Zugegeben, ich hatte schon ein etwas mulmiges Gefühl, als ich
an einem Samstag vormittag im September in Azkuri den schwarzen
Gaul bestieg, den mir die Nationalparkverwaltung für eine Zweitagestour
im Dorf besorgt hatte. Er gehörte einem der Ranger von Azkuri,
ein anderer, Sura, führte unsere kleine Expedition. Ich war
in meinem Leben nur dreimal auf dem Rücken eines Pferdes gesessen,
einmal als Kind auf einem Jahrmarktspony, dann vor zehn Jahren in
Tuschetien und in diesem Frühsommer bei einer Reitstunde im
Hippodrom von Tbilissi. Aber es ging darum, das Angebot des Nationalparks
zu testen, und wer eignete sich da besser als Testperson als einer,
der recht unbedarft, ohne entsprechende Kondition und Erfahrung
an die Sache herangeht. Wenn ich das schaffe, dann sollten sich
auch andere an dieses Abenteuer wagen können. Wenn mich das
Pferd auf die knapp unter 2.000 m Höhe gelegene Amarati-Hütte
bringt, ohne sich und mir dabei alle Knochen zu brechen, dann dürfte
das Angebot Pferdetouren im Nationalpark wirklich funktionieren.
Um es vorweg zu nehmen: Pferd und Reiter haben den Härtetest
mit mehr - damit ist das Pferd gemeint - oder weniger - dies betrifft
den Reiter - Bravour bestanden.
Das Pferd
erschien anfangs reichlich faul, eher unwillig, den unbekannten
90-kg-Mann mit seinem schweren Rucksack als Zusatzlast zu tragen.
Aber mit etwas Hilfe des Rangers, gutem Zureden und gelegentlichem
wirklich freundlichem Streicheln der Hinterläufe mit einem
Zweig, den mir Sura von einem Baum abgerissen hatte, hat es dann
doch recht gut geklappt. Jedenfalls war die Verständigung
zwischen Ross und Reiter einigermassen hergestellt, als wir den
Eingang zum Nationalpark nach einer halben Stunde gemütlichen
Dahintrottens erreicht hatten. Und nach zwei Tagen ging der Gaul
dann auch tatsächlich immer dahin, wo ich ihn haben wollte.
Am ersten Tag musste ich mich voll und ganz auf den Orientierungssinn
und die Trittsicherheit des Tieres verlasen, das anstandslos den
beiden anderen Pferden folgte, die mit uns unterwegs waren, dem
des Rangers und dem von Tamuna, meiner Reiseleiterin. Als es am
Sonntag abend wieder nach Azkuri zurückging, gelang es mir
sogar, den Gaul in einen leichten Trab zu versetzen und den beiden
anderen davonzureiten. Aber vielleicht war dies nur dem Stalldrang
des Pferdes zu verdanken und weniger meinen in zwei Tagen erworbenen
reiterlichen Kenntnissen.
Mehr Probleme
hatte ich mit dem Sattel, einem recht derb zusammengeschweissten
Eisengestell, das mit ein paar Holzlatten und einem einfachen
Kissen, bestehend aus einem mit irgendetwas gefüllten Mehlsack,
mehr oder weniger sitzgerecht ausgestattet war. Die Steigbügel
waren von unterschiedlicher Länge, zu kurz allemal, und konnten
nicht verstellt werden, weshalb ich für Passanten einen eher
komischen Eindruck hinterlassen haben musste, wenn sie mich auf
dem Sattel hängend sahen. Normaluri araperi - erklärte
Sura sofort, mit einem bedauernden Lächeln aber auch andeutend,
dass er daran nichts ändern könne. Immerhin machte er
einen Knoten in den Riemen des längeren linken Steigbügels,
sodass die unterschiedliche Länge wenigstens ausgeglichen
wurde. Trotzdem, das Sattelzeug war für den Anfänger
ein erhebliches Handicap.
Macht aber
nicht viel, im nächsten Jahr sollen mit zinsbegünstigen
Krediten aus Deutschland vier professionelle Pferdevermietungsstationen
aufgebaut werden, auf denen dann Touristen-geeignete Pferde mit
einem normalen Sattelzeug und den entsprechend gut ausgebildeten
Pferdewärtern einen normalen Service versprechen. Das ist
gut so und notwendig, denn der Zustand der Rangerpferde wird manch
einen europäischen Pferdefreund, der in dieser dramatisch
schönen Landschaft reiten möchte, eher erschrecken.
Rosinante lässt da gelegentlich grüssen, aber, wie gesagt,
im nächsten Jahr soll das Angebot professionalisiert werden.
Damit tröstete ich mich während der zweitägigen
Tour auf dem Pferdesattel, made in Georgia. Über mein Pferd
will ich nichts kommen lassen, am Ende hatte ich mich mit dem
gutmütigen Alten irgendwie angefreundet.
