Ausgabe 14/02, 25. Sept. Archiv
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Was macht man, wenn man in brütender Sommerhitze einen Nachmittag lang an der Roten Brücke auf ankommende Gäste aus Baku wartet? Man sucht die Nähe zum Fluss und man sucht vor allem Schatten. Denn im Bereich der Grenzabfertigung gibt es alles, nur keinen Schatten.

Schatten findet man, wenn man wenige Meter vor der neuen Strassenbrücke, die von der Europäischen Gemeinschaft nach dem Zusammenbruch der UdSSR finanziert worden war, nach rechts abbiegt und den Weg hinunter zum Fluss Chrami nimmt. Dort trifft man auf eine kleine Containersiedlung, Überbleibsel der Baustelle aus den 90-er Jahren, als man die historische Rote Brücke, über die der stark angewachsene LKW-Verkehr zwischen Europa und dem Kaspischen Raum rollte mit einer modernen Brücke entlastete.


Die historische Rote Brücke stammt aus dem 17. Jahrhundert, sie verband Georgien mit Azerbaidschan, Armenien und dem Iran. Die 175 m lange Brücke ist aus rötlichem Stein in vier unterschiedlich grossen, leicht spitz zulaufenden Rundbögen gemauert, ein ob seiner Unregelmässigkeit recht eigenartiges Bauwerk. Die Rampen rechts und links der eigentlichen Brücke wurden im Inneren als Karawansereien genutzt. Heute führt nur noch der kleine Grenzhandel über die Brücke, auf der azerischen Seite hat sich ein kleiner Markt gebildet, auf dem sich viele georgische Händler mit Waren aller Art eindecken.



Auf dem Gelände der Bauarbeiterunterkünfte aus den 90-er Jahren haben sich einige Familien angesiedelt, meist Leute, die im Grenzhandel beschäftigt sind. Sie kommen aus verschiedenen Teilen Georgiens, unter anderm auch aus Abchasien oder Swanetien. Hervorragenden Ssulguni bekommen wir hier serviert, während wir auf unsere Gäste aus Baku warten - wirklich, es gibt gelegentlich einen Ssulguni, der auch einen altgedienten Georgien-Reisenden noch einmal ins Schwärmen kommen lässt. Der von der Swanen-Kneipe am Chrami-Fluss ist einer von dieser Sorte.


Gleich daneben finden wir eine Kafe-Bar im Bonanza-Stil und werden neugierig. Eine Veranda mit offenem Feuer, drei Coupees, das sind die unter Georgiern sehr beliebten kleinen Restaurant-Nebenzimmer, die jedes Gelage vor neugierigen Augen mehr oder wenig zufällig Vorbeikommender schützen sollen. Dazu ein kleines Lebensmittelgeschäft mit all dem, was man andernorts auch kaufen kann. Natia, eine Studentin aus Tbilissi, wie wir später erfahren, bedient uns: eine Cola, ein paar Erdnüsse, ein Bordschomi.

  

Wir setzen uns auf die Veranda, warten weiter auf den Mobil-Anruf unserer Gäste und kommen ins Gespräch. Natia ist Architekturstudentin im 5. Studienjahr und Malerin. Sie zeigt uns stolz all ihre Bilder, mit denen sie die Restaurant-Coupees ausgestaltet hat. Stilleben der für Georgien nicht ungewöhnlichen Art, nichts wirklich Besonderes, aber eben auch nicht allzu schlecht. Guter Studiendurchschnitt. Wir sind verblüfft, mitten in der Prärie hatten wir das nicht erwartet.


Und Natia erzählt uns, dass ihre Eltern, Luisa und Temuri heissen sie, das kleine Restaurant betreiben. Sie stammen eigentlich aus Sestaphoni, leben aber seit Jahrzehnten in Tbilissi. Ihr Vater war früher Fahrer bei einer Bank. Die Bank gibt es noch, aber sie braucht nicht mehr soviele Fahrer wie früher. Deshalb kaufte sich Temuri gleich nach Beendigung des Brückenneubaus am Chramifluss einen der Container der damaligen Kantine und fing mit einem kleinen Handelsgeschäft an: Bier, Cola, Süssigkeiten, das Übliche.

Das Geschäft kurz vor der Grenze zu Aserbaidschan ging nicht schlecht und Temuri konnte aus dem Ersparten ein kleines Restaurant, die Veranda, auf der wir gerade sitzen, bauen - alles mit eigener Hand, alles aus eigener Kraft, wie er voll Stolz erzählt. Und da sind wir wieder einmal an dem Punkt angelangt, wo schnell Durchreisende nicht mehr mitkommen. Was einem Touristen beispielsweise eher wie eine - wohlwollend formuliert - bescheidene Waldbutze vorkommt, bedeutet für Temuri und seine Familie die Quelle eines bescheidenen Lebensstils. Es ist, wenn man so will, eine der vielen klein-unternehmerischen Erfolgsgeschichten im Lande, die kaum einer sieht, der nicht bereit ist, sich im Durchreisen mit der Entwicklung der letzten zehn Jahre zu beschäftigen. Denn heute betreibt Temuri neben dieser Kneipe noch einen Kiosk direkt an der georgischen Zollabfertigung oben an der Hauptstrasse, die von der Roten Brücke nach Tbilissi führt. Der frühere Fahrer, angestellt bei einer staatlichen Bank, wurde zum Kleinunternehmer, der nicht nur seine Famlie damit ernährt, der auch ein paar Arbeitsplätze geschaffen hat. Drei oder vier Frauen zählen wir, die in der Küche und im Service beschäftigt sind.


Natürlich wollen wir wissen, was es denn Besonderes gibt auf der "Ponderosa am Chrami-Fluss". Fangfrische Fische aus dem Chrami, erzählt uns Temuri, auch Fisch aus Azerbaidschan, Schaschlik, die üblichen Vorspeisen und dann Huhn in Brombeersauce, eine imeretinische Spezialität, schliesslich ist Temuri ja Westgeorgier. Dazu Maisbrot, das eingewickelt in Walnussblätter in Tonpfannen ausgebacken wird, die zuvor im offenen Feuer aufgeheizt worden waren. Auch das Huhn wird zunächst in zwei aufeinandergestülpten Tonpfannen gegart, die in der Glut des offenen Kamins ihre Hitze erhalten haben, später erst wird es noch ein paar Minuten über dem offenen Feuer nachgegart. Gut gewürzt und mit einer dickflüssigen Brombeersauce übergossen ist es der Star einer georgischen Tafel, die wir wenige Tage danach erst geniessen konnten. Bei unserem ersten Besuch war uns dies versagt worden. Unsere Gäste aus Baku hatten zwar mit erheblicher Verspätung aber dennoch im Zeitrahmen, der hierzulande üblich ist, die Grenze erreicht und unsere Dienste beansprucht. Ihretwegen waren wir ja hierhergekommen, auf sie hatten wir gewartet und uns den Schattenplatz am Chrami gesucht.









 





 



 





 



 




 




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