
In diesem
Brief formulierte Abaschidse allerdings auch heftige Vorwürfe
gegenüber Schewardnadse, indem er ihm die Verantwortung für
den Ausbruch des Abchasienkrieges 1992 anlastete. Er, Aslan, habe
damals schon vor einem Ausbruch von Gewalt gewarnt. Damit machte
er Schewardnadse persönlich für den Verlust Abchasiens
verantwortlich, was dieser so nicht hinnehmen konnte.
Den aktuellen
grund für die Feindseligkeiten fand Schewarnadse in einem
Bericht seines Finanzministers, der das Fehlen von 82 Millionen
GEL im staatlichen Budget während der ersten neun Monate
des Jahres einräumen musste. Allein 29 Millionen fehlen,
weil der adscharische Finanzminister sich beharrlich weigert,
der Zentrale in Tbilissi die entsprechenden Gelder zu übeweisen.
Das Zentrum schulde Adscharien seinerseits 130 Millionen GEL,
heisst es, weshalb man Zahlungen an den Finanzminister eingestellt
habe.
Der Verbal-Konflikt
eskalierte, als Schewardnadse zusätzliche Polizei- und Zollkontrollen
an den Ausfahrtstrassen von Adscharien verlangte, um endlich der
unkontrollierten Warenströme, die aus der Türkei über
Adscharien nach Georgien fliessen, Herr zu werden. Für die
adscharischen Zollbehörden und damit auch den Clan von Aslan
Abaschidse bildet gerade diese besondere Form einer "Freihandelszone"
einer der Haupteinnahmequellen.
Weiteren Konfliktstoff
liegt in der russischen Militärbasis in Batumi. Während
Tbilissi eine rasche Auflösung der Basis entsprechend dem
OSZE-Gipfel von Istanbul verlangt, hat sich der listige Adschare
auf die Seiten der Russen geschlagen. Nur mit ihrer Präsenz,
so seine Meinung, könne er den Kurs gesteigerter Unabhängigkeit
von Tbilissi fahren, ohne selbst Georgien verlassen zu müssen.
Denn eine Sezession a la Abchasien dürfte für Aslan
Abaschidse wenig verlockend sein. Zum einen sitzt er mit seiner
Partei fest im georgischen Parlament, zum anderen dürfte
- anders als im Fall Abchasien und Russland - sein Nachbar Türkei
angesichts der intensiven militärischen und wirtschaftlichen
Zusammenarbeit mit Georgien wenig Interesse an einer wirklichen
Eskalation der Spannungen haben. So ist bei allen Wortgefechten
der Streit zwischen Tbilissi und Batumi nichts anderes als eine
persönliche Fehde zweier alternder Politstars.
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