Ausgabe 14/02, 25. Sept. Archiv
 Home
  :: Impressum
Tbilisi Tourist Center
ERKA-REISEN
Last Minute Hotels
Low Budget Trips & Tipps

Endlich hat auch Wladimir Putin das Pankisital für eine grosse Rolle entdeckt. Hatte er bislang seine Laienschauspieler aus der Armee im Pankisi agieren lassen - oder sie an ihren Bombenauftritten nicht mehr hindern können - inszenierte er am 11. September seine eigene Gala mit einer Rede vor seinen Militärs in Sotschi, in der er Georgien mit einer russischen Militäraktion im Pankisital drohte. Gleichzeitig liess er UN und OSZE offiziell von der Haltung Moskaus unterrichten, im Pankisi selbst eingreifen zu dürfen. Das Statement errregte in Georgien und in der internationalen Presse erhebliches Aufsehen, war aber wohl eher zur Beruhigung der erhitzten Gemüter zu Hause gedacht.

Putin warf Georgien skandalöse Versäumnisse bei der Umsetzung der UN-Sicherheitsrats-Resolution 1373 vor, der alle Staaten zum Kampf gegen den Terrorismus verpflichtet. Er reklamierte für Russland in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen das Recht auf Selbstverteidigung und gab seinen Militärs den Auftrag, konkrete Operationspläne für ein russisches Vorgehen im Pankisi auszuarbeiten. Die Militärs waren sichs zufrieden und versprachen, in wenigen Tagen schon mit konkreten Operationsvorschlägen aufzuwarten, was vor allem in der georgischen Presse zu fast panikartigen Schlagzeilen führte. Einige nahmen die Kraftmeierei der russischen Armee, die nur zehn Minuten brauchen will, um gegen Georgien loszuschlagen, für bare Münze und gebährdeten sich, als ob ein Angriffskrieg Russlands kurz bevorstünde. In Russland frohlockte die überwiegende Mehrheit der ohnehin anti-georgisch gestimmten Duma angesichts der Entschlossenheit ihres Präsidenten, während ihn Intellektuelle vor den katastrophalen Folgen eines Krieges gegen Georgien warnten. Dass der russische Verteidigungsminister Iwanow schon einen Tag nach dem fulminanten Putin-Auftritt den Wert desselben mit der Bemerkung relativierte, das Aufstellen von Operationsplänen bedeute nicht automatisch auch deren Umsetzung, wurde kaum noch registriert. Die Pankisi-Inszenierung war um eine Szene voller Dramatik reicher und die Welt schaute gebannt auf den schmächtigen Machthaber im Kreml und seine Pläne.

Balsam für geschundene Seelen

Es ist offensichtlich, dass Putin mit seinem Statement vor allem Balsam auf die geschundenen Seelen seiner Militärs hat legen wollen. Diese mussten in den letzten Wochen und Monaten mit ansehen, wie sich Amerika nun auch militärisch im Süden des Kaukasus breit machte. Wenn man alle die Entwicklung der letzten Monate Revue passieren lässt, wird deutlich, dass Georgien vor allem der beiden Pipelines wegen auf die amerikanische Karte setzen musste. Eine Finanzierung der Pipes währe ohne Sicherheitsgarantien durch Amerika nicht möglich gewesen und vom Bau der Pipelines hängt ein Grossteil der Zukunft Georgiens ab. Pipelines bringen Stabilität und die ist auch im Kaukasus nicht mehr ohne Amerika zu haben. Das kann einen russischen General wütend machen, vor allem dann, wenn sein Präsident dazu schweigt.

