Ausgabe 13/02, 11. Sept. Archiv
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Nein, erklärte Schewardnadse auf Fragen eines holländischen Korrespondenten bei der überraschend anberaumten Pressekonferenz vor einer Woche, nein er habe wegen der Pankisi-Krise nicht mit dem russischen Präsidenten telefoniert. Er habe ihm aber zwei ausführliche Briefe geschrieben. Briefe seien eher geeignet, eine Sache substantiell darzustellen als ein Telefonat. Mittlerweile, so verlautet aus der Staatskanzlei, der ehemaligen ZK-Trutzburg inmitten der georgischen Hauptstadt, mittlerweile sei eine Antwort von Putin eingetroffen. Sie enthalte wichtige Elemente und werde von ihrem Empfänger gründlich studiert. Noch ist der Inhalt des Briefwechsels nicht veröffentlicht. Aber soviel war zu erfahren: Putin hat neben den altbekannten Vorwürfen an Georgien, die ihm seine Hardliner wohl in die Feder diktierten, auch klar die territoriale Integrität Georgiens zugesichert. Der Mann steht zu Hause wohl unter massivem Druck. Unter vier Augen sei er der konzilianteste und vernüftigste Gesprächspartner, weiss man in der georgischen Staatskanzlei. Allerdings sei zu fragen, ob er alle seine Generäle noch im Griff habe.

Deutlicher kann sich die Abkühlung der Männerfreundschaft Schewardnadse-Putin nicht dasrstellen als in der Tatsache, dass beide in einer Krisensituation nicht mehr zum Telefonhörer greifen können oder dass sie, sollten sie dennoch miteinander gesprochen haben, dies nicht mehr öffentlich machen können. In seiner Frühjahrsrede vor dem EU-Parlament in Brüssel hatte Schewardnadse noch in leicht verständlichen Andeutungen davon gesprochen, mit Putin solch persönliche Beziehungen zu pflegen, wie er sie früher mit Genscher und Baker, den beiden Aussenministern, gehabt hatte, und die sehr wichtig gewesen seien bei der Beendigung des Kalten Krieges. Das konnte Hoffnung machen bei der Bewältigung der vielen sensiblen Fragen, die die georgisch-russische Nachbarschaft prägen. Jetzt, bei der Krise um das Pankisi war von diesen persönlichen Beziehungen nicht mehr viel zu spüren, zumindest nach aussen. Immerhin, man schreibt sich noch Briefe.

Die Führung Russlands muss sich entschuldigen

Bei der Kodori-Krise vor ein paar Monaten oder der russischen Hype nach der Ankündigung des amerikanischen GTEP-Engagements in Georgien hatte der direkte Draht zwischen den beiden Staatspräsidenten blendend funktioniert und Putin beruhigte jeweils mit klärenden Worten die Gemüter seiner aufgebrachten Minister und Parlamentarier. Bis heute fehlt eine öffentliche klärende Stellungnahme des Kreml-Herren zu den Bombenangriffen in Georgien. "Die Führung Russlands muss den Mut haben, sich zu entschuldigen" nahm Schewardnadse seinen Moskauer Kollegen vor der internationalen Presse unzweideutig in die Pflicht und nannte damit einen hohen Preis für die Wiederbelebung der Männerfreundschaft. Ob Putin diesen irgendwann einmal bezahlen kann, ist fraglich. Denn entweder war er in die militärischen Eskapaden seiner Generäle eingeweiht oder er muss mit einer Entschuldigung gleichzeitig eingestehen, dass seine Beton- und Bombenfraktion im Kaukasus, verstrickt in das aussichtslose Tschetschenien-Abenteuer, auf eigene Faust handelt, ohne dass sie der Kremlchef noch abstrafen kann. Vielleicht haben beide Staatschefs beim kommenden GUS-Gipfel am 6. Oktober in Moskau Gelegenheit, in einem Privatissime diese Fragen zu klären. Noch steht das Pankisi-Thema nicht auf der offiziellen Tagesordnung, genausowenig steht fest, ob Schewardnadse an diesem Gipfel teilnehmen wird. Ohne deutliche Zeichen der Entspannung in seinem Verhältnis zu Putin wird er sich die Spesen wohl sparen können.

