Charagauli gehört nicht gerade zu den Städten
Georgiens, die man unbedingt besuchen muss. Es liegt zwar nur
zehn Kilometer abseits der Hauptachse Tbilissi-Kutaissi, es gibt
aber wenig, was den Fremden dazu veranlassen könnte, abzubiegen
und sich die 10-Kilometer Schlaglochpiste, die am Fluss Quirila
entlang führt, zuzumuten. Es sei denn, er sucht den westlichen
Eingang in den neuen Nationalpark Bordschomi-Charagauli, aber
auch dann wird er im kleinen Provinzstädtchen kaum halt machen.
Charagauli lädt offensichtlich mehr zum Durchfahren ein denn
zum Verweilen. Eisenbahnfreaks könnten sich da schon eher
beschäftigen: Charagauli liegt an der wichtigen Bahnstrecke
von Poti nach Baku.
So kommt es, dass kaum jemand das kleine Heimatmuseum besucht,
das von zwei engagierten Frauen, der Direktorin Eka Schwelidse,
und der Englisch sprechenden Führerin, Eka Charatischwili,
betreut wird. Und so kommt es, dass dieses Museum vor sich hin
döst und kaum einer nimmt Notiz davon. Dabei gehört
es ganz sicher zu den schöneren seiner Art.
Nicht dass die Ausstellungsstücke sonderlich sensationell
wären. Welch Heimatmuseum in irgendeiner Provinz der Welt
dürfte national bedeutende Exponate für sich behalten?
Die gehören allemal in die grossen Museen der Hauptstädte.
Die wichtigsten Originale aus Charagauli, der Schatz von Bori
aus der frühpaleontologischen Zeit (1. Jh. v. Chr. - 3.
Jh. n. Chr.) sind in der Eremitage in Leningrad ausgestellt,
in Charagauli sind lediglich interessante Abbildungen und Kopien
des Schatzes zu besichtigen. Ganz so bedeutungslos ist das Charagauli-Museum
also doch nicht. Trotzdem, wer kommt, um Spektakuläres
zu sehen, wird natürlich enttäuscht.
Es ist vielmehr die gesamte Komposition, die den Charme dieses
Museums ausmacht, den musealen Charme der späten Sowjetunion.
1978 wurde das Museum gegründet, es zeigt einige vorchristliche
Funde aus der Region, dann mittelalterliche Keramik und ethnografische
Gegenstände, die nur dem alt vorkommen, der den Kaukasus
nicht genau kennt. Schliesslich werden in einem Saal Werke zeitgenössischer
Maler und Künstler aus Charagauli ausgestellt. Alles nichts
Besonderes, aber alles liebevoll zusammengestellt, gehegt und
gepflegt.
Bedeutende Lokal-Helden werden selbstredend ebenfalls gewürdigt:
Sportler, Wissenschaftler und Soldaten, die am grossen vaterländischen
Krieg teilgenommen haben. Dass in diesem Saal, in dem man uns
die wichtigsten Lehrer und Wissenschaftler des Provinzstätdchens
vorführen wollte, unübersehbar ein Foto Stalins den
Besucher begrüsst, gehört zum morbiden Charme dieses
kleinen Museums. Hoffentlich nimmt ihn keiner weg, denn dieses
Museum ist als Gesamt-Komposition sehenswert, weil es eher unaufdringlich
gemacht ist trotz aller ideologischen Vorgaben, die allenthalben
bekannt sind und die durchaus dominieren. Gelegentlich kann
man also die Sowjetunion noch besuchen, sie existiert noch.
In der Form eines Museums ist das durchaus interessant und lehrreich,
wenn man sich nur unvoreingenommen mit dem ideologischen Provinzialismus,
der hier vor sich hin schlummert, befassen will. In Charagauli
ist das Museum das Museum.
GN versucht, in dieser Fotoreportage einen kleinen Eindruck
von dem Museum zu vermitteln, das uns anlässlich eines
Besuchs im Nationalpark Bordschomi-Charagauli zufällig
präsentiert wurde.