Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 28.08.2002, Nr. 199 / Seite 8
Nachhaltig gefährdet
Neben der Natur blühen in Georgien
Korruption und Wilderei
Von Roland Knauer
TIFLIS, im August. Im siebten Stock des heruntergekommenen Gebäudes
des Borschomi-Distriktes in der Republik Georgien residiert der
Gouverneur. Längst funktioniert kein Aufzug mehr, die Treppen
sind flachgetreten. Nur der Schimmelpilz tupft Farbe auf die graubraunen
Wände. Unter dem Parkett kommt der Estrich zum Vorschein. Ähnlich
wie in Borschomi, das einst Sommerresidenz der russischen Zaren
und auch Stalins war, sieht es fast überall in Georgien aus.
Wenn man denn überhaupt in alle Ecken kommt, denn alle paar
Kilometer stoppen Polizisten die Wagen auf den Straßen. Am
besten reicht der Fahrer gleich einige Scheine in der Landeswährung
Lari herüber. Wegen seines geringen Einkommens von umgerechnet
rund 20 Euro im Monat benötigt der Polizist dringend das Geld.
Auch die Investition in den Kontrollposten muß er erst einmal
hereinbekommen.
Die Korruption blüht in Georgien. Nach der Unabhängigkeit
am 9. April 1991 nahmen die abziehenden Russen sogar die Kabel der
Überlandleitungen mit - wegen des Kupfers. Bald erschütterte
ein Bürgerkrieg den neuen Staat, in dem neben Georgiern etwa
acht Prozent Armenier, rund sechs Prozent Aserbeidschaner, ebenso
viele Russen sowie Osseten, Griechen, Abchasen, Ukrainer und Kurden
leben. Banden marodierten noch Mitte der neunziger Jahre durch Tiflis.
Vor dem Zerfall der Sowjetunion lieferten die Georgier Wein, Zitrusfrüchte
und andere Agrarprodukte nach Rußland. Heute fehlt diese Einnahmequelle,
andere Märkte haben sich kaum aufgetan. Georgien ist in das
Stadium eines Entwicklungslandes zurückgefallen, das nur noch
eine Ressource ausbeuten kann: seine einzigartige Natur. Fast 7000
Arten von Blütenpflanzen haben Botaniker in dem knapp 70 000
Quadratkilometer großen Staat gezählt. Biologen haben
den Kaukasus und die südlich angrenzenden Gebiete als einen
von 25 Brennpunkten der Artenvielfalt auf dem Globus gekennzeichnet,
die unbedingt der Nachwelt erhalten werden sollten. Der World Wide
Fund for Nature (WWF) führt den Kaukasus in seiner Liste der
200 Regionen auf der Welt, die er langfristig sichern will, ganz
oben.
Dieser Artenreichtum verdankt sich dem Klima: Ähnlich wie
Alpen und Pyrenäen bildet der bis zu 5600 Meter hohe Kaukasus
eine mächtige Barriere, die im Winter die kalten Luftmassen
aus dem Norden abhält. Während der Eiszeit vergletscherten
die auf gleicher Höhe wie Rom liegenden Südhänge
des Kaukasus nicht. In den mehr als 3000 Meter hohen Gebirgen
im Süden des heutigen Georgien überlebten die Wälder
der gemäßigten Klimazonen, die überall sonst den
eiszeitlichen Temperaturen zum Opfer fielen. Aus der Region des
Kaukasus kamen am Ende der Eiszeit die Wälder zurück
nach Mitteleuropa, das vorher von sturmgepeitschten Kältesteppen
bedeckt war. Der Kaukasus ist so etwas wie die Wiege der europäischen
Vegetation. Oberhalb der Baumgrenze ist die Zone der alpinen Wiesen
und Matten in Georgien erheblich größer als in den
Alpen. Für das Vieh gab es immer genug Weiden. Anders als
in den Alpen mußten die Bauern daher in den Wäldern
aus Eichen, Hainbuchen, Erlen, Eßkastanien, Ahornen, Ulmen,
Linden, Orientbuchen, Nordmanns-Tannen und Fichten keine Almen
roden. Noch immer bedecken riesige Wälder die Hänge.
Die Eibenwälder im Osten des Kaukasus, mehr als 2000 Jahre
alt, gelten als die ältesten der Welt. Der WWF und der damalige
Präsident Swiad Gamsachurdia sorgten sich schon 1990 um diese
Naturschätze. Im Auftrag des WWF nahm der Naturschützer
Udo Hirsch an einer ersten Naturschutz-Konferenz teil. Die Naturschutzorganisation
erhielt den Auftrag, sieben Großschutzgebiete zu identifizieren.
Als die Mitarbeiter 1991 fast fertig waren, verbrannte ihr gesamtes
Kartenmaterial im Bürgerkrieg. Inzwischen war Gamsachurdia
gestürzt, der ehemalige Außenminister der Sowjetunion,
Eduard Schewardnadse, nahm seinen Platz ein. Er beauftragte den
WWF, die Naturschutzplanung fertigzustellen. Udo Hirsch mußte
vor allem den Staatsrat vom Sinn des Naturschutzes überzeugen.
Jeden Abend traf er sich mit einem Mitglied dieses Gremiums und
diskutierte über die Probleme bei einer der in Georgien üblichen
riesigen Tafeln mit reichlich Wein. Nach einigen Wochen konnte
Udo Hirsch Eduard Schewardnadse berichten, er habe inzwischen
70 Prozent des Staatsrates hinter sich gebracht - woraufhin dieser
fragte, ob er sich die rasche Zustimmung mit einem Leberschaden
erkauft habe.
