Als er im Februar diesen Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt
wurde, kam sogar der georgische Staatspräsident Eduard Schewardnadse
zum telegenen Probesitzen nach Kutaissi geeilt. Ein neues Auto
"made in Georgia"! Das Ereignis musste gebührend begangen
werden, zumal Wirtschaft und Politik Georgiens unter chronischem
Mangel an Erfolgsnachrichten leiden. Mittlerweile ist es ein
wenig ruhiger geworden um den indisch-georgischen Automobil-Coup,
jedenfalls hat der bullig wirkende, aber durchaus handliche
Jeep aus Kutaissi weder die russische Kultkiste Lada Niva noch
die vielen West- und Ost-Importe von den Strassen Georgiens
verdrängen können. Grund genug für GN, bei einem Werksbesuch
im Automobilwerk von Kutaissi KAS (Kutaissi Automobil Sawod),
der Geschichte auf den Grund zu gehen. Der Trip zum einstigen
Industriegiganten brachte einige Überraschungen.
So erklärte der Generaldirektor der heutigen Kutaissi Autofabrik
Aktiengesellschaft, Amiran Natswlischwili, eingangs frank und
frei, der Bolero sei nicht die wichtigste Episode in der Geschichte
der Fabrik, auch nicht, was deren Zukunft angehe. Gleichwohl,
und darüber wolle er im Verlauf des Gespräches mehr erzählen,
setze man grosse Hoffnungen in das Projekt mit dem indischen
Automobilhersteller Mahindra, dessen Allrad-Modelle der Marke
Bolero man in Kutaissi montieren wolle. Es gäbe aber auch viel
anderes über seinen Betrieb zu erzählen. Folgen wir also dem
Informationsfluss des zurückhaltend und äusserst sachlich wirkenden
Industriemanagers und beschäftigen uns zunächst mit der Vergangenenheit
und Gegenwart des Werkes. Der Bolero ist nämlich nur ein Teil
in den Zukunftsplanungen Amirans.
KAS - das Ende einer Sowjetlegende
Wie
alle georgischen Manager erzählt Amiran Natswlischwili zunächst
einmal von der grossen Geschichte seiner Fabrik. Sie sei einer
der typischen Sowjet-Giganten gewesen: 16.000 Beschäftigte, eine
Produktion von 625.000 KAS-LKW`s in 50 Jahren, Alleinanbieter
in der UdSSR für LKW`s, deren einziger Verwendungszweck der Einsatz
als Ernte-Fahrzeug auf den riesigen Kolchosen des Sowjetreiches
war. 1981 erst wurde der Betrieb, der 1951 mit einer in Deutschland
demontierten Produktionslinie von Opel gegründet worden war, für
rund 500 Millionen $ renoviert und auf eine Kapazität von 20.000
Einheiten pro Monat aufgerüstet. Zehn Jahre später schon bedeutete
der Zusammenbruch der Sowjetunion das Aus für den einstigen Musterbetrieb,
das 140 ha grosse Werk musste mangels Nachfrage schliessen.
Anders als viele im Lande hört Amiran allerdings nicht beim Jammern
über die schweren Zeiten bei gleichzeitiger Verherrlichung der
früheren und guten auf. Der 52-jährige hatte als Ingenieur im
Betrieb angefangen, war später Direktor einer Traktorenfabrik,
dann in Moskau, schliesslich stellvertretender Bürgermeister in
Kutaissi. 1995 wurde er Generaldirektor des damals stillstehenden
Automobilwerkes. Der neue Mann hat die Lehren aus dem kommunistischen
Fiasko gezogen, zum Beispiel die, dass die Stärke in der Sowjetwirtschaft,
mit nur einem Fahrzeugtypen gleichzeitig das Monopol für landwirtschaftliche
LKW`s im ganzen Riesenreich zu besitzen, in einer marktwirtschaftlich
orientierten Weltwirtschaft unweigerlich das Aus für das Unternehmen
bedeuten musste. Auf der anderen Seite aber bot die für westliche
Vorstellungen unglaubliche Produktionstiefe und -breite im eigenen
Betrieb die Möglichkeit, sich mit neuen Produkten und der Herstellung
von Teilen oder Komponenten neue Märkte in der Welt zu erobern.
