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Neue
Züricher Zeitung, 26.8.02
Wortgefechte zwischen Tbilissi
und Moskau
Georgischer Protest gegen Luftangriff im
Pankisi-Tal
Tbilissi und Moskau haben einander über das Wochenende erneut Wortgefechte
geliefert, nachdem Georgien Russland beschuldigt hatte, über dem
georgischen Pankisi-Tal Bomben abgeworfen zu haben. Am Sonntag begannen
georgische Manöver in dem Tal, das tschetschenische Rebellen laut
Moskau als rückwärtige Basis benutzen.
win. Moskau, 25. August
Das Verhältnis zwischen Georgien und seinem mächtigen Nachbarn im
Norden ist aus vielen Gründen gespannt. Einer davon, der regelmässig
zu Wortgefechten zwischen den beiden Hauptstädten Tbilissi und Moskau
führt, ist das Pankisi-Tal, das an die abtrünnige Republik Tschetschenien
grenzt und in russischer Sicht von tschetschenischen Rebellen als
Aufmarschgebiet, Nachschubkorridor und rückwärtige Basis benutzt
wird. Die Präsenz tschetschenischer Bewaffneter in dem Tal, das
traditionell von ethnischen Cousins der Tschetschenen besiedelt
wird und seit Ausbruch des zweiten Tschetschenien-Kriegs auch Tausenden
von tschetschenischen Flüchtlingen Zuflucht gewährt, ist auch von
unabhängigen Quellen mehrfach belegt worden. Ob diese Präsenz das
Kampfgeschehen in Tschetschenien beeinflusst, ist allerdings eine
andere Frage. Moskau behauptet, in jüngster Zeit intensivierte Infiltrationen
von Rebellen aus dem Pankisi-Tal nach Tschetschenien beobachtet
zu haben, und fordert Tbilissi in immer harscheren Worten dazu auf,
entweder selber für Ordnung zu sorgen oder russischen Truppen die
entsprechende Erlaubnis zu geben.
Routinemässige Dementi
Georgien hat Russland schon mehrfach beschuldigt, gelegentlich Luftangriffe
auf das Tal durchzuführen, was Moskau jeweils routinemässig dementiert.
Am Freitag war es wieder einmal so weit gewesen. Laut Angaben aus
Tbilissi bombardierten russische Flugzeuge das Tal; eine Zivilperson
soll dabei ums Leben gekommen, sieben weitere verwundet worden sein.
Tbilissi geisselte die Aktion im Morgengrauen als Aggression, und
Moskau bestritt, wie üblich, irgendetwas damit zu tun zu haben.
Allerdings benutzte das russische Aussenministerium ominöse Formulierungen:
Sobald Georgien beim Kampf gegen den Terrorismus seinen Worten auch
Taten folgen lasse, hiess es in der Moskauer Erklärung, werde auch
der Grund für die erhöhten Spannungen an der gemeinsamen Grenze
beseitigt. Verschiedene russische Stellen, unter ihnen auch Verteidigungsminister
Sergei Iwanow, hatten in jüngster Vergangenheit indirekt damit gedroht,
im Pankisi-Tal selber einzugreifen, wenn Tbilissi der dort herrschenden
Gesetzlosigkeit keinen Riegel schiebe.
Laut inoffiziellen Quellen soll der Luftangriff vom Freitag von
Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa (OSZE) bestätigt worden sein. Russland kümmerte dies aber
weiterhin nicht. Der Sprecher Iwanows liess aus dem Osten Russlands,
wo der Verteidigungsminister zurzeit den sibirischen Militärbezirk
inspiziert, verlauten, Georgien übe sich wieder einmal in politischen
Spekulationen, statt konkrete Massnahmen zu ergreifen, um die Terroristen
im Pankisi-Tal unschädlich zu machen.
Georgische Manöver
Doch für einmal ging der Gegenangriff Moskaus daneben. Am Sonntag
begannen laut der Agentur Interfax Manöver der georgischen Armee
in einem Gebiet, das ans Pankisi-Tal grenzt, und gleichzeitig drangen
Einheiten des Innenministeriums, Polizeitruppen und Spezialeinheiten
in das Tal selber ein. Präsident Schewardnadse, der selber die Oberaufsicht
über die Aktionen führen soll, sagte der Agentur, Hauptziel der
Operationen sei die Wiederherstellung von Recht und Ordnung und
der Kampf gegen Kriminelle und Terroristen, sofern sich solche dort
aufhalten sollten. Laut Interfax sollen permanente Kontrollpunkte
in dem Tal errichtet werden. |
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