Obwohl Schewardnadse seinem russischen Kollegen mit der Bemerkung beispringt, er glaube nicht, dass Putin in die Bombardierung Georgiens involviert gewesen sei, muss ihn die Situation im Kreml nachdenklich machen und ihn in seinem Kurs bestärken, so schnell als möglich bei NATO und EU Unterschlupf zu suchen. Eine entsprechende Kommission hat er inzwischen gebildet, sie soll Konzepte entwickeln, wie der Prozess der NATO-Integration Georgiens beschleunigt werden kann. Die Steilvorlage dazu haben ihm die Bomben-Generäle der russischen Armee geliefert, und diese Steilvorlage nutzt er aus. Niemand weiss, erklärt Schewardnadse, wie sich Russland verhalten hätte, wenn es in Georgien keine amerikanischen Militärausbilder gäbe. Das GTEP-Engagement der USA trage somit eindeutig zur Stabilität Georgiens bei.

Allerdings bestärkte der georgische Präsident auch all diejenigen, die der Al Qaida Geschichte im Pankisi misstrauen. Vor allem amerikanische Journalisten kannten nur dieses eine Thema. Wieviele Al Qaida-Kämpfer sich im Pankisi aufhielten, wollten sie wissen, und warum man nicht mit einem massiven Militärschlag reingegangen sei, die Leute festgenommen und ausgeliefert oder zur Verantwortung gezogen hätte. Die georgische Softlösung im Pankisi, eine "Geheimoperation" mit Ankündigung, stösst anscheinend nicht nur in Moskau auf Kritik. Schewardnadse kontert, dass es zwar Hinweise der Geheimdienste in Tbilissi, Washington und Moskau über die mögliche Anwesenheit von Al Qaida Leuten im Pankisi gäbe, es handele sich dabei aber keineswegs um gesicherte Informationen. Gleichwohl wollte er die Möglichkeit nicht ausschliessen und verwies auf die weiteren Durchsuchungen des Gebietes durch georgische Spezialeinheiten. In ein oder zwei Monaten wisse man mehr.

Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung vermieden

Mittlerweile hat sich der erste Araber, der auffällig zeitgleich mit der Diplomaten- und Pressefahrt ins Pankisi angeblich ohne gültigen französischen Pass festgenommen wurde, doch als französischer Staatsbürger entpuppt. Seine Verteidiger erklären, er sei in humanitärer Mission im Pankisi und früher auch schon einmal in Tschetschenien gewesen. Auch da wird man in ein oder zwei Monaten mehr wissen.

Zum Vorwurf, den afghanischen wie den tschetschenischen Terroristen mit der komfortablen Vorwarnzeit jede Möglichkeit zur Flucht gegeben zu haben, antwortete Schewardnadse nur im Hinblick auf die tschetschenischen Kämpfer, deren Anwesenheit er ausdrücklich bejahte. Was hätte sein Land denn auch machen sollen? Wäre man, wie vor allem von Moskau gefordert, im Pankisi mit einem massiven Überraschungsschlag eingedrungen, hätte es viele Tote nicht nur unter den tschetschenischen Rebellen sondern vor allem auch bei der Zivilbevölkerung gegeben. Dies habe man vermeiden wollen und deshalb kein Geheimnis aus den bevorstehenden Operationen gemacht. So habe jeder die Chance gehabt, freiwillig das Tal zu verlassen.

Dass Russland jetzt darüber klagen kann, Georgien verhafte auf seinem Gebiet keine Terroristen, um sie pflichtgemäss an Russland auszuliefern, sondern lasse sie einfach laufen, nimmt Schewardnadse gerne in Kauf. "Wir haben diese Leute nicht eingeladen und Russland immer wieder aufgefordert, mit uns eine frewillige Rückkehr der Tschetschenen zu organisieren." Die georgische Softlösung hat sogenannte Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung, wie sie in Tschetschenien und in Afghanistan wohl unvermeidlich waren, erfolgreich vermieden. Und warum auch sollte ein georgischer Präsident das Leben seiner Soldaten und seiner Zivilbevölkerung aufs Spiel setzen, um ein Problem zu lösen, "das Russland nach Georgien exportiert hat?" Klar, es hätten sich einige von ihnen in den Wäldern hinter dem Pankisi verkrochen, ein paar Dutzend, nicht mehr. Der Rest hat das Land verlassen und das Pankisital sei auf dem besten Wege, sich zu einem "Beispiel für Stabilität und Frieden" zu entwickeln (O-Ton Schewardnadse bei der Eröffnung des GTEP-Camps Krtzanissi), bis gestern war es noch das Tal der Gesetzlosigkeit - ein durch und durch kaukasisches Wunder.