Denn in Georgien bieten sich für einen Betrieb von dieser Grösse
nicht annähernd hinreichende Absatzchancen. Und eine nennenswerte
Nachfrage nach KAS-LKW`s kann nie mehr erwartet werden, obwohl
man versuchte, den alt-bewährten KAS durch einen wirtschaflichen
MAN-Diesel-Motor nachzurüsten. Der Preis von rund 30.000 $ sei
zu hoch, sagt Amiran, zumal das Gefährt trotz neuer Motorisierung
ansonsten völlig veraltet und damit kaum wettbewerbsfähig ist.
Über Jahre hinweg suchte man nach einem ausländischen Investor,
der mit Geld, Know-How und Absatz kommen und dem Werk zu neuer
Blüte verhelfen sollte, über Jahre hinweg träumte man am Rioni
von Daimler-Benz oder anderen Weltmarken als neuem Hausherrn in
Kutaissi. Doch deren Standorte zum Beispiel in der Türkei waren
allemal in der Lage, den Regionalmarkt rund um den Kaukasus zu
beliefern. So kam man schliesslich zur schmerzhaften Erkenntnis,
dass Georgien eine Automobilfabrik wie die von Kutaissi nicht
mehr braucht. Und zu der zweiten Erkenntnis, dass die Welt keine
LKW`s aus Georgien braucht.
Neue Märkte - neue Produkte
Trotzdem erarbeiten in den alten Fabrikanlagen derzeit wieder
1.200 Menschen einen Jahresumsatz von rund 7 Millionen $, 75 %
davon werden im Export erwirtschaftet. Und das ohne den KAS und
ohne den Bolero, den Off-Roader, dessentwegen wir eigentlich nach
Kutaissi gefahren waren.
Der Betrieb hat 1996 nach einer fünfjährigen Zwangspause die Arbeit
wieder aufgenommen und damit begonnen, sich Absatzmärkte in der
Produktion von Einzelteilen zu suchen. Sechs Jahre danach kann
sich die Produktionsliste sehen lassen: Kanaldeckel jeder Grösse,
Gussteile aus Eisen oder Aluminium für Motoren und Maschinen,
Gewichte für Riesen-Gabelstapler und Hafenkräne, Zahnräder, Wellen,
Gehäuseteile, Kleinteile wie Bolzen oder Gewinde und vieles mehr.
Abnehmer hat man vor allem in Italien und Deutschland gefunden.
So soll ein in Italien montierter Gabelstapler sogar zu 80 % aus
Teilen bestehen, die in Kutaissi hergestellt werden, berichtet
der Firmenchef nicht ohne Stolz. Für einen Kunden in Sizilien
produziert man im Monat 150 Parksitzbänke aus gusseisernen Ständern
und Holzlatten. 60 $ erzielt man pro Parkbank, für einen früheren
LKW-Giganten fürwahr ein bescheidenes Geschäft. Aber Amiran kann
darauf verweisen, dass man mit diesen Produktionen etwas geschafft
habe, wovon andere Industriebetriebe im Land nur träumen: Seit
fünf Jahren muss keiner der Arbeiter und Angestellten, auch keiner
der Lieferanten von Energie oder Wasser, auf Lohn oder Bezahlung
warten. Der einstige Musterbetrieb läuft wieder rund, wenngleich
mit viel geringerer Drehzahl als früher, aber die lässt sich ja
steigern, wenn der Motor einmal läuft und nicht wieder ins Stottern
kommt.
Für den georgischen Markt bietet man vor allem Reparaturen von
Grossgeräten wie Wellen und Turbinen von Kraftwerken an. Die überdimensionierten
Schleifgeräte, Fräsen und Bohrer, die in den riesigen und teilweise
wirklich gut erhaltenen Fabrikhallen vor sich hin dösen, können
Arbeiten verrichten, für die ansonsten kein Betrieb in Georgien
ausgerüstet ist. Trotzdem weiss Amiran, dass die Zukunft seines
Unternehmens, das er konsequent wieder ausbauen will, im Ausland
liegt und nicht im einheimischen Markt.
Zukunftstraum: Bolero
Ans Ausland denkt man auch mit dem Bolero, womit wir wieder beim
eigentlichen Grund unseres Besuches in Kutaissi angelangt wären.
Natürlich will man als einstiger Automobilbauer den Kontakt zum
Auto nicht verlieren. Man hat schliesslich Know How, Produktionsanlagen,
Personal und man hat auch so seinen kleinen Stolz. Mit dem endgültigen
Abschied Georgiens von Automobilbau will man sich nicht bedingungslos
abfinden.
