Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt prangte auf der georgischen Militärbasis
Krtzanissi, wenige Kilometer vor den Toren Tbilissis gelegen, nur
ein einziger Stern, der des Sowjetregimes. Seit dem 29. August 2002
wehen insgesamt 50 Sterne über dem Camp, die des amerikanischen
Sternebanners. In einer Militärzeremonie eröffnete die
georgische Armee zusammen mit ihren amerikanischen Trainern die
3. Phase des sogenannten "Georgian Train & Equip Programms",
kurz GTEP, bei der insgesamt drei Bataillone einer georgischen mobilen
Eingreiftruppe ausgebildet werden sollen. Das erste Bataillon von
rund 500 Mann plus einem Zug der Grenzschutztruppen war gemeinsam
mit seinen amerikanischen Ausbildern zum feierlichen Appell angetreten.
Zeremonie
für die Medien
Es war eine Stunde vor dem Eintreffen des georgischen Staatspräsidenten.
Der Dirigent des georgischen Armee-Musikkorps liess seine Mannen
noch einmal die beiden Nationalhymnen üben, dann wohl zur
Erheiterung der Gäste und als Willkommensgruss an die neuen
Freunde aus Amerika ein Swing-Meddley, das gnadenlos die Knie
der Anwesenden strapazierte. Schliesslich war deutsches Musikgut
an der Reihe: der unvermeidliche alte Kamerad erklang und ein
Meddley aus Schlagern der 20-er Jahre: "Ich hab das Fräulein
Helen baden sehn", "Schöner Gigolo". Die musikalischen
Themen haben sich auf georgischen Übungsplätzen geändert,
auch wenn sich der Militärdirigent mit seinen Mannen vornehmlich
auf russisch unterhielt, der Kommandosprache früherer Zeiten.
"Keine
harten Fragen" US-Major stellt sich der Presse
Dass jetzt englisch angesagt ist, wurde recht schnell klar, denn
das Kommando bei dieser Zeremonie führte ein Amerikaner:
Major Grosso, der Chef der amerikanischen Ausbilder. Rund 50 sind
es in den ersten Monaten der 3. GTEP-Phase, sie sind in einem
neuen Camp mit Fertigbauten untergebracht, das von einer türkischen
Baufirma in Windeseile aus dem Boden gestampft wurde. Die georgischen
Soldaten wohnen in Zelten.
64 US-Millionen für die Ausbildung
Das GTEP-Projekt wurde im Frühjahr diesen Jahres publik,
als ein amerikanischer Diplomat in Tbilissi die Welt mit der Neuigkeit
überraschte, dass eventuell Al Qaida Kämpfer im Kaukasus
und damit im Pankisital seien, gegen die sich die georgische Armee
ohne Unterstützung von aussen nicht wehren könne. Hilfe
sei deshalb dringend geboten und der amerikanische Kongress machte
64 Millionen US-$ für das Ausbildungsprogramm locker. Dass
eine entsprechende Ausbildung von drei Bataillonen - soviele sollen
es im Endausbau sein - mehrere Jahre in Anspruch nehmen würde,
die Bekämpfung des Terrorismus im Pankisital jedoch niemals
solange aufgeschoben werden konnte, interessierte damals niemanden.
Die Weltpresse hatte den Stoff, nach dem sie giert, der Stoff,
aus dem heutzutage Politik ensteht oder - präziser gesagt
- der Stoff, mit dem heutzutage Politik verkauft wird.
Sichtlich
zufrieden: US-Botschafter Robert Miles mit Gattin
Jetzt ist das Trainingsprogramm mit der Aufstellung des ersten
Bataillons etabliert und drei Tage zuvor haben die Georgier mit
Verbänden des Innenministeriums im Pankisital mit ihren Aufräumungsarbeiten
begonnen - ganz ohne amerikanische Hilfe, wie immer wieder betont
wird. Dass das GTEP-Programm aber sogar von George W. Bush nahezu
ausschliesslich mit der Terrorismusgefahr im Pankisi begründet
wurde, muss heute niemanden mehr interessieren. Die Amerikaner
sind hier und nahezu alle im Lande denken, das ist gut so.
Der amerikanische Botschafter Robert Miles fand schliesslich
in seiner Rede die Kurve, indem er beiläufig erklärte,
dass unter denen, die die Pankisi-Operation geplant hätten,
auch Offiziere wären, die an den ersten Stufen von GTEP teilgenommen
hätten. Seit April hatte man nur Stabspersonal in der Planung
und Durchführung von Anti-Terror-Einsätzen unterrichtet.
Somit hatte GTEP und das militärische Zeremoniell von Krtzanissi
dann doch irgendetwas mit dem Pankisi und der seinerzeit aufwendig
inszenierten Al Qaida-Begründung zu tun.
