Dem nächsten Frühjahr kann Ignacio Iribaren, gebürtiger
Venezulaner und Generalmanager des amerikanischen Stromverteilers
AES-TELASI, jetzt schon mit grosser Vorfreude entgegensehen. Der
georgische Staatsminister Awtandil Dschorbenadse hat ihm nämlich
einen staatlichen Orden versprochen, sollte es AES-TELASI gelingen,
die Stromversorgung in diesem Winter ohne grössere Probleme
zu gewährleisten. Iribaren seinerseits erklärte, dass
dies für Telasi überhaupt kein Problem darstelle, wenn
alle Verbraucher ihre Rechnungen bei AES-TELASI pünktlich bezahlen
würden. Unter den grössten Schuldnern sind vornehmlich
staatliche Grossbetriebe und Behörden. Es dürfte also
vornehmlich am Staatsminister und seinen nachgeordneten Behörden
liegen, ob er im Frühjahr zur Ordensverleitung schreiten kann
oder nicht.
Iribaren
erklärte nach seinen Verhandlungen in der georgischen Staatskanzlei,
er habe von der Regierung die Zusicherung erhalten, dass alle
staatlichen Organisationen ihre Schulden an AES-TELASI bezahlen
würden. Da ausserdem im Streit zwischen dem Kraftwerk AES-MTKWARI
und dem Überlandnetz um eine Aufrechnung der gegenseitigen
Schulden doch noch ein Durchbruch erzielt wurde, kann für
diesen Winter tatsächlich so etwas wie Entwarnung an der
Elektrizitätsfront signalisiert werden, allerdings nur, wenn
sich alle an die in der letzten Woche getroffenen Abmachungen
halten. Und wenn es keine grösseren Schäden in den Kraftwerken
oder dem Stromnetz im Lande gibt.
Ignacio Iribaren
ist ein vorsichtiger Mann. Natürlich könnte er eine
Stromversorgung rund um die Uhr versprechen, erklärte er
in einem Gespräch mit GN, wenn alle finanziellen Zusagen
eingehalten werden. Aber da wäre dann noch immer das Risiko
eines ziemlich maroden Stromsystems, das keine Reserve-Kapazitäten
für den Fall technischer Störungen habe. Sollte, wie
schon einmal, ein Kraftwerk wegen einer grösseren Störung
für längere Zeit ausfallen oder im Verteilernetz etwas
passieren, dann muss auch in diesem Winter wieder mit längeren
Stromabschaltungen gerechnet werden. Normalerweise verfüge
ein Stromsystem über Reservekapazitäten von 40 - 50
% über dem Höchstverbrauch. In Georgien ist das Stromsystem
im Winter aber am Rande seiner technischen Kapazität. Wenn
irgendwo etwas passiert, gehen unweigerlich die Lichter aus. Warum
solle er dieses Risiko nicht deutlich ansprechen? Er sei doch
kein Politiker, der ständig nur gute Nachrichten zu verbreiten
hätte und die schlechten verschweige.
Trotzdem hat
Ignacio Iribaren auch gute Nachrichten für diesen Winter.
Die Wasserspeicher des Landes sind randvoll, das heisst, dass
zunächst einmal eine Grundversorgung gesichert ist. Im Sommer
bezieht Georgien seinen gesamten Stromverbrauch aus Wasserkraft,
im Winter, wenn der Verbrauch doppelt so hoch ist, muss zusätzlich
Thermo-Energie ins Netz eingespeist werden. Und die kostet zunächst
einmal Geld, da der russische Gas-Lieferant ITERA auf Vorauskasse
besteht. Rund 3 Millionen $ pro Winter müssen bereit gestellt
werden, damit das ebenfalls zu AES gehörende Heizkraftwerk
AES-MTKWARI angefahren werden kann. Und das soll am 1. November
schon geschehen, um auch mit den vollen Wasserspeichern haushälterisch
umzugehen.
Um dieses
Kraftwerk war es in den letzten Wochen zu heftigen Diskussionen
gekommen, da sich das georgische Überlandnetz weigerte, seine
Schulden in Höhe von rund 50 Millionen GEL bei AES-MTKWARI
zu bezahlen, solange AES-TELASI seine Schulden beim Überlandnetz
von rund 26 Millionen GEL nicht bezahlt. Denn angesichts ausbleibender
Zahlungen des Überlandnetzes an das AES-Kraftwerk hatte AES-TELASI
seinerseits die Zahlungen an das Überlandnetz erst einmal
eingestellt.
Ignacio Iribaren
erklärte ganz offen die Hintergründe für die kompromisslose
Haltung seines Unternehmens in dieser Frage. AES-TELASI verbraucht
etwa 40 % des vom Überlandnetz verteilten Stroms in Georgien.
Da man bis zum Anfang diesen Jahres aber nahezu als einziges lokales
Verteilernetz den beim Überlandnetz bezogenen Strom auch
bezahlte, habe AES-TELASI, und mit ihm seine zahlenden Kunden,
de facto einen Grossteil des gesamten übrigen Stromverbrauch
des Landes subventioniert. Unter diesen Umständen habe man
nicht mehr eingesehen, auch in diesem Winter die gesamte Last
der Vorfinanzierung des Gaseinkaufs für AES-MTKWARI alleine
zu tragen, ohne die Schuldner, überwiegend das staatliche
Überlandnetz und staatliche Betriebe, endlich auch einmal
zur Kasse zu bitten. Da beide versprochen haben, ihren finanziellen
Verpflichtungen nachzukommen, scheint diese Frage erst einmal
gelöst und alle Gerüchte, dass AES drauf und dran sei,
sich aus Georgien zurückzuziehen und das Land dem elektrischen
Chaos zu überlassen, entbehrten jeder Grundlage, hat Ignacio
Iribaren in diesen Tagen immer wieder versichert.
