Das georgische Bildungswesen hat in den letzten zehn Jahren eine
erstaunliche Entwicklung durchgemacht. Dabei ist es noch immer Ziel
einer jeden Familie, die Ausbidung ihrer Kinder mit einem Hochschul-Diplom
abzuschliessen, unabhängig davon, ob der Arbeitsmarkt in der
Lage ist, diese Arbeitskräfte aufzunehmen. Nur zwei von zehn
Studienabgängern finden derzeit eine adäquate Beschäftigung
im Lande. Trotzdem wird ein Grossteil der Jugendlichen auf Universitäten
geschickt. Die öffentlichen Hochschulen konnten (oder wollten)
diesen Andrang nicht mehr bewältigen, sodass in den letzten
zehn Jahren private Hochschulen wie Pilze aus dem Boden geschossen
sind, wie die georgische Nachrichtenagentur SARKE in einer Untersuchung
festsstellte. Ausserdem haben viele staatliche Hochschulen sogenannte
kommerzielle Abteilungen, in denen sie Studenten gegen Studiengebühren
unterrichten. Fast die Hälfte der georgischen Studenten besucht
mittlerweile eine der kommerziellen Hochschulen, die sich zu einem
Millionengeschäft entwickelt haben.
Die Statisitk ist auf
den ersten Blick beeindruckend: Gab es 1992, kurz nach dem Zusammenbruch
der UdSSR 48 private höhere Bildungseinrichtungen mit 11.000
Studenten, gibt es in Georgien heute 165 lizenzierte private Hochschulen,
in denen sich 43.000 Studenten eingetragen haben. Dazu kommen
weitere 30.000 Studenten, die in den privaten, das heisst kommerziell
geführten Abteilungen von zehn staatlichen Hochschulen studieren.
Vor neun Jahren, als man den staatlichen Hochschulen angesichts
der öffentlichen Finanzkrise die Möglichkeit einräumte,
sich auf diesem Wege selbst zu finanzieren, waren es nur 8.000.
Besonders beliebt sind die Studienfächer Medizin, Wirtschaft
und Jura, die in den kommerziellen Abteilungen der staatlichen
Universitäten angeboten werden.
Über
160.000 Studenten
Zur gleichen Zeit gingen
die Studentenzahlen an den öffentlichen Hochschulen zurück.
Waren 1990 noch 104.000 Studenten eingetragen, so sind es heute
nur noch 95.000. Die Zahl der staatlichen Hochschulen ist von
24 auf 19 gesunken.
Zusammengefasst ergeben
diese Zahlen folgendes Bild: Die Zahl der Studenten im Lande ist
in den letzten zehn Jahren von 123.000 auf 168.000 gestiegen.
Das ist ein Zuwachs um 36 %. Während die Zahl der Studenten
an staatlichen Universitäten und Hochschulen um 7 % leicht
gesunken ist, boomt der Markt der privaten Hochschulausbildung.
Insgesamt 73.000 junge Menschen, das ist mit 43 % fast die Hälfte
aller georgischen Studenten, müssen - und können wohl
auch - für ihre Ausbildung ganz ordentliche Beträge
hinlegen.
Die Studiengebühren
an den privaten Hochschulen und an den kommerziellen Abteilungen
der staatlichen Hochschulen liegen nach einer Umfrage von GN bei
100 bis 500 $ im Jahr, vereinzelt sollen auch bis zu 1.000 $ verlangt
werden. Der Durchschnitt dürfte sich auf nicht weniger als
250 $ im Jahr einpendeln. Wenn diese Zahl und die Statistik, die
SARKE veröffentlicht hat, stimmen, würden die privaten
und kommerziellen Hochschulen pro Jahr einen Umsatz von 18 Millionen
$ machen. Wie das mit den georgischen Gehaltsstrukturen zusammenpasst,
die landläufig immer wieder zitiert werden, können wohl
nur Insider der georgischen Gesellschaft beantworten. Denn die
73.000 Studenten an privaten Hochschulen und den kommerziellen
Abteilungen der staatlichen Hochschulen können sich wohl
kaum aus der berühmten Schicht von einem Prozent superreicher
Familien im Lande rekrutieren.
