Endlich hat auch Wladimir Putin das Pankisital für eine grosse
Rolle entdeckt. Hatte er bislang seine Laienschauspieler aus der
Armee im Pankisi agieren lassen - oder sie an ihren Bombenauftritten
nicht mehr hindern können - inszenierte er am 11. September
seine eigene Gala mit einer Rede vor seinen Militärs in Sotschi,
in der er Georgien mit einer russischen Militäraktion im Pankisital
drohte. Gleichzeitig liess er UN und OSZE offiziell von der Haltung
Moskaus unterrichten, im Pankisi selbst eingreifen zu dürfen.
Das Statement errregte in Georgien und in der internationalen Presse
erhebliches Aufsehen, war aber wohl eher zur Beruhigung der erhitzten
Gemüter zu Hause gedacht.
Putin warf Georgien skandalöse Versäumnisse bei der
Umsetzung der UN-Sicherheitsrats-Resolution 1373 vor, der alle
Staaten zum Kampf gegen den Terrorismus verpflichtet. Er reklamierte
für Russland in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten
Nationen das Recht auf Selbstverteidigung und gab seinen Militärs
den Auftrag, konkrete Operationspläne für ein russisches
Vorgehen im Pankisi auszuarbeiten. Die Militärs waren sichs
zufrieden und versprachen, in wenigen Tagen schon mit konkreten
Operationsvorschlägen aufzuwarten, was vor allem in der georgischen
Presse zu fast panikartigen Schlagzeilen führte. Einige nahmen
die Kraftmeierei der russischen Armee, die nur zehn Minuten brauchen
will, um gegen Georgien loszuschlagen, für bare Münze
und gebährdeten sich, als ob ein Angriffskrieg Russlands
kurz bevorstünde. In Russland frohlockte die überwiegende
Mehrheit der ohnehin anti-georgisch gestimmten Duma angesichts
der Entschlossenheit ihres Präsidenten, während ihn
Intellektuelle vor den katastrophalen Folgen eines Krieges gegen
Georgien warnten. Dass der russische Verteidigungsminister Iwanow
schon einen Tag nach dem fulminanten Putin-Auftritt den Wert desselben
mit der Bemerkung relativierte, das Aufstellen von Operationsplänen
bedeute nicht automatisch auch deren Umsetzung, wurde kaum noch
registriert. Die Pankisi-Inszenierung war um eine Szene voller
Dramatik reicher und die Welt schaute gebannt auf den schmächtigen
Machthaber im Kreml und seine Pläne.
Balsam für geschundene Seelen
Es ist offensichtlich, dass Putin mit seinem Statement vor allem
Balsam auf die geschundenen Seelen seiner Militärs hat legen
wollen. Diese mussten in den letzten Wochen und Monaten mit ansehen,
wie sich Amerika nun auch militärisch im Süden des Kaukasus
breit machte. Wenn man alle die Entwicklung der letzten Monate
Revue passieren lässt, wird deutlich, dass Georgien vor allem
der beiden Pipelines wegen auf die amerikanische Karte setzen
musste. Eine Finanzierung der Pipes währe ohne Sicherheitsgarantien
durch Amerika nicht möglich gewesen und vom Bau der Pipelines
hängt ein Grossteil der Zukunft Georgiens ab. Pipelines bringen
Stabilität und die ist auch im Kaukasus nicht mehr ohne Amerika
zu haben. Das kann einen russischen General wütend machen,
vor allem dann, wenn sein Präsident dazu schweigt.
Georgische Regierungskreise stützen ihre eher beruhigende
Analyse der Putin`schen Erruptionen auf ein Telefonat zwischen
Bush und Putin gleich nach den Ereignissen vom 11. September letzten
Jahres. In diesem Gespräch wurde wohl die Anti-Terror-Koalition
geschmiedet. Dabei soll Bush trotz der Schockwirkung des Al-Qaida-Angriffs
seinem Moskauer Kollegen unmissverständlich deutlich gemacht
haben, dass es für russische Anti-Terror-Aktivitäten
im Kaukasus eine rote Linie gäbe, den Kaukaus-Hauptkamm.
