Nun ist es also doch zur Eskalation gekommen. In der vergangenen
Woche sind nicht identifizierbare, aber offensichtlich russische
Kampfflugzeuge in den georgischen Luftraum eingedrungen und haben
bei einem Angriff einen Menschenen getotet und mehrere verletzt.
Mit diesem Todesopfer erhalten die georgisch-russischen Spannungen
um das Pankisistal eine neue Qualitat und damit auch die Propagandabemuhungen
beider Seiten, wobei sich vor allem Moskau allbewahrter Methoden
der Vernebelung und Desinformation bedient, die leicht durchschaubar
und an Zynismus kaum zu uberbieten sind. Denn der Aggressor Moskau
tut so, als habe er nichts mit der Sache zu tun, beschuldigt andererseits
Tbilissi, nicht genugend gegen den Terrorismus zu unternehmen und
macht den kleinen Nachbarn fur Spannungen verantwortlich, die man
zuvor selbst kraftig angeheizt hatte.
In Wahrheit geht es aber um eine ganz andere Geschichte: Die
Moskauer Generalitat ist daruber verargert, dass die Georgier
sich ihr und ihrem Wunsch, den grausamen und aussichtlosen Tschetschenienkrieg
auf georgisches Territorium verlagern zu durfen, verweigern, wahrend
Tbilissi zeitgleich mit dem Auftreten amerikanischer Militarberater
jetzt endlich versucht, sich im Pankisital als staatliche Ordnungsmacht
zu zeigen. Obwohl GN seit seinem ersten Erscheinen im Februar
nahezu in jeder Ausgabe uber das Problem Pankisi zu berichten
hatte, mussen (und wollen) wir den den Hintergrund der aktuellen
Krise noch einmal in einer zusammenfassenden Analyse aufarbeiten.
In der Folge des russischen Vernichtungsfeldzuges in Tschetschenien
flohen vor einigen Jahren etwa 3.500 Menschen aus Grosny und Umgebung
uber die georgische Grenze, um sich vor den russischen Truppen
in Sicherheit zu bringen. Dort fanden sie Unterschlupf in den
Dorfern des Pankisitals, in dem mit den sogenannten "Kisten"
eine tschetschenische Volksgruppe wohnt, die schon immer rege
Verwandtschaftsbesuche in den Nord-Kaukasus pflegte. Es gibt viele
Kisten aus dem Pankisi, die im Sommer regelmassig uber die Berge
nach Tschetschenien gewandert sind, um dort zu arbeiten. Dass
sie ihren von Moskau ausgebombten Verwandten Unterschlupf boten,
ist eigentlich eine Selbstverstandlichkeit.
Tschetschenische Kampfer im Pankisi
Unter den tschetschenischen Fluchtlingen befinden sich nicht
nur Alte, Kranke und kleine Kinder. Es war schon immer bekannt,
dass sich darunter auch einige Hundert wehrfahiger Manner tummeln,
die jeweils im Sommer uber den Kaukasus-Hauptkamm nach Tschetschenien
einsickerten, um sich dort am Partisanenkrieg gegen die Russen
zu beteiligen. Rebellen nannte man diese Leute einmal oder sogar
Unabhangigkeitskampfer, wenn man ihr konkretes Anliegen, nach
dem Zerfall der Sowjetunion das Selbstbestimmungsrecht ihres Volkes
oder zumindest eine grosszugige Autonomie einzuklagen, ernst nahm.
Der Trip uber die Berge ist beschwerlich, er fuhrt uber mehrere
Passe von uber 3.000 m Hohe und ist nur zu Fuss oder zu Pferd
und dies auch nur wahrend des Sommers moglich. Im Winter ist die
ganze Region metertief eingeschneit. Der kleine "innertschetschenische"
Grenzverkehr zwischen Pankisi und Grosny ist demnach eine durchaus
uberschaubare Angelegenheit und hat auf keinen Fall die Dimension
von militarischem Nachschub, die ihm in den russischen Medien
immer wieder beigemessen wird. Dies bestatigt auch eine Beobachtermission
der OSZE, die im tschetschenischen Abschnitt der georgisch-russischen
Grenze eingesetzt ist und der Truppenbewegungen nennenswerten
Ausmasses aufgefallen sein mussten.
