Ausgabe 15/02, 9. Okt. Archiv
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In dem 26-seitigen Papier, das der Präsident des Obersten Gerichtshofs Georgiens, Prof. Lado Chanturia, in diesem Tagen seinem Staatspräsidenten überreichte, ist ganz schön viel Musik drin. Es beschäftigt sich mit den notwendigen Reformen des gesamten Polizei und Sicherheitsapparates, inklusive der Dienste des Ministeriums für Staatssicherheit. Schon bei der erfolgreichen Reform des Gerichtswesens war immer wieder darauf hingewiesen worden, dass dringlichster Handlungsbedarf bei der Reform des Polizei- und Ermittlungsapparates besteht, wenn Georgien wirklich den Anspruch erheben will, auf dem Wege zu einem Rechtsstaat zu sein. Zumindest auf dem Papier ist diese Arbeit jetzt erledigt, die Politik ist am Zuge.

Die höchste Brisanz ist im Vorschlag enthalten, das Ministerium für Staatssicherheit aufzulösen und in eine Art Verfassungsschutzbehörde umzuwandeln. Damit würde die direkte politische Kontrolle des Geheimdienstes durch die Regierung unterbunden, ausserdem soll der neue Staatssicherheitsdienst nur noch Aufgaben der Informationsbeschaffung zugewiesen bekommen und alle operativen Abteilungen, die das Ministerium bis heute noch unterhält, sollen aufgelöst, bzw. anderen Sicherheitsorganen zugeordnet werden.

Fünf Arbeitsgruppem

Das Reformpapier wurde in knapp einem Jahr von einer 30-köpfigen Kommission unter Leitung von Lado Chanturia erarbeitet. Diese Kommission arbeitete eng mit europäischen und amerikanischen Experten zusammen, die den gesamten Sicherheitsapparat, dessen Strukturen noch aus der Sowjetzeit stammen, durchleuchtete. Die Arbeit der Kommission wurde vom US-Justizministerium finanziert. Die Kommission, der Vertreter aller entsprechenden Sicherheitsorgane aber auch Vertreter von fachkundigen NGO`s angehörten, beschäftigte sich in einzelnen Arbeitsgruppen mit folgenden Bereichen:

- Reform des Polizeiwesens
- Reform des Ermittlungsverfahrens
- Reform der Staatsanwaltschaft
- Reform des Ministeriums für Staatssicherheit
- Reform der Strafprozessordnung

Das Sowjetsystem der Sicherheitsorgane zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass es keine klaren Kompetenzuweiseungen zu den einzelnen Behörden gibt. Jeder war irgendwie für alles zuständig, was auf der einen Seite keiner Behörde rechtsstaatliche Beschränkungen auferlegte, wie wir sie kennen, auf der anderen Seite sich aber auch keine Behörde für irgendwelche Mängel oder Misserfolge zuständig fühlen musste. Der Schwarze Peter konnte ständig hin- und hergeschoben werden und der Bürger war der Willkür der Sicherheitsorgane schutzlos ausgesetzt. Darin liegt die tiefe Vertrauenskrise etwa zwischen Polizei und Gesellschaft begründet.

Ermittlungswirrwarr beenden

Die Reformvorschläge der Chanturia-Kommission sehen hierfür eindeutige Regelungen vor, vor allem im Ermittlungsbereich. Kann bis heute nahezu jeder Ermittlungen anstellen, so viel er will, soll diese Aufgabe künftig einer sogenannten Ermittlungspolizei exklusiv übertragen werden. Dabei werden Spezialeinheiten, wie zum Beispiel eine Steuerfahndung gebildet, die dann den Fachministerien zugeordnet werden. Unmöglich wird es dann sein, dass zum Beispiel der Innenminister mit eigenen Ermittlern eine Steuerfahndung bei einem Rundfunksender anordnen kann, wies dies im letzten Herbst beim TV-Sender Rustawi-2 geschah und eine veritable Regierungskrise auslöste. Dagegen soll die Verkehrspolizei von ihren bisherigen Ermittlungsaufgaben entbunden und nur mit präventiven Aufgaben betraut werden. Mit dieser Regelung will man auch der weit verbreiteten Korruption bei der Ermittlung von Straftaten entgegenwirken. Strafvereitelung im Amt, so würde man dies in Deutschland nennen, ist angesichts nur sporadisch sprudelnder Steuerquellen eine durchaus nicht unbekannte polizeiliche Finanzierungstaktik in Georgien.

Von grosser Bedeutung ist auch die Dezentralisierung der Polizeiverwaltung. Das Inneninisterium soll lediglich einen kleinen Führungsstab behalten und natürlich die politische Verwantwortung für die Polizei. Es wird aber vorgeschlagen, möglichst viel Führungsfunktionen auf die regionalen und lokalen Ebenen zu verlagern, deren Chefs auch von der regionalen oder lokalen Verwaltungen und Parlamenten zu wählen sind und von diesen kontrolliert werden. Die regionalen Polizeiverwaltungen sollen aber mit einer intensiven Fach-Kontrolle durch das Ministerium auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Vorschriften überprüft werden.

Weniger Staatsanwaltschaften

Ähnliches ist bei den Staatsanwaltschaften vorgesehen, deren Zahl von derzeit 90 auf rund 30 - 40 reduziert werden soll. Klar gestellt ist in dem Reformpapier auch, dass nur die Staatsanwaltschaft Anklage vor Gericht erheben kann, heute ist dies praktisch jeder Polizeidienststelle erlaubt. Ausserdem wird mit der gängigen Methode, einen Fall während der juristischen Aufarbeitung von einem Staatsanwalt zum anderen weiterzuschieben, aufgeräumt. Ein Staatswanwalt, dem ein Ermittlungsverfahren übergeben wird, hat dieses auch bis zum Ende des Gerichtsverfahrens zu betreuen. Auch damit soll eine wesentliche Quelle für Korruption und Unkorrektheiten trocken gelegt werden.

Das Reformpapier geht auch der unbequemen Frage nach der Finanzierung der Sicherheitsorgane nicht aus dem Weg. Es kommt zu dem Schluss, dass es weniger an den bescheidenen Finanzen als vielmehr an deren ineffektiver Verwendung liegt, dass die Sicherheitsbehörden ihrem Auftrag derzeit kaum gerecht werden. Wörtlich heisst es im Kommissionsbericht: "Heute wird die vorhandene Personalstärke als Ausgangspunkt für die Mittelanforderung an das Budget genommen, die eigentlichen Erfordernisse für die operative Tätigkeit wird praktisch ignoriert." Damit spricht die Reformkommission ziemlich deutlich die offensichtliche personelle Überbesetzung der Sicherheitsorgane an. So arbeiten nach Informationen eines Kommissionsmitarbeiters im Ministerium für Staatssicherheit rund 4.000 Leute, fast alles Offiziere. Rund 2.000, so lässt die Kommission verlauten, würden ausreichen und die sollten de-militarisiert werden. Ähnliche Zahlen werden für das Innenministerium genannt, bei dem allein 6.000 Mann zu den sogenannten Spezialtruppen des Innenministeriums gehörten. Nach Ansicht der Reformkommission seien 2.000 völlig ausreichend. Indem die Kommission von einer drastischen Verringerung der Personalstärke aller Sicherheitsorgane ausgeht, ist sie sicher, bei vorhandenem Budget durchschnittliche Gehälter von 500 - 600 GEL zahlen zu können. Auch mit dieser Massnahme will man einen Teil der gängigen Korruption in den Sicherheitsorganen bekämpfen.

Bessere Ausbildung

Vor allem für die Führung von Gerichten und Staatsanwaltschaften fordert die Kommission die Errichtung einer Hochschule für Justiz, da die erfolgreiche Umsetzung aller Reformvorschläge im Bereich von Polizei und Justiz die Ausbildung von qualifiziertem Personal voraussetzt. Für Polizei und Sicherheitsdienst soll ein entsprechendes Trainingszentrum errichtet werden, denn auch hier haben die Reform-Kommissionäre erhebliche Defizite in der Qualifikation des Personals festgestellt. Schliesslich will man mit transparenten Laufbahnrichtlinien, für die eine entsprechende Qualifizierung unerlässlich ist, die Motivation der Beamten erhöhen.

Alles in allem geht die Kommission davon aus, dass ihre Reformvorschläge unabweisbar sind, wenn Georgien auf dem Wege der Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit weiter kommen will. Mit dem Beitritt Georgiens zum Europarat sei dieser Prozess unumkehrbar geworden. Natürlich hänge der Erfolg jeder Reform auch von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung des Landes ab, räumt die Kommission schon in der Präambel ihres Berichts ein. Eine schwere soziale Lage würde den Opponenten jeder demokratischen Entwicklung den Boden bereiten, Reformen in Zweifel zu ziehen. Trotzdem sei es notwendig, die Reform der schweren Erblast der Sowjetunion durch rechtzeitige Zeichen der Demokratisierung und eine schrittweise Entwicklung in Gang zu bringen.

Das Papier liegt jetzt beim Staatspräsidenten, der es bei der Entgegennahme selbstredend in höchsten Tönen lobte. Es soll als Ganzes zunächst im Parlament diskutiert werden, bevor dann die eigentliche Gesetzgebungsarbeit, die sich aus den Vorschlägen der Kommission zwangsweise ergeben, beginnen wird. Beobachter der derzeitigen Situation im georgischen Parlament zweifeln allerdings daran, ob dieses Parlament in seinem letzen Jahr noch die Kraft aufbringen wird, irgendeines der notwendigen Reformgesetze anzugehen.


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