Putin soll in diesem Telefonat das amerikanische Einverständnis
für ein russisches Vorgehen gegen tschetschenische "Terroristen"
im Südkaukasus verlangt haben. Bush habe dies ebenso entschieden
abgelehnt wie Jahre zuvor Schewardnadse den damaligen russischen
Präsidenten Jeltzin abblitzen liess, der telefonisch die
Beendigung des (d.h. seines) Tschetschenienproblems durch russische
Militäreinsätze in Georgien einforderte.
Ein Staat im Staate
Nachdem nun russische Generäle, offensichtlich ohne ihren
Kremlherrn zu fragen oder einzuweihen, diese rote Linie im Kaukasus
mehrfach überflogen, dabei georgisches Territorium bombardiert
und auch einen Georgier getötet hatten, war Putin zweifelsfrei
in einer Zwickmühle. Er konnte dem Treiben seiner Militärs
nicht mehr länger schweigend zuschauen, ohne selbst Schaden
an seiner internationalen Reputation nehmen zu müssen. Ein
Präsident, der nicht in der Lage ist, seinen Militärs
Grenzen zu setzen, kann auf Dauer wohl keinen zuverlässigen
Gesprächspartner mehr abgeben. Er hätte sich früher
oder später den Vorwurf gefallen lassen müssen, diese
Aktionen stillschweigend abgesegnet zu haben, während er
gleichzeitig den kooperationsbereiten und verständigen Staatsmann
spielte. Dass er in den letzten Wochen nicht in der Lage war,
seine Militärs zurückzupfeifen, darf unterstellt werden.
Der militärische Geheimdienst GRU, der nicht einmal dem Verteidigungsminister
berichten muss sondern ausschliesslich dem Generalstab, ist ein
Staat im Staate, den der russische Präsident wohl kaum unter
Kontrolle hat.
So setzte sich Putin in einem höchst dramatisch inszenierten
Auftritt am symbolträchtigen 11.9. an die Spitze der Bewegung,
überholte in militärischer Rhetorik seine Hardliner
und nahm sie gleichzeitig dabei in die Pflicht. Denn mit dem präsidialen
Auftrag, einen Verteidigungsschlag gegen die Terrorgefahr aus
dem Pankisi vorzubereiten, können die Betonköpfe der
russischen Armee jetzt nicht mehr auf eigene Faust handeln und
zündeln. Das Thema ist jetzt Chefsache und durch die offiziellen
Stellungnahmen Putins gegenüber UN und OSZE auch auf einer
höheren internationalen Ebene angelangt. Jeder noch so kleinen
Grenzverletzung, jeder Stichelei muss ab sofort eine ganz andere
Bedeutung beigemessen werden.
Diplomatische Aktivitäten
Die zu erwartenden diplomatischen Aktivitäten und Antworten
folgten. Demonstrativ empfing George W. Bush - er hatte das Pankisi
schon seit einiger Zeit zur Chefsache gemacht - den georgischen
Aussenminister Irakli Menagarischwili, der wegen der UN-Vollversammlung
praktischerweise gerade in den Staaten weilte, zu einem intensiven
15-minütigen Meinungsaustausch, bei dem sich beide Politiker
ausführlich über die Hintergründe der Spannungen
an der georgisch-russischen Grenze austauschen konnten.
"Wir sind sehr verärgert über das Statement von
Präsident Putin", erklärte ein Sprecher des Weissen
Hauses "und lehnen jede einseitige Militäraktion in
Georgien ab." Präsident Bush erklärte vor Journalisten,
er habe Putin gedrängt, die georgischen Truppen ihren Job
selbst machen zu lassen, wobei er diesen dann auf seine Weise
konkretisierte: "Ich habe der georgischen Regierung sehr
klar gemacht, dass wir von ihr das Ausrotten des Al-Qaida-Terrorismus
im Pankisi erwarten."
