Ausgabe 13/02, 11. Sept. Archiv
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Als er im Februar diesen Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, kam sogar der georgische Staatspräsident Eduard Schewardnadse zum telegenen Probesitzen nach Kutaissi geeilt. Ein neues Auto "made in Georgia"! Das Ereignis musste gebührend begangen werden, zumal Wirtschaft und Politik Georgiens unter chronischem Mangel an Erfolgsnachrichten leiden. Mittlerweile ist es ein wenig ruhiger geworden um den indisch-georgischen Automobil-Coup, jedenfalls hat der bullig wirkende, aber durchaus handliche Jeep aus Kutaissi weder die russische Kultkiste Lada Niva noch die vielen West- und Ost-Importe von den Strassen Georgiens verdrängen können. Grund genug für GN, bei einem Werksbesuch im Automobilwerk von Kutaissi KAS (Kutaissi Automobil Sawod), der Geschichte auf den Grund zu gehen. Der Trip zum einstigen Industriegiganten brachte einige Überraschungen.

So erklärte der Generaldirektor der heutigen Kutaissi Autofabrik Aktiengesellschaft, Amiran Natswlischwili, eingangs frank und frei, der Bolero sei nicht die wichtigste Episode in der Geschichte der Fabrik, auch nicht, was deren Zukunft angehe. Gleichwohl, und darüber wolle er im Verlauf des Gespräches mehr erzählen, setze man grosse Hoffnungen in das Projekt mit dem indischen Automobilhersteller Mahindra, dessen Allrad-Modelle der Marke Bolero man in Kutaissi montieren wolle. Es gäbe aber auch viel anderes über seinen Betrieb zu erzählen. Folgen wir also dem Informationsfluss des zurückhaltend und äusserst sachlich wirkenden Industriemanagers und beschäftigen uns zunächst mit der Vergangenenheit und Gegenwart des Werkes. Der Bolero ist nämlich nur ein Teil in den Zukunftsplanungen Amirans.

KAS - das Ende einer Sowjetlegende

Wie alle georgischen Manager erzählt Amiran Natswlischwili zunächst einmal von der grossen Geschichte seiner Fabrik. Sie sei einer der typischen Sowjet-Giganten gewesen: 16.000 Beschäftigte, eine Produktion von 625.000 KAS-LKW`s in 50 Jahren, Alleinanbieter in der UdSSR für LKW`s, deren einziger Verwendungszweck der Einsatz als Ernte-Fahrzeug auf den riesigen Kolchosen des Sowjetreiches war. 1981 erst wurde der Betrieb, der 1951 mit einer in Deutschland demontierten Produktionslinie von Opel gegründet worden war, für rund 500 Millionen $ renoviert und auf eine Kapazität von 20.000 Einheiten pro Monat aufgerüstet. Zehn Jahre später schon bedeutete der Zusammenbruch der Sowjetunion das Aus für den einstigen Musterbetrieb, das 140 ha grosse Werk musste mangels Nachfrage schliessen.

Anders als viele im Lande hört Amiran allerdings nicht beim Jammern über die schweren Zeiten bei gleichzeitiger Verherrlichung der früheren und guten auf. Der 52-jährige hatte als Ingenieur im Betrieb angefangen, war später Direktor einer Traktorenfabrik, dann in Moskau, schliesslich stellvertretender Bürgermeister in Kutaissi. 1995 wurde er Generaldirektor des damals stillstehenden Automobilwerkes. Der neue Mann hat die Lehren aus dem kommunistischen Fiasko gezogen, zum Beispiel die, dass die Stärke in der Sowjetwirtschaft, mit nur einem Fahrzeugtypen gleichzeitig das Monopol für landwirtschaftliche LKW`s im ganzen Riesenreich zu besitzen, in einer marktwirtschaftlich orientierten Weltwirtschaft unweigerlich das Aus für das Unternehmen bedeuten musste. Auf der anderen Seite aber bot die für westliche Vorstellungen unglaubliche Produktionstiefe und -breite im eigenen Betrieb die Möglichkeit, sich mit neuen Produkten und der Herstellung von Teilen oder Komponenten neue Märkte in der Welt zu erobern. Denn in Georgien bieten sich für einen Betrieb von dieser Grösse nicht annähernd hinreichende Absatzchancen. Und eine nennenswerte Nachfrage nach KAS-LKW`s kann nie mehr erwartet werden, obwohl man versuchte, den alt-bewährten KAS durch einen wirtschaflichen MAN-Diesel-Motor nachzurüsten. Der Preis von rund 30.000 $ sei zu hoch, sagt Amiran, zumal das Gefährt trotz neuer Motorisierung ansonsten völlig veraltet und damit kaum wettbewerbsfähig ist.

