Ausgabe 16/02, 23. Okt. Archiv
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Dem nächsten Frühjahr kann Ignacio Iribaren, gebürtiger Venezulaner und Generalmanager des amerikanischen Stromverteilers AES-TELASI, jetzt schon mit grosser Vorfreude entgegensehen. Der georgische Staatsminister Awtandil Dschorbenadse hat ihm nämlich einen staatlichen Orden versprochen, sollte es AES-TELASI gelingen, die Stromversorgung in diesem Winter ohne grössere Probleme zu gewährleisten. Iribaren seinerseits erklärte, dass dies für Telasi überhaupt kein Problem darstelle, wenn alle Verbraucher ihre Rechnungen bei AES-TELASI pünktlich bezahlen würden. Unter den grössten Schuldnern sind vornehmlich staatliche Grossbetriebe und Behörden. Es dürfte also vornehmlich am Staatsminister und seinen nachgeordneten Behörden liegen, ob er im Frühjahr zur Ordensverleitung schreiten kann oder nicht.

Iribaren erklärte nach seinen Verhandlungen in der georgischen Staatskanzlei, er habe von der Regierung die Zusicherung erhalten, dass alle staatlichen Organisationen ihre Schulden an AES-TELASI bezahlen würden. Da ausserdem im Streit zwischen dem Kraftwerk AES-MTKWARI und dem Überlandnetz um eine Aufrechnung der gegenseitigen Schulden doch noch ein Durchbruch erzielt wurde, kann für diesen Winter tatsächlich so etwas wie Entwarnung an der Elektrizitätsfront signalisiert werden, allerdings nur, wenn sich alle an die in der letzten Woche getroffenen Abmachungen halten. Und wenn es keine grösseren Schäden in den Kraftwerken oder dem Stromnetz im Lande gibt.

Ignacio Iribaren ist ein vorsichtiger Mann. Natürlich könnte er eine Stromversorgung rund um die Uhr versprechen, erklärte er in einem Gespräch mit GN, wenn alle finanziellen Zusagen eingehalten werden. Aber da wäre dann noch immer das Risiko eines ziemlich maroden Stromsystems, das keine Reserve-Kapazitäten für den Fall technischer Störungen habe. Sollte, wie schon einmal, ein Kraftwerk wegen einer grösseren Störung für längere Zeit ausfallen oder im Verteilernetz etwas passieren, dann muss auch in diesem Winter wieder mit längeren Stromabschaltungen gerechnet werden. Normalerweise verfüge ein Stromsystem über Reservekapazitäten von 40 - 50 % über dem Höchstverbrauch. In Georgien ist das Stromsystem im Winter aber am Rande seiner technischen Kapazität. Wenn irgendwo etwas passiert, gehen unweigerlich die Lichter aus. Warum solle er dieses Risiko nicht deutlich ansprechen? Er sei doch kein Politiker, der ständig nur gute Nachrichten zu verbreiten hätte und die schlechten verschweige.

Trotzdem hat Ignacio Iribaren auch gute Nachrichten für diesen Winter. Die Wasserspeicher des Landes sind randvoll, das heisst, dass zunächst einmal eine Grundversorgung gesichert ist. Im Sommer bezieht Georgien seinen gesamten Stromverbrauch aus Wasserkraft, im Winter, wenn der Verbrauch doppelt so hoch ist, muss zusätzlich Thermo-Energie ins Netz eingespeist werden. Und die kostet zunächst einmal Geld, da der russische Gas-Lieferant ITERA auf Vorauskasse besteht. Rund 3 Millionen $ pro Winter müssen bereit gestellt werden, damit das ebenfalls zu AES gehörende Heizkraftwerk AES-MTKWARI angefahren werden kann. Und das soll am 1. November schon geschehen, um auch mit den vollen Wasserspeichern haushälterisch umzugehen.


Um dieses Kraftwerk war es in den letzten Wochen zu heftigen Diskussionen gekommen, da sich das georgische Überlandnetz weigerte, seine Schulden in Höhe von rund 50 Millionen GEL bei AES-MTKWARI zu bezahlen, solange AES-TELASI seine Schulden beim Überlandnetz von rund 26 Millionen GEL nicht bezahlt. Denn angesichts ausbleibender Zahlungen des Überlandnetzes an das AES-Kraftwerk hatte AES-TELASI seinerseits die Zahlungen an das Überlandnetz erst einmal eingestellt.

Ignacio Iribaren erklärte ganz offen die Hintergründe für die kompromisslose Haltung seines Unternehmens in dieser Frage. AES-TELASI verbraucht etwa 40 % des vom Überlandnetz verteilten Stroms in Georgien. Da man bis zum Anfang diesen Jahres aber nahezu als einziges lokales Verteilernetz den beim Überlandnetz bezogenen Strom auch bezahlte, habe AES-TELASI, und mit ihm seine zahlenden Kunden, de facto einen Grossteil des gesamten übrigen Stromverbrauch des Landes subventioniert. Unter diesen Umständen habe man nicht mehr eingesehen, auch in diesem Winter die gesamte Last der Vorfinanzierung des Gaseinkaufs für AES-MTKWARI alleine zu tragen, ohne die Schuldner, überwiegend das staatliche Überlandnetz und staatliche Betriebe, endlich auch einmal zur Kasse zu bitten. Da beide versprochen haben, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, scheint diese Frage erst einmal gelöst und alle Gerüchte, dass AES drauf und dran sei, sich aus Georgien zurückzuziehen und das Land dem elektrischen Chaos zu überlassen, entbehrten jeder Grundlage, hat Ignacio Iribaren in diesen Tagen immer wieder versichert.

Trotzdem kann der Generalmanager des international agierenden Stromunternehmens seinen Aktionären nach wie vor keine befriedigenden Zahlen melden. AES-TELASI schreibt satte Verluste, im Jahr 2000 waren es 22 Millionen $, im Jahr 2001 dann 199 Millionen $. Im Jahr 2002 soll es wieder aufwärts gehen, wenngleich auch für dieses Jahr mit Sicherheit nochmal rote Zahlen die Gewinn- und Verlustrechnung zieren werden.

Der Hintergrund dieser schlechten Performance, wie es in der Börsensprache heisst, liegt in der Diskrepanz zwischen verkauftem, d.h. verteilten Strom, und dem Inkasso. 86 Millionen GEL hat AES-TELASI in den letzten Jahren in den Einbau von Stromzählern bei den Verbrauchern von Tbilissi investiert. Nur ein paar Stadtteile sind derzeit noch nicht versorgt. Ausserdem hat man 76 Millionen GEL in die Verbesserung des Stromnetzes pepumpt. Alles in allem Investitionen, die Georgien aus eigener Kraft niemals hätte tätigen können.

Dank dieser Investitionen hat man die Finanzlage der Firma wesentlich verbessern können, wenngleich sie nach wie vor noch nicht kostendeckend arbeitet. Erfahrungsgemäss reicht ein 80-%-Inkasso des verteilten Stroms zur Kostendeckung aus, die meisten Energiesysteme fahren mit einem 95-%-Inkasso, d.h. es gibt normalerweise nur rund 5 % technischer Verluste zwischen Stromeinspeisung in ein Netz und dem Stromverbrauch.

In Tbilissi ist die Situation aber weitaus schlechter. Zwar konnte man dank der neuen Stromzähler vor allem in Haushaltungen das Inkasso der geschriebenen Rechnungen von 32 % im Jahr 1999 auf 77 % im Jahr 2001 und 80 % in den ersten neun Monaten diesen Jahres erhöhen, aber der Anteil des Inkassos am Stromverbrauch liegt noch immer bei 56 %,1999 waren es ganze 20 %. Die Differenz ist deshalb so gross, weil einerseits die technischen Verluste höher sind als in anderen Netzen, es andererseits aber auch eine Art georgischen Volkssports ist, sogar verplombte Stromzähler ausser Kraft zu setzen. Selbst Grossbetriebe, private und staatliche, speisen einen grossen Teil ihres Stromverbrauchs unter Umgehung der Stromzähler von AES-TELASI in ihr Netz ein, klagt Ignacio Iribaren. Und für diesen Strom, den AES-TELASI unfreiwillig liefert, kann die Firma eben keine Rechnungen schreiben. Dass der Stromklau in Georgien so beliebt ist, liegt unter anderem auch an einer technischen Besonderheit. Normalerweise werden Stromnetze auf mittlerer Spannung gefahren, die es einem Nichtfachmann unmöglich macht, das Netz heimlich anzuzapfen. Tbilissi hat aber ein Niedrig-Volt-Netz, an das jeder risikolos ran kann, der auch ein klein wenig mit Elektrizität umzugehen versteht. Es ist also auch die Gelegenheit, die Diebe macht.

Einen Nebeneffekt, der auf den Einbau von Stromzählern in jedem einzelnen Haushalt zurückzuführen ist, ist der deutlich gesunkene Stromverbrauch in Tbilissi. Im Jahr 2001 wurden kanpp 20 % weniger Strom verbraucht als noch 1999. Die strikte Inkasso-Politik von AES-TELASI hat vor allem bei den Privatverbrauchern zu einem weitaus ökonomischeren Umgang mit Strom geführt.

Trotz allen Problemen verkennen die AES-Manager nicht, dass sich die Situation doch ganz erheblich verbessert hat. Und wenn sich ihr kompromissloses Pokern mit dem Überlandnetz und der Regierung auch auf den Konten des Stromverteilers niederschlägt, dann, so Ignacio Iribaren, "werden wir das in diesem Winter schon irgendwie managen". Konzeptionell sei eigentlich alles getan und der Venezulaner darf sich im Geiste schon einmal auf eine feierliche Zeremonie im Frühjahr vorbereiten. Sollte Awtandil Dschorbenadse dann noch im Amt sein, hat er ihm ja einen schönen Verdienstorden versprochen. Auch auf dieser Ebene gibt es irgendwie einen Zusammenhang, der die Hoffnung auf einen guten "Stromwinter" real erscheinen lässt. Die Regierung ist innenpolitisch so sehr angeschlagen, dass sie sich Proteste an der Elektrizitätsfront nicht leisten kann. In einem Winter ohne Strom gingen auch für Schwewardnadse, Dschorbenadse und Co. die Lichter endgültig aus. Wer zweifelt angesichts dieser Ausgangslage noch daran, dass Iribaren im Frühjahr seinen Orden erhalten wird?


 

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