Längerfristige Sicherheitsoption
Dass es den Amerikanern mit ihrer militärischen Präsenz
weniger um die Lage im Pankisital als um eine längerfristige
strategische Option im Kaukasus geht, wurde deutlich, als Robert
Miles bei einem Interview im Pankisital tags danach auf Anfrage
eines ZDF-Reporters einräumte, es gehe bei dem amerikanischen
Engagement natürlich auch darum, die künftigen Pipelines,
die durch Georgien führen, zu schützen. Dass diese ideale
Angriffsziele für Terror-Attacken sein können, liegt
auf der Hand. Und es war in Tbilissi nie ein Geheimnis, dass das
internationale Baukonsortium aus der Kaspi-Region unter der Führung
von BP-Amoco Schwierigkeiten haben würde, die notwendigen
Investoren und Kreditgeber zu finden, wenn nicht Amerika irgendeine
Art von Sicherheitsgarantie abgegeben hätte. Ansonsten hätte
das Konsortium wohl von der amerikanischen Regierung die Mehrkosten
eingefordert, die die Route über Georgien verschlingt, eine
Route, die auf Druck Washingtons schliesslich durchgesetzt wurde.
Es ist eben fast nur in Tbilissi aufgefallen, dass die mit Al
Qaida begründete Ankündigung von GTEP im Frühjahr
gerade rechtzeitig vor einer grossen internationalen Ölkonferenz
in Tbilissi kam, in deren Mittelpunkt unter anderm auch die Finanzierung
der Pipelines stand. Bei der Zereomie in Krtzanissi deklinierte
der amerikanische Botschafter diese Motivation des amerikanischen
Engagements mit der verschlüsselten Bemerkung, die zweijährige
US-Ausbildung solle mithelfen, dass die georgische Armee ihren
verfassungsmässigen Auftrag erfüllen kann, Frieden und
Stabilität im Kaukasus herzustellen, um eine volle wirtschaftliche
Entwicklung des Landes zu ermöglichen. Dies sei in den letzten
Wochen umso klarer geworden, in denen das Land einiger Schläge
von innen und aussen ausgesetzt gewesen sei. Von wem diese Schläge
kamen, erwähnte er mit keiner Silbe, wie auch Eduard Schewardnadse
sich in seiner Rede peinlichst darum bemühte, die Ereignisse
der letzten Woche nur mit der Bemerkung zu streifen, Georgien
müsse alle seine Probleme in eigener Verantwortung lösen.
Ab sofort helfen die Amerikaner dabei.
Der Stolz der Nation
Irgendwo in der Nähe von Tbilissi wurden schon Monate vor
der Al Qaida-Erkenntnis dieses Frühjahrs einige amerikanische
Hubschrauber stationiert, die später wohl dazu dienen sollen,
die jetzt auszubildende Eingreiftruppe mobil zu halten. Die Hubschrauber
wurden dem georgischen Verteidigungsministerium von Amerika und
der Türkei geschenkt, die Türkei sponsort für zwei
Jahre auch das Flugbenzin. Die Piloten wurden 14 Monate in den
USA ausgebildet, eine Verbindung zu GTEP ist offensichtlich. Denn
was soll eine mobile und flinke Hubschrauberflotte ohne ausgebildete
Eingreiftruppe? Oder was soll eine Elite-Eingreiftruppe, die kaum
beweglich ist, weil sie nur über die schwerfälligen
Hubschrauber russischer Bauart verfügt? Und schliesslich:
Ist es nicht auffällig, dass Bauende und Inbetriebnahme der
Pipelines nahezu zur selben Zeit erfolgen sollen, in der die Grundausbildung
der georgischen Elitebataillone abgeschlossen sein wird? All diese
Fragen waren am 29. August 2002 Nebensache, auf dem amerikanisch-georgischen
Ausbildungscamp ging es ausschliesslich um den 11. September und
die Koalition gegen den Terror, der Eduard Schewardnadses Georgien
als eines der ersten Länder der Welt offiziell beigetreten
ist. Dafür erntete er an diesem Tag nicht nur den gebührenden
rhetorischen Dank.
Kommandeur
der georgischen Grenzschutzes: Walery Chkeidze
Der US-Major, der seine in Reih und Glied angetretenen Auszubildenden
im Auftrag seines Obersten Kommandoherren, Präsident George
W. Bush, begrüsste, erklärte ihnen, bevor er Gott um
Schutz für Georgien und die USA anflehte, kurz und bündig,
sie seien die Besten ihrer Nation und damit deren Stolz. Deren
Dienstherr, Verteidigungsminister David Tevsadse, hatte sie kurze
Zeit später dann mit den spärlichen Worten begrüsst:
Das Land wartet auf Euch, dabei wohlweisslich die Tatsache unterschlagend,
dass es nicht ganz einfach war, das Bataillon überhaupt aufzustellen.