Terroristen statt Freiheitskampfer
Nach dem 11. September ist es Russland gelungen, fur die tschetschenischen
Widerstandler im internationalen Spachgebrauch den Begriff "Terroristen"
durchzusetzen und deshalb diesselben Rechte fur sich zu reklamieren,
die Amerika in Afghanistan oder bei der Verfolgung von Al Qaida
Kampfern weltweit fur sich in Anspruch nimmt. Dass zu diesen tschetschenischen
Waffentragern war auch eine Handvoll arabischer Soldner gestossen
ist, die im Pankisi untergetaucht waren und sich am tschetschenischen
Untergrundkampf in Russland beteiligten, half bei der mediengerechten
Darstellung dieser russischen Forderung.
Was die Grossenordnung der Fluchtlingsbewegung angeht, so geistern
unterschiedliche und verwirrende Zahlen durch die Welt. Meist
ist von mehr als 7.000 die Rede. Diese Zahl wurde bei der jungsten
Fluchtlingsregistrierung in diesem Fruhjahr von georgischen Behorden
korrigiert und auf die ursprungliche Grosse von 3.500 zuruckgefahren.
Der Hintergrund dieses Zahlenspiels ist einfach: Mit der Anerkennung
als Fluchtling und der Aushandigung eines offiziellen Fluchtlingsausweises
ist die Berechtigung verbunden, vom Fluchtlingskommissar der Vereinten
Nationen (UNHCR) Lebensmittel und andere Unterstutzung zu beziehen.
Um Spannungen zwischen den Fluchtlingen und der lokalen Bevolkerung,
die ebenfalls unter schweren wirtschaftlichen Bedingungen zu leben
hat, zu vermeiden, waren UNHCR und georgische Behorden vor Jahren
stillschweigend ubereingekommen, jedem im Pankisi, der danach
fragte, einen Fluchtlingspass auszustellen. Dies wurde jetzt angesichts
der zunehmenden Spannungen mit Russland wieder abgestellt.
Aus diesem Vorgang ergibt sich auch, dass die Zahl von bis zu
2.000 tschetschenischen Kampfer im Pankisital viel zu hoch gegriffen
ist. Naturlich sieht man einem jungen Bauern, das tagsuber ein
Feld bestellt, nicht an, ob er in der Lage ist, sich nachtens
in einen Kalaschnikow-erfahrenen Kampfer zu verwandeln. Trotzdem
darf man davon ausgehen, dass die Zahl der tschetschischen Kampfer
im Pankisi einige Hundert nicht ubersteigt.
Lange Zeit die Augen verschlossen
Die georgischen Behorden haben sich lange geweigert, diesen Aspekt
des Fluchtlingsproblems im Pankisi offiziell wahrzunehmen. Aus
gutem Grund. Denn man wollte sich auf keinen Fall in den Krieg
Russlands gegen Tschetschenien reinziehen lassen. Dass der eine
oder andere tschetschenische Feldkommandant die grosszugige Bewegungsfreiheit,
die ihm georgische Behorden gewahrten, mit finanziellen Gegenleistungen
an seine Gastgeber vergutet haben soll, gehort genauso zum kaukasischen
Alltag wie die Tatsache, dass die russischen Grenztruppen den
kleinen tschetschenisch-georgischen Grenzverkehr lange Zeit nicht
allzu ernst genommen haben. Im Gegenteil: Man war zunachst einmal
froh um jeden, der russisches Territorium verlassen wollte. Ausserdem
verdiente man auch an diversen grenzuberschreitenden Geschaften,
die im vollig unkontrollierbaren Pankisital abgewickelt wurden.
