Nein, erklärte Schewardnadse auf Fragen eines holländischen
Korrespondenten bei der überraschend anberaumten Pressekonferenz
vor einer Woche, nein er habe wegen der Pankisi-Krise nicht mit
dem russischen Präsidenten telefoniert. Er habe ihm aber zwei
ausführliche Briefe geschrieben. Briefe seien eher geeignet,
eine Sache substantiell darzustellen als ein Telefonat. Mittlerweile,
so verlautet aus der Staatskanzlei, der ehemaligen ZK-Trutzburg
inmitten der georgischen Hauptstadt, mittlerweile sei eine Antwort
von Putin eingetroffen. Sie enthalte wichtige Elemente und werde
von ihrem Empfänger gründlich studiert. Noch ist der Inhalt
des Briefwechsels nicht veröffentlicht. Aber soviel war zu
erfahren: Putin hat neben den altbekannten Vorwürfen an Georgien,
die ihm seine Hardliner wohl in die Feder diktierten, auch klar
die territoriale Integrität Georgiens zugesichert. Der Mann
steht zu Hause wohl unter massivem Druck. Unter vier Augen sei er
der konzilianteste und vernüftigste Gesprächspartner,
weiss man in der georgischen Staatskanzlei. Allerdings sei zu fragen,
ob er alle seine Generäle noch im Griff habe.
Deutlicher kann sich die Abkühlung der Männerfreundschaft
Schewardnadse-Putin nicht dasrstellen als in der Tatsache, dass
beide in einer Krisensituation nicht mehr zum Telefonhörer
greifen können oder dass sie, sollten sie dennoch miteinander
gesprochen haben, dies nicht mehr öffentlich machen können.
In seiner Frühjahrsrede vor dem EU-Parlament in Brüssel
hatte Schewardnadse noch in leicht verständlichen Andeutungen
davon gesprochen, mit Putin solch persönliche Beziehungen
zu pflegen, wie er sie früher mit Genscher und Baker, den
beiden Aussenministern, gehabt hatte, und die sehr wichtig gewesen
seien bei der Beendigung des Kalten Krieges. Das konnte Hoffnung
machen bei der Bewältigung der vielen sensiblen Fragen, die
die georgisch-russische Nachbarschaft prägen. Jetzt, bei
der Krise um das Pankisi war von diesen persönlichen Beziehungen
nicht mehr viel zu spüren, zumindest nach aussen. Immerhin,
man schreibt sich noch Briefe.
Die Führung Russlands muss sich entschuldigen
Bei der Kodori-Krise vor ein paar Monaten oder der russischen
Hype nach der Ankündigung des amerikanischen GTEP-Engagements
in Georgien hatte der direkte Draht zwischen den beiden Staatspräsidenten
blendend funktioniert und Putin beruhigte jeweils mit klärenden
Worten die Gemüter seiner aufgebrachten Minister und Parlamentarier.
Bis heute fehlt eine öffentliche klärende Stellungnahme
des Kreml-Herren zu den Bombenangriffen in Georgien. "Die
Führung Russlands muss den Mut haben, sich zu entschuldigen"
nahm Schewardnadse seinen Moskauer Kollegen vor der internationalen
Presse unzweideutig in die Pflicht und nannte damit einen hohen
Preis für die Wiederbelebung der Männerfreundschaft.
Ob Putin diesen irgendwann einmal bezahlen kann, ist fraglich.
Denn entweder war er in die militärischen Eskapaden seiner
Generäle eingeweiht oder er muss mit einer Entschuldigung
gleichzeitig eingestehen, dass seine Beton- und Bombenfraktion
im Kaukasus, verstrickt in das aussichtslose Tschetschenien-Abenteuer,
auf eigene Faust handelt, ohne dass sie der Kremlchef noch abstrafen
kann. Vielleicht haben beide Staatschefs beim kommenden GUS-Gipfel
am 6. Oktober in Moskau Gelegenheit, in einem Privatissime diese
Fragen zu klären. Noch steht das Pankisi-Thema nicht auf
der offiziellen Tagesordnung, genausowenig steht fest, ob Schewardnadse
an diesem Gipfel teilnehmen wird. Ohne deutliche Zeichen der Entspannung
in seinem Verhältnis zu Putin wird er sich die Spesen wohl
sparen können.