"Russland betreibt keine weise Politik"

Gleichwohl ist das russisch-georgische Verhältnis durch das Pankistal erheblich eingetrübt. Ob er sich denn da nicht auch Fehler vorzuwerfen habe, ob er nicht das eine oder andere georgische Statement bedauere, fragte ihn eine Journalistin, dabei auf die Tatsache anspielend, dass Schewardnadse den tschetschenischen Feldkommandanten Gulajew - für Russland ein Verbrecher und Terrorist - einmal als gebildeten Menschen bezcichnet hatte, mit dem er sich jederzeit unterhalten könne. Nein, grössere Fehler habe man von georgischer Seite in den letzten Jahren gegenüber Russland sicher nicht gemacht mit Ausnahme der Zeit kurz nach dem Ende der Sowjetunion. Im Gegenteil, Russland habe keine weise Politik betrieben, indem es Georgien dazu benutzt habe, seine internen Problem zu lösen, denn Russland habe die Tschetschenen vorsätzlich nach Georgien getrieben. Und von Gulajew wisse er nach wie vor nur, dass er ein gebildeter Mensch sei. Was sei an dieser Aussage denn verwerflich? Trotz des massiven russischen Drucks bleibt der georgische Staatschef damit bei seiner Politik, die er vor dem EU-Parlament definiert hatte, nämlich die Beziehungen zu den Völkern des Kaukasus "mit besonderer Delikatesse" zu behandeln, wohl wissend, dass die Tschetschenen vor wenigen Jahren mit den Russen und Abchasen gemeinsam gegen Georgien gekämpft hatten. Aber einem georgischen Staatschef sind Tschetschenen, die er zu einer gewissen Dankbarkeit verpflichtet hat, allemal lieber als Tschetschenen, die in ihm einen Verbündeten des Todfeindes Russlands sehen. In Moskauer Strategien haben solche Differnezierungen keinen Platz.

Zu den in russischen Medien verbeiteten Forderungen, Russland solle trotz der georgischen Operationen unter Umständen mit seinem Geheimdienst auf eigene Faust im Pankisi eingreifen, sagte Schewardnadse trocken: "Theoretisch ist das überall möglich. Aber Russland kann sich nicht alles leisten. Es hat einen Namen zu verlieren. Ansonsten steht es vor aller Welt als Aggressor dar."

PS: Der russische Regierungssender RTR brachte in einem zusammenfassenden Wochenbericht über die Ereignisse in Georgien aus dieser Pressekonferenz lediglich den einen Satz Schewardnadses, in dem er den tschetschenischen Feldkommandanten Gulajew erneut als einen gebildeten Menschen bezeichnete.

Eine einsame Stimme aus Moskau
Statement von Iwan Ribkin

In Russland verwechselt man Ursachen und Wirkung, wenn man Georgien nahezu zum Urheber aller Leiden und allen Unheils macht. Das ist Falschspielerei. Das Pankisital mit all seinen Problemen ist eine Folge des andauernden russisch-tschetschenischen Konflikts. In dieses tal wurden Flüchtlinge vertrieben. Zusammen mit ihnen wurden natürlich auch diejenigen verdrängt, die am Widerstand beteiligt wwaren. Davor sollte man die Augen nicht verschliessen. Ich habe es in Moskau gesagt, ich sage es auch hier: Für manche sind sie Terroristen (Boevikis), für andere aber Verwandte. Ich glaube, man muss diesen Krieg
beenden.

Iwan Ribkin war Sekretär des Sicherheitsrates der Russischen Föderation und ehemaliger Sprecher des Staatsrates. Er weilt derzeit zu einem informellen Besuch in Georgien und ist u.a. auch mit Staatspräsident Eduard Schewardnadse zusammengetroffen. Ribkin traf jüngst auch in Zürich mit dem tschetschenischen Politiker Zakajew zusammen.

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