Ausgabe 9/02, 19. Juni
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Frankfurter Allgemeine Zeitung

Der Diktator von Batumi

Aslan Abaschidse hat in Adscharien sein eigenes Reich errichtet, das sich der Kontrolle der georgischen Regierung entzieht / Von Markus Wehner

BATUMI, 14. Juni. Zwei dickwangige Goldengel blasen fröhlich in ihre Trompeten, unbeeindruckt von der feuchten Hitze, die sich im Sommer über die Hafenstadt Batumi im äußersten Südwesten Georgiens am Schwarzen Meer legt. Die Putten prangen an einem schmiedeeisernen Tor, dahinter wartet der Leiter des Hafendienstes, um den Gästen aus Deutschland einen strahlenden Neubau zu präsentieren. In der Eingangshalle blitzt der Marmor. Mit Stolz wird vorgeführt, was es in Georgien nicht noch einmal gibt: ein riesiger Nobelkindergarten mit Schwimmhalle und großem Sportsaal, Computerraum und moderner Küche, voll klimatisiert, vom Feinsten und nagelneu.

In zwei Monaten sollen hundertfünfzig sorgfältig ausgesuchte Kleine von Mitarbeitern der Hafenverwaltung zu Sport und Spiel antreten. "Das alles hat der Herr Aslan sich ausgedacht", sagt der Hafendienstleiter. "Denn er liebt die Kinder sehr." Der Kinderfreund von Batumi - er hat auch eine Kinderoper geschaffen - heißt Aslan Abaschidse. Er hat in Adscharien, einer Autonomen Republik in Georgien, sein eigenes Reich errichtet, das sich der Kontrolle der Zentralregierung in der Hauptstadt Tiflis entzieht.

Wer sein Reich besucht, wird etwa fünfzig Kilometer vor Batumi von Männern in dunkelblauen Hemden mit schwarzen Schulterklappen gestoppt - Beamte einer Grenze, die es eigentlich nicht geben dürfte. Es folgen weitere fünf Polizeikontrollen auf wenigen Kilometern - das ist selbst für das mit Wegelagerern im Staatsdienst reichlich ausgestattete Georgien, die auf den Straßen ihren Sold eintreiben, rekordverdächtig.

Wagen aus Tiflis haben es besonders schwer, denn dort sitzt der Feind von Abaschidse, der georgische Präsident Schewardnadse. "Das ist eine Tradition", erklärt in Batumi der als Aufpasser beigegebene Pressesekretär, der in Saarbrücken Politikwissenschaft studiert hat, später die Häufigkeit der Kontrollen. Denn Tiflis versuche dauernd, Unruhe in Adscharien zu stiften, wo es gelungen sei, die Kriminalität auf ein Minimum zu drücken.

Adscharien besitzt eine Autonomie, weil die Adscharen in ihrer Mehrheit georgische Muslime sind - ein Erbe der langen türkischen Oberhoheit über die Region. Vor zehn Jahren, als Georgien in einem blutigen Bürgerkrieg versank und irreguläre Gruppen Bewaffneter das Land terrorisierten, ist es Abaschidse mit hartem Durchgreifen gelungen, die Stabilität in Adscharien, das 350 000 Einwohner zählt, zu wahren. Von diesem Nimbus zehrt er bis zum heutigen Tag. Doch als die Lage sich in Georgien seit Mitte der neunziger Jahre zu entspannen begann, Parlaments- und Präsidentenwahlen stattfanden, hat der kleine Diktator von Batumi sein Regime nicht etwa gelockert, sondern die Daumenschrauben um so fester angezogen. In seinem kleinen Polizeistaat, der in Anspruch nimmt, wirtschaftlich erfolgreicher als der Rest Georgiens zu sein, bestimmt nur einer - er selbst. Opposition gibt es nicht mehr. Wer gegen ihn war, hat Adscharien verlassen, sich ins Private zurückgezogen oder sitzt im Gefängnis.

Am Sonntag sind Bürgermeisterwahlen in Batumi. Zwar haben die Kommunalwahlen in Georgien schon vor zwei Wochen stattgefunden, doch Abaschidse kümmert sich nicht um die georgische Verfassung, nach der nur der Präsident die Wahltermine festsetzen darf. Den ehemaligen Bürgermeister von Batumi, Tengis Asanidse, hat Abaschidse 1993 verhaften lassen. Das Oberste Gericht Georgiens hat die Freilassung des Gefangenen verfügt, Präsident Schewardnadse hat ihn vor drei Jahren begnadigt. Doch Abaschidse kümmert sich nicht darum. Sein Gegner sitzt weiter im Gefängnis des Geheimdienstes in Batumi.

In den Straßen der Stadt ist auf Wahlplakaten nur ein Kandidat für das Bürgermeisteramt zu sehen. Es ist Abaschidses 25 Jahre alter Sohn Grigorij, bisher schon Bürgermeister der 150 000 Einwohner zählenden Hauptstadt Adschariens. Die drei weiteren Kandidaten dienen nur der Staffage, die Einwohner Batumis kennen sie nicht. Der Sohn wird wohl ähnliche Ergebnisse erzielen wie sein Vater. Der hat die letzte Wahl mit 99 Prozent gewonnen, ganz im Stil der Sowjetzeit. Die übrigen Spitzenposten hat der Herrscher von Adscharien unter seinen Verwandten und engsten Gefolgsleuten aufgeteilt - der Innenminister ist sein Cousin, der Sicherheitsminister sein Schwager.