Georgische Regierungskreise stützen ihre eher beruhigende Analyse der Putin`schen Erruptionen auf ein Telefonat zwischen Bush und Putin gleich nach den Ereignissen vom 11. September letzten Jahres. In diesem Gespräch wurde wohl die Anti-Terror-Koalition geschmiedet. Dabei soll Bush trotz der Schockwirkung des Al-Qaida-Angriffs seinem Moskauer Kollegen unmissverständlich deutlich gemacht haben, dass es für russische Anti-Terror-Aktivitäten im Kaukasus eine rote Linie gäbe, den Kaukaus-Hauptkamm. Putin soll in diesem Telefonat das amerikanische Einverständnis für ein russisches Vorgehen gegen tschetschenische "Terroristen" im Südkaukasus verlangt haben. Bush habe dies ebenso entschieden abgelehnt wie Jahre zuvor Schewardnadse den damaligen russischen Präsidenten Jeltzin abblitzen liess, der telefonisch die Beendigung des (d.h. seines) Tschetschenienproblems durch russische Militäreinsätze in Georgien einforderte.

Ein Staat im Staate

Nachdem nun russische Generäle, offensichtlich ohne ihren Kremlherrn zu fragen oder einzuweihen, diese rote Linie im Kaukasus mehrfach überflogen, dabei georgisches Territorium bombardiert und auch einen Georgier getötet hatten, war Putin zweifelsfrei in einer Zwickmühle. Er konnte dem Treiben seiner Militärs nicht mehr länger schweigend zuschauen, ohne selbst Schaden an seiner internationalen Reputation nehmen zu müssen. Ein Präsident, der nicht in der Lage ist, seinen Militärs Grenzen zu setzen, kann auf Dauer wohl keinen zuverlässigen Gesprächspartner mehr abgeben. Er hätte sich früher oder später den Vorwurf gefallen lassen müssen, diese Aktionen stillschweigend abgesegnet zu haben, während er gleichzeitig den kooperationsbereiten und verständigen Staatsmann spielte. Dass er in den letzten Wochen nicht in der Lage war, seine Militärs zurückzupfeifen, darf unterstellt werden. Der militärische Geheimdienst GRU, der nicht einmal dem Verteidigungsminister berichten muss sondern ausschliesslich dem Generalstab, ist ein Staat im Staate, den der russische Präsident wohl kaum unter Kontrolle hat.

So setzte sich Putin in einem höchst dramatisch inszenierten Auftritt am symbolträchtigen 11.9. an die Spitze der Bewegung, überholte in militärischer Rhetorik seine Hardliner und nahm sie gleichzeitig dabei in die Pflicht. Denn mit dem präsidialen Auftrag, einen Verteidigungsschlag gegen die Terrorgefahr aus dem Pankisi vorzubereiten, können die Betonköpfe der russischen Armee jetzt nicht mehr auf eigene Faust handeln und zündeln. Das Thema ist jetzt Chefsache und durch die offiziellen Stellungnahmen Putins gegenüber UN und OSZE auch auf einer höheren internationalen Ebene angelangt. Jeder noch so kleinen Grenzverletzung, jeder Stichelei muss ab sofort eine ganz andere Bedeutung beigemessen werden.

Diplomatische Aktivitäten

Die zu erwartenden diplomatischen Aktivitäten und Antworten folgten. Demonstrativ empfing George W. Bush - er hatte das Pankisi schon seit einiger Zeit zur Chefsache gemacht - den georgischen Aussenminister Irakli Menagarischwili, der wegen der UN-Vollversammlung praktischerweise gerade in den Staaten weilte, zu einem intensiven 15-minütigen Meinungsaustausch, bei dem sich beide Politiker ausführlich über die Hintergründe der Spannungen an der georgisch-russischen Grenze austauschen konnten.

"Wir sind sehr verärgert über das Statement von Präsident Putin", erklärte ein Sprecher des Weissen Hauses "und lehnen jede einseitige Militäraktion in Georgien ab." Präsident Bush erklärte vor Journalisten, er habe Putin gedrängt, die georgischen Truppen ihren Job selbst machen zu lassen, wobei er diesen dann auf seine Weise konkretisierte: "Ich habe der georgischen Regierung sehr klar gemacht, dass wir von ihr das Ausrotten des Al-Qaida-Terrorismus im Pankisi erwarten."