Über Jahre hinweg suchte man nach einem ausländischen Investor, der mit Geld, Know-How und Absatz kommen und dem Werk zu neuer Blüte verhelfen sollte, über Jahre hinweg träumte man am Rioni von Daimler-Benz oder anderen Weltmarken als neuem Hausherrn in Kutaissi. Doch deren Standorte zum Beispiel in der Türkei waren allemal in der Lage, den Regionalmarkt rund um den Kaukasus zu beliefern. So kam man schliesslich zur schmerzhaften Erkenntnis, dass Georgien eine Automobilfabrik wie die von Kutaissi nicht mehr braucht. Und zu der zweiten Erkenntnis, dass die Welt keine LKW`s aus Georgien braucht.

Neue Märkte - neue Produkte

Trotzdem erarbeiten in den alten Fabrikanlagen derzeit wieder 1.200 Menschen einen Jahresumsatz von rund 7 Millionen $, 75 % davon werden im Export erwirtschaftet. Und das ohne den KAS und ohne den Bolero, den Off-Roader, dessentwegen wir eigentlich nach Kutaissi gefahren waren.

Der Betrieb hat 1996 nach einer fünfjährigen Zwangspause die Arbeit wieder aufgenommen und damit begonnen, sich Absatzmärkte in der Produktion von Einzelteilen zu suchen. Sechs Jahre danach kann sich die Produktionsliste sehen lassen: Kanaldeckel jeder Grösse, Gussteile aus Eisen oder Aluminium für Motoren und Maschinen, Gewichte für Riesen-Gabelstapler und Hafenkräne, Zahnräder, Wellen, Gehäuseteile, Kleinteile wie Bolzen oder Gewinde und vieles mehr. Abnehmer hat man vor allem in Italien und Deutschland gefunden. So soll ein in Italien montierter Gabelstapler sogar zu 80 % aus Teilen bestehen, die in Kutaissi hergestellt werden, berichtet der Firmenchef nicht ohne Stolz. Für einen Kunden in Sizilien produziert man im Monat 150 Parksitzbänke aus gusseisernen Ständern und Holzlatten. 60 $ erzielt man pro Parkbank, für einen früheren LKW-Giganten fürwahr ein bescheidenes Geschäft. Aber Amiran kann darauf verweisen, dass man mit diesen Produktionen etwas geschafft habe, wovon andere Industriebetriebe im Land nur träumen: Seit fünf Jahren muss keiner der Arbeiter und Angestellten, auch keiner der Lieferanten von Energie oder Wasser, auf Lohn oder Bezahlung warten. Der einstige Musterbetrieb läuft wieder rund, wenngleich mit viel geringerer Drehzahl als früher, aber die lässt sich ja steigern, wenn der Motor einmal läuft und nicht wieder ins Stottern kommt.

Für den georgischen Markt bietet man vor allem Reparaturen von Grossgeräten wie Wellen und Turbinen von Kraftwerken an. Die überdimensionierten Schleifgeräte, Fräsen und Bohrer, die in den riesigen und teilweise wirklich gut erhaltenen Fabrikhallen vor sich hin dösen, können Arbeiten verrichten, für die ansonsten kein Betrieb in Georgien ausgerüstet ist. Trotzdem weiss Amiran, dass die Zukunft seines Unternehmens, das er konsequent wieder ausbauen will, im Ausland liegt und nicht im einheimischen Markt.

Zukunftstraum: Bolero

Ans Ausland denkt man auch mit dem Bolero, womit wir wieder beim eigentlichen Grund unseres Besuches in Kutaissi angelangt wären. Natürlich will man als einstiger Automobilbauer den Kontakt zum Auto nicht verlieren. Man hat schliesslich Know How, Produktionsanlagen, Personal und man hat auch so seinen kleinen Stolz. Mit dem endgültigen Abschied Georgiens von Automobilbau will man sich nicht bedingungslos abfinden.