Seine Wirtschaftsmacht stützt Abaschidse auf allerlei undurchsichtige Zolleinnahmen und auf den Hafen in Batumi. Dort werden bislang etwa sechs Millionen Tonnen Erdölprodukte im Jahr verschifft, die auf der Schiene aus Aserbaidschan und Zentralasien geliefert werden. Doch Abaschidse will einen neuen Hafen bauen lassen, der vier- bis fünfmal größer ist und an dem Supertanker anlegen können. Ein türkisches Firmenkonsortium soll das Projekt mit einer Größenordnung von mehreren hundert Millionen Dollar in vier Jahren verwirklichen - der Hafen wäre dann der größte im Schwarzen Meer, könnte Rumänien, Bulgarien, die Ukraine und von dort aus Polen beliefern.

Man gibt sich zuversichtlich, doch die Finanzierung ist nicht gesichert. Zudem ist es unklar, ob eine Pipeline von Baku nach Batumi gebaut würde, ohne die sich der Hafenausbau nicht rechnen würde. Doch die Prioritäten liegen anders: Das wichtigste Projekt, das in Georgien derzeit von den Amerikanern mit Macht vorangetrieben wird, ist die neue Erdöltrasse von Baku ins türkische Ceyhan. Die Türken, die Georgien militärisch stark unterstützen und sogar einen gemeinsamen Koordinierungsstab in der Militärakademie in Tiflis gebildet haben, werden Abaschidse kaum stärken, solange er gegen Schewardnadse Front macht.

Freilich hat der Herrscher von Adscharien, der aus einer alten angesehenen Familie stammt, bisher wenig zu befürchten gehabt. Er weiß, daß sein Gegenspieler, Präsident Schewardnadse, sich zurückhalten muß. Denn Schewardnadse kann sich nicht noch einen regionalen Flächenbrand in Abchasien leisten, nachdem sich schon zwei Autonome Republiken Georgiens, Abchasien und Süd-Ossetien, für von Tiflis unabhängig erklärt haben und sich politisch nach Moskau orientieren. Der georgische Präsident macht daher gute Miene zum bösen Spiel. Mehrfach hat er Abaschidse in Batumi aufgesucht, um die Lage zu entschärfen, seinen exzentrischen und paranoiden Gegner ruhigzustellen. Der starke Mann von Batumi ist hingegen seit zehn Jahren kein einziges Mal nach Tiflis gereist. Dort wolle man ihn verhaften oder töten, behauptet er. Insgesamt neunzehnmal habe Schewardnadse versucht, seinen Chef ermorden zu lassen, sagt der Pressesekretär und zeigt einen Propagandafilm des adscharischen Fernsehens mit dem Titel "Staatsterrorismus in Georgien", der mit hastig zusammengeschnittenen Bildern zeigen soll, daß Schewardnadse bei der kaltblütigen Erschießung von Oppositionellen anwesend gewesen sei und alle Attentate auf Abaschidse höchstpersönlich dirigiert habe.

Als die Gäste aus Deutschland, deren Aufenthalt ständig von Kameras, die angeblich nur dem Fernseharchiv dienen, begleitet wird ("das ist so üblich für das Protokoll"), sich dem Vorzeigen Potemkinscher Dörfer entziehen und sich eine Stunde lang die wenig glanzvollen Straßen Batumis anschauen, ist das Maß an Freiheit, das man ausländischen Besuchern zugesteht, schon überschritten. Die Strafe folgt auf dem Fuß: Abaschidse sagt den seit Tagen vereinbarten Interview-Termin fünfzehn Minuten vor dessen Beginn ab. Fotoaufnahmen im Zentrum werden von Sicherheitsbeamten mißtrauisch beäugt, Verbote ausgesprochen, Bewohner zeigen sich eingeschüchtert und verängstigt.

Die größte Stütze für den kleinen Diktator aus Batumi war bisher Moskau. Der Kreml hat in den vergangenen Jahren versucht, Georgien ob seiner außenpolitischen Westausrichtung in die Knie zu zwingen und den geplanten Marsch des Landes in die Nato zu stoppen. Da kam es zupaß, das Störfeuer in Adscharien am Brennen zu halten. In Batumi steht die 145. motorisierte Schützendivison der russischen Streitkräfte, dort dienen 1500 der etwa 10 000 russischen Soldaten, die noch immer auf georgischem Boden stationiert sind, nach internationalen Verträgen das Land aber verlassen müssen. In einer militärischen Auseinandersetzung in Adscharien hätte Abaschidse auf russische Waffenhilfe rechnen können.

Doch die Zeiten ändern sich. Die Amerikaner haben in Georgien ihr Ausbildungsprogramm für etwa 2000 Soldaten der georgischen Streitkräfte begonnen - Abaschidse zeigte sich darüber "erstaunt und alarmiert", denn die neuen Anti-Terror-Kräfte würden von Tiflis mit Sicherheit für "politische Zwecke" mißbraucht. Unbehagen könnte dem Herrscher Adschariens auch machen, daß die georgisch-russischen Verhandlungen über einen neuen Freundschaftsvertrag zwischen beiden Ländern auf einem guten Wege sein sollen.

Wenn Präsident Schewardnadse im Jahre 2005 abtreten muß, wie es die Verfassung verlangt, dann will Abaschidse seine Nachfolge antreten. Doch dazu wird es nicht kommen, in Tiflis wird der Adscharenführer trotz seiner landesweit agierenden Partei nicht Fuß fassen können. Sollte der russische Präsident Putin die Einsicht gegen seine Militärs durchsetzen können, daß ein gutes Verhältnis zu Georgien für einen stabilen Kaukasus besser ist als die Unterstützung kleiner Diktatoren und sezessionistischer Regime, dann könnten die Tage von Abaschidses Absurdistan am Schwarzen Meer schneller zu Ende gehen, als es der Kinderfreund von Batumi glaubt.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.06.2002, Nr. 136 / Seite 3

 

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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