Ausgabe 9/02, 19. Juni
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Leben Totgesagte wirklich länger?
Schewardnadse macht die Bürgerunion wieder mobil

Eduard Schewardnadse hat den Kampf um seine letzten Amtsjahre noch nicht aufgegeben. Nach dem Zusammenbruch der Bürgerunion, den er selbst mit zu verantworten hat, hat er am vergangenen Wochenende erneut zum Sammeln geblasen: Die Bürgerunion soll wieder eine starke Macht im Lande werden. Die Parlamentswahlen im nächsten Jahr sollen ebenso gewonnen werden wie die Präsidentenwahlen ein Jahr später, gab das Staatsoberhaupt seinen Getreuen vor. Er selbst liess sich zum Ehrenvorsitzenden wählen, für den Parteivorsitz schickte er seinen derzeitigen Staatsminister Avtandil Jorbenadse an die Front, den er gleichzeitig zu einem seiner möglichen Nachfolgekandidaten kürte. Das will nicht viel heissen bei der Wendigkeit des alten Fuchses. Einst hatte er Surab Schwania zum Kandidaten für ein zu schaffendes Amt des Premierministers ernannt und damit sowohl das Amt als auch den Kandidaten so schwer beschädigt, dass dieser in Totalopposition zu seinem Lehrmeister ging und schliesslich entnervt die Partei verlassen musste.

Das Wiedererwecken der Bürgerunion unter dem Slogan "Kooperation statt Konfrontation" ist für Schewardnadse ein wichtiger Schritt, seinen politischen Spielraum für die nächsten zweieinhalb Jahre, die ihm im Amt verbleiben, abzusichern. Ohne parlamentarische Hilfstruppen wird er die nächsten Jahre nur schwer überstehen, schon gar nicht, wenn er bei den Parlamentswahlen noch einmal eine solch schwere Niederlage erlebt wie kürzlich bei den Kommunalwahlen in Tbilissi. Er habe sich entschlossen, die Partei, deren Vorsitz er im Herbst vergangenen Jahres abgegeben hatte, wiederzubeleben, um ein starkes Gegengewicht zu den wachsenden radikalen Kräften im Lande zu bilden, erklärte er. Dass diese Kräfte vor einigen Monaten noch Mitglieder dieser Partei und lange Jahre seine wichtigsten Verbündeten im Parlament waren, verschwieg er grosszügig.

So haben sich nahezu alle Minister, die bislang nicht Mitglied der Bürgerunion waren, spontan bereit erklärt, der wiederbelebten Partei beizutreten, darunter auch der neue Finanzminister Mirian Gogiaschwili, bisher Vorsitzender des Anti-Korruptionsrates. Es heisst in Tbilissi, dass Schewardnadse alle Minister entlassen wolle, die sich nicht eindeutig zu ihm bekennten, da er auch in den Reihen seiner Regierung noch den einen oder anderen Sympathisanten von Schwania vermutet. Wer nicht für ihn ist, wird als ein Gegner eingeschätzt und hat mit Liebesentzug zu rechnen. Dasselbe gilt für viele Beamte des Regierungsapparates, vor allem für die Gouverneure, unter denen der eine oder andere als Sympatisant Schwanias gilt. Auch sie werden sich jetzt am Mitgliedsbuch in der Bürgerunion messen lassen müssen, wenn sie ihren einflussreichen Posten behalten wollen. Die Fronten sind damit begradigt worden. Den Startvorteil, den gesamten Regierungsapparat bei den kommenden Wahlen für sich einsetzen zu können, will die Bürgerunion anscheinend nicht aus der Hand geben, schon gar nicht mit jemandem teilen.

Mit der Personalunion von Parteivorsitz und Staatsministerium ist Avtandil Jorbenadse ganz sicher derzeit der zweite Mann in der politischen Hierarchie Georgiens. Er schultert damit eine Riesenverantwortung. Denn der Präsident hat jetzt wieder jemanden, auf den er alle schlechten Entwicklungen abladen kann, während er selbst sich mehr und mehr mit den Lorbeeren, die es ja auch noch geben soll, beschäftigt. Politische Beobachter bezweifeln allerdings, ob die Bürgerunion tatsächlich wieder zu einer einflussreichen Partei genesen kann. Einer der Mannen im Hintergrund, der Vorsitzende der Steuerzahlerunion und frühere Staatsminister Niko Lekischwili, erklärte, dass er keineswegs bereit sei, die Unternehmer des Landes aufzufordern, der Bürgerunion beizutreten. Und von Lewan Mamaladse, der im Vorfeld der Wahlen durch seinen gnadenlosen Streit mit Surab Schwania diesen aus der Partei hinausgeekelt hatte, sprach auf dem sonntäglichen Kongress anscheinend keiner mehr. Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan, der Mohr konnte gehen. Avtandil Jorbenadse kann sich nie sicher sein, dass ihn dasselbe Schicksal nicht auch ereilt.

Surab Schwania, heute Führer der Opposition "Vereinigte Demokraten" erklärte zum Wiederbelebungsversuch der Bürgeruion, dass er nicht sehe, wie diese Partei ihren Platz im politischen Spektrum finden könne. Er kenne keinen Fall, indem eine politische Partei, die von staatlichen Autoritäten etabliert worden sei, die Erwartungen, die man in sie gesetzt hatte, erfüllen konnte.

Der englisch-georgische Politologe Ramz Klimiaschwili, ein angesehener und neutraler politischer Analytiker, glaubt nicht daran, dass Dschorbenadse im Jahr 2005 Chancen habe, als Präsidentschaftskandidat anzutreten. Das Ansehen der Bürgerunion sei auf Null gesunken und wenn Parlamentswahlen ohne Manipulation abgehalten würden, hätte die Bürgerunion nicht einmal die Chance, die 7-%-Hürde zu überwinden. Klimiaschwili befürchtet aber, dass die neu formierte Bürgerunion darauf setzte, die Wahlen mit Hilfe der Administration und Behörden zu manipulieren. Die nächsten Wahlen werden zeigen, ob in Georgien Totgesagte wirklich länger leben können als anderswo.

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ERKA-Verlag ©2002