So spielen die Georgier tapfer ihre Rolle im Pankisi. Fast drehbuchgerecht haben sie dem russischen Präsidenten vor ein paar Tagen den ersten tschetschenischen Rebellen verhaften können und sich kurze Zeit später im Pankisi ein kleines Feuergefecht mit Tschetschenen geliefert, Waffenlager wurden ausgehoben und wahabbitische Literatur beschlagnahmt. Steigerungen sind nicht auszuschliessen, auch nicht die Möglichkeit, dass ein Teil der rund ein Dutzend tschetschenischer Rebellen, die vor einigen Wochen beim Versuch, die Grenze nach Russland zu überschreiten, festgenommen wurden, nach einer diplomatischen Karenzzeit doch noch an Russland ausgewiesen wird. Bislang hatte sich Georgien einer solchen Forderung widersetzt und darauf hingewiesen, dass Russland seinerseits den früheren georgischen Sicherheitschef Giorgadse nicht an Georgien ausliefere, obwohl dieser mit einem internationalen Haftbefehl gesucht wird. Giorgadse soll an einem Attentat auf Schewardnadse vor einigen Jahren beteiligt gewesen sein. Russland verlangt dafür die Auslieferung von Badri Patarkatsischwili, einem schwerreichen Geschäftsmann von Tbilissi, der sein Vermögen mit illegalen Geschäften in Moskau gemacht haben soll. Im georgisch-russischen Propagandakonflikt gibt es viele Nebenkriegsschauplätze.

Die Pankisi-Falle

Sollte allerdings die "Erfolgsgeschichte" der georgischen Pankisi-Operation weitergehen und beständig neue Erfolge im Kampf gegen Kriminelle und Terroristen im "Tal der Gesetzlosigkeit" vermeldet werden, dann könnte Putin die Operationspläne seiner Generale, an deren Speerspitze er sich mit seinem Vorstoss vom 11. September gesetzt hatte, in der Schublade verschwinden lassen, ohne zu Hause der Schwäche geziehen zu werden und selbst an Stärke einzubüssen. Das ist - aus georgischer Sicht - die "best case" Variante des Putin`schen Auftritts vom 11. September. Wir müssen alles tun, heisst es in der Umgebung Schewardnadses, dass Putin ohne Gesichtsverlust aus dieser Pankisi-Falle, in die ihn seine Militärs gelockt haben, wieder herauskommt. Alles tun heisst, der Weltöffentlichkeit nachzuweisen, dass man alleine in der Lage ist, gegen Kriminalle und tschetschenische Rebellen im Pankisi vorzugehen und damit den russischen Generalstab zu neutralisieren. Nicht zuletzt deshalb hätten die Amerikaner im Pankisi hinter den Kulissen mitgewirkt. Schon vor Monaten, so wird in Tbilissi erzählt, hätten sie der tschetschenischen Vertretung in Washington klar gemacht, dass das "Spiel im Pankisi aus" sei. Ganz ohne fremde Hilfe haben es die Georgier dann doch nicht geschafft, die bewaffneten Tschetschenen dazu zu bewegen, das Pankisi zu verlassen.

Ein Kuhhandel Pankisi gegen Irak, über den weltweit in vielen Analysen immer wieder spekuliert wird, geht nach Ansicht moderater Analytiker von der fragwürdigen Annahme aus, die Bedeutung des Pankisitals sei auch nur annähernd mit der des Irak zu vergleichen. Die Öl-Interessen Amerikas im Kaukasus seien so gewichtig, dass man sich diese wegen ein paar Hundert tschetschenischer Rebellen kaum abkaufen lassen könne. Der massive propagandistische Kaukasus-Auftritt Amerikas in den letzten Wochen hat in Georgien grosse Erwartungen an den neuen Freund jenseits des Atlantik geweckt. Allerdings mischt sich in diese nüchterne Betrachtung der Ereignisse auch die Sorge, ob angesichts des gnadenlosen Vorgehens der Israelis in Ramallah nicht doch noch die eine oder andere russische Sicherung durchbrennt.

