Was macht man, wenn man in brütender Sommerhitze einen
Nachmittag lang an der Roten Brücke auf ankommende Gäste
aus Baku wartet? Man sucht die Nähe zum Fluss und man sucht
vor allem Schatten. Denn im Bereich der Grenzabfertigung gibt
es alles, nur keinen Schatten.
Schatten findet man, wenn man wenige Meter vor der neuen Strassenbrücke,
die von der Europäischen Gemeinschaft nach dem Zusammenbruch
der UdSSR finanziert worden war, nach rechts abbiegt und den
Weg hinunter zum Fluss Chrami nimmt. Dort trifft man auf eine
kleine Containersiedlung, Überbleibsel der Baustelle aus
den 90-er Jahren, als man die historische Rote Brücke,
über die der stark angewachsene LKW-Verkehr zwischen Europa
und dem Kaspischen Raum rollte mit einer modernen Brücke
entlastete.
Die historische Rote Brücke stammt aus dem 17. Jahrhundert,
sie verband Georgien mit Azerbaidschan, Armenien und dem Iran.
Die 175 m lange Brücke ist aus rötlichem Stein in
vier unterschiedlich grossen, leicht spitz zulaufenden Rundbögen
gemauert, ein ob seiner Unregelmässigkeit recht eigenartiges
Bauwerk. Die Rampen rechts und links der eigentlichen Brücke
wurden im Inneren als Karawansereien genutzt. Heute führt
nur noch der kleine Grenzhandel über die Brücke, auf
der azerischen Seite hat sich ein kleiner Markt gebildet, auf
dem sich viele georgische Händler mit Waren aller Art eindecken.
Auf dem Gelände der Bauarbeiterunterkünfte aus den
90-er Jahren haben sich einige Familien angesiedelt, meist Leute,
die im Grenzhandel beschäftigt sind. Sie kommen aus verschiedenen
Teilen Georgiens, unter anderm auch aus Abchasien oder Swanetien.
Hervorragenden Ssulguni bekommen wir hier serviert, während
wir auf unsere Gäste aus Baku warten - wirklich, es gibt
gelegentlich einen Ssulguni, der auch einen altgedienten Georgien-Reisenden
noch einmal ins Schwärmen kommen lässt. Der von der
Swanen-Kneipe am Chrami-Fluss ist einer von dieser Sorte.
Gleich daneben finden wir eine Kafe-Bar im Bonanza-Stil und
werden neugierig. Eine Veranda mit offenem Feuer, drei Coupees,
das sind die unter Georgiern sehr beliebten kleinen Restaurant-Nebenzimmer,
die jedes Gelage vor neugierigen Augen mehr oder wenig zufällig
Vorbeikommender schützen sollen. Dazu ein kleines Lebensmittelgeschäft
mit all dem, was man andernorts auch kaufen kann. Natia, eine
Studentin aus Tbilissi, wie wir später erfahren, bedient
uns: eine Cola, ein paar Erdnüsse, ein Bordschomi.
Wir setzen uns auf die Veranda, warten weiter auf den Mobil-Anruf
unserer Gäste und kommen ins Gespräch. Natia ist Architekturstudentin
im 5. Studienjahr und Malerin. Sie zeigt uns stolz all ihre
Bilder, mit denen sie die Restaurant-Coupees ausgestaltet hat.
Stilleben der für Georgien nicht ungewöhnlichen Art,
nichts wirklich Besonderes, aber eben auch nicht allzu schlecht.
Guter Studiendurchschnitt. Wir sind verblüfft, mitten in
der Prärie hatten wir das nicht erwartet.
Und Natia erzählt uns, dass ihre Eltern, Luisa und Temuri
heissen sie, das kleine Restaurant betreiben. Sie stammen eigentlich
aus Sestaphoni, leben aber seit Jahrzehnten in Tbilissi. Ihr
Vater war früher Fahrer bei einer Bank. Die Bank gibt es
noch, aber sie braucht nicht mehr soviele Fahrer wie früher.
Deshalb kaufte sich Temuri gleich nach Beendigung des Brückenneubaus
am Chramifluss einen der Container der damaligen Kantine und
fing mit einem kleinen Handelsgeschäft an: Bier, Cola,
Süssigkeiten, das Übliche.
Das Geschäft kurz vor der Grenze zu Aserbaidschan ging
nicht schlecht und Temuri konnte aus dem Ersparten ein kleines
Restaurant, die Veranda, auf der wir gerade sitzen, bauen -
alles mit eigener Hand, alles aus eigener Kraft, wie er voll
Stolz erzählt. Und da sind wir wieder einmal an dem Punkt
angelangt, wo schnell Durchreisende nicht mehr mitkommen. Was
einem Touristen beispielsweise eher wie eine - wohlwollend formuliert
- bescheidene Waldbutze vorkommt, bedeutet für Temuri und
seine Familie die Quelle eines bescheidenen Lebensstils. Es
ist, wenn man so will, eine der vielen klein-unternehmerischen
Erfolgsgeschichten im Lande, die kaum einer sieht, der nicht
bereit ist, sich im Durchreisen mit der Entwicklung der letzten
zehn Jahre zu beschäftigen. Denn heute betreibt Temuri
neben dieser Kneipe noch einen Kiosk direkt an der georgischen
Zollabfertigung oben an der Hauptstrasse, die von der Roten
Brücke nach Tbilissi führt. Der frühere Fahrer,
angestellt bei einer staatlichen Bank, wurde zum Kleinunternehmer,
der nicht nur seine Famlie damit ernährt, der auch ein
paar Arbeitsplätze geschaffen hat. Drei oder vier Frauen
zählen wir, die in der Küche und im Service beschäftigt
sind.
Natürlich wollen wir wissen, was es denn Besonderes gibt
auf der "Ponderosa am Chrami-Fluss". Fangfrische Fische
aus dem Chrami, erzählt uns Temuri, auch Fisch aus Azerbaidschan,
Schaschlik, die üblichen Vorspeisen und dann Huhn in Brombeersauce,
eine imeretinische Spezialität, schliesslich ist Temuri
ja Westgeorgier. Dazu Maisbrot, das eingewickelt in Walnussblätter
in Tonpfannen ausgebacken wird, die zuvor im offenen Feuer aufgeheizt
worden waren. Auch das Huhn wird zunächst in zwei aufeinandergestülpten
Tonpfannen gegart, die in der Glut des offenen Kamins ihre Hitze
erhalten haben, später erst wird es noch ein paar Minuten
über dem offenen Feuer nachgegart. Gut gewürzt und
mit einer dickflüssigen Brombeersauce übergossen ist
es der Star einer georgischen Tafel, die wir wenige Tage danach
erst geniessen konnten. Bei unserem ersten Besuch war uns dies
versagt worden. Unsere Gäste aus Baku hatten zwar mit erheblicher
Verspätung aber dennoch im Zeitrahmen, der hierzulande
üblich ist, die Grenze erreicht und unsere Dienste beansprucht.
Ihretwegen waren wir ja hierhergekommen, auf sie hatten wir
gewartet und uns den Schattenplatz am Chrami gesucht.