Grenzen sind hierzulande durchlassig wie ein Sieb, wenn die richtigen
Leute bezahlt werden.
Das Tschetschenienproblem im Pankisi ist also in allererster
Linie der Export eines inner-russischen Problems, das Moskau nie
mit zivilisierten Methoden zu losen gedachte, wobei nicht vergessen
werden sollte, dass der zweite russische Vernichtungsfeldzug gegen
die Tschetschenen nicht unwesentlich zur Popularitat Putins und
damit zur Absicherung seiner Macht beigetragen hat.
Nach dem 11. September vergangenen Jahres hat sich die Situation
schlagartig geandert. Vor dem Hintergrund der amerikanisch-russischen
Annaherung und der Ereignisse in Afghanistan erhohte Moskau seinen
Druck auf Georgien, im Pankisital entweder mit eigenen Truppen
einzugreifen oder wenigstens bei georgischen Operationen unterstutzend
beistehen zu durfen, da man den Georgiern nicht zutrauen wollte,
im Pankisi alleine fur Ordnung zu sorgen, vor allem fur Ordnung
im russischen Sinne. Zwischenzeitlich war aus Moskau gar zu vernehmen,
man wolle sich um ein Mandat des UN-Sicherheitsrates in dieser
Angelegenheit kummern, wenn Georgien nicht von alleine nachgabe.
Dieses propagandistische Trommelfeuer gegen Georgien ist nichts
anders als der Versuch Moskaus, vom eigenen militarischen wie
politischen Total-Versagen in Tschetschenien abzulenken, haben
doch die Tschetschenen in diesem Sommer den russischen "Befriedern"
wieder ganz erhebliche Verluste beigebracht. Erst in der letzten
Woche ist in Grosny ein vollbesetzter russischer Militar-Hubschrauber
abgesturzt (worden). Ein Ende der blutigen Auseinandersetzung
mit dem tschetschenischen Untergrund ist nicht abzusehen, wenn
es denn uberhaupt ein Ende geben kann.
Militarausbilder aus Amerika
Dem wachsenden Druck aus Moskau konnte sich Georgien nur dadurch
entziehen, dass es die Amerikaner aufforderte, sich intensiver
im Kaukasus zu engagieren, was neben der massiven finanziellen
Unterstutzung der letzten Jahre auch erstmals offene militarische
Hilfe meinte. Seit einigen Jahren steht Schewardnadses Georgien
vor den Toren der NATO und bittet unuberhorbar um Einlass, wozu
die Zeit allerdings noch lange nicht reif genug ist. Ganzlich
ausgeschlossen erscheint ein solches Ansinnen nicht, wenn man
vor allem das starke Engagement der turkischen Armee bei der Unterstutzung
der georgischen Verteidigung betrachtet. Aber auch andere NATO-Lander
sind mit Hilfsprojekten fur die georgische Armee durchaus prasent.
Amerika, das aus geopolitischen Grunden zwei neue Pipelines vom
Kaspischen Meer in die Turkei uber den teuren Umweg Georgien durchgesetzt
hat, musste den internationalen Finanzorganisationen, die die
Milliarden fur den Bau bereitzustellen haben, ein klares Signal
geben, dass es diese Investition mit seiner Anwesenheit zu schutzen
gedenkt. Im Kommunique des jungsten Bush-Besuchs in Moskau musste
Putin denn auch erstmals den Satz akzeptieren, dass Russland und
Amerika gemeinsam Verantwortung fur die Sicherheit im Kaukasus
ubernehmen, eine Entwicklung, die ihm zu Hause von Militars und
Betonkopfen als schwerer Fehler angekreidet wird.