Eine andere Quelle
der Hochschulfinanzierung unter Umgehung öffentlicher Finanzen
sind die sogenannten Vorbereitungskurse für staatliche Hochschulen.
Mit einem normalen Schulabschluss ist kaum ein Schüler in
der Lage, die Aufnahmeprüfungen an einer Universität
zu bestehen. Die meisten legen deshalb zwischen Schulabschluss
und Studienanfang ein Vorbereitungsjahr ein, in dem sie sich für
die Aufnahmeprüfung in dem Studienfach ihrer Wahl fit machen.
Dies geschieht oft mit Privatunterricht, es werden aber auch von
den Hochschulen Kurse angeboten, für die bis zu 500 $ für
das Vorbereitungsjahr berappt werden müssen. Das Studium
im öffentlichen Teil der Universitäten ist nach bestandener
Aufnahmeprüfung dann kostenfrei.
Nebeneinkommen
der Lehrer
Eine guter Teil dieser
Millionensummen fliesst direkt in die Taschen der Professoren
und Dozenten und füllt deren in der Tat bescheidenes staatliches
Salär auf. Denn es ist wohl offensichtlich, dass ein Grossteil
der Professoren und Dozenten an staatlichen Universitäten
im Nebenberuf sowohl für die privaten Hochschulen aber insbesondere
für die kommerziellen Abteilungen der staatlichen Hochschulen
arbeiten. Ob dieses System auf Dauer eine qualifizierte Hochschulausbildung
garantieren kann, ist mehr als fragwürdig, wenngleich Befürworter
dieses Systems immer wieder darauf hinweisen, dass die privaten
Hochschulen oder die kommerziellen Abteilungen der staatlichen
Hochschulen weitaus besser ausgestattet seien als die staatlichen
und somit eine bessere Ausbildung versprechen könnten. Wenn
der Staat schon bei der Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur
und der Bezahlung der Lehrer versage, dann müsse die Gesellschaft
eben in Privatinitiative ihre Bedürfnisse regeln. Deshalb
finden es viele Georgier völlig normal, öffentliche
Sektoren wie zum Beispiel das Hochschulwesen statt über Steuern
auf direktem Wege zu bezahlen. Da komme dann das Geld auch wirklich
dort an, wo es gebraucht und für was es ausgegeben würde.
Fragwürdig sind
unter diesen Umständen privaten Wildwuchses im Hochschulwesen
aber viele der Diplome, da es eine staatliche Aufsicht in diesem
Bereich praktisch nicht gibt. Für das Jahr 2003 sollte die
georgische Regierung qua Gesetz eine strenge Akkreditierung der
privaten Hochschulen und eine Kontrolle der Qualitätsstandards
einführen und das Recht, Diplome auszustellen, reglementieren.
Dies wurde zunächst einmal auf das Jahr 2005 zurückgestellt,
weil es an definierten Ausbildungsstandards fehlt, anhand derer
man die privaten Hochschulen zertifizieren könnte.
Dem georgischen Bildungssystem,
das immer wieder voll Stolz vorgeführt wird, droht trotz
- oder gerade wegen - der steigenden Studentenzahlen ein qualitativer
Verfall, dessen Auswirkungen erst in einigen Jahren oder gar Jahrzehnten
zu spüren sein werden. Ein Hochschulsystem, das die Zahl
der Studienplätze aufgrund der vorhandenen Nachfrage und
der steigenden Kaufkraft der Bevölkerung bedenkenlos nach
oben schraubt, wird sich wohl irgendwann die Frage nach der Qualität
seiner Ausbildung stellen lassen müssen.
Dokumentation: SARKE
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