Obwohl Schewardnadse seinem russischen Kollegen mit der Bemerkung
beispringt, er glaube nicht, dass Putin in die Bombardierung Georgiens
involviert gewesen sei, muss ihn die Situation im Kreml nachdenklich
machen und ihn in seinem Kurs bestärken, so schnell als möglich
bei NATO und EU Unterschlupf zu suchen. Eine entsprechende Kommission
hat er inzwischen gebildet, sie soll Konzepte entwickeln, wie
der Prozess der NATO-Integration Georgiens beschleunigt werden
kann. Die Steilvorlage dazu haben ihm die Bomben-Generäle
der russischen Armee geliefert, und diese Steilvorlage nutzt er
aus. Niemand weiss, erklärt Schewardnadse, wie sich Russland
verhalten hätte, wenn es in Georgien keine amerikanischen
Militärausbilder gäbe. Das GTEP-Engagement der USA trage
somit eindeutig zur Stabilität Georgiens bei.
Allerdings bestärkte der georgische Präsident auch
all diejenigen, die der Al Qaida Geschichte im Pankisi misstrauen.
Vor allem amerikanische Journalisten kannten nur dieses eine Thema.
Wieviele Al Qaida-Kämpfer sich im Pankisi aufhielten, wollten
sie wissen, und warum man nicht mit einem massiven Militärschlag
reingegangen sei, die Leute festgenommen und ausgeliefert oder
zur Verantwortung gezogen hätte. Die georgische Softlösung
im Pankisi, eine "Geheimoperation" mit Ankündigung,
stösst anscheinend nicht nur in Moskau auf Kritik. Schewardnadse
kontert, dass es zwar Hinweise der Geheimdienste in Tbilissi,
Washington und Moskau über die mögliche Anwesenheit
von Al Qaida Leuten im Pankisi gäbe, es handele sich dabei
aber keineswegs um gesicherte Informationen. Gleichwohl wollte
er die Möglichkeit nicht ausschliessen und verwies auf die
weiteren Durchsuchungen des Gebietes durch georgische Spezialeinheiten.
In ein oder zwei Monaten wisse man mehr.
Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung vermieden
Mittlerweile hat sich der erste Araber, der auffällig zeitgleich
mit der Diplomaten- und Pressefahrt ins Pankisi angeblich ohne
gültigen französischen Pass festgenommen wurde, doch
als französischer Staatsbürger entpuppt. Seine Verteidiger
erklären, er sei in humanitärer Mission im Pankisi und
früher auch schon einmal in Tschetschenien gewesen. Auch
da wird man in ein oder zwei Monaten mehr wissen.
Zum Vorwurf, den afghanischen wie den tschetschenischen Terroristen
mit der komfortablen Vorwarnzeit jede Möglichkeit zur Flucht
gegeben zu haben, antwortete Schewardnadse nur im Hinblick auf
die tschetschenischen Kämpfer, deren Anwesenheit er ausdrücklich
bejahte. Was hätte sein Land denn auch machen sollen? Wäre
man, wie vor allem von Moskau gefordert, im Pankisi mit einem
massiven Überraschungsschlag eingedrungen, hätte es
viele Tote nicht nur unter den tschetschenischen Rebellen sondern
vor allem auch bei der Zivilbevölkerung gegeben. Dies habe
man vermeiden wollen und deshalb kein Geheimnis aus den bevorstehenden
Operationen gemacht. So habe jeder die Chance gehabt, freiwillig
das Tal zu verlassen.