Wenige Wochen zuvor hatten sich noch nicht einmal 100 Soldaten
in die Listen eintragen lassen und die georgische Armee hatte
es wegen ihrer chronischen Unterfinanzierung und wegen der über
Monate rückständiger Soldzahlungen mit einer Desertationswelle
zu tun, die bis in höhere Offiziersränge reichte.
Verteidigungsminister in Geldnot
Die Soldaten des Elite-Bataillons werden weitaus besser besoldet
als ihre Kameraden in den anderen Einheiten. 400 Lari erhält
ein einfacher Elite-Soldat als Mindestsold, bis zu 800 die Offiziere.
Der Sold soll nicht über Militär-Kassen ausbezahlt werden
sondern jedem Soldaten auf einem persönlichen Konto einer
georgischen Bank überwiesen werden. Per Plastik-Konto-Karten
können die Familien das Geld direkt abheben, damit nicht
an jedem Monatsbeginn das Training unterbrochen werden muss, weil
die Soldaten den erhaltenen Sold zur Unterstützung ihrer
Familien nach Hause tragen müssen, erklärte das georgische
Verteidigunsministerium. Und es erklärte auch, dass es keinerlei
Verzögerung bei der Bereitstellung der Gelder geben werde.
Minister
in Nöten:Verteidigungsminister David Tewsadze
Das Geld, so will es ein Dekret des Staatspräsidenten, soll
im Verteidigungshaushalt bereitgestellt werden. Die Amerikaner
finanzieren mit ihren 64 Millionen US-$ lediglich ihre eigenen
Ausbildungskosten und das Equipment, das Georgien zur Verfügung
gestellt wird, rund 2.000 $ für jeden Soldaten. Etwas mehr
als drei Millionen Lari muss der georgische Verteidigungsminister
seinem Kollegen vom Finanzministerium pro Jahr zusätzlich
abringen, sollen die finanziellen Versprechungen, mit denen es
überhaupt gelungen war, das erste Bataillon aufzustellen,
eingehalten werden. Nicht wenige in Tbilissi zweifeln daran, ob
das auch dauerhaft gelingen wird, und fragen sich, aus welchen
Quellen die Mittel für die beiden weiteren Bataillone aufgebracht
werden sollen. Auch ohne diese Mehrausgaben für die Elitetruppe
fehlt dem Verteidigungsminister das Geld für notwendige Beschaffungen
und den Unterhalt von Truppe und Material an allen Ecken und Enden.
Von den beantragten 71 Millionen für das Jahr 2002 hat das
parlament lediglich 38,5 Millionen bewilligen können und
bereits im ersten Halbjahr 2002 ist der Finanzminister mit 4 Millionen
im Rückstand. Für den GTEP-Sold muss in den nächsten
Jahren bis zu 10 Millionen jährlich eingeplant werden. Ausserdem
wirkt der Sondersold für die GTEP-Soldaten bereits als Sprengstoff
in der übrigen Armee. Ein anderes Bataillon, das auch als
Elitebataillon gilt, hat bereits Nachschlag gefordert und mit
Verlassen der Garnison gedroht, sollten sich die Verhältnisse
nicht bessern. Der Gesetzesentwurf des Verteidigungsministers,
jedem wehrfähigen Jugendlichen freizustellen, zu dienen oder
100 $ pro Dienstjahr zu entrichten und dafür nicht eingezogen
zu werden, zeigt die Hilflosigkeit des neuen amerikanischen Verbündeten
auf.
Der chronische Finanzmangel des georgischen Staates kann auf
Dauer das Stück von der georgisch-amerikanischen Soldatenherrlichkeit,
das in Krtzanissi uraufgeführt wurde, ernsthaft in Gefahr
bringen. Aber vielleicht gibt es da doch irgendwelche unbekannten
amerikanisch-georgischen Verrechnungsarten, mit denen dieses Risiko
abgesichert ist, sind doch die Amerikaner und Georgier nach den
Worten des GTEP-Kommandeurs Major Grosso "true friends, brothers
and nations in arms". Die Georgier hatten dies bereits im
Frühjahr diesen Jahres mit einer Sonderbriefmarke, die die
Terrorangriffe auf das World Trade Center in New York zum Thema
hatte, mit dem Motto "We trust you, America" bekräftigt.
Vor einem Jahrzehnt noch stand der Waffenbruder Georgiens in einer
völlig anderen Himmelsrichtung. Aber damals musste sich der
ganze Kaukasus auch nach einem einzigen Stern ausrichten.
Philatelistische
Solidarität:Georgische Sonderbriefmarke zum 11. September
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