Präsidentenwahlen
blockieren Karabach-Verhandlungen
Friedensprozess
um Karabach ist im Stocken
Der armenische Präsident Robert Kocharian und sein azerischer
Kollege Gaidar Aliew sind sich nicht fremd, sie haben sich in den
vergangenen Jahren gegenseitig öfter getroffen. Und beide strahlten
und zeigten sich in bester Verfassung, nachdem sie sich am 14. August
in einem vierstündigen Tete-a-Tete an der armenisch-azerbaidschanischen
Grenze getroffen hatten. Es war der 18. armenische-azerbaidschanische
Gipfel seit 1999 und der erste Vieraugenkontakt zwischen Aliew und
Kocharian seit November 2001. Noch nie haben sie so lange alleine
miteinander gesprochen.
In einer gemeinsamen Pressekonferenz bewertete Kocharian den
Zweiergipfel: "Unsere Stimmung ist gut und wir sind im grossen
und ganzen zufrieden mit dem Verlauf des Gesprächs. Gleichzeitig
können wir Ihnen nichts konkretes sagen, da der gesamte Friedensprozess
recht kompliziert ist. Er hat sich in jüngster Zeit etwas
verlangsamt. Aber wir hoffen, dass dieses Treffen den festgefahrenen
Prozess wieder vorwärts bringen wird." In gleicher Weise
äusserte sich Aliew, der die Gespräche als "sehr
nützlich" bezeichnete. "Der Präsident von
Armenien und ich haben einige Varianten durchleuchtet, wie das
Problem Nagorny-Karabach gelöst werden könnte. Wir analysierten
die Ergebnisse unserer vorherigen Treffen und stimmen darin überein,
dass der Verhandlungsspielraum noch nicht ausgeschöpft ist."
Diplomatische Leerformeln, die verdecken sollen, dass ein ein
Fortschritt in dern Verhandlungen um Karabach vorerst nicht zu
erwarten ist. In beiden Ländern stehen im nächsten Jahr
Präsidentenwahlen an. Beide Präsidenten stellen sich
zur Wiederwahl und stünden einer erheblichen Opposition gegenüber,
wenn sie in der Karabach-Frage, die die Gemüter grosser Teile
ihrer Bevölkerungen bewegt, jetzt nennenswerte Konzessionen
machen würden. Beide sind in ihrer Position gleichermassen
verwundbar, auch wenn sie durchaus in der Lage sein sollten, eine
friedliche Kompromissformel zu finden.
Der azerbaidschanische Aussenminister machte dies am Rande des
Treffens deutlich als er armenischen Journalisten gegenüber
sagte: "Die Konfliktlösung erfordert von beiden Seiten
ernsthafte Konzessionen. Aber es wird schwierig, diese vor den
Präsidentenwahlen zu erreichen." Während dem 79-jährigen
Aliew eigentlich nur seine labile Gesundheit gefährden kann,
ist die Wiederwahl seines armenischen Kollegen keineswegs eine
ausgemachte Sache. Kocharian sieht sich einer ganzen Reihe von
Widersachern gegenüber, die alle das Karabach-Thema für
ihre politischen Zwecke einsetzen. Nur einer seiner möglichen
Herausforderer, der frühere Präsident Lewon Ter-Petrosian,
favorisiert eine weichere Linie in dieser Frage als Kocharian.
Wenn es je eine realistische Chance gegeben hatte, den 14-jährigen
Streit zu beenden, dann wurde sie im letzten Jahr verspielt, als
beide Seiten der Unterzeichnung einer Friedensvereinbarung so
nahe waren wie nie zuvor. Unter französischer, russischer
und amerikanischer Vermittlung hatten Aliew und Kocharian die
Eckpunkte eines Friedenspaketes in einer intensiven Verhandlungsrunde
in Camp David ausgehandelt. Dieser Friedenskonferenz folgten zwei
separate Treffen zwischen Aliew und Kocharian in Paris unter Vermittlung
des französischen Präsidenten Chirac. Damals akzeptierte
die armenische Seite eine de-facto Unabhängigkeit von Berg-Karabach
innerhalb einer losen Konföderation mit Aserbaidschan nach
dem bosnischen Modell. Eine Unterzeichnung dieser Lösung
durch beide Seiten wurde für den Juni 2001 in Genf erwartet,
was aber aus bis heute unersichtlichen Gründen nicht geschah.
Jerewan und die Karabach-Armenier beschuldigten Aliew, die Abmachungen
von Key-West und Paris mit nachträglichen Konzessionenforderungen
an Armenien gebrochen zu haben. Aliew seinerseits beschuldigte
den armenischen Präsidenten, eine Reihe von Vereinbarungen,
die in Paris erreicht worden seien, negiert zu haben, da er zu
Hause in Jerewan Schwierigkeiten befürchtete.
Während die armenische Seite auf dem Standpunkt steht, der
Friedensprozess könne nur dann fortgesetzt werden, wenn man
zu den "Prinzipien von Paris" zurückfände,
will der azerbaidschanische Aussenminister solche überhaupt
nicht mehr kennen. Ob Aliew und Kocharian bei ihrem jüngsten
Treffen diese Frage angeschnitten haben, ist nicht bekannt, da
den 70 Journalisten nicht erlaubt war, konkrete Fragen zu stellen.
Eine Möglichkeit, trotz der festgefahrenen Situation wengistens
kleine Fortschritte zu erreichen, liegt in der Normalisierung
der Beziehungen zwischen Armeinen und Aserbaidschan unter Ausschluss
des Karabach-Problems. Aserbaidschan hatte bisher alle wirtschaftlichen
Beziehungen mit Armenien strikt abgelehnt, solange die von Armeniern
besetzten azerbaidschanischen Gebiete rund um Karabach nicht zurückgegeben
werden. Jetzt sind beide Seiten anscheinend bereit, über
die Wiedereröffnung der Eisenbahnlinie zwischen beiden Ländern
zu reden.
Noch ist nicht klar, wann der Verhandlungsprozess wieder aufgenommen
wird, denn beide Seiten haben keine Termine für neue Gespräche
genannt. Die Opposition in beiden Ländern wirft Aliew und
Kocharian gleichermassen vor, sich nur um ihre eigenes Überleben
zu kümmern. Sie hätten den jüngsten Gipfel nur
deshalb inszeniert, um dem Westen zu zeigen, dass nur bei ihrer
Wiederwahl Frieden und Stabilität in der labilen Region erreichbar
seien. Kocharian förderte diese Spekulationen mit seiner
Bemerkung: "Wenn wir beide das Problem nicht lösen können,
wer sonst will es schaffen? Aufgrund unserer Erfahrungen mit dem
Karabach-Problem fühlen wir eine grosse Last an Verantwortung."
Die Last der Wiederwahl ist derzeit aber weitaus stärker.
Dokumentation: Emil Danielyan/EURASIA INSIGHT
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