In dem 26-seitigen Papier, das der Präsident des Obersten Gerichtshofs
Georgiens, Prof. Lado Chanturia, in diesem Tagen seinem Staatspräsidenten
überreichte, ist ganz schön viel Musik drin. Es beschäftigt
sich mit den notwendigen Reformen des gesamten Polizei und Sicherheitsapparates,
inklusive der Dienste des Ministeriums für Staatssicherheit.
Schon bei der erfolgreichen Reform des Gerichtswesens war immer
wieder darauf hingewiesen worden, dass dringlichster Handlungsbedarf
bei der Reform des Polizei- und Ermittlungsapparates besteht, wenn
Georgien wirklich den Anspruch erheben will, auf dem Wege zu einem
Rechtsstaat zu sein. Zumindest auf dem Papier ist diese Arbeit jetzt
erledigt, die Politik ist am Zuge.
Die höchste
Brisanz ist im Vorschlag enthalten, das Ministerium für Staatssicherheit
aufzulösen und in eine Art Verfassungsschutzbehörde
umzuwandeln. Damit würde die direkte politische Kontrolle
des Geheimdienstes durch die Regierung unterbunden, ausserdem
soll der neue Staatssicherheitsdienst nur noch Aufgaben der Informationsbeschaffung
zugewiesen bekommen und alle operativen Abteilungen, die das Ministerium
bis heute noch unterhält, sollen aufgelöst, bzw. anderen
Sicherheitsorganen zugeordnet werden.
Fünf
Arbeitsgruppem
Das Reformpapier
wurde in knapp einem Jahr von einer 30-köpfigen Kommission
unter Leitung von Lado Chanturia erarbeitet. Diese Kommission
arbeitete eng mit europäischen und amerikanischen Experten
zusammen, die den gesamten Sicherheitsapparat, dessen Strukturen
noch aus der Sowjetzeit stammen, durchleuchtete. Die Arbeit der
Kommission wurde vom US-Justizministerium finanziert. Die Kommission,
der Vertreter aller entsprechenden Sicherheitsorgane aber auch
Vertreter von fachkundigen NGO`s angehörten, beschäftigte
sich in einzelnen Arbeitsgruppen mit folgenden Bereichen:
- Reform des
Polizeiwesens
- Reform des Ermittlungsverfahrens
- Reform der Staatsanwaltschaft
- Reform des Ministeriums für Staatssicherheit
- Reform der Strafprozessordnung
Das Sowjetsystem
der Sicherheitsorgane zeichnet sich insbesondere dadurch aus,
dass es keine klaren Kompetenzuweiseungen zu den einzelnen Behörden
gibt. Jeder war irgendwie für alles zuständig, was auf
der einen Seite keiner Behörde rechtsstaatliche Beschränkungen
auferlegte, wie wir sie kennen, auf der anderen Seite sich aber
auch keine Behörde für irgendwelche Mängel oder
Misserfolge zuständig fühlen musste. Der Schwarze Peter
konnte ständig hin- und hergeschoben werden und der Bürger
war der Willkür der Sicherheitsorgane schutzlos ausgesetzt.
Darin liegt die tiefe Vertrauenskrise etwa zwischen Polizei und
Gesellschaft begründet.
Ermittlungswirrwarr
beenden
Die Reformvorschläge
der Chanturia-Kommission sehen hierfür eindeutige Regelungen
vor, vor allem im Ermittlungsbereich. Kann bis heute nahezu jeder
Ermittlungen anstellen, so viel er will, soll diese Aufgabe künftig
einer sogenannten Ermittlungspolizei exklusiv übertragen
werden. Dabei werden Spezialeinheiten, wie zum Beispiel eine Steuerfahndung
gebildet, die dann den Fachministerien zugeordnet werden. Unmöglich
wird es dann sein, dass zum Beispiel der Innenminister mit eigenen
Ermittlern eine Steuerfahndung bei einem Rundfunksender anordnen
kann, wies dies im letzten Herbst beim TV-Sender Rustawi-2 geschah
und eine veritable Regierungskrise auslöste. Dagegen soll
die Verkehrspolizei von ihren bisherigen Ermittlungsaufgaben entbunden
und nur mit präventiven Aufgaben betraut werden. Mit dieser
Regelung will man auch der weit verbreiteten Korruption bei der
Ermittlung von Straftaten entgegenwirken. Strafvereitelung im
Amt, so würde man dies in Deutschland nennen, ist angesichts
nur sporadisch sprudelnder Steuerquellen eine durchaus nicht unbekannte
polizeiliche Finanzierungstaktik in Georgien.
Von grosser
Bedeutung ist auch die Dezentralisierung der Polizeiverwaltung.
Das Inneninisterium soll lediglich einen kleinen Führungsstab
behalten und natürlich die politische Verwantwortung für
die Polizei. Es wird aber vorgeschlagen, möglichst viel Führungsfunktionen
auf die regionalen und lokalen Ebenen zu verlagern, deren Chefs
auch von der regionalen oder lokalen Verwaltungen und Parlamenten
zu wählen sind und von diesen kontrolliert werden. Die regionalen
Polizeiverwaltungen sollen aber mit einer intensiven Fach-Kontrolle
durch das Ministerium auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Vorschriften
überprüft werden.