Um den Schritt in eine neue, namlich militarische Qualitat amerikanischer
Prasenz im Kaukasus zu Hause und in der Weltoffentlichkeit, insbesondere
in Russland, wirksam begrunden zu konnen, inszenierten amerikanische
Diplomaten im Fruhjahr die Seifenoper um Al Qaida Kampfer im Pankisital
und starteten mit diesem kunstlichen Bedrohungsszenario das sogenannte
GTEP (Georgian Train- and Equipp Program), mit dem die georgische
Armee befahigt werden soll, ihren Aufgaben im Kampf gegen den
Terrorismus eigenstandig nachzukommen. Selbst George W. Bush erwahnte
im Fruhjahr in einer Rede zum 11. September ausdrucklich das Pankisital
als Hort des Terrorismus und versicherte, dass Amerika den Georgiern
beim Kampf gegen den Terrorismus im Pankisi helfen werde. 64 MillionenUS-$
kostet das zweijahrige Programm, dessen operative Ausbildungsphase
erst am 29.8., also einen Tag nach Erscheinen dieser GN-Ausgabe,
mit einer militarischen Zeremonie in dem in den letzten Wochen
schnell hochgezogenen Ami-Camp auf einer georgischen Militarbasis
nahe der Hauptstadt Tbilissi eroffnet wird. Bislang stand lediglich
Unterricht auf Stabsebene auf dem Pogramm.
Das Programm ist fur die georgische Armee vorgesehen, nicht fur
die Polizeitruppen, in deren Aufgabenbereich es fallt, die Sicherheit
im Pankisital wieder herzustellen. Da es sich im Pankisital aber
um eine Grenzregion handelt, in der auch georgische Grenzschutztruppen
operieren, die unter dem Ober-Kommando des Verteidigungsministeriums
stehen, hat Prasident Eudard Schewardnadse in der vergangenen
Woche Teile der Grenzschutztruppen per Dekret dem amerikanischen
Trainingsprogramm unterstellt. Somit waren amerikanische "Ausbilder"
im Rahmen von Ubungen der Grenzschutztruppen ohne weiteres auch
im Pankisital einzusetzen, wovon alle in Georgien reden mit Ausnahme
der Amerikaner.
Trotzdem wollen in Tbilissi Geruchte nicht verstummen, dass sich
die beiden US-Senatoren John McCain und Fred Thompson, die in
der vergangenen Woche das Pankisital besuchten, vor Ort auch mit
amerikanischen "Ausbildern" getroffen hatten. Das wird
von amerikanischen Presseoffizieren zwar bestritten, trotzdem
lasst sich nicht leugnen, dass die georgischen Sicherheitsbehorden
erst nach dem Start des amerikanischen Train & Equipp-Programms
damit begonnen haben, im Pankisital Flagge zu zeigen, was zumindest
aus russischer Sicht den Verdacht nahrt, dass Georgien den Amerikanern
gewahrte, was es den Russen verweigerte, und damit die Verargerung
der Moskauer Generalitat nachvollziehbar macht. Sie mussen sich
wohl der Einsicht beugen, mit Georgien einen Teil ihres Hinterhofes
verloren zu haben. Denn wahrend sich in der einstigen Sowjetrepublik
die USA und andere NATO-Staaten breit machen, mussen die Russen
mit den Georgiern daruber verhandeln, wieviel Jahre sie noch brauchen,
um ihre letzten beiden Militarbasen in Georgien abzuziehen. Das
muss schmerzen.
Moskauer Nadelstiche im Hochgebirge
Daher verstarkte Moskau in den letzten Wochen die Politik der
permanenten Nadelstiche mit gelegentlichen Hubschrauberangriffen
auf uberwiegend unbewohntes georgisches Territorium. Den verschiedenen
Angriffen der vergangenen Wochen fielen ein paar Kuhe und Schafe
zum Opfer. Beim letzten Angriff am Freitag frumorgens um 5.30
Uhr aber wurde der 70-jahrige Guram Otiaschwili getotet, der sich
gerade im Wald aufhielt, um Brennholz zu sammeln. Sieben weitere
Personen seien verletzt worden, genauere Informationen uber Schwere
der Verletzung werden von den Agenturen bis jetzt nicht gemeldet.