Die USA mischen sich ein

Dass sich die USA im Kaukasus auch hinter den Kulissen aktiv einmischen, ist der Tatasache zu entnehmen, dass der Sekretär des georgischen Sicherheitsrates, der langjährige Botschafter Tbilissis in Washington, Tedo Tschaparidse, kurzfristig nach Washington gerufen wurde. Noch bevor Bush sich mit den beiden russischen Iwanows, Aussenminister Igor Iwanow und Verteidigungsminister Sergej Iwanow, traf, besprach er sich mit seinem georgischen Vertrauten Tschaparidse und seiner eigenen Sicherheitsberaterin Conoleezza Rice. Wenngleich die beiden Russen es ablehnten, sich in Washington mit den Amerikanern und dem Georgier an einen Dreiertisch zu setzen, wertet man in Georgien diese US-Aktivitäten als einen klaren Führungsanspruch Amerikas im Kaukasus. Washington verlangt dagegen von Tbilissi, dass es sich mit Moskau in allen Fragen arrangieren muss, auch in Abchasien. Dabei will Amerika eine aktive Rolle spielen. Ab sofort, das darf angenommen werden, redet Amerika mit, wenn es um das Verhältnis zwischen Russland und Georgien geht.

"Der Präsident unterstrich, wie wichtig es sei, dass Russland die Souveränität und territoriale Integrität Georgiens schütze", erklärte der Sprecher des Weissen Hauses Ari Fleischer nach dem Gespräch des Moskauer Ministerduetts bei Bush. Während die Iwanows ihrem Gastgeber gegenüber wegen der Unfähigkeit Georgiens, mit dem Terrorismus fertig zu werden, erneut eine russische Militäroperation im Pankisi verlangten, schickte dieser eine Botschaft an Schewardnadse, in der er dem georgischen Volk für seinen unschätzbaren Beitrag zur Kampagne, mit der Welt vom Terrorismus befreit werden soll, lobte.

So rechnen in Tbilissi viele damit, dass die georgisch-amerikanische Soft-Operation Pankisi gelingt und Putins Gewaltandrohung nur rhetorischen Charakter behalten wird. Dies wäre zweifelsohne ein grosser Erfolg für Eduard Schewardnadse, der in dieser Woche dem Parlament seinen jährlichen Bericht zur Lage der Nation abgeben sollte. Der Termin wurde zunächst einmal verschoben, die Bilanz ist aber jetzt schon klar: Die Probleme im Pankisital sind gelöst, Russland konnte den Tschetschenienkrieg nicht auf georgisches Territorium auslagern, die Amerikaner sind im Land etabliert, die Russen - militärisch gesehen - nur noch Zaungäste und Georgien kann weiter von einer NATO-Mitgliedschaft in absehbarer Zukunft träumen, auch wenn es heute noch meilenweit von NATO-Standards entfernt ist.

Bushs Forderungen an Schewardnadse

Allerdings hat George W. Bush seinem georgischen Kollegen in seinem Schreiben auch klar gemacht, dass er und sein Land damit noch lange nicht über dem Berg sind. Neben tatsächlichen Ergebnissen im Pankisi forderte er glaubhafte Fortschritte der Regierung Schewardnadse im Kamf gegen die Korruption und eine wirksame Reform des Energiesystems, wobei der Amerikaner in undiplomatischer Offenheit vor allem eine Bezahlung der offenen Gasrechnungen an Russland anmahnte.

Amerika fürchtet wohl eher russische Erpressungsversuche mit dem Gashahn als ein militärisches Eingreifen Moskaus im Pankisi. Gassperren im kommenden Winter, die unter Umständen das Regime Schewardnadses noch vor den anstehenden Wahlen der nächsten beiden Jahre ins Wanken bringen könnten, erscheinen mittlerweile wohl als das grössere Problem. Denn dann wäre auch die Stabilität im Kaukasus in Gefahr, auf die Amerika der Pipelines wegen setzt. Schewardnadse wird seinen amerikanischen Partner in den letzten beiden Jahren seiner Amtszeit noch mehrfach um Hilfe bitten müssen, will er seine Amtszeit mit Anstand hinter sich bringen. Der Putin`sche Kraftakt von Sotschi jedenfalls hat ihm nicht viel anhaben können.


Copyright © 2002 ERKA-Verlag Kontakte :: e-mail :: webmaster