Trotzdem kann
der Generalmanager des international agierenden Stromunternehmens
seinen Aktionären nach wie vor keine befriedigenden Zahlen
melden. AES-TELASI schreibt satte Verluste, im Jahr 2000 waren
es 22 Millionen $, im Jahr 2001 dann 199 Millionen $. Im Jahr
2002 soll es wieder aufwärts gehen, wenngleich auch für
dieses Jahr mit Sicherheit nochmal rote Zahlen die Gewinn- und
Verlustrechnung zieren werden.
Der Hintergrund
dieser schlechten Performance, wie es in der Börsensprache
heisst, liegt in der Diskrepanz zwischen verkauftem, d.h. verteilten
Strom, und dem Inkasso. 86 Millionen GEL hat AES-TELASI in den
letzten Jahren in den Einbau von Stromzählern bei den Verbrauchern
von Tbilissi investiert. Nur ein paar Stadtteile sind derzeit
noch nicht versorgt. Ausserdem hat man 76 Millionen GEL in die
Verbesserung des Stromnetzes pepumpt. Alles in allem Investitionen,
die Georgien aus eigener Kraft niemals hätte tätigen
können.
Dank dieser
Investitionen hat man die Finanzlage der Firma wesentlich verbessern
können, wenngleich sie nach wie vor noch nicht kostendeckend
arbeitet. Erfahrungsgemäss reicht ein 80-%-Inkasso des verteilten
Stroms zur Kostendeckung aus, die meisten Energiesysteme fahren
mit einem 95-%-Inkasso, d.h. es gibt normalerweise nur rund 5
% technischer Verluste zwischen Stromeinspeisung in ein Netz und
dem Stromverbrauch.
In Tbilissi
ist die Situation aber weitaus schlechter. Zwar konnte man dank
der neuen Stromzähler vor allem in Haushaltungen das Inkasso
der geschriebenen Rechnungen von 32 % im Jahr 1999 auf 77 % im
Jahr 2001 und 80 % in den ersten neun Monaten diesen Jahres erhöhen,
aber der Anteil des Inkassos am Stromverbrauch liegt noch immer
bei 56 %,1999 waren es ganze 20 %. Die Differenz ist deshalb so
gross, weil einerseits die technischen Verluste höher sind
als in anderen Netzen, es andererseits aber auch eine Art georgischen
Volkssports ist, sogar verplombte Stromzähler ausser Kraft
zu setzen. Selbst Grossbetriebe, private und staatliche, speisen
einen grossen Teil ihres Stromverbrauchs unter Umgehung der Stromzähler
von AES-TELASI in ihr Netz ein, klagt Ignacio Iribaren. Und für
diesen Strom, den AES-TELASI unfreiwillig liefert, kann die Firma
eben keine Rechnungen schreiben. Dass der Stromklau in Georgien
so beliebt ist, liegt unter anderem auch an einer technischen
Besonderheit. Normalerweise werden Stromnetze auf mittlerer Spannung
gefahren, die es einem Nichtfachmann unmöglich macht, das
Netz heimlich anzuzapfen. Tbilissi hat aber ein Niedrig-Volt-Netz,
an das jeder risikolos ran kann, der auch ein klein wenig mit
Elektrizität umzugehen versteht. Es ist also auch die Gelegenheit,
die Diebe macht.
Einen Nebeneffekt,
der auf den Einbau von Stromzählern in jedem einzelnen Haushalt
zurückzuführen ist, ist der deutlich gesunkene Stromverbrauch
in Tbilissi. Im Jahr 2001 wurden kanpp 20 % weniger Strom verbraucht
als noch 1999. Die strikte Inkasso-Politik von AES-TELASI hat
vor allem bei den Privatverbrauchern zu einem weitaus ökonomischeren
Umgang mit Strom geführt.
Trotz allen
Problemen verkennen die AES-Manager nicht, dass sich die Situation
doch ganz erheblich verbessert hat. Und wenn sich ihr kompromissloses
Pokern mit dem Überlandnetz und der Regierung auch auf den
Konten des Stromverteilers niederschlägt, dann, so Ignacio
Iribaren, "werden wir das in diesem Winter schon irgendwie
managen". Konzeptionell sei eigentlich alles getan und der
Venezulaner darf sich im Geiste schon einmal auf eine feierliche
Zeremonie im Frühjahr vorbereiten. Sollte Awtandil Dschorbenadse
dann noch im Amt sein, hat er ihm ja einen schönen Verdienstorden
versprochen. Auch auf dieser Ebene gibt es irgendwie einen Zusammenhang,
der die Hoffnung auf einen guten "Stromwinter" real
erscheinen lässt. Die Regierung ist innenpolitisch so sehr
angeschlagen, dass sie sich Proteste an der Elektrizitätsfront
nicht leisten kann. In einem Winter ohne Strom gingen auch für
Schwewardnadse, Dschorbenadse und Co. die Lichter endgültig
aus. Wer zweifelt angesichts dieser Ausgangslage noch daran, dass
Iribaren im Frühjahr seinen Orden erhalten wird?
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