Dass Russland jetzt darüber klagen kann, Georgien verhafte
auf seinem Gebiet keine Terroristen, um sie pflichtgemäss
an Russland auszuliefern, sondern lasse sie einfach laufen, nimmt
Schewardnadse gerne in Kauf. "Wir haben diese Leute nicht
eingeladen und Russland immer wieder aufgefordert, mit uns eine
frewillige Rückkehr der Tschetschenen zu organisieren."
Die georgische Softlösung hat sogenannte Kollateralschäden
unter der Zivilbevölkerung, wie sie in Tschetschenien und
in Afghanistan wohl unvermeidlich waren, erfolgreich vermieden.
Und warum auch sollte ein georgischer Präsident das Leben
seiner Soldaten und seiner Zivilbevölkerung aufs Spiel setzen,
um ein Problem zu lösen, "das Russland nach Georgien
exportiert hat?" Klar, es hätten sich einige von ihnen
in den Wäldern hinter dem Pankisi verkrochen, ein paar Dutzend,
nicht mehr. Der Rest hat das Land verlassen und das Pankisital
sei auf dem besten Wege, sich zu einem "Beispiel für
Stabilität und Frieden" zu entwickeln (O-Ton Schewardnadse
bei der Eröffnung des GTEP-Camps Krtzanissi), bis gestern
war es noch das Tal der Gesetzlosigkeit - ein durch und durch
kaukasisches Wunder.
"Russland betreibt keine weise Politik"
Gleichwohl ist das russisch-georgische Verhältnis durch
das Pankistal erheblich eingetrübt. Ob er sich denn da nicht
auch Fehler vorzuwerfen habe, ob er nicht das eine oder andere
georgische Statement bedauere, fragte ihn eine Journalistin, dabei
auf die Tatsache anspielend, dass Schewardnadse den tschetschenischen
Feldkommandanten Gulajew - für Russland ein Verbrecher und
Terrorist - einmal als gebildeten Menschen bezcichnet hatte, mit
dem er sich jederzeit unterhalten könne. Nein, grössere
Fehler habe man von georgischer Seite in den letzten Jahren gegenüber
Russland sicher nicht gemacht mit Ausnahme der Zeit kurz nach
dem Ende der Sowjetunion. Im Gegenteil, Russland habe keine weise
Politik betrieben, indem es Georgien dazu benutzt habe, seine
internen Problem zu lösen, denn Russland habe die Tschetschenen
vorsätzlich nach Georgien getrieben. Und von Gulajew wisse
er nach wie vor nur, dass er ein gebildeter Mensch sei. Was sei
an dieser Aussage denn verwerflich? Trotz des massiven russischen
Drucks bleibt der georgische Staatschef damit bei seiner Politik,
die er vor dem EU-Parlament definiert hatte, nämlich die
Beziehungen zu den Völkern des Kaukasus "mit besonderer
Delikatesse" zu behandeln, wohl wissend, dass die Tschetschenen
vor wenigen Jahren mit den Russen und Abchasen gemeinsam gegen
Georgien gekämpft hatten. Aber einem georgischen Staatschef
sind Tschetschenen, die er zu einer gewissen Dankbarkeit verpflichtet
hat, allemal lieber als Tschetschenen, die in ihm einen Verbündeten
des Todfeindes Russlands sehen. In Moskauer Strategien haben solche
Differnezierungen keinen Platz.
Zu den in russischen Medien verbeiteten Forderungen, Russland
solle trotz der georgischen Operationen unter Umständen mit
seinem Geheimdienst auf eigene Faust im Pankisi eingreifen, sagte
Schewardnadse trocken: "Theoretisch ist das überall
möglich. Aber Russland kann sich nicht alles leisten. Es
hat einen Namen zu verlieren. Ansonsten steht es vor aller Welt
als Aggressor dar."
PS: Der russische Regierungssender RTR brachte in einem zusammenfassenden
Wochenbericht über die Ereignisse in Georgien aus dieser
Pressekonferenz lediglich den einen Satz Schewardnadses, in dem
er den tschetschenischen Feldkommandanten Gulajew erneut als einen
gebildeten Menschen bezeichnete.
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