Deshalb suchte
Amiran in der ganzen Welt einen Partner, mit dem er ein ähnliches
Geschäft aufbauen kann wie mit dem italienische Gabelstaplerbauer,
nur eben umgekehrt. In Kutaissi sollen in naher Zukunft mit Komponenten,
die aus Indien vom Originalhersteller eingekauft werden, und mit
Komponenten, die man selbst herstellt, jährlich rund 3.000 Bolero-Jeeps
vom Band rollen. Selbst herstellen will man zum Beispiel die Karosserie,
den Innenausbau, den Rahmen, importiert werden soll der Motor,
das Getriebe und ähnliche Teile. Etwa 50 % des Fahrzeugs könnten
somit aus lokaler Produktion stammen, rechnet Amiran, und er rechnet
auch damit, dass er dann den derzeitigen Preis von 11.000 $ für
die Luxus-GLX-Version vor allem wegen Transport- und Zolleinsparungen
auf unter 9.000 $ reduzieren kann. Damit wäre man konkurrenzfähig
mit einem künftigen Edel-Lada-Niva, der, so Amiran, in Kooperation
mit Chevrolet in Russland demnächst für rund 8.000 $ angeboten
werden soll. Der Russe soll ein Benziner bleiben und damit ein
Schluckspecht, der Georgier indischer Abstammung ist mit einem
Diesel-Aggregat ausgerüstet, das Mahindra in Renault-Lizenz baut,
durchaus ein Wettbewerbsvorteil. Die Märkte für dieses Fahrzeug
sieht Amiran im nahen Ausland, vor allem Aserbaidschan, Armenien,
der Türkei und auch Russland. Den georgischen Markt schätzt er
mit höchsten 50 % durchaus optimistisch ein, da sich eine führende
georgische Bank angeboten habe, das Geschäft mit günstigen Fianzierungsbedingungen
für die Käufer anzukurbeln.
Doch
bevor die Georgier und ihre Nachbarn auf den Strassen des Kaukasus
richtig Bolero tanzen können, muss Amiran mit seiner Mannschaft
noch ein paar Hausaufgaben erledigen. Zum einen erfordert die
Aufnahme der Serienproduktion eine Investition, die mit 2 Millionen
$ durchaus bescheiden erscheint. Das Geld könne er auftreiben,
das sei nicht das Problem. Allerdings würde kein privater Unternehmer
in einen Betrieb investieren, der noch zu 78 % dem Staat gehöre.
"Der Staat ist ein schwacher Manager und ein schlechter Inhaber",
sagt Amiran, der selbst 10 % des Aktienkapitals hält, die restlichen
22 % verteilen sich auf viele Aktionäre, überwiegend Mitarbeiter
des Betriebs. So muss Amiran erst noch die Privatisierung seines
früheren Kombinates erfolgreich bestehen, bevor er mit seinem
Bolero richtig Gas geben kann. Bis dahin will er sich intensiv
um den weiteren Ausbau seines Exportgeschäfts vor allem im Gussteile-
und Komponentenbereich kümmern und verabschiedet uns mit dem Wunsch,
überall in Europa zu verbreiten, dass man in Kutaissi die Zeichen
der Zeit erkannt habe und mittlerweile ein stabiler Lieferant
sei, für den Qualität und Zuverlässigkeit an oberster Stelle stünden.
Der Bolero ist also wirklich nicht die wichtigste Episode in der
Geschichte der Firma. Und vielleicht bleibt es am Ende dann doch
nur bei den rund zehn Fahrzeugen, die man bisher montiert und
verkauft hat. Einen davon fährt der Gouverneur von Kutaissi, Temur
Schaschiaschwili. Der silbergraue Offroader steht demonstrativ
vor dem Hauptportal seiner Verwaltung und zeugt vom Willen Kutaissis,
eine Automobilstadt bleiben zu wollen. Mit Zahnrädern und Gullydeckeln
lässt sich eben bei weitem nicht so viel Eindruck schinden. Arbeitsplätze,
wenn auch nur 1.200, sichern sie allemal. Und das ist doch schon
mal etwas, auch wenn sich Präsidenten und Gouverneure dafür nicht
so leicht begeistern lassen als für den Tanz ums goldene Kalb
Automobil. Georgien muss auf seinen Bolero also noch etwas warten.
Übrigens: Wer jetzt schon wild auf einen Bolero ist, muss nicht
warten, bis Amiran seine neue Produktionslinie aufgebaut hat.
Mit einer Lieferfrist von zwei Monaten werden Kundenwünsche auch
jetzt schon erfüllt.
|