So spielen die Georgier tapfer ihre Rolle im Pankisi. Fast drehbuchgerecht
haben sie dem russischen Präsidenten vor ein paar Tagen den
ersten tschetschenischen Rebellen verhaften können und sich
kurze Zeit später im Pankisi ein kleines Feuergefecht mit
Tschetschenen geliefert, Waffenlager wurden ausgehoben und wahabbitische
Literatur beschlagnahmt. Steigerungen sind nicht auszuschliessen,
auch nicht die Möglichkeit, dass ein Teil der rund ein Dutzend
tschetschenischer Rebellen, die vor einigen Wochen beim Versuch,
die Grenze nach Russland zu überschreiten, festgenommen wurden,
nach einer diplomatischen Karenzzeit doch noch an Russland ausgewiesen
wird. Bislang hatte sich Georgien einer solchen Forderung widersetzt
und darauf hingewiesen, dass Russland seinerseits den früheren
georgischen Sicherheitschef Giorgadse nicht an Georgien ausliefere,
obwohl dieser mit einem internationalen Haftbefehl gesucht wird.
Giorgadse soll an einem Attentat auf Schewardnadse vor einigen
Jahren beteiligt gewesen sein. Russland verlangt dafür die
Auslieferung von Badri Patarkatsischwili, einem schwerreichen
Geschäftsmann von Tbilissi, der sein Vermögen mit illegalen
Geschäften in Moskau gemacht haben soll. Im georgisch-russischen
Propagandakonflikt gibt es viele Nebenkriegsschauplätze.
Die Pankisi-Falle
Sollte allerdings die "Erfolgsgeschichte" der georgischen
Pankisi-Operation weitergehen und beständig neue Erfolge
im Kampf gegen Kriminelle und Terroristen im "Tal der Gesetzlosigkeit"
vermeldet werden, dann könnte Putin die Operationspläne
seiner Generale, an deren Speerspitze er sich mit seinem Vorstoss
vom 11. September gesetzt hatte, in der Schublade verschwinden
lassen, ohne zu Hause der Schwäche geziehen zu werden und
selbst an Stärke einzubüssen. Das ist - aus georgischer
Sicht - die "best case" Variante des Putin`schen Auftritts
vom 11. September. Wir müssen alles tun, heisst es in der
Umgebung Schewardnadses, dass Putin ohne Gesichtsverlust aus dieser
Pankisi-Falle, in die ihn seine Militärs gelockt haben, wieder
herauskommt. Alles tun heisst, der Weltöffentlichkeit nachzuweisen,
dass man alleine in der Lage ist, gegen Kriminalle und tschetschenische
Rebellen im Pankisi vorzugehen und damit den russischen Generalstab
zu neutralisieren. Nicht zuletzt deshalb hätten die Amerikaner
im Pankisi hinter den Kulissen mitgewirkt. Schon vor Monaten,
so wird in Tbilissi erzählt, hätten sie der tschetschenischen
Vertretung in Washington klar gemacht, dass das "Spiel im
Pankisi aus" sei. Ganz ohne fremde Hilfe haben es die Georgier
dann doch nicht geschafft, die bewaffneten Tschetschenen dazu
zu bewegen, das Pankisi zu verlassen.
Ein Kuhhandel Pankisi gegen Irak, über den weltweit in vielen
Analysen immer wieder spekuliert wird, geht nach Ansicht moderater
Analytiker von der fragwürdigen Annahme aus, die Bedeutung
des Pankisitals sei auch nur annähernd mit der des Irak zu
vergleichen. Die Öl-Interessen Amerikas im Kaukasus seien
so gewichtig, dass man sich diese wegen ein paar Hundert tschetschenischer
Rebellen kaum abkaufen lassen könne. Der massive propagandistische
Kaukasus-Auftritt Amerikas in den letzten Wochen hat in Georgien
grosse Erwartungen an den neuen Freund jenseits des Atlantik geweckt.
Allerdings mischt sich in diese nüchterne Betrachtung der
Ereignisse auch die Sorge, ob angesichts des gnadenlosen Vorgehens
der Israelis in Ramallah nicht doch noch die eine oder andere
russische Sicherung durchbrennt.