Die meisten der sieben einst geplanten Nationalparks wurden inzwischen
eingerichtet. Große Regionen im Hoch- und Mittelgebirge,
aber auch in den Feuchtgebieten an der subtropischen Schwarzmeerküste
und in den recht milden Gebirgen östlich davon sind geschützt
- zumindest auf dem Papier, denn Geld, die Natur wirklich zu schützen,
hat der Staat Georgien kaum.
Hier hilft der WWF, baut im Borschomi-Charagauli-Nationalpark
Schutzhütten für die Nationalpark-Ranger und Ausbildungszentren.
Rund 2,5 Millionen Euro haben WWF Deutschland und WWF Schweiz
bisher für dieses Reservat bezahlt. Rückschläge
blieben nicht aus. 1995 und 1996 besetzten marodierende Banden
das Hauptquartier der Parkverwaltung des Borschomi-Charagauli-Reservates.
Mit Maschinengewehren jagten sie den extrem seltenen Kaukasus-Rothirsch.
Vor acht Jahren gab es noch 700, heute leben nach einer Zählung
des WWF nur noch 37 Rothirsche in den dichten Wäldern dieses
Mittelgebirges. Die Braunbären hingegen überstanden
die Raubzüge gut, 39 von ihnen haben ihr Revier im Borschomi-Charagauli-Nationalpark.
Hermelin und Luchs, Marder und Wolf, Uhu und Steinadler bewohnen
das Gebiet, in dem auch der Turkmenische Wolf noch jagt.
Selbst in friedlichen Zeiten bleiben die Nationalparks in Georgien
wegen der Wirtschaftsmisere gefährdet. So hat Umweltministerin
Nino Zchobadse zwar einige Umweltpolizisten am Feuchtland-Nationalpark
Kolcheti an der Schwarzmeerküste stationiert. Aber auch deren
Monatsverdienst in Höhe von knapp 20 Euro reicht zum Leben
nicht, sofern das Gehalt aus dem fernen Tiflis die Männer
überhaupt erreicht. Eine Fischerbrigade aber zahlt umgerechnet
75 Euro nur dafür, daß die Ranger die Augen zudrücken.
Solchen Angeboten kann kaum ein Polizist widerstehen. Insgesamt
100 Brigaden von außerhalb fischen daher zum Ärger
der Einheimischen unbehelligt im Nationalpark. Mittels Elektroschock
holen sie bei einem Beutezug rund eine Tonne Fisch aus den Gewässern.
Drei oder vier Tonnen verrotten als Aas im Wasser, weil es sich
nicht lohnt, kleine Fische mitzunehmen. In den anderen Nationalparks
sieht es kaum anders aus. Wilderer versuchen ihre Familie über
die Runden zu bringen und schießen dabei eben auch die so
selten gewordenen Kaukasus-Rothirsche.
Der WWF und die Regierung Georgiens haben Lehren aus dieser Entwicklung
gezogen: Wenn die Bevölkerung im Umkreis der Reservate genug
zum Leben verdient, wird der Druck auf die Nationalparks nachlassen.
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und die Gesellschaft
für Technische Zusammenarbeit (GTZ) erneuern daher jetzt
für vier Millionen Euro die Trinkwasserversorgung im Borschomi-Distrikt.
Die langen Schlangen, in denen die Bewohner der Mietshäuser
an Zapfstellen für Wasser anstehen, weil die Leitungen im
Gebäude verrottet sind, sollen der Vergangenheit angehören.
Neunzig Prozent der Landbevölkerung bauen alle benötigten
Lebensmittel selbst an. Agrarchemikalien kann man sich nicht leisten,
vom biologischen Landbau ahnt ebenfalls niemand etwas. Also gibt
Udo Hirsch, unterstützt von Misereor und GTZ, Broschüren
in georgischer Sprache heraus, in denen die Prinzipien des biologischen
Wirtschaftens erklärt werden. Aber erst mit der Zeit ändert
sich etwas. Mit weiteren Projekten sollen die Leute direkt von
den natürlichen Ressourcen profitieren. Mehr als 700 Heilkräuter
wachsen in der Region, die Pflanzenheilkunde steht hoch im Kurs,
weil die Kranken für den Arzt kein Geld haben. Die rund 70
Phytotherapeuten Georgiens genießen in den Dörfern
hohes Ansehen. Von manchen Pflanzen für die Kräutermischungen
aber wachsen in der Natur bei weitem nicht genug, als daß
man die Nachfrage stillen könnte. Also bauen die Dorfbewohner
im Lagodechi-Nationalpark im äußersten Nordosten Georgiens
inzwischen Melisse und Johanniskraut an, versorgen damit den wachsenden
Naturheilmittelmarkt und verdienen sich ein gutes Zubrot. Um eine
Übernutzung zu verhindern, kontrollieren Botaniker nach der
Ernte in den Reservaten, ob nicht zuviel gesammelt wurde - nur
mit deren Bestätigung darf der Sammler dann verkaufen. Die
Kräuter können in die Bioläden Europas exportiert
werden, die gut zahlen. Getrockneter Salbei und Konfitüre
der Schwarzen Maulbeere, der Kornellkirsche und der Myrte Feijoa
bringen den Bauern inzwischen ebenso Geld wie getrocknete Wildäpfel,
Wildbirnen und Berberitzen. Auch die ersten Ökotouristen
kommen - und die Bauern verdienen daran.
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