So machen die georgischen Medien aus diesem Ereignis einen russischen
Luftangriff auf georgische Dorfer im Pankisi und dem benachbarten
Tianeti-Distrikt. Dies erscheint bei etwas Distanz ganz gewaltig
ubertrieben, wenngleich die mehrfahre Verletzung des georgischen
Luftraums durch russische Flugzeuge und das Abwerfen von Bomben
eine schwerwiegende Missachtung der Souveranitat Georgiens darstellt.
Die OSZE-Mission jedenfalls bestatigt das Eindringen mehrerer
nicht identifizierbarer Flugzeuge aus dem russischen Luftraum
in grosser Hohe und die Beobachtung von Detonationen etwa 30 km
tief im georgischen Grenzgebiet. Um das Ausmass dieses Angriffs
zu verstehen, muss man sich ein wenig mit dem Gelande vertraut
machen. Es gibt im 30-km breiten Grenzgebiet im grossen Kaukasus
kaum noch ganzjahrig bewohnte Dorfer sondern nur einige langst
verlassene Weiler, die von den seit Jahrzehnten ins tiefer gelegene
Alasanital umgesiedelten Berg-Tuscheten nur noch als Sommeralmen
fur Zigtausende von Rindern und Schafen und ein paar Hundert Hirten
und Kaserinnen benutzt werden. Auch der besiedelte Teil des Tianeti-Distrikts
liegt mindestens 50 bis 60 km Luftlinie von der russischen Grenze
entfernt, sodass sich die wirkliche Bedeutung des Zwischenfalls
erheblich relativiert. Von dem von georgischen Agenturen und Zeitungen
erweckten Eindruck eines grosseren Bombardements georgischer Siedlungsraume
mit absichtlicher oder auch nur in Kauf genommener Gefahrdung
der georgischen Zivilbevolkerung durch Russland kann wohl kaum
die Rede sein. Viel wahrscheinlicher ist, dass es sich bei dem
Todesfall wohl eher um einen Vorgang handelt, den niemand vorher
einkalkulieren konnte. Wer rechnet schon zu fruher Nachtzeit mit
einem einsamen Holzsammler im Hochgebirgswald?
Der russische Verteidigungsminister Iwanow hat die Anschuldigung
eines russischen Bombenangriffs auf Georgien zuruckgewiesen und
die Detonationen in Verbindung mit den Manovern der georgischen
Grenzschutztruppen im Pankisi in Verbindung gebracht. Er erklarte
den Todesfall als Folge einer fehlgeschlagenen Militaraktion der
Georgier, womit er - zynischer geht es kaum - seine Tbilisser
Kollegen erneut der Unfahigkeit zieh und uberdies den OSZE-Beobachtern
empfahl, sich neue Brillen zuzulegen. Wenn allerdings die georgischen
Sicherheitskrafte endlich daran gingen, mit den Banden im Pankisital
aufzuraumen, dann sei dies ein Schritt in die richtige Richtung
und nur zu begrussen.
Tatsachlich sind die georgischen Sicherheitskrafte seit einigen
Tagen in hektische Aktivitaten verfallen. Truppen des Innenministeriums
haben am Montagmorgen die seit langerem angekundigten Geheimoperationen
im Pankisital gestartet, wahrend der Grenzschutz sein ebenfalls
seit einiger Zeit angekundigtes Manover "Kahketi 2002"
trotz der Verscharfung der Krise mit Russland durchzieht. Beide
Operationen sind Aktionen mit Ansage, die denjenigen unter den
tschetschenischen Fluchtlingen, die eine Uberprufung durch Georgien
furchten, genugend Zeit liess, sich aus dem Staub zu machen. Schon
seit zwei oder drei Wochen tun sich georgische Grenzschutzer auffallig
mit regelmassigen Meldungen hervor, einige Tschetschenen beim
illegalen Grenzubertritt erwischt zu haben, was ihnen in den Jahren
zuvor trotz intensivster Grenzkontrollen nie gelungen war. Die
Manover, so verlautbarten georgische Behorden bereits am Montag
Nachmittag, verliefen planmassig und ohne Komplikationen, sodass
Eduard Schewardnadse am Dienstag schon, medienwirksam und mit
grosem Gefolge wie immer, im Pankisital an der Beerdigung Guram
Otiaschwilis teilnehmen konnte.