Die USA mischen sich ein
Dass sich die USA im Kaukasus auch hinter den Kulissen aktiv
einmischen, ist der Tatasache zu entnehmen, dass der Sekretär
des georgischen Sicherheitsrates, der langjährige Botschafter
Tbilissis in Washington, Tedo Tschaparidse, kurzfristig nach Washington
gerufen wurde. Noch bevor Bush sich mit den beiden russischen
Iwanows, Aussenminister Igor Iwanow und Verteidigungsminister
Sergej Iwanow, traf, besprach er sich mit seinem georgischen Vertrauten
Tschaparidse und seiner eigenen Sicherheitsberaterin Conoleezza
Rice. Wenngleich die beiden Russen es ablehnten, sich in Washington
mit den Amerikanern und dem Georgier an einen Dreiertisch zu setzen,
wertet man in Georgien diese US-Aktivitäten als einen klaren
Führungsanspruch Amerikas im Kaukasus. Washington verlangt
dagegen von Tbilissi, dass es sich mit Moskau in allen Fragen
arrangieren muss, auch in Abchasien. Dabei will Amerika eine aktive
Rolle spielen. Ab sofort, das darf angenommen werden, redet Amerika
mit, wenn es um das Verhältnis zwischen Russland und Georgien
geht.
"Der Präsident unterstrich, wie wichtig es sei, dass
Russland die Souveränität und territoriale Integrität
Georgiens schütze", erklärte der Sprecher des Weissen
Hauses Ari Fleischer nach dem Gespräch des Moskauer Ministerduetts
bei Bush. Während die Iwanows ihrem Gastgeber gegenüber
wegen der Unfähigkeit Georgiens, mit dem Terrorismus fertig
zu werden, erneut eine russische Militäroperation im Pankisi
verlangten, schickte dieser eine Botschaft an Schewardnadse, in
der er dem georgischen Volk für seinen unschätzbaren
Beitrag zur Kampagne, mit der Welt vom Terrorismus befreit werden
soll, lobte.
So rechnen in Tbilissi viele damit, dass die georgisch-amerikanische
Soft-Operation Pankisi gelingt und Putins Gewaltandrohung nur
rhetorischen Charakter behalten wird. Dies wäre zweifelsohne
ein grosser Erfolg für Eduard Schewardnadse, der in dieser
Woche dem Parlament seinen jährlichen Bericht zur Lage der
Nation abgeben sollte. Der Termin wurde zunächst einmal verschoben,
die Bilanz ist aber jetzt schon klar: Die Probleme im Pankisital
sind gelöst, Russland konnte den Tschetschenienkrieg nicht
auf georgisches Territorium auslagern, die Amerikaner sind im
Land etabliert, die Russen - militärisch gesehen - nur noch
Zaungäste und Georgien kann weiter von einer NATO-Mitgliedschaft
in absehbarer Zukunft träumen, auch wenn es heute noch meilenweit
von NATO-Standards entfernt ist.
Bushs Forderungen an Schewardnadse
Allerdings hat George W. Bush seinem georgischen Kollegen in
seinem Schreiben auch klar gemacht, dass er und sein Land damit
noch lange nicht über dem Berg sind. Neben tatsächlichen
Ergebnissen im Pankisi forderte er glaubhafte Fortschritte der
Regierung Schewardnadse im Kamf gegen die Korruption und eine
wirksame Reform des Energiesystems, wobei der Amerikaner in undiplomatischer
Offenheit vor allem eine Bezahlung der offenen Gasrechnungen an
Russland anmahnte.
Amerika fürchtet wohl eher russische Erpressungsversuche
mit dem Gashahn als ein militärisches Eingreifen Moskaus
im Pankisi. Gassperren im kommenden Winter, die unter Umständen
das Regime Schewardnadses noch vor den anstehenden Wahlen der
nächsten beiden Jahre ins Wanken bringen könnten, erscheinen
mittlerweile wohl als das grössere Problem. Denn dann wäre
auch die Stabilität im Kaukasus in Gefahr, auf die Amerika
der Pipelines wegen setzt. Schewardnadse wird seinen amerikanischen
Partner in den letzten beiden Jahren seiner Amtszeit noch mehrfach
um Hilfe bitten müssen, will er seine Amtszeit mit Anstand
hinter sich bringen. Der Putin`sche Kraftakt von Sotschi jedenfalls
hat ihm nicht viel anhaben können.
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