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Die
Welt, 26.8.02
Russlands Militär führt seinen
eigenen Krieg
USA kritisieren Angriffe auf
das georgische Pankisi-Tal. OSZE-Beobachter melden Flüge getarnter
Kampfjets
Von Manfred Quiring
Moskau - Die Vereinigten Staaten haben Russland scharf kritisiert.
Moskau habe in Nordgeorgien willkürlich Dörfer bombardiert und die
Souveränität des Landes verletzt, sagte der Sprecher des US-Präsidialamtes,
Ari Fleischer, in Washington und warnte vor einer Verschärfung der
Spannungen im Kaukasus. Er betonte aber gleichzeitig, dass die Kritik
keine Verschlechterung der Beziehungen zu Russland bedeute. US-Präsident
George W. Bush habe indes wiederholt angemahnt, Russland solle beim
Kampf gegen den Terrorismus in Tschetschenien die Menschenrechte
wahren und die Souveränität der Staaten achten, sagte Fleischer.
Das Opfer des Luftangriffs war ein alter Mann. Der 70-jährige Guram
Otiaschwili war in den Wald gegangen, um Holz zu sammeln, und kehrte
nicht zurück. Russische Bomben, so die georgische Überzeugung, haben
ihn in der vergangenen Woche getötet. Beobachter der OSZE bestätigten,
dass sie mehrere Flugzeuge ohne Erkennungszeichen gesehen haben,
die die Grenze von russischer Seite her überflogen hätten. Sie seien
in großer Höhe geflogen, und wenige Minuten darauf seien Detonationsblitze
und Explosionen zu beobachten gewesen. Die OSZE-Beobachter sollten
sich Brillen kaufen, höhnte man in Moskau.
In Tbilissi ist man, auch eingedenk ähnlicher Vorfälle in der Vergangenheit,
fest davon überzeugt, dass das russische Militär hinter den Luftangriffen
steckt. Sein Land habe es mit einer "unverhüllten Aggression"
zu tun, beschwerte sich Außenminister Irakli Menagaraschwili in
einer Protestnote an die russische Führung. Unter dem Vorwand, gegen
den Terrorismus zu kämpfen, gehe das russische Militär gegen die
friedliche Bevölkerung vor.
Das Pankisi-Tal in Nordgeorgien ist seit Jahren faktisch exterritoriales
Gebiet. Die dort lebenden Kisten sind Nachfahren der im 18. und
19. Jahrhundert vor russischer Verfolgung geflohenen Tschetschenen.
Verständlich, dass sie ihre Hochgebirgsdörfer für die tschetschenischen
Flüchtlinge der Neuzeit weit öffneten. 7500 Menschen, vorwiegend
Frauen und Kinder, haben dort Zuflucht gefunden vor russischen Übergriffen
in ihrer Heimat. Aber eben auch zwischen 800 und 2000 Rebellen betrachten
das Gebirgstal, das sich fest in tschetschenischer Hand befindet
und für die Behörden praktisch unzugänglich ist, als ihre Rückzugsbasis.
Das Regiment dort führt offensichtlich der in Tschetschenien höchst
einflussreiche Feldkommandeur Gelajew, der allerdings auf eigene
Rechnung kämpft. Weder gehört er der Gruppierung um den tschetschenischen
Präsidenten Aslan Maschadow an, noch ist er ein Verbündeter von
Schamil Bassjew, der inzwischen mit islamischen Extremisten gemeinsame
Sache macht. Russland drängt Georgien seit geraumer Zeit, die Gelajew-Truppe
dingfest zu machen.
Die zögerliche Haltung der georgischen Führung, die die Tschetschenen
gerne auch mal im Streit mit dem abtrünnigen Abchasien benutzt,
hat in Moskau den Ruf nach einem russischen Eingreifen lauter werden
lassen.
Zwar dementiert man in Moskau, Bomben auf Georgien geworfen zu haben.
Doch gleichzeitig bemühen russische Politiker und Politologen die
Anti-Terror-Resolution der UNO, die angeblich derlei Übergriffe
rechtfertige. Ohne uns, so die Meinung der in Tschetschenien alles
andere als erfolgreichen russischen Militärs, können die Georgier
- selbst wenn sie wollten - nichts bewegen.
Immerhin sind am Sonntag mehrere Hundert georgische Milizionäre
in das Tal eingerückt, berichtete Interfax aus Tbilissi. Zur Ergreifung
von tschetschenischen "Bojewiki" sind sie zwar nicht geeignet,
aber als Geste des guten Willens ist diese Aktion allemal nützlich.
Georgiens Staatschef Eduard Schewardnadse, geplagt von inneren Konflikten
in Abchasien, Südossetien und Adscharien, kann eine Konfrontation
mit Russland nicht brauchen.
Putin, um gute Beziehungen zu den Georgien-freundlichen USA bemüht,
will die Verschärfung der Lage im Kaukasus ebenfalls nicht. Wer
also bombt im Pankisi-Tal? Der Verdacht, dass möglicherweise das
im Nordkaukasus nicht eben von Erfolg verwöhnte russische Militär
zur Ablenkung einen Nebenkriegsschauplatz aufmachen möchte, ist
nicht von der Hand zu weisen. |
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