Weniger
Staatsanwaltschaften
Ähnliches
ist bei den Staatsanwaltschaften vorgesehen, deren Zahl von derzeit
90 auf rund 30 - 40 reduziert werden soll. Klar gestellt ist in
dem Reformpapier auch, dass nur die Staatsanwaltschaft Anklage
vor Gericht erheben kann, heute ist dies praktisch jeder Polizeidienststelle
erlaubt. Ausserdem wird mit der gängigen Methode, einen Fall
während der juristischen Aufarbeitung von einem Staatsanwalt
zum anderen weiterzuschieben, aufgeräumt. Ein Staatswanwalt,
dem ein Ermittlungsverfahren übergeben wird, hat dieses auch
bis zum Ende des Gerichtsverfahrens zu betreuen. Auch damit soll
eine wesentliche Quelle für Korruption und Unkorrektheiten
trocken gelegt werden.
Das Reformpapier
geht auch der unbequemen Frage nach der Finanzierung der Sicherheitsorgane
nicht aus dem Weg. Es kommt zu dem Schluss, dass es weniger an
den bescheidenen Finanzen als vielmehr an deren ineffektiver Verwendung
liegt, dass die Sicherheitsbehörden ihrem Auftrag derzeit
kaum gerecht werden. Wörtlich heisst es im Kommissionsbericht:
"Heute wird die vorhandene Personalstärke als Ausgangspunkt
für die Mittelanforderung an das Budget genommen, die eigentlichen
Erfordernisse für die operative Tätigkeit wird praktisch
ignoriert." Damit spricht die Reformkommission ziemlich deutlich
die offensichtliche personelle Überbesetzung der Sicherheitsorgane
an. So arbeiten nach Informationen eines Kommissionsmitarbeiters
im Ministerium für Staatssicherheit rund 4.000 Leute, fast
alles Offiziere. Rund 2.000, so lässt die Kommission verlauten,
würden ausreichen und die sollten de-militarisiert werden.
Ähnliche Zahlen werden für das Innenministerium genannt,
bei dem allein 6.000 Mann zu den sogenannten Spezialtruppen des
Innenministeriums gehörten. Nach Ansicht der Reformkommission
seien 2.000 völlig ausreichend. Indem die Kommission von
einer drastischen Verringerung der Personalstärke aller Sicherheitsorgane
ausgeht, ist sie sicher, bei vorhandenem Budget durchschnittliche
Gehälter von 500 - 600 GEL zahlen zu können. Auch mit
dieser Massnahme will man einen Teil der gängigen Korruption
in den Sicherheitsorganen bekämpfen.
Bessere
Ausbildung
Vor allem
für die Führung von Gerichten und Staatsanwaltschaften
fordert die Kommission die Errichtung einer Hochschule für
Justiz, da die erfolgreiche Umsetzung aller Reformvorschläge
im Bereich von Polizei und Justiz die Ausbildung von qualifiziertem
Personal voraussetzt. Für Polizei und Sicherheitsdienst soll
ein entsprechendes Trainingszentrum errichtet werden, denn auch
hier haben die Reform-Kommissionäre erhebliche Defizite in
der Qualifikation des Personals festgestellt. Schliesslich will
man mit transparenten Laufbahnrichtlinien, für die eine entsprechende
Qualifizierung unerlässlich ist, die Motivation der Beamten
erhöhen.
Alles in allem
geht die Kommission davon aus, dass ihre Reformvorschläge
unabweisbar sind, wenn Georgien auf dem Wege der Demokratisierung
und Rechtsstaatlichkeit weiter kommen will. Mit dem Beitritt Georgiens
zum Europarat sei dieser Prozess unumkehrbar geworden. Natürlich
hänge der Erfolg jeder Reform auch von der allgemeinen wirtschaftlichen
Entwicklung des Landes ab, räumt die Kommission schon in
der Präambel ihres Berichts ein. Eine schwere soziale Lage
würde den Opponenten jeder demokratischen Entwicklung den
Boden bereiten, Reformen in Zweifel zu ziehen. Trotzdem sei es
notwendig, die Reform der schweren Erblast der Sowjetunion durch
rechtzeitige Zeichen der Demokratisierung und eine schrittweise
Entwicklung in Gang zu bringen.
Das Papier
liegt jetzt beim Staatspräsidenten, der es bei der Entgegennahme
selbstredend in höchsten Tönen lobte. Es soll als Ganzes
zunächst im Parlament diskutiert werden, bevor dann die eigentliche
Gesetzgebungsarbeit, die sich aus den Vorschlägen der Kommission
zwangsweise ergeben, beginnen wird. Beobachter der derzeitigen
Situation im georgischen Parlament zweifeln allerdings daran,
ob dieses Parlament in seinem letzen Jahr noch die Kraft aufbringen
wird, irgendeines der notwendigen Reformgesetze anzugehen.
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