Ausgabe 9/02, 19. Juni
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Neue Züricher Zeitung

Totale Konfusion nach den georgischen Lokalwahlen
Schewardnadse ohne jede Parteibasis
win. Moskau, 5. Juni


Die Lokalwahlen in Georgien vom vergangenen Sonntag scheinen unter einem besonders unglücklichen Stern gestanden zu sein. Nachdem die Beobachterdelegation des Europarats schon kurz nach dem Ereignis erklärt hatte, bereits die ungenügende Vorbereitung habe die Hoffnung auf eine faire Wahl zerschlagen, wurde mit der Veröffentlichung der ersten Resultate gleich von fast allen Beteiligten der Vorwurf des Wahlbetrugs erhoben. Am Dienstagabend beschloss die Wahlkommission, die Stimmzettel nachzuzählen, was nun aber sogleich wütende Proteste der Arbeiterpartei hervorrief, welche laut den Resultaten der ersten Auszählung überraschend gut abgeschlossen hatte und im Stadtrat der Hauptstadt Tbilissi - einer der wichtigeren politischen Institutionen des Landes - mit 26 Prozent der Stimmen stärkste Partei geworden wäre. Die anderen Parteien schienen mit der Neuauszählung einverstanden zu sein, obwohl sich ihre Betrugsvorwürfe eigentlich gegenseitig neutralisierten.

Trotz aller Konfusion und so manchen abenteuerlichen Vorkommnissen am Wahltag - in der Stadt Rustawi stahlen Bewaffnete einen ganzen Lastwagen voll Wahlmaterial - bestätigten die Lokalwahlen einen sich schon seit längerem abzeichnenden Trend. Präsident Schewardnadse hat mindestens auf parteipolitischer Ebene überhaupt keine Basis mehr. Seine frühere Partei, die Bürgerunion, hatte sich nach der Krise vom letzten November, als die gesamte Regierung entlassen wurde, in zwei bitter verfeindete Flügel gespalten. Der loyale Flügel scheiterte nun bei der Wahl in Tbilissi an der Vier-Prozent-Schwelle und wird im Stadtparlament nicht mehr vertreten sein. Der andere Flügel unter der Leitung des früheren Parlamentspräsidenten Schwania war per Gerichtsbeschluss von der Wahl disqualifiziert worden. Schwania flüchtete sich mit seinen Getreuen zu den Christlich-Konservativen, die gut 7 Prozent der Stimmen erhielten.
Bedeutenderen Zulauf erhielten laut den provisorischen Resultaten die Nationale Bewegung (24 Prozent) des früheren Justizministers Saakaschwili, der nun bereits den Sturz Schewardnadses voraussagte, sowie die Partei Neue Rechte (knapp 12 Prozent), welche dem Unternehmertum nahesteht und - wohl im Hinblick auf die Parlamentswahl im nächsten Jahr - im ganzen Gebiet, das noch der Kontrolle der Regierung in Tbilissi untersteht, eine starke Präsenz aufbaute.

 

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

ERKA-Verlag ©2002