  

Deshalb suchte Amiran in der ganzen Welt einen Partner, mit dem er ein ähnliches Geschäft aufbauen kann wie mit dem italienische Gabelstaplerbauer, nur eben umgekehrt. In Kutaissi sollen in naher Zukunft mit Komponenten, die aus Indien vom Originalhersteller eingekauft werden, und mit Komponenten, die man selbst herstellt, jährlich rund 3.000 Bolero-Jeeps vom Band rollen. Selbst herstellen will man zum Beispiel die Karosserie, den Innenausbau, den Rahmen, importiert werden soll der Motor, das Getriebe und ähnliche Teile. Etwa 50 % des Fahrzeugs könnten somit aus lokaler Produktion stammen, rechnet Amiran, und er rechnet auch damit, dass er dann den derzeitigen Preis von 11.000 $ für die Luxus-GLX-Version vor allem wegen Transport- und Zolleinsparungen auf unter 9.000 $ reduzieren kann. Damit wäre man konkurrenzfähig mit einem künftigen Edel-Lada-Niva, der, so Amiran, in Kooperation mit Chevrolet in Russland demnächst für rund 8.000 $ angeboten werden soll. Der Russe soll ein Benziner bleiben und damit ein Schluckspecht, der Georgier indischer Abstammung ist mit einem Diesel-Aggregat ausgerüstet, das Mahindra in Renault-Lizenz baut, durchaus ein Wettbewerbsvorteil. Die Märkte für dieses Fahrzeug sieht Amiran im nahen Ausland, vor allem Aserbaidschan, Armenien, der Türkei und auch Russland. Den georgischen Markt schätzt er mit höchsten 50 % durchaus optimistisch ein, da sich eine führende georgische Bank angeboten habe, das Geschäft mit günstigen Fianzierungsbedingungen für die Käufer anzukurbeln.

  

Doch bevor die Georgier und ihre Nachbarn auf den Strassen des Kaukasus richtig Bolero tanzen können, muss Amiran mit seiner Mannschaft noch ein paar Hausaufgaben erledigen. Zum einen erfordert die Aufnahme der Serienproduktion eine Investition, die mit 2 Millionen $ durchaus bescheiden erscheint. Das Geld könne er auftreiben, das sei nicht das Problem. Allerdings würde kein privater Unternehmer in einen Betrieb investieren, der noch zu 78 % dem Staat gehöre. "Der Staat ist ein schwacher Manager und ein schlechter Inhaber", sagt Amiran, der selbst 10 % des Aktienkapitals hält, die restlichen 22 % verteilen sich auf viele Aktionäre, überwiegend Mitarbeiter des Betriebs. So muss Amiran erst noch die Privatisierung seines früheren Kombinates erfolgreich bestehen, bevor er mit seinem Bolero richtig Gas geben kann. Bis dahin will er sich intensiv um den weiteren Ausbau seines Exportgeschäfts vor allem im Gussteile- und Komponentenbereich kümmern und verabschiedet uns mit dem Wunsch, überall in Europa zu verbreiten, dass man in Kutaissi die Zeichen der Zeit erkannt habe und mittlerweile ein stabiler Lieferant sei, für den Qualität und Zuverlässigkeit an oberster Stelle stünden.

Der Bolero ist also wirklich nicht die wichtigste Episode in der Geschichte der Firma. Und vielleicht bleibt es am Ende dann doch nur bei den rund zehn Fahrzeugen, die man bisher montiert und verkauft hat. Einen davon fährt der Gouverneur von Kutaissi, Temur Schaschiaschwili. Der silbergraue Offroader steht demonstrativ vor dem Hauptportal seiner Verwaltung und zeugt vom Willen Kutaissis, eine Automobilstadt bleiben zu wollen. Mit Zahnrädern und Gullydeckeln lässt sich eben bei weitem nicht so viel Eindruck schinden. Arbeitsplätze, wenn auch nur 1.200, sichern sie allemal. Und das ist doch schon mal etwas, auch wenn sich Präsidenten und Gouverneure dafür nicht so leicht begeistern lassen als für den Tanz ums goldene Kalb Automobil. Georgien muss auf seinen Bolero also noch etwas warten. Übrigens: Wer jetzt schon wild auf einen Bolero ist, muss nicht warten, bis Amiran seine neue Produktionslinie aufgebaut hat. Mit einer Lieferfrist von zwei Monaten werden Kundenwünsche auch jetzt schon erfüllt.


Auslaufmodell KAS



Erntelegende



KAS im Einsatz



Fabrik ohne Produktion



Kleine Teile



Gabelstaplerfront



Zahnräder



Alu-Teile



Bolzen und Gewinde



Qualitätskontrolle



Sizilianische Parkbank



Italienischer Brunnen



Deutscher Gully



Krangewicht



Krangewicht



Rückpartie



Firmenchef mit Zukunftstraum



Bolero-Karosserie



Einfach-Ausführung
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