Jeweils vier
bis fünf Stunden am Tag sassen wir auf den Pferden, dazu
ein paar Passagen, bei denen wir absteigen mussten. Zusammen mit
einigen notwendigen Pausen - die Landschaft zwang immer wieder
zum Verweilen und die Pferde wollten es sich nicht nehmen lassen,
auf den fetten Bergweiden zu grasen, die sie unten in Azkuri wohl
kaum vorgesetzt bekommen - waren das alles in allem zwei stramme
und auch anstrengende Acht-Stunden-Unternehmungen, die zu bewältigen
waren. Belohnt wurden die Anstrengungen aber durch Landschafts-Erlebnisse,
die einfach überwältigend schön sind.
Führte
der erste Tag meist bergan durch Wälder und über bewaldete
Bergsättel, dann verschlägt es einem am zweiten Tag,
als es zunächst einmal ein paar Stunden über einen sattelartigen
Ausläufer des 2.354 m hohen Amarati ging, immer wieder die
Sprache ob der Fülle fast atemberaubender landschaftlicher
Ausblicke. Und wenn man jedes Mal glaubte, es gäbe da überhaupt
keine Steigerung mehr, musste man sich ein paar Minuten später
eines besseren belehren lassen. Der Pfad, so will es scheinen,
ist dramaturgisch äusserst geschickt aufgebaut. Er führt
durch Kiefernwälder mit herrlichen Lichtungen, durch Birken-Krüppelwald
und Eichen-Nadel-Mischwälder, alle naturbelassen und seit
Jahrzehnten fast ohne jeden menschlichen Eingriff. Man reitet
über alpine Wiesen und Matten, die im Frühjahr ein wahres
Meer an Blumen beherbergen müssen, man reitet an Felsbändern
entlang und passiert - vor allem im Frühsommer zur Schneeschmelze,
jetzt im Herbst weniger - herrliche Wasserfälle und im tiefer
gelegenen Bereich schöne Bachläufe.
Auf der einen
Seite sahen wir fast den gesamten kleinen Kaukasus, die Berge
rund um Bakuriani ebenso wie Durchblicke aufs Kuratal mit Achalziche
in der Ferne, auf der anderen Seite die höchsten Erhebungen
des Nationalparks, den Lomisi (2.187 m) und den Sametskchwario
(2.642 m). Leider hatten wir nicht die optimale Fernsicht, die
uns Sura an einigen Stellen andeutete, um die Hauptkette des Grossen
Kaukasus mit seinen Gletscher- und Schneebergen zu sehen. An schönen
Tagen soll sogar der Kazbek den Reitersmann grüssen. Aber
auch ohne Grossen Kaukasus bietet diese Tour eine Fülle fast
sensationeller Landschaftsperspektiven, die auch einen, der seit
nahezu 13 Jahren dieses Land intensiv bereist, immer wieder begeisterten.
Und während das treue Pferd sich um die Unebenheiten des
Weges kümmert, kann man stundenlang seinen Blick streifen
lassen .....
Sura, der
Ranger aus Azkuri, führte uns unaufdringlich und umsichtig
zugleich. Er erklärte uns die Gegend, die Gipfel, die wir
sahen, machte uns auf das Brunftgebrüll der Hirsche, das
teif unten aus dem Tal heraufschallte, aufmerksam, kümmerte
sich um die drei Pferde und hütete das Lagerfeuer, das er
abends vor der Hütte angefacht hatte. Keine Minute, in der
wir uns nicht bestens betreut und sicher gefühlt hätten.
Sura ist seit 30 Jahren im Naturschutz tätig, er war schon
Naturhüter während der Sowjetzeit, in der das Naturschutz-Reservat
Bordschomi entstanden war. Sura war erst am Abend zuvor von der
Amaratihütte heruntergekommen, die kleine Wasserstelle vor
der Hütte und die einfachen Holzbänke hatte er vor zwei
Tage erst angelegt. Weitere Holzbänke an schönen Rastplätzen
will er bis zum Frühjahr mit seinen Rangerkollegen noch anlegen.
Am Hang gegenüber
der Amarati-Hütte befindet sich eine kleine Alm, auf der
drei Familien aus Azkuri eine Sommerweidewirtschaft betreiben.
Deshalb konnten wir mit dem Proviant, den wir mitführten,
etwas sorgloser umgehen. Man hatte uns im Voraus gesagt, dass
man sich dort verpflegen könne. Für alle anderen Hütten
des Nationalparks muss man jedoch allen Proviant mitbringen. Natürlich
wurden wir von den Leuten eingeladen, einer ehemaligen Grundschullehrerin,
einem Landwirt und einem früheren Filmvorführer aus
Suchumi, der nach dem Abchasienkrieg in seiner früheren Heimat
Azkuri untergekommen war und jetzt den Sommer auf dem Amarati
verbringt. Der einfache Holztisch unter einem schattenspendenden
Baum wurde gedeckt mit allem, was diese Alm an Köstlichkeiten
bietet: Käse natürlich, Sahne, Joghurt, etwas Grünzeug,
eine Tkremali-ähnliche Sauce aus traumhaft süss-sauren
Waldbeeren, selbstgebackenes Brot und - wie könnte es anders
sein - Chatschapuri. Zusammen mit Rauchwürstchen und Wodka,
die wir beisteuerten, ein herrliches Abendessen mit einem traumhaft
schönen Ausblick und der Chance für die Almbauern, ein
paar Lari dazu zu verdienen. Und dafür gab es dann von Klaudia,
der Almchefin, noch gratis eine Lebensberatung. Klaudia ist als
Kaffeesatzleserin bekannt.