Amerikanischer Protest mit Pfiff
Nach einer zweitagigen Denkpause hat sich am Sonntag auch das
offizielle Washington mit einem Statement zu den Vorfallen gemeldet.
Die USA seien zutiefst besorgt uber die glaubwurdigen Berichte,
dass russische Militarflugzeuge im Pankisi Bomben abgeworfen hatten,
erklarte der Pressesprecher des Weissen Hauses, Ari Fleisher.
Die USA warnten Russland vor einer weiteren Eskalation und riefen
Moskau in diesem Zusammenhang zu einer politischen Losung des
Tschetschenienkonflikts auf. Dies wurde Stabilitat fur Russland
und Georgien bringen und die Bemuhungen der USA im Kampf gegen
den Terrorismus und um Frieden und Stabilitat im Kaukasus unterstutzen.
Ein Statement, das zwischen den Zeilen deutlich genug die Gewichtsverschiebung
im Kaukasus dokumentiert, gegen die sich das russische Militar
mit Bomben auf weidende Kuhe und Schafe wehren zu mussen glaubt:
Amerika fordert von Russland Unterstutzung in seinem Kampf um
Frieden im Kaukasus ein. Vor einem Jahrzehnt war Georgien noch
ein Vasall Moskaus.
Fragt sich nur, wie lange Putin, der wieder einmal, wenns an
der sensiblen Grenze zwischen Georgien und Russland brennt, abgetaucht
ist und sich bis jetzt noch nicht geaussert hat, dem Treiben seiner
Militars zusehen kann, ohne dass sein Ansehen ausserhalb Russlands
Kratzer bekommt. Die amerikanisch-russischen Beziehungen wird
er wegen der Eskapaden seiner Militars kaum gefahrden wollen.
Dazu ist beiden, Moskau und Washington Georgien nicht wichtig
genug. Aber: "Americans are here to stay", erklarte
ein US-Senator schon vor drei Jahren anlasslich eines Georgien-Besuchs.
In Moskau wurden solche Statements anscheinend straflich unterschatzt.
Jetzt sind sie Realitat und die russischen Generale konnen damit
nur schwer umgehen.
Der georgische Prasident Schewardnadse nutzte wieder einmal die
Gunst der Stunde, die ihm russische Militars schenkten, und ging
zu einem diplomatischen Frontalangriff auf Moskau uber. "Nach
diesem Bombardement unterstutzt die ganze Welt Georgien",
erklarte er voll Stolz in einer Fernsehsendung, um die Forderung
des Weissen Hauses nach einer politischen Losung im Tschetschenienkonflikt
genusslich aufzugreifen. Diesen Teil des US-Statements nannte
er ein "neues und ernstes Ereignis", da wahrend der
letzten Monate, als die Anti-Terror-Koalition etabliert wurde,
nahezu jeder eingesehen habe, dass der Tod von Menschen in Tschetschenien
ein einfaches Geschaft sei, aber die Forderung nach einem politischen
Frieden in Tschetschenien weitaus schwieriger. Zumindest in den
beiden Reaktionen der Prasidenten aus Washington und Tbilissi
ist das Thema Pankisi also wieder dort angekommen, wo es seine
Wurzeln hat und hingehort: in Russland. Wladimir Putin wird sich
dazu irgendwann einmal aussern mussen.
Rainer Kaufmann
|