Ausgabe 15/02, 9. Okt. Archiv
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Das georgische Bildungswesen hat in den letzten zehn Jahren eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht. Dabei ist es noch immer Ziel einer jeden Familie, die Ausbidung ihrer Kinder mit einem Hochschul-Diplom abzuschliessen, unabhängig davon, ob der Arbeitsmarkt in der Lage ist, diese Arbeitskräfte aufzunehmen. Nur zwei von zehn Studienabgängern finden derzeit eine adäquate Beschäftigung im Lande. Trotzdem wird ein Grossteil der Jugendlichen auf Universitäten geschickt. Die öffentlichen Hochschulen konnten (oder wollten) diesen Andrang nicht mehr bewältigen, sodass in den letzten zehn Jahren private Hochschulen wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, wie die georgische Nachrichtenagentur SARKE in einer Untersuchung festsstellte. Ausserdem haben viele staatliche Hochschulen sogenannte kommerzielle Abteilungen, in denen sie Studenten gegen Studiengebühren unterrichten. Fast die Hälfte der georgischen Studenten besucht mittlerweile eine der kommerziellen Hochschulen, die sich zu einem Millionengeschäft entwickelt haben.

Die Statisitk ist auf den ersten Blick beeindruckend: Gab es 1992, kurz nach dem Zusammenbruch der UdSSR 48 private höhere Bildungseinrichtungen mit 11.000 Studenten, gibt es in Georgien heute 165 lizenzierte private Hochschulen, in denen sich 43.000 Studenten eingetragen haben. Dazu kommen weitere 30.000 Studenten, die in den privaten, das heisst kommerziell geführten Abteilungen von zehn staatlichen Hochschulen studieren. Vor neun Jahren, als man den staatlichen Hochschulen angesichts der öffentlichen Finanzkrise die Möglichkeit einräumte, sich auf diesem Wege selbst zu finanzieren, waren es nur 8.000. Besonders beliebt sind die Studienfächer Medizin, Wirtschaft und Jura, die in den kommerziellen Abteilungen der staatlichen Universitäten angeboten werden.

Über 160.000 Studenten

Zur gleichen Zeit gingen die Studentenzahlen an den öffentlichen Hochschulen zurück. Waren 1990 noch 104.000 Studenten eingetragen, so sind es heute nur noch 95.000. Die Zahl der staatlichen Hochschulen ist von 24 auf 19 gesunken.

Zusammengefasst ergeben diese Zahlen folgendes Bild: Die Zahl der Studenten im Lande ist in den letzten zehn Jahren von 123.000 auf 168.000 gestiegen. Das ist ein Zuwachs um 36 %. Während die Zahl der Studenten an staatlichen Universitäten und Hochschulen um 7 % leicht gesunken ist, boomt der Markt der privaten Hochschulausbildung. Insgesamt 73.000 junge Menschen, das ist mit 43 % fast die Hälfte aller georgischen Studenten, müssen - und können wohl auch - für ihre Ausbildung ganz ordentliche Beträge hinlegen.

Die Studiengebühren an den privaten Hochschulen und an den kommerziellen Abteilungen der staatlichen Hochschulen liegen nach einer Umfrage von GN bei 100 bis 500 $ im Jahr, vereinzelt sollen auch bis zu 1.000 $ verlangt werden. Der Durchschnitt dürfte sich auf nicht weniger als 250 $ im Jahr einpendeln. Wenn diese Zahl und die Statistik, die SARKE veröffentlicht hat, stimmen, würden die privaten und kommerziellen Hochschulen pro Jahr einen Umsatz von 18 Millionen $ machen. Wie das mit den georgischen Gehaltsstrukturen zusammenpasst, die landläufig immer wieder zitiert werden, können wohl nur Insider der georgischen Gesellschaft beantworten. Denn die 73.000 Studenten an privaten Hochschulen und den kommerziellen Abteilungen der staatlichen Hochschulen können sich wohl kaum aus der berühmten Schicht von einem Prozent superreicher Familien im Lande rekrutieren.

Eine andere Quelle der Hochschulfinanzierung unter Umgehung öffentlicher Finanzen sind die sogenannten Vorbereitungskurse für staatliche Hochschulen. Mit einem normalen Schulabschluss ist kaum ein Schüler in der Lage, die Aufnahmeprüfungen an einer Universität zu bestehen. Die meisten legen deshalb zwischen Schulabschluss und Studienanfang ein Vorbereitungsjahr ein, in dem sie sich für die Aufnahmeprüfung in dem Studienfach ihrer Wahl fit machen. Dies geschieht oft mit Privatunterricht, es werden aber auch von den Hochschulen Kurse angeboten, für die bis zu 500 $ für das Vorbereitungsjahr berappt werden müssen. Das Studium im öffentlichen Teil der Universitäten ist nach bestandener Aufnahmeprüfung dann kostenfrei.

Nebeneinkommen der Lehrer

Eine guter Teil dieser Millionensummen fliesst direkt in die Taschen der Professoren und Dozenten und füllt deren in der Tat bescheidenes staatliches Salär auf. Denn es ist wohl offensichtlich, dass ein Grossteil der Professoren und Dozenten an staatlichen Universitäten im Nebenberuf sowohl für die privaten Hochschulen aber insbesondere für die kommerziellen Abteilungen der staatlichen Hochschulen arbeiten. Ob dieses System auf Dauer eine qualifizierte Hochschulausbildung garantieren kann, ist mehr als fragwürdig, wenngleich Befürworter dieses Systems immer wieder darauf hinweisen, dass die privaten Hochschulen oder die kommerziellen Abteilungen der staatlichen Hochschulen weitaus besser ausgestattet seien als die staatlichen und somit eine bessere Ausbildung versprechen könnten. Wenn der Staat schon bei der Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur und der Bezahlung der Lehrer versage, dann müsse die Gesellschaft eben in Privatinitiative ihre Bedürfnisse regeln. Deshalb finden es viele Georgier völlig normal, öffentliche Sektoren wie zum Beispiel das Hochschulwesen statt über Steuern auf direktem Wege zu bezahlen. Da komme dann das Geld auch wirklich dort an, wo es gebraucht und für was es ausgegeben würde.

Fragwürdig sind unter diesen Umständen privaten Wildwuchses im Hochschulwesen aber viele der Diplome, da es eine staatliche Aufsicht in diesem Bereich praktisch nicht gibt. Für das Jahr 2003 sollte die georgische Regierung qua Gesetz eine strenge Akkreditierung der privaten Hochschulen und eine Kontrolle der Qualitätsstandards einführen und das Recht, Diplome auszustellen, reglementieren. Dies wurde zunächst einmal auf das Jahr 2005 zurückgestellt, weil es an definierten Ausbildungsstandards fehlt, anhand derer man die privaten Hochschulen zertifizieren könnte.

Dem georgischen Bildungssystem, das immer wieder voll Stolz vorgeführt wird, droht trotz - oder gerade wegen - der steigenden Studentenzahlen ein qualitativer Verfall, dessen Auswirkungen erst in einigen Jahren oder gar Jahrzehnten zu spüren sein werden. Ein Hochschulsystem, das die Zahl der Studienplätze aufgrund der vorhandenen Nachfrage und der steigenden Kaufkraft der Bevölkerung bedenkenlos nach oben schraubt, wird sich wohl irgendwann die Frage nach der Qualität seiner Ausbildung stellen lassen müssen.

Dokumentation: SARKE


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