Ein paar kritische
Bemerkungen kann die Testcrew allerdings nicht unterdrücken.
Während die Wegführung beim Aufstieg und vor allem auf
der Höhe des Amarati-Ausläufers abwechslungsreich und
auch für einen Anfänger auf dem Pferde leicht zu bewältigen
ist, gibt es beim Abstieg nach Azkuri am zweiten Tag ein paar
Passagen, die kaum zu verantworten sind. Von Wegebau, wie mit
dem Geldgeber KfW abgesprochen, ist da nicht viel zu spüren.
Man hat einfach die alten steilen Pfade, auf denen die Almbauern
die Tiere hochtreiben und zu Pferd wöchentlich ihren Käse
zum Markte bringen, von hinderndem Astwerk freigeschnitten. Für
einen verantwortbaren Besucherbetrieb müssen zwei oder drei
Steilabstiege unbedingt durch abgesicherte Serpentinen entschärft
werden. Auch zu Fuss mit dem Pferd an der langen Leine - oder
für Wanderer - sind diese Abstiege nur schwer zuzumuten,
es sei denn, man will über diese Passagen die Zielgruppe
der Besucher auf erfahrene Alpinisten oder Profi-Geländereiter
einschränken. Das kann aber kaum im Interesse des Nationalparks
und seiner Geldgeber liegen. Der deutsche Sponsor wird gut daran
tun, Nachbesserungen zu verlangen, soll das Image des Nationalparks
nicht von vorneherein schweren Schaden erleiden. Es wäre
einfach nicht mehr zu korrigieren, wenn sich bei den ersten steuerzahlenden
Reisenden aus Deutschland der Eindruck festsetzte, man habe an
der falschen Stelle gespart und das Geld an anderen Plätzen
als im Nationalpark selbst ausgegeben.
Leicht hätte
man die Kosten für die überdimensionierten und in einem
Naturschutzgebiet reichlich deplazierten Wegemarkierungen aus
farbigem Plastik-Material (!!!!) einsparen und damit die eine
oder andere Serpentine mit einer einfachen Holzabstützung
finanzieren können. Holz ist zur Genüge vorhanden, an
Arbeitskräften dürfte auch kein Mangel bestehen. Ein
auffälliger Teil dieser scheusslichen Wegemarkierungen ist
jetzt schon durch Wild oder Menschen derart zerstört worden,
dass schon nächsten Frühjahr eine Nachbesserung unausweichlich
sein wird. Der Winter wird da sein übriges beisteuern. Die
Bitte der Tester: Mit einfachen Holztafeln und etwas Farbe lässt
sich das alles preiswerter, schöner und vor allem dauerhafter
gestalten.
Ähnliche
Einschränkungen müssen wir bei der Ausstattung der Touristenhütten
machen. Vor allem der Sanitärbereich lässt zu wünschen
übrig. An Touristen und Besucher aus Europa hat man da kaum
gedacht. Bei einer Investition in Millionenhöhe sollten die
höchstens Tausend Euro pro Unterkunft doch übrig sein,
die man gebraucht hätte, um mindestens eine abschliessbare
Dusch- oder Waschkabine einzubauen. Auf der Amaratihütte
ist noch nicht einmal ein Plumpsklo vorhanden. Das muss alles
nicht luxuriös sein, das reicht in einer einfachen und soliden
Holzbauweise. Aber wenn man Besucher einige Tage auf Pferden durch
diesen Park führen möchte, sollte man ihnen abends nach
einem ebenso schweisstreibenden wie schönen Tag die Chance
geben, sich etwas frisch machen zu können, ohne neugierigen
Zuschauern ausgesetzt zu sein.
Trotz dieser
Einschränkungen ist das Gesamturteil des Testritts überaus
positiv: Eine atembraubend schöne Landschaft, ein überzeugendes,
dramaturgisch fast perfekt aufgebautes Zweitages-Programm, ein
umsichtiger Führer, allerdings ein paar Schwächen in
der Infrastruktur. Aber beides, Wegebau und Sanitäranlagen,
sind Nachbesserungen, die bei gutem Willen bis zum Start der nächstjährigen
Saison noch leicht abzuleisten sind und die den mehr als positiven
Gesamteindruck dieses Testritts keinesfalls trüben können.
Und das mit den Pferden und Sätteln wird ja auch noch gelöst